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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 508 / 18.8.2006

Deutsche Linke im Krieg

Dass sie keinen materiellen Schaden anrichtet, ist das Beste, was man über manche Erklärung deutscher Linker zum Libanon-Krieg sagen kann: Wen kümmert das "Zu den Waffen"-Geschrei antideutscher BellizistInnen oder die Hochrufe zweifelhafter "Anti-ImperialistInnen" auf den libanesischen "nationalen Widerstand" unter Führung der Hisbollah?! Die Konfliktparteien jedenfalls nicht. Und doch sollte man die militaristischen Sandkastenspiele ernst nehmen - immerhin ist eine Situation vorstellbar, wo die deutsche Linke wirklich gefordert wäre, nicht nur geschlossen Nein zu sagen, sondern den Widerstand auch praktisch zu organisieren: gegen militärische Abenteuer der Bundeswehr.

Auf das Flaggschiff des "links" argumentierenden Bellizismus seit 1991 ist auch diesmal wieder Verlass: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht, wenn es nach dem konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, geht. "Israels Krieg", so der Titel seiner August-Kolumne, ist rein defensiv: "Israel führt Krieg, um den Juden, die der Hass der Völker nach Palästina getrieben hat, endgültig ein Leben in Sicherheit zu bieten." Kriegsziel - da geht der linksdeutsche Nahostpolitiker deutlich weiter als die israelische Regierung und Armeeführung - ist die "vollständige Entwaffnung von Hamas, Djihad, Al-Aksa-Brigaden und Hisbollah". Sollte das mit konventionellen Waffen nicht machbar sein, wäre Israel, will es nicht den eigenen Untergang riskieren, gezwungen, mit einem kleinen Atomkrieg für klare Verhältnisse zu sorgen - "mit einem ganz anderen Krieg, in dem Israel jene Staaten, die eine zweite ,Endlösung der Judenfrage` betreiben, Syrien und den Iran allen voran, mit jeder Waffe angriffe, die ihm zu Gebote steht". Gremlizas Vorliebe für kryptische Formulierungen zum Trotz: Sein Aufruf zur Rettung Israels - so oder so - ist deutlich genug.

Militärtechnisch kann selbst die Bahamas-Redaktion und ihr Umfeld mit konkret nicht mithalten. Hier vertraut man einstweilen auf konventionelle Waffen, bemängelt allenfalls deren zu defensiven Einsatz. Es sei "das, was Israel derzeit militärisch unternimmt, das Mindeste, was zu tun um des eigenen Überlebens willen unverzichtbar ist", heißt es in einem Aufruf zur Demonstration "Für Israel - und sein Recht auf Selbstverteidigung" am 28. Juli in Berlin. Dass Israel "alles daran setzt, Zivilisten zu schonen", steht für die antideutsche Glaubensgemeinschaft außer Frage - obwohl diese "Zivilisten" (an anderer Stelle in beziehungsreiche Anführungszeichen gesetzt) Schonung eigentlich gar nicht verdienen, wenn sie Hisbollah und Hamas "zujubeln und sie auf jede erdenkliche Weise unterstützen. Es ist eine Hoffnung auf Erlösung, die sich wie einstmals die der Mörderbanden Hitlers aus der Vernichtung des Judentums speist." Fest steht: "Zu diesem Krieg gibt es keine alternativen dritten Wege, schon gar keine pazifistischen" - denn auch die Pazifisten sind nichts anderes als verhinderte Mörder: "Wer auf den perversen Gedanken verfällt, Israel zu nötigen, mit der Hamas und der Hisbollah ,Frieden` zu schließen, hat über den einzigen ,Friedensstörer` schon das letzte Wort gesprochen: Erst wenn Israel von der Landkarte getilgt ist, so denkt es in all den Pazifisten weltweit, herrschen Ruhe und Harmonie im Nahen Osten, der dann allerdings der größte jüdische Friedhof der Welt wäre." Der "Erlösungsantisemitismus" (Saul Friedländer) als gemeinsame Weltanschauung von Nazis, Islamisten und "all den Pazifisten weltweit" - eine nobelpreiswürdige Entdeckung.

