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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 507 / 16.6.2006

Alles unter Kontrolle?

Auf dem BUKO-Kongress dominierte das Thema G8

Im strömenden Regen stehen etwa 50 Menschen in einer Warteschlage, um auf das Gelände der Abschlussparty des BUKO-Kongresses gelassen zu werden. Am Eingang die obligatorische Taschenkontrolle mit dem Verweis, dass die Auflage bestünde, nach Fremdalkohol zu suchen. Zudem sei nebenan eine HipHop-Party und daher die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Reflexhaft werden also Taschen geöffnet, mitgebrachte Biere runtergekippt, zum Teil macht sich unwilliges Murren breit. Eine kuriose Situation, da ein Großteil eben dieser Partygäste die letzten Tage intensiv über die Frage "Wer kontrolliert eigentlich wen?" diskutiert und verschiedene Formen von Alltagskontrolle analysiert hat.

Unter dem etwas sperrigen Titel "re:control, re:spond, re:ject und re:gain" fand Ende Mai in Berlin der 29. Kongress der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) statt. Rund 900 Menschen haben sich auf die vier Panels "G8", "Stadt/Sicherheit", "Migration/Kolonialismus" und "Energie" verteilt. Da die kapitalistische Verwertungslogik zunehmend jeden Winkel des politischen und sozialen Lebens durchdringt, wird Kontrolle zum maßgeblichen Instrument zur Herrschaftssicherung. Um angesichts ausgefeilter Kontrollpolitiken, die sowohl nach innen und außen, global und lokal wirken, nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange zu erstarren, lag der Fokus vieler Veranstaltungen auf möglichen Formen des Widerstandes gegen diese Hierarchisierungs- und Kontrollinstrumente.

Im Bereich Migration zielt Kontrolle u.a. auf die permanente Rekonstruktion von Kolonialismus. Kien Nghi Ha hat auf dem Auftaktpodium auf das konsensuale Schweigen der Deutschen in Bezug auf ihre eigene koloniale Geschichte verwiesen. Die bewusste Ent-innerung führe dazu, dass sich koloniale Muster und Rassismen reproduzieren. Als aktuelles Beispiel nannte er das neue Zuwanderungsgesetz, das Integration als gesellschaftliche Unterwerfungstechnik etabliert. Marianne Ballé von der Pan African Women Liberation Organisation machte deutlich, dass bereits der Begriff Kolonialismus (lat. von colonia Ansiedlung) verharmlosend sei, da er die brutale Unterwerfung und Ausbeutung durch die Kolonialmächte ausblende. "Reclaim our names" sei daher ein wichtiges Ziel antikolonialistischer Praxis, denn - so Ballé - "if you don't have a proper name, you don't have a proper mission".

Viele Veranstaltungen im Komplex "Stadt" thematisierten Sicherheitsinstrumente und -strategien in ihren jeweiligen regionalen Erscheinungsformen, z.B. in Guatemala, Kolumbien, Rio de Janeiro und im Kongo. Gerade an den Orten, an denen die Kluft zwischen Arm und Reich direkt sicht- und erlebbar wird, manifestiert sich eine wachsende soziale Spannung, auf die wiederum mit verstärkter Kontrolle und Repression reagiert wird. Die von Raul Zelik für Kolumbien beschriebene Veränderung von Herrschaft - paramilitärische Organisationen und der Staat teilen sich das Gewaltmonopol, Gewalt setzt Recht, ohne dass es einen eindeutigen Souverän gibt - lässt sich auch auf andere Länder übertragen. Alfred Makombo vom Förderverein Afrika-Initiative e.V. zeichnet ein ähnliches Bild vom Kongo: Korrupte Parteien stützen sich auf verschiedene Milizen, die einen brutalen Verteilungskampf um Land und Bodenschätze führen. Angesichts der desolaten innenpolitischen Situation verkomme - so das Fazit Makombos - die durch die UN-Blauhelme abgesicherten Wahl Ende Juli zur Farce.

