Das Recht nicht dermaßen integriert zu werden
Integrationspolitik und postkoloniale Kritik
Die deutsche Migrations- und Integrationsdebatte befindet sich in einem ideologisch aufgeheizten Zustand, der kaum Raum für einen sachlichen und gleichberechtigten Dialog lässt. Wie unangemessen und gesellschaftlich desintegrierend die Grundannahmen und Effekte dieser Debatte sind, zeigt sich etwa darin, dass MigrantInnen im Diskurs der Dominanzgesellschaft scheinbar selbstverständlich als "Ausländer" ausgegrenzt werden. Die Frage nach einer zukunftsfähigen transkulturellen wie diskriminierungsfreien Gesellschaft wird derweil kaum gestellt.
Stattdessen überschlagen sich die Vorschläge und Maßnahmen zur forcierten politischen und kulturellen Aussonderung von eingewanderten Menschen. Jüngstes Beispiel sind die so genannten Einbürgerungstests, die Anfang 2006 in mehreren Bundesländern eingeführt wurden und laut Beschluss der Innenministerkonferenz vom 5.5.06 zukünftig bundesweit Modellcharakter erhalten. Es ist bereits jetzt absehbar, dass diese abschreckenden Kontrollen die Erlangung gleicher Rechte durch zusätzliche Hürden massiv erschweren werden. Besonders ausgefallen ist der Hessische "Leitfaden Wissen und Werte in Deutschland und Europa. 100 Fragen zu kulturellen, historischen und politischen Tatbeständen". Die realitätsfremde Prüfung beschwört einerseits die Existenz eines romantisch verklärten Wissenskanons und ermöglicht andererseits die ideologische Durchsetzung der konstruierten deutschen Leitkultur. Das zeigen nicht zuletzt Fragen nach solchen nationalen Kultursymbolen wie Casper David Friedrichs Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" oder Beethovens "9. Sinfonie". Die ausgrenzende nationalpädagogische Ausrichtung dieser Überprüfungsprozeduren verfestigt vielmehr die bestehenden Ungleichheits- und Benachteiligungsstrukturen weiter. Als Einbürgerungsverhinderungstests sind sie symptomatisch für eine Integrationspolitik, die ihr Ziel in der politischen Erziehung und nationalkulturellen Zurichtung von postkolonialen MigrantInnen sieht. Als postkoloniale MigrantInnen werden im folgenden zunächst all jene Menschen bezeichnet, die aus ehemals kolonialisierten geographischen Räumen einwandern bzw. eingewandert sind. Im einem allgemeineren Sinne verwenden wir den Begriff für MigrantInnen aus peripheren Räumen, die nicht notwendigerweise aus ehemaligen Kolonien stammen, aber nichts desto weniger mit kolonialrassistischen und/oder orientalistisch-islamophoben Zuschreibungen versehen werden (z.B. türkische EinwanderInnen).
Nationale Pädagogik und deutsche Wir-Konstruktion
Solche Verordnungen stehen in einer sich hartnäckig behauptenden Tradition der Konstruktion deutscher Kollektividentität. Ihre Vorgeschichte auszublenden, würde riskieren die nationalpädagogischen Kontinuitäten und kolonialrassistischen Kontingenzen in den aktuellen Integrationsdebatten zu übersehen. Es ist aus unserer Sicht daher notwendig, nach dem Zusammenhang von Migration, Integration und Nationalstaat im Kontext seiner historischen Genese und post/-kolonialen Einbettung zu fragen. Unsere Analyse orientiert sich an den Subjektpositionen jener Menschen, die von den jüngsten Verschärfungen des Integrationsapparates und seinen Sanktionsmitteln unmittelbar betroffen sind. Daher werden die dominanten Konzepte und Praktiken von Integration nicht als ideologisch unschuldige Ergebnisse oder normativer Konsens demokratischen Austausches, sondern mit Blick auf ihren Entstehungshintergrund von Macht und Geltung diskutiert.