Antideutscher Hauptredner bei der Schlusskundgebung der Berliner Demonstration am 28. Juli war Thomas von der Osten-Sacken. Er sprach dort laut Bahamas "im Namen der Initiatorengruppen Redaktion Bahamas, Café Critique, Berliner Bündnis gegen IG Farben und typoskriptnet", würdigte die - im Vergleich mit der SPD - "weit besonnenere Position der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin" und skizzierte die nächsten Ziele der (falschen) Israel-Freunde: "Regime Change im Iran und in Syrien!" Das klingt sympathisch, hat aber leider den kleinen Schönheitsfehler, dass Osten-Sacken auf demokratische Revolutionen in den beiden Ländern nicht warten will, sondern auf US-amerikanische (oder auch israelische?) Waffen setzt. Das macht der direkt folgende Satz deutlich: "Denn: Frieden mit Regierungen, die den Holocaust leugnen und Massenmord vorbereiten, kann und soll es nicht geben." Also Krieg gegen Syrien und den Iran! Da es in diesem Krieg gegen die Vollender des Holocaust gehen soll, wäre es nur konsequent, deutsche Truppen an die vorderste Front zu schicken - ein Akt der Wiedergutmachung, den Osten-Sacken vielleicht demnächst fordert, wenn sich die Dinge in seinem Sinne zuspitzen sollten.

Der Hamburger Publizist, "Islamismus-Experte" und ehemalige ak-Redakteur Matthias Küntzel hat es mit einem längeren Beitrag "Warum Israel richtig reagiert" auf die Debattenseiten von Spiegel Online (23.6.) geschafft. Dort präsentiert er eine weitgehend argumentfreie Sammlung von Glaubenssätzen: "Israel führt einen gerechten Krieg", es "konnte nicht besser handeln, als es bislang gehandelt hat", "Äquidistanz" zu den Konfliktparteien ist "vermeintliche Ausgewogenheit" und "läuft auf Parteilichkeit hinaus" - gegen Israel, das versucht, "die Zahl der zivilen libanesischen Opfer so gering wie möglich zu halten, auch wenn das die Militäreinsätze erschwert". Die "segenreichen Auswirkungen der israelischen Gegenwehr" haben schon jetzt zu einer "historischen Zäsur" geführt, dagegen sei "die Forderung nach Waffenstillstand gleichbedeutend mit der Fürbitte, die Hisbollah zu verschonen und zu retten".

In der Redaktion der Berliner Wochenzeitung jungle World sieht man das nicht viel anders. Israel habe nicht angegriffen, sondern "schlägt an zwei Fronten zurück" (19.7.); nun sei es "zum Siegen verdammt": "Ein - wenn auch nur scheinbarer - Sieg der Hisbollah könnte deshalb den radikalen Palästinensern neue Motivation in ihrem Kampf für die Vernichtung Israels geben und die verhandlungsbereiten Kreise um Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas schwächen." (9.8.) Nach dieser Logik wäre am besten bald niemand mehr am Leben, der einen "scheinbaren" Sieg der Hisbollah reklamieren könnte.

"Israel konnte nicht besser handeln" (Küntzel)

Zwischentöne gibt es auch in der Debatte, die eigentlich keine ist, sondern eher ein Ablassen von Statements. Micha Brumlik, der noch im Dezember 2005 als Mittel "präventiver Selbstverteidigung ... gezielte Schläge" gegen den Iran forderte (vgl. ak 502), kommt in seinem Kommentar zum Libanon-Krieg auf "Die Gefahr aus Teheran" (Artikelüberschrift) zurück. (taz, 28.7.) Seine Überlegungen bewegen sich zwischen einer "Perspektive reiner Moral" und dem "Glatteis von Politik und Völkerrecht". Obwohl die Hisbollah für ihn der "Aggressor" ist, der "seine Waffen bewusst und feige in Wohngebieten versteckt", fordert er ein sofortiges Ende der israelischen Angriffe: "Der universalen Moral und des in Israels Gründungsurkunde niedergelegten prophetischen Erbes wegen muss die israelische Regierung gleichwohl sofort, einseitig und ohne jede libanesische Gegenleistung die Waffen ruhen lassen! Für die Politik der internationalen Gemeinschaft folgt daraus: die konsequente Entwaffnung