Praxistest Party: Die meisten fielen durch

Vor allem beim "Stadt/Sicherheits"-Panel fiel die geringe Thematisierung der Kategorie "Geschlecht" auf, die - und das ist vielleicht symptomatisch - auch in der Analyse des Kongressaufrufs fehlt. Dabei ist Sicherheit ein durch und durch vergeschlechtlichtes Thema. In dem Workshop von Corinna Genschel und Ariane Brennsell wurde dieses feministische Unbehagen geäußert und am Beispiel der Berliner Anti-WM-Kampagne verdeutlicht. So taucht in diversen Sicherheitsdiskursen Geschlecht zwar indirekt auf, wenn z.B. von (männlichen) Hooligans und (weiblichen) Zwangsprostituierten die Rede ist. Dieses Täter-Opferschema reproduziert jedoch die patriarchale Logik von "aktiv = männlich" und "passiv = weiblich", wenn nicht gleichzeitig der Konstruktionscharakter von Geschlecht mit gedacht wird. Erfreulicherweise war dieses Seminar mit über 100 Teilnehmenden extrem gut besucht.

Themenpotpourri - Stadt, Land, Fluss

"Energie trifft auf Internationalismus und hat Verständigungsschwierigkeiten", so charakterisierte Andrea Jung den für den Kongress sicherlich ungewöhnlichsten Panel. Verschiedene Anti-Atom-AktivistInnen haben den Blick über den eigenen Tellerrand gewagt und eine angeregte Diskussion über Atom- und Energiepolitik entfacht. Äußerst kontrovers war die Veranstaltung zum Iran-Konflikt. Trotz anderer Absprachen fand das Thema Antisemitismus im Iran bei den ReferentInnen keine Erwähnung. Farshid Feridony von der FU Berlin bezog zwar aus religionskritischer Sicht Position gegen einen Staat, der sich auf den Koran als Wort Gottes begründet. Zur konkreten Bedeutung islamistischer Gruppen im Iran oder zur Funktion der antisemitischen Hetze Ahmadinedschads hat er sich jedoch ausgeschwiegen. Und weder die anderen Referentinnen noch die Moderation waren in der Lage, diese Leerstelle zu füllen.

Last but not least zum pragmatischsten Panel des BUKO 29: "G8". Zahlreiche Workshops zielten auf die Mobilisierung zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm ab. So einigte man sich u.a. auf ein gemeinsames Camp an der Ostsee vom 4. bis 13. August 2006, und Gruppen aus dem dissent!-Netzwerk nutzten den BUKO für einen bundesweiten Ratschlag, auf dem das weitere Vorgehen besprochen wurde. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie man sich zu den Planungen zu einer spektren-übergreifenden Großdemonstration und zu einem Gegenkongress verhält.

Crash-Kurs für Heiligendamm 2007

In einer Veranstaltung wurde das G8-Diskussionspapier des Arbeitsschwerpunkts Weltwirtschaft (vgl. ak 504) diskutiert. Unterschiedliche Einschätzungen gab es u.a. bei der Frage, ob "das neoliberale Projekt in eine Legitimationskrise steuert". Während ein Vertreter von FelS vor einer zu optimistischen Einschätzung warnte, plädierte Peter Strotmann von attac für "mehr Optimismus wagen". Nicht nur die sichtbaren Niederlagen im Irak und Afghanistan zeigten, dass das neoliberale System Risse habe. Diese müssten nun - so Strotmann - von emanzipativer Seite genutzt werden. Im nächsten Jahr wird aus Anlass des G8-Gipfels der BUKO-Kongress von seinem angestammten Termin zu Himmelfahrt auf die Osterfeiertage vorverlegt.

Noch eine Paradoxie am Rande: Während sich über 800 Menschen herrschaftskritisch mit Fragen von Sicher- und Unsicherheit beschäftigten, verletzt ein Jugendlicher während der Feier zur Einweihung des Berliner Hauptbahnhofs mit einem Messer 31 Menschen. Und liefert damit den willkommenen Anlass für eine erneute Diskussion über "Innere Sicherheit". Vielleicht kann Schäuble seine Vision, Soldaten im Inneren einzusetzen, doch noch passend zum WM-Endspiel durchdrücken?

nv


BUKO in Finanznot!

Der Spruch: "Vernetzung braucht Kohle", den die Bundeskoordination Internationalismus für ihre Spendenkampagne gewählt hatte, hat nach wie vor Aktualität. Nach fast 25-jähriger Zusammenarbeit kündigte der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) der BUKO die gesamten Zuschüsse. Die BUKO benötigt dringend Geld, also spendet: Damit im nächsten Jahr 30-jähriges Jubiläum gefeiert werden kann. Spendenkonto: VzF e.V./BUKO, Ev. Darlehensgenossenschaft Kiel, BLZ 210 602 37, Kontonummer 234389, Verwendungszweck: BUKO braucht Kohle, www.buko-braucht-kohle.de