Deutschland verfügt über eine lange Tradition der nationalen Vergemeinschaftung, in der die Durchsetzung der deutschen Sprache im Kontext völkisch-rassistischer Ideologien propagiert wird. Die Spekulationen der Aufklärer über den Naturzustand des Menschen und die damit einhergehenden Abfassungen sozialer Utopien lösten im Deutschland des 18. Jahrhunderts bekanntlich keine Revolution mit der Devise "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" aus, sondern gingen in eine literarisch-philologische Bewegung ein. Anstelle eines demokratischen Ideals entdeckte man die Sprache als einziges Bindeglied zwischen allen Deutschen. Über dieses Medium sollten sie sich ihrer nationalen Zugehörigkeit vergewissern. Die Vorstellung von "Volk" und "Volksgeist" als irrationalem, mythischen Grund der Gemeinschaft wurde zum tragenden Faktor deutscher Identität. (Duala-M'bedy 1977: 112ff.)
Im Zuge der Institutionalisierung der Pädagogik im Dienste der nationalen Mission avancierte Deutschland seit Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem Land der Schulen, seine Gesellschaft zu einer Schulgesellschaft. Dabei orientierte sich die professionelle Erziehung an der Idee eines einheitlichen Systems nationaler Pädagogik. Obwohl zahlreiche Bildungsreformen scheiterten, entstand sehr bald ein weitgehendes Einvernehmen darüber, dass der zum Schüler avancierte Untertan sich in Aneignung der überlieferten nationalen Kultur entfalten sollte. Die "vaterländische" Geschichte, ihre kanonisierte Literatur und Kunst sollten es ihm ermöglichen, sich mit dem Volk als eigentlichen historischen Subjekt zu identifizieren. Seine Individualität ist der kollektiven Identität des Volkes, seiner Sprache, Sitten und Künste deutlich untergeordnet. Betrachten wir dieses Streben nach sprachlich-kultureller Reinhaltung, dann stellt sich die Frage ob nicht ein analoges Muster auch in den aktuellen Integrationsdebatten nachwirkt.
Am 1.12.04 hat das rot-grüne Bundeskabinett die "Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler" verabschiedet. Im Kern schreibt die Integrationskursverordnung (IntV), die gemeinsam mit dem neuen Zuwanderungsgesetz zum 1.1.05 in Kraft getreten ist, weniger das Recht als die nach § 44 (Abs. 1 Nr. 2) des neuen Aufenthaltsgesetzes auferlegte Pflicht zur Teilnahme an einem penibel überprüften Sprach- und Orientierungskurs vor. Wie die ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studien, aber auch die unterprivilegierten Abschlüsse migrantischer SchülerInnen zeigen, haben viele Eingewanderte und ihre Nachkommen die selektiven Mechanismen des deutschen Bildungssystems eher als Instrument der sozialen Ausgrenzung erfahren. Das ausgerechnet der Zwang zur sekundären Sozialisation nun als favorisiertes Mittel ihrer gesellschaftlichen Integration präsentiert wird, trägt nicht zur Vertrauensbildung bei.
Kategorisierung, Selektion und Assimilation
Vielmehr verfestigt sich der Eindruck, dass die Integration in ihrer imperativen Form mit dem Anspruch auf kulturelle und politische Vormachtstellung zu Gunsten der "deutschen Leitkultur" verbunden ist. Wie es in der Verordnung heißt, sollen die Integrationskurse neben dem "Erwerb ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache" auch "Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit" (§ 3 IntV) vermitteln. Im offiziellen Politikverständnis der BRD fungiert die verwaltete Integration somit als ein nationalpädagogisches Mittel, dass den immigrierten Anderen die deutsche Kultur- und Werteordnung bei bringen will.
