Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 507 / 16.6.2006

Widerstand im Wettstreit

Revolutionäre Mannschaften vs. Superhelden

Am 31. Mai fanden in Hamburg mindestens zwei Wohnungsdurchsuchungen statt, außerdem lief die Polizei beim monatlich stattfindenden Hamburg-Umsonst-Café auf. Laut Hamburger Abendblatt haben "Ermittler der Staatsschutz-Abteilung des Landeskriminalamtes (LKA) vor allem im Stadtteil St. Pauli mehrere Wohnungen und Lokale durchsucht" und "Computer und auch Kleidungsstücke sicher gestellt" Am nächsten Abend zog eine kleine Spontandemo durch das Hamburger Schanzenviertel, die sich gegen die Durchsuchungen richtete. Die Initiative Hamburg Umsonst hat den erfolgreichen Hamburger Euromayday mit organisiert.

Einen Tag vor dem Euromayday kam es zu einer spektakulären Aneignungsaktion durch maskierte Unbekannte, bei der überteuerte Lebensmittel aus einem Gourmetgeschäft entwendet wurden. Diese symbolische Aktion, bei der die Maskierten auch für die Teilnahme am Euromayday warben, war der Anlass für die Razzia. Völlig im Dunklen tappt die Polizei hingegen bei ihren Ermittlungen im Zusammenhang mit einer anderen Aktion im Vorfeld des 1. Mai.

Gegen drei Uhr nachts kam am 29. April Bewegung in das gutbürgerliche Wohnviertel Reinbeks, einer Kleinstadt am Rand von Hamburg. Der Mitsubishi-Van der Familie Straubhaar wurde aus dem Car-Port gezogen, dann in der Auffahrt angezündet. Einige Steine flogen gegen das Sicherheitsglas der Fenster des Hauses, an der Hauswand zerplatzten rote Farbbeutel.

Niemand wurde erkannt oder festgenommen, das Medienecho war groß: "Offensichtlich Linksextremisten haben in der Nacht zu Donnerstag einen Anschlag auf das Wohnhaus von Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts (HHWI), verübt", schrieb das Hamburger Abendblatt. Die Hamburger Morgenpost titelte: "Brandanschlag auf Top-Wissenschaftler." Die zuständige Staatsanwaltschaft Lübeck erkannte messerscharf, wo die Täter zu suchen seien: Die Aktion gehe "vermutlich auf das Konto politisch sehr linker junger Leute, die sich mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen des Professors und der Institution des Instituts nicht einverstanden erklären", so Oberstaatsanwalt Günter Möller.

"Klassenkampf vor dem 1. Mai"*

Thomas Straubhaar war zum Zeitpunkt der Aktion nicht zuhause, wohl aber seine Frau und die drei Kinder. Ob die Kinder etwas mitbekamen, ist nicht bekannt. Offensichtlich um das Überspringen des Feuers vom Auto auf das Wohnhaus zu vermeiden - wie es bei einer anderen Gelegenheit passiert war - und keine Menschen zu gefährden, wurde das Auto aus dem Car-Port gezogen.

Abendblatt und Morgenpost zitierten in den folgenden Tagen einige Halbsätze aus dem zweiseitigen Bekennerschreiben, dass bei ihnen einging. Demnach bekannte sich die bislang unbekannte Gruppe fight 4 revolution crews zur Brandstiftung am Auto der Straubhaars und zu einer weiteren Aktion: Bereits zwei Nächte zuvor hatten Unbekannte Steine und Farbbeutel auf das Reihenhaus eines Standortleiters der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) in Hamburg-Langenhorn geworfen. Auch hier wurde niemand verletzt. Der ARGE-Standortleiter wird als "Schnüffler" bezeichnet, wegen des Vorgehens der ARGE gegen Hartz-IV-Betroffene.

Das Bekennerschreiben der Gruppe fight 4 revolution crews mit der Überschrift: "Auf zur revolutionären 1.-Mai-Demo" schließt mit der Parole "Wir wollen alles!" Volkswirtschaftler Straubhaar wird darin als "Stichwortgeber und Wegweiser für Angriffe auf das Proletariat" kritisiert. Er würde 1-Euro-Jobs feiern und für die Abschaffung des Kündigungsschutzes sein, so die Morgenpost. Vermutlich steht im Bekennerschreiben noch einiges mehr, denn Straubhaar ist in der Tat ein überzeugter und exponierter Vertreter von Sozialabbau und Deregulierung, was etwa aus seiner Kritik deutlich wird, dass die Bundesregierung hierbei noch nicht weit genug geht: "Beim Arbeitsmarkt ist aus meiner Sicht unverzichtbar, dass die Flexibilisierung weiter geht, als jetzt geplant ist ... Das Stichwort lautet Globalisierung, weitere Konkurrenz der Standortverlagerung nach Südosteuropa, nach Südostasien. Und von daher gesehen wird kein Weg dran vorbeiführen", so Straubhaar im Deutschlandfunk im November 2005. Straubhaars Lieblingswort ist "unverzichtbar": "Was ist unverzichtbar für einen starken, aber eben schlanken Staat? Was kann nur der Staat besser als die Privaten? Alles andere, bei denen die Antwort eben lautet, dass es die Märkte, die einzelnen Menschen in Eigenverantwortung und Freiheit besser können, soll er abgeben."

