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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 506 / 19.5.2006

Umarme Verschiedenheit

Octavia Butler - Ein Nachruf

"Die Idee für die Genhändler-Trilogie bekam ich durch Ronald Reagan, der zum Präsidenten gewählt wurde, obwohl er einen Nuklearkrieg für gewinnbar hielt. Ich dachte mir, irgendetwas an uns muss grundlegend falsch sein, geradezu genetisch falsch, wenn wir auf solches Zeug hereinfallen." Falls Reagan schuld sein sollte am Entstehen der "Genhändler" ("Xenogenesis"), dann wäre das einer der wenigen Punkte, die man ihm zugute halten könnte. Die "Genhändler" sind einer der ganz großen Romane des 20. Jahrhunderts, geschrieben von einer Frau, die zurückgezogen in Los Angeles und später Seattle lebte: Octavia Butler, feministische Schriftstellerin, schwarze Science-Fiction-Autorin, die vor wenigen Wochen im Alter von 58 Jahren verstarb.

"Ich bin in unangenehmer Weise asozial - eine Einsiedlerin mitten in Seattle - eine Pessimistin, wenn ich nicht aufpasse, eine Feministin, eine ehemalige Baptistin, ein Amalgam aus Ehrgeiz, Faulheit, Unsicherheit, Entschlossenheit und Tatkraft." So beschrieb sich Octavia Butler selbst. Sie war eine passionierte Alleinleberin. Während sie arbeitete, hatte sie an verschiedensten Stellen ihres Hauses Bücher offen liegen, zu denen sie zurückgehen konnte und die irgendwie miteinander kommunizierten - eine Art Dubbing verschiedener Quellen, eine organisierte Mehrdeutigkeit, die auch am Grund ihres Schreibens lag.

Octavia Butler wurde als einzige Tochter eines schwarzen Schuhputzers in Pasadena geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs sie mit ihrer Mutter im Haushalt ihrer Großmutter auf. "Einsamkeit und Langeweile" brachten sie zum Schreiben; die ersten Experimente mit Science Fiction unternahm sie mit zwölf Jahren, nachdem sie "Devil Girl from Mars" gesehen hatte und entschied, das könne sie besser. Während die Schule sich wenig um ihr Talent scherte und stattdessen auf Lese- und Rechtschreibschwäche diagnostizierte, besuchte sie später Kurse in Creative Writing, die sich speziell an Latinos und Afro-Amerikaner richteten. Durch die Kurse lernte sie auch den Schriftsteller Harlan Ellison kennen, der sie förderte.

Als schwarze Schriftstellerin hatte sie besonders hart zu kämpfen, bis 1976 endlich ihr erster Roman veröffentlicht wurde, "Patternmaster". "Ich konnte es einfach nicht lassen, zu schreiben. Ich habe immer wieder erfolglos versucht, damit aufzuhören, wie andere Leute versuchen mit dem Rauchen aufzuhören." 1979 folgte mit "Kindred" endlich Erfolg und Anerkennung. Dennoch ist Octavia Butler bis heute außerhalb der USA und außerhalb der Science Fiction kaum bekannt.

Die "Genhändler" beginnen damit, dass sich die Menschheit durch einen Nuklearkrieg kollektiv umgebracht hat. Eine außerirdische Spezies, die Oankali, kommt zufällig vorbei, rettet die letzten Menschen, restauriert die Erde. Nur - was tun? Den ganzen Wahnsinn noch mal von vorn anfangen? Dazu sind die Aliens nicht bereit. Intelligent seien die Menschen, und dazu hierarchisch - eine selbstmörderische Kombination. Was die Oankali für die Menschen vorgesehen haben, ist dasselbe, was sie immer in solchen Situationen tun: ein Teil der Oankali vermischt sich mit der fremden Spezies zu einer neuen, während ein anderer Teil der Oankali unverändert weiterreist. Das ist die Art, wie die Oankali sich weiter entwickeln.

Die Oankali sind keine unangenehmen Zeitgenossen. Sie sind sozial, empathisch, ihre Technologie ist eher organisch als mechanisch, und ihre politische Ordnung ist gemeinschaftlich, inklusiv, gewaltarm. Nur: die Menschen wollen Menschen bleiben. Und sie sind bereit, dafür zu töten, Krieg zu führen und auf eine Zukunft zu verzichten. In dieser Spannung zwischen Identität und notwendiger Veränderung, zwischen Selbstbestimmung und Weiterentwicklung, zwischen Verwirrung und Stärke, entwickelt sich die Romantrilogie. Ein afro-amerikanisches, ein postkoloniales, ein universelles Thema in einer sich verändernden, globalisierten Welt.

Die drei Romane sind aus drei unterschiedlichen Ich-Perspektiven erzählt: Lilith, die Menschenfrau, die mit den Oankali kooperiert um ihre Spezies zu retten und daran leidet; Akin, ihr Sohn, einer der ersten "Konstruierten" aus beiden Spezies; und Nikanj, aus der nächsten Generation, ein Ooloi. Was ein Ooloi ist? Nun, das bei den Oankali übliche dritte Geschlecht, das beim Geschlechtsakt als empathischer Mittler dabei ist. Was darauf verweist, dass Octavia Butler die besten Sex-Szenen der Science Fiction schreibt - die von einer Sexualität handeln, die tatsächlich anders ist.

Sexualität und Freiheit, die Widersprüche von sozialer Bindung und Individualität, kehren als Probleme immer wieder in Butlers Werk. In feministischer Tradition erscheint der Bau neuer Gesellschaften weder als technisches Problem noch als eindimensionale Utopie des "Besseren", sondern als ein hoffnungsvoller, aber auch schmerzlicher Prozess von Befreiung und Selbstverwirklichung.

"Die Menschen fürchten Verschiedenheit", erklärt Lilith einmal ihrem Sohn, dem "Konstruierten" Akin. "Die Oankali sehnen sich nach Verschiedenheit. Die Menschen verfolgen diejenigen, die anders sind als sie, aber sie brauchen sie, um sich Definition und Status zu geben. Die Oankali suchen Verschiedenheit und sammeln sie. Sie brauchen sie, um zu verhindern, dass sie stagnieren und sich überspezialisieren. Wenn du dies jetzt nicht verstehst, wirst du es später verstehen. Du wirst wahrscheinlich feststellen, dass beide Tendenzen in deinem eigenen Verhalten zum Vorschein kommen ... Wenn du einen Konflikt fühlst, versuche den Oankaliweg zu gehen. Umarme Verschiedenheit."

Im Februar diesen Jahres starb Octavia Butler an den Folgen eines Sturzes auf der Straße.

Christoph Spehr