Anstelle von Angeboten auf freiwilliger Basis wird nun erstmals im Aufenthaltsrecht (ehemals Ausländergesetz) der Grundsatz des Integrationszwangs als Machtinstrument für die kulturelle (Re-)Sozialisierung und politische Umerziehung migrantischer Subjekte institutionalisiert. Die Integrationskurse sind ausschließlich für Migrierte aus Nicht-EU-Ländern zwingend. Während die mehrheitlich weißen EU-BürgerInnen in Deutschland über Privilegien zur Partizipation verfügen, müssen sich alle anderen Eingewanderten bereits den Anspruch auf Aufenthalt durch einen aktiven Nachweis ihrer "Integrationsfähigkeit" erarbeiten. Da also die Umerziehungsmaßnahmen in spezifischer Weise postkoloniale MigrantInnen betreffen, sind bei ihrer Analyse koloniale Kontexte und Analogien besonders zu berücksichtigen. Integration als Akt der politischen Kontrolle, kulturellen Überprüfung und juristischen Zertifizierung wirft besonders in seiner hoheitsamtlichen Form und massenwirksamen Funktion weit reichende Fragen auf. Sie betreffen sowohl die identitätspolitischen Selbstvergewisserungsstrategien der weißen Dominanzgesellschaft (Rommelspacher 1995) als auch jenes post-/koloniale Machtverhältnis, das sich in der selektiven Migrations- und Integrationspolitik artikuliert.
So ist zu fragen, inwieweit die auf Zwang basierende Integration eine Form der Aneignung ist, bei der die produktiven und kulturellen Ressourcen des postkolonialen Anderen einverleibt werden. Wie die Zuwanderungsdiskurse der letzten Jahre zeigen, legt die deutsche Mehrheit besonderen Wert auf die reibungslose Verwertung nützlicher ArbeitsmigrantInnen. Um als Nation im globalen Standortwettkampf bestehen zu können, wird die Modernisierung Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft als notwendig erachtet. So empfiehlt die "Unabhängige Kommission Zuwanderung" (2001) junge, hoch qualifizierte VIP-MigrantInnen durch ein Punktesystem auszuwählen. Eine solche Politik revitalisiert koloniale Ordnungs-, Arbeitsteilungs- und Denkmuster, in denen die Existenz des Anderen vorrangig der metropolitanen Interessens- und Bedürfnisbefriedigung dient. Die Analogien zu den kolonialen Anfängen der nationalstaatlich organisierten Arbeitsmigrationspolitik im Wilhelminischen Kaiserreich sind offensichtlich. (Ha 2003)
Systematisches Überwachen und Integrieren
In ihrer Ein- und Unterordnungsfunktion ergänzen die Integrationskurse die nationalökonomischen Zielsetzungen des neuen Zuwanderungsgesetzes, das die "guten", d.h. gehorsamen und lernwilligen von den "schlechten", d.h. vermeintlich "integrationsunwilligen" bzw. "integrationsunfähigen" MigrantInnen zu trennen sucht. Dabei wird die kulturelle Adaptionsfähigkeit und politische Zuverlässigkeit der MigrantInnen ermittelt und als mitentscheidendes Kriterium bei der Vergabe von Aufenthalts- oder Abschiebungstiteln herangezogen. Die Integrationsmaschinerie stellt sich als eine staatliche Sanktionspraxis dar, die auf die Regulierung migrantischer Inklusions- wie Exklusionsprozesse zielt.
Das Integrationskonzept avancierte inzwischen zu einer gesellschaftlichen Ordnungsvorstellung, die über alle Parteiengrenzen hinweg einhellige Zustimmung finden. Aufgrund dieser normativ kaum noch hinterfragbaren Perspektive im monologischen Diskurs der deutschen Dominanzgesellschaft wird es zu einem umfassenden technokratisch gesteuerten Lösungskonzept stilisiert. Indem man zwanghaft über die Notwendigkeit zur einseitigen Integration des Anderen spricht, wird Integration als ein öffentlich zelebriertes Glaubensbekenntnis des eige nen guten Willens, der deutschen Offenheit wie der moralischen Überlegenheit westlicher Demokratien instrumentalisiert. Gleichzeitig scheinen im offiziellen Integrations(dis)kurs gesellschaftliche Realitäten wie struktureller Rassismus, institutionelle Diskriminierungen und sozio-kulturelle Ausgrenzungen kaum relevant.