Eine Woche nachdem sein Auto in Brand gesteckt worden war, trat Straubhaar am 3. Mai beim Abendblatt-Forum auf und verkündete zum Thema Globalisierung und Hamburg: "Die zweite Welle der Globalisierung wird viel heftiger werden ... Entscheiden wird allein das Preis-Leistungsverhältnis der Belegschaften, aber auch der öffentlichen Infrastruktur. Ein großer Trend in Zeiten der Globalisierung ist die zunehmende Urbanisierung ... Der Standortwettbewerb belohnt die Attraktivität einer Stadt und bestraft Ineffizienz ... Maßgebliche Erfolgsfaktoren im Wettbewerb um Monopolvorsprünge sind herausragende Menschen, Unternehmer, die ein Risiko eingehen und Wagniskapital. Über all diese Faktoren verfügt Hamburg. Es gilt auch in Zukunft, die Stadt so attraktiv zu halten, dass die Menschen und die Investoren auch weiter zu Hamburg stehen."

Bereits im Januar 2006 propagierte Straubhaar in der Welt, dass Hamburg gegenüber dem Umland seine Metropolenmacht offensiv nutzt: "Der erste Schritt würde in Kiel wie eine Drohung wirken, und wenn es umgesetzt wird, wie ein Affront. Dies würde aber das wahre Kräfteverhältnis, die wahre Macht Hamburgs sehr schnell aufdecken. Ich halte das für unverzichtbar."

Straubhaar vertritt in einigen Fragen Ansichten, die als linksliberal gelten, etwa wenn er für Migration eintritt, allerdings nur, so weit sie den Wirtschaftsinteressen Deutschlands nützt. In der Zusammenschau erscheint er vor allem als ein überzeugter Propagandist des unverzichtbaren freien Marktes, kombiniert mit dem Einsatz für eine Modernisierung der kapitalistischen Gesellschaft. Dafür ist er als Direktor des Hamburger Weltwirtschafts-Instituts HWWI berufen worden.

Die von ihm betreuten Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung an der Uni Hamburg drückten das in ihrem Protestbrief gegen die Brandstiftung aus: "Prof. Straubhaar ist einer der profiliertesten liberalen Ökonomen in Deutschland." Und Marktradikalismus durchaus wehrhaft und militant gegen links: "Diejenigen, die den brutalen Anschlag verübt haben, zeigen auf makabre Weise, dass die Argumente von Prof. Straubhaar für diese extremistischen Feinde unserer freiheitlichen Verfassung gefährlich sind und sie haben offenbar dem nicht mehr entgegenzusetzen als Brandbomben, Farbbeutel und Steine."

Brandstiftungen gegen den G8-Gipfel 2007

In Hamburg hat es in den letzten Jahren wiederholt Brandstiftungen gegeben, zuletzt im Juli 2005 am Mercedes des Chefs der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette, in Tostedt bei Hamburg. Und im Dezember 2005 am BMW und am Minicooper des Werbers Holger Jung, mitverantwortlich für die Kampagne "Du-bist-Deutschland", in Hamburg-Harvestehude. Ebenfalls im Dezember war das Auto des Tchibo-Vorstandsmitglieds Thomas Vollmoeller in Harvestehude ein Ziel: "Wegen der menschenverachtenden Produktionsbedingungen in Bangladesh, wo ein großer Teil der Tchibo-Klamotten hergestellt wird, geriet der Konzern in diesem Jahr in die Schlagzeilen. Heute Nacht haben wir Thomas Vollmoellers BMW am Mittelweg 68 in Hamburg angezündet. Mit dieser Aktion wollen wir unsere Solidarität mit den Kämpfen der Näherinnen in Bangladesh ausdrücken und für weiteren Druck auf Tchibo sorgen", wie es in einer Erklärung dazu heißt.

In allen Bekennerschreiben, die von unterschiedlichen Gruppen kamen, wurde mehrfach auf den G8-Gipfel 2007 im mecklenburgischen Heiligendamm Bezug genommen, auch beim Anschlag auf Straubhaar: "Die G8-Schweine planen soziale Angriffe gegen das Proletariat."