Was ist aber in der vorherrschenden Diskussion mit dem scheinbar so einbeziehenden Integrationsbegriff tatsächlich gemeint? "In der politischen Diskussion wird er (der Begriff der Integration, Anm. d. Verf.) meist als Assimilation verstanden, das heißt, als Aufgabe der eigenen kulturellen und sprachlichen Herkünfte und im Sinne einer totalen Anpassung an die deutsche Gesellschaft." (Meier-Braun 2002: 25f.) Anscheinend sollen durch Eingliederung und Unterordnung die konstruierten Defizite wie die auferlegte Fremdheit muslimischer und schwarzer Communities getilgt und domestiziert werden. Solange Integration auf eine umfassende Transformation migrantischer Identitäten abzielt, die das kulturelle Gedächtnis und die vielfältigen Loyalitäten dieser Subjekte neu zu programmieren sucht, solange kann sie als ein ideologisches Projekt der Nationalisierung und kulturellen Homogenisierung begriffen werden.
Die innerdeutsche Existenzberechtigung der "Integrationsbedürftigen" hängt nicht zuletzt von der erfolgreichen Erfüllung erzieherischer Aufgaben ab. Bei der Organisation, Durchführung und Überwachung der verordneten Integration nimmt das neu gebildete "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" "eine zentrale koordinierende und steuernde Funktion insbesondere auch auf regionaler und örtlicher Ebene" (IntV) ein. Der Politische Kommentator Heribert Prantl prägte aufgrund des "subtilen Meldesystems" und des ausufernden "Bürokratismus" die Metapher vom "Monstrum Integration". (SZ 12.10.04) Der verdächtige Migrant, bei dem kulturelle Rückständigkeit und soziale Korrekturbedürftigkeit diagnostiziert wird, befindet sich in einem langwierigen Zustand systematischer Untersuchungen und Befragungen. Da die Schuldvermutung und nicht die gesellschaftliche Bereitschaft zur Anerkennung und Gleichstellung den Ausgangspunkt der Integration bildet, können sich die unfreiwilligen Integrationskurse zu Orten einer temporären 630-stündigen Untersuchungshaft verwandeln. Nur durch ihre Sichtbarmachung als korrekturbedürftige Objekte lassen sich MigrantInnen in die rassistische Gesellschaft eingliedern. In diesem Sinne kombinieren Eingangs- und Abschlussprüfungen "die Techniken der überwachenden Hierarchie mit denjenigen der normierenden Sanktion". (Foucault 1994: 238)
Die Integrationskurse und Einbürgerungstests kombinieren staatliche Machtausübung und Wissensformierung. Sie sind Teil eines Systems von Registrierung und Speicherung sowie administrativer Dokumentation. Der Unterricht prüft die Eignung der MigrantInnen, stellt ihre mögliche Nutzbarmachung fest. Auf ein solchermaßen generiertes Register kann die Behörde zurückgreifen, um das Fortschreiten oder Stagnieren der "Integrationsfähigkeit" der Einzelnen und der zu statistischen Größe reduzierten Gruppe zu überprüfen. Die Formalisierung durch Speicherung, Kategoriebildung, Durchschnittsermittlung und Normfixierung hat einen erheblichen Anteil an einem Disziplinierungssystem, das MigrantInnen als transparente Fälle konstituiert, die der administrativen Entscheidung zugeführt werden. Die Etablierung staatlicher Bürokratien ermöglicht es, ein Wissen zu verwalten, das zugleich die Ergebnisse und die Bedingungen der repressiven Integrationspraxis in sich trägt: Es ist Wissen, das auf Definitionsmacht basiert. Denn erst die Diagnose der "Integrationsbedürftigkeit" erlaubt es, MigrantInnen als Objekte pädagogischer Techniken zu präsentieren.
Die bundesweit scharf geführten Kontroversen über Probleme und Bedrohungen durch nicht-westliche Flüchtlings- und Migrationsgruppen haben weiter an politischer Brisanz gewonnen. Dabei kamen merkwürdige Formen des Realitätsverlustes und der Amnesie zum Vorschein. Wiederholt wurde enttäuscht und wütend die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert erklärt und dabei so getan, als verfechte Deutschland seit Jahrzehnten hartnäckig ein liberales Modell politischer Vergesellschaftung. Tatsächlich war die Idee des Multikulturalismus - von lokal begrenzten Initiativen abgesehen - nie Teil des bundesrepublikanischen Kanons der ausgrenzenden Ausländerpolitik.
Nun mündet die Rede von der "falsch verstandenen Toleranz" in die "Jetzt-reicht's"-Forderung nach harten staatlichen Vorgaben, da EinwanderInnen für die Argumente der zivilgesellschaftlichen Vernunft nicht zugänglich seien. Sie bedürfen - so wird gefolgert - der klaren Grenzziehung durch die "wehrhafte Demokratie", die nun selbstbewusst ihre Werte vertreten soll. Diese Kampfrhetorik appelliert an ein deutsches Wir-Gefühl und inszeniert die deutsche Gesellschaft als Opfer von religiösen Fundamentalismus sowie sich bedrohlich ausbreitenden Parallelgesellschaften. Die nicht abreißende Kette von Vorschlägen, Migrations- und Fluchtbewegungen - etwa durch die Einrichtung von Lagern in Nordafrika - zu überwachen und einzudämmen, bezeugen den Wunsch nach einer Ausweitung und Verfeinerung des EU-weiten Grenzregimes. Die Externalisierung der Selektion korreliert mit einer internen Praxis von Integrationskontrollen, die den unerwünschten Verbleib postkolonialer GrenzgängerInnen verhindern und die eigene Verwundbarkeit im Inneren minimieren sollen. Schließlich setzt die Abschottung nach außen die selektive Integration nach innen voraus.
Die aktuelle Integrationsverordnung zeigt in ihren zentralen Annahmen, dass migrantische und schwarze Subjekte im Normalisierungs- und Regulationssystem des deutschen Gesetzgebers analog zur kolonialen Praxis als defizitäre Objekte definiert werden. Sowohl das aktuelle Integrationskonzept als auch die historischen Strategien der Zivilisierung und Missionierung beruhen auf manichäischen Differenzkonstruktionen. (Fanon 1981: 31ff.) Dadurch erscheinen die Anderen nicht als Träger unveräußerlicher Individualrechte oder als politische Subjekte mit einem Recht auf Selbstbestimmung. Statt dessen setzt die Erziehung des kolonialisierten Anderen seine Infantilisierung und Entmündigung voraus. In dem Maße wie die dominante Macht ihn pädagogisch, politisch und kulturell sozialisiert, wird auch seine gesellschaftliche Existenz und Subjektwerdung autorisiert.
Koloniale Analogien und Kontinuitäten
Auch die Integrationsverordnung geht davon aus, dass Migrierte im Gegensatz zu den aufgeklärten und zivilgesellschaftlich vollentwickelten Deutschen die Prinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit nicht oder nur unzureichend verinnerlicht hätten. Indem die Integrationspolitik mit solchen kollektiven Negativzuschreibungen operiert, verdächtigt sie immigrierte Individuen grundsätzlich autoritärer, sexistischer wie fundamentalistischer Grundhaltungen und Verhaltensweisen. Offensichtlich wird hier mit Fremd- und Feindbildern operiert, die tradierten rassistischen und islamophoben Stereotypen zu staatlicher Anerkennung verhelfen. Die kontrollierte Integrationspraxis gerät zu einem Verfahren, das migrantische Existenz auf Inkompatibilität reduziert und so Eingewanderte doppelt entwertet: Zum einen werden ihre kulturelle Kompetenzen negativ konnotiert, zum anderen werden der politische Extremismusvorwurf und der religiöse Fundamentalismusverdacht generalisiert und als Grundlage staatlichen Handelns legitimiert. Dieser Generalverdacht äußert sich ebenfalls in den Plänen für die "nachholende Integration" von alteingesessenen MigrantInnen, die in einem Vorentwurf noch ganz kaufmännisch als "Bestandsausländer" tituliert werden. Migrantische Subjekte werden so in Objekte eines nationalen Inventars verwandelt. Das Stigma der "Integrationsbedürftigkeit" behandelt Migrierte wie Kinder, Kranke oder Sträflinge. Da sie als unmündig und unselbstständig konzeptionalisiert werden, sieht sich der deutsche Staat nicht nur berechtigt, sondern in der Pflicht ihre gesellschaftliche Aufgabe festzulegen.