Gleichwohl rauscht diese Form von Militanz an vielen Linken vorbei, wirkt aufgesetzt. Positiv ist in jedem Fall, dass die Polizei komplett im Dunklen tappt bei der Suche nach den KämpferInnen für revolutionäre Mannschaften und den anderen militanten Gruppierungen. Unter der Überschrift "Anschläge: Ermittlungen meist erfolglos" hieß es im Hamburger Abendblatt: "Erst die Steine gegen das Haus des ARGE-Mitarbeiters, dann der Anschlag auf Auto und Haus von HWWI-Chef Thomas Straubhaar, die Robin-Hood-Attacke auf das Frischeparadies Goedeken - und schließlich die Randale vor der Eimsbütteler Agentur für Arbeit: Vier Straftaten in Hamburg in einer Woche, alle politisch motiviert. Jetzt ermittelt der Staatsschutz und sucht die Täter. Die Aufklärungsquote der Abteilung 7 des LKA ist jedoch miserabel: In den vergangenen Jahren wurden die Verantwortlichen derartiger Anschläge fast nie erwischt." Auf das abstruse Lamentieren des Springerjournalisten Christian Denso, dass die Aktionen leider juristisch keine "Terror-Delikte" seien, folgte ein Zitat der Polizeisprecherin Ulrike Sweden, die ins gleiche Horn blies: "So schlimm das auch für die Betroffenen und ihre Familien ist: Wir brauchen Beweise, keine Vermutungen, können aber nur wegen Sachbeschädigungen oder Brandstiftungen ermitteln und deshalb etwa kaum mit Telefonüberwachungen arbeiten." Das ist das übliche falsche Gerede davon, dass der Polizei bei der Bekämpfung linker Militanz die Hände gebunden sei und auch die letzten auf dem Papier bestehenden Einschränkungen beim Bespitzeln von Linken fallen sollen.

Aneignungsaktionen gegen Prekarisierung

Aber so gäbe es jetzt die Möglichkeit, sich ohne den Druck von drohenden Prozessen damit auseinander zu setzen, ob das Anzünden von Autos und das Bewerfen von Privathäusern tatsächlich linken Protest befördert - oder eben doch als Stellvertreter-Militanz politisch verpufft. Und wie mit dem Problem umgegangen wird, dass Unbeteiligte, auch Kinder, von den Brandstiftungen betroffen sind. Selbstredend wäre eine solche Debatte etwas anderes als die Pseudoanalysen vom Hamburger Verfassungsschutz. Dessen Chef Heino Vahldieck bewies einmal mehr, dass er ein sehr helles Köpfchen ist, der sich in linke Strategien hineinversetzen und sogar schon den Kalender richtig lesen kann: "Die vier Aktionen sollten das Datum über Demonstrationen hinaus mit Leben erfüllen." Bei Gesprächen auf den Demonstrationen zum 1. Mai in Hamburg waren die Brandanschläge jedoch kaum Thema. Und wenn, dann wurden sie eher kritisiert.

Ganz anders dagegen die Reaktion auf die Aktion einiger als Superhelden Kostümierter, die am Freitag vor dem 1. Mai in den Edel-Supermarkt "Frische-Paradies Goedeken" eingedrungen waren und dort kollektiv Luxuswaren entwendeten, die sie anschließend an prekarisierte Putzfrauen und Erzieherinnen verteilten.

In ihrer auf indymedia dokumentierten Erklärung zur Aktion "Fünf Sterne to go II" erklärten sie sich: "Wir sind Santa Guevara, Spider Mum, Operaistorix und Multiflex. Wir sind prekäre Superhelden ... Spider Mum, Operaistorix, Superflex und Santa Guevara sind nicht allein. Ob als vollvernetzte Dauerpraktikantin, Callcenterangel, aufenthaltlose Putzfrau oder ausbildungsplatzloser Ein-Euro-Jobber: Ohne die Fähigkeiten von Superhelden ist ein Überleben in der Stadt der Millionäre nicht möglich. Obwohl wir den Reichtum von Hamburg City produzieren, haben wir kaum etwas davon. Das muss nicht so bleiben. Von dem Gourmetfrühstück auf dem Süllberg bis zu Wildschweinkeule und Champagner vom Frische Paradies: Die Orte des Reichtums sind so zahlreich wie die Möglichkeiten sich diesen Reichtum zu nehmen. Bleibt nur noch eine Frage offen: Wo setzt du deine Superheldenkräfte ein? Komm doch einfach zur Euromaydayparade am 1. Mai um 13 Uhr an der Wiese am Michel."

Am Euromayday am 1. Mai nachmittags in Hamburg nahmen knapp 3.000 Leute teil. Bei der Demo wurden massenweise Buttons getragen, auf denen ein Superheld abgebildet war. Die Symbolik war eindeutig. Der Staatsschutz verdeutlichte mit seiner Razzia Ende Mai, dass er diese Form des Protestes ernst nimmt - und dagegen vorgehen wird.

Gaston Kirsche

* Schlagzeile der Hamburger Morgenpost am 29.4.06