Wir befinden uns erneut in einer Situation, in dem es die "Bürde des weißen Mannes" ist. den Anderen sein Integrations-Glück aufzuzwingen. Obwohl die Mittel sich unterscheiden, werden Einwanderungswillige - strukturell vergleichbar - wie Insassen von kolonialen Strafinstitutionen und Besserungsanstalten sowohl zum Schutze der deutschen Gesellschaft als auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Betroffenen überprüft, korrigiert und ausgesondert. Sie werden als infantile SchülerInnen behandelt, die - von streng definierten Ausnahmen abgesehen (§ 4 Abs. 2 IntV) - der westlichen Zivilisierung sowie der deutschen Kultur- und Spracherziehung bedürfen. Dass die geltenden Praxis der Integration einem Kultur- und Erziehungsmodell folgt, das für koloniale Diskurse anschlussfähig ist, zeigt besonders die Abwertung postkolonialer MigrantInnen durch die Missachtung ihrer außereuropäischen Hintergründe. Sie werden als RepräsentantInnen unterentwickelter Herkunftskulturen aus dem postkolonialen Trikont imaginiert und zwangsvergemeinschaftet. Entsprechend basiert eine Integration, die als intern agierende Entwicklungshilfe angelegt ist, auf einem hierarchischen Kulturkonzept.
Eine gleichberechtigte Einbeziehung von ImmigrantInnen kann aus unserer Sicht unmöglich bedeuten, sie in der dominanten europäischen oder nationalen Narration einzuschließen. Vielmehr geht es darum, die einheimischen Erzählungen der Moderne einer "postkolonialen Archäologie der Moderne" (Bhabha 2000: 381) auszusetzen. Das Versprechen sozio-kultureller Kohäsion durch Integration kann weder über die zu Grunde liegende organische Vorstellung von Kultur und Gemeinschaft hinweg täuschen noch soziale Ungleichheiten und Machtasymmetrien ausblenden. Da die imaginäre Nationalkultur durch migrantische Anwesenheiten immer mehr an Plausibilität verliert, muss ihre "narrative Performanz einen wachsenden Kreis nationaler Subjekte einbeziehen." (Ebd.: 218)
Kulturelle Hierarchisierung und Pathologisierung
Das sich nur widerwillig als Einwanderungsland bekennende Deutschland ist ein diskursiver Nationalraum, dessen instabile Grenzen auch im Inneren verlaufen. Die von jeher in der Konstruktion der nationalen Gemeinschaft angelegten Widersprüche zwischen der Behauptung eines ursprünglichen und überzeitlichen "Wir" und der Notwendigkeit, dieses unablässig zu inszenieren, treten in der Integrationspraxis besonders offen zu Tage. Auch hier wird ein nationaler Kanon kulturellen Wissens postuliert, der tatsächlich erst im Akt seiner öffentlichen Zelebrierung entsteht. Die Kurse und Tests zählen zu jenen Grenz- oder Bruchstellen, an denen sich die performative Herstellung nationaler Identität ereignet. Die angebliche Tradition des deutschen Volkes, der deutschen Sprache und der nationalen Geschichte gerät dabei gleichzeitig zum Ausgangspunkt und Ziel der Integrationspraxis, die sich als performative Konstruktion zur Erweiterung der nationalen Gemeinschaft erweist. Wenn dabei das Bild des Volkes als selbstevidentes Zeichen des nationalen "Selbst" herangezogen wird, kann die Eingliederung migrantischer Minoritäten in die Nation nur die Aufspaltung in ein affirmiertes "Wir" und ein verobjektiviertes "Sie" schaffen.
Als wichtigste Voraussetzung der Integration gilt nach wie vor Monolingualität, bei der die deutsche Sprache als Bindeglied nationaler Narrative fungiert. Nicht ohne Grund steht der Sprachkurs im Mittelpunkt des aktuellen Integrationsprogramms. Doch MigrantInnen wissen aus ihren Erfahrungen zu gut, dass Ausgrenzung und Diskriminierung nicht auf sprachlichen Missverständnissen beruhen.
Angesichts der globalen Transformationen ist es wichtig, die inneren Widersprüche eines Integrationsversprechens zu erkennen, dessen ethnozentristischen und rassistischen Prozeduren gleichsam sein Scheitern in Form fortgesetzter Diskriminierungen und Segregationen vorwegnehmen. Soll die gleichberechtigte Teilhabe am demokratischen Prozess nicht weiterhin von Rassenkonstruktionen und kultureller Herkunft abhängig gemacht werden, dann reicht es nicht aus, die Idee der Integration nur in einem europäischen Sinne zu denationalisieren. Ohne die kritische Reflexion der kolonialen Genese europäischer Wir-Identitäten und ohne die Revision unserer darin fundierten Logik sozio-politischer Teilhabe bleibt das Recht auf Differenz das leere Versprechen eines in feste Binäroppositionen aufgespaltenen Universalismus.
Eine kritische Revision des vorherrschenden Integrationskonzeptes setzt daher den politischen Willen zu einer demokratischen Einbeziehung voraus, die MigrantInnen als historisch und politisch Handelnde respektiert, anstatt sie weiterhin zu statistischen Kategorien zu degradieren. Man muss nicht rechtsphilosophisch geschult sein, um eine anti-rassistische Politik der Anerkennung und sozialen Gerechtigkeit einzufordern, die das Recht auf gleichberechtigte Partizipation über nationale Privilegien stellt. Der Abbau struktureller und institutioneller Diskriminierungen sowie die Gleichstellung hinsichtlich des Rechtes auf Selbstdefinition und kultureller Autonomie - sowohl innerhalb als auch parallel zur Mehrheitsgesellschaft - steht im Zentrum eines machtkritisch entwickelten Konzeptes migrantischer Selbstbestimmung.
Die postkoloniale Kritik des deutschen Migrationsregimes gerät unweigerlich in Opposition zur großen Koalition der integrierenden Disziplinierung, die die Postulate der Freiheit und Gerechtigkeit nur selektiv umsetzt. Hingegen zielt sie auf die Überwindung jeglicher politisch-ökonomischen Marginalisierung und rassistischen Diskriminierung. Solange aber Integration in Deutschland vorrangig als ein Instrument zur Sicherstellung des Vorrechtes der Mehrheitsgemeinschaft und der disziplinierenden Vereinnahmung begriffen wird, bleibt in Anlehnung an Michel Foucault (1992) ein kritisches Denken notwendig, dass nach widerständigen Strategien sucht, um nicht auf diese Weise, nicht um diesen Preis, nicht dermaßen integriert zu werden.
Kien Nghi Ha/Markus Schmitz
Eine ausführlichere Fassung "Der nationalpädagogische Impetus deutscher Integrations(dis)kurse im Spiegel postkolonialer Kritik" erscheint im Herbst 2006 in: Paul Mecheril/Monika Witsch (Hg.): Cultural Studies und Pädagogik, Bielefeld: transcript.
Literatur:
Munasu Duala-M'bedy: Xenologie. Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrängung der Humanität in der Anthropologie. Freiburg-München 1977
Homi K. Bhabha: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000
Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt a.M. 1981
Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M. 1994
Ders.: Was ist Kritik? Berlin 1992
Kien Nghi Ha: Die kolonialen Muster deutscher Arbeitsmigrationspolitik, in: Encarnación Gutiérrez Rodriguez/Hito Steyerl (Hg.): Spricht die Subalterne deutsch? Postkoloniale Kritik und Migration. Münster 2003, S. 56-107
Karl-Heinz Meier-Braun: Deutschland, Einwanderungsland. Frankfurt a.M. 2002
Birgit Rommelspacher: Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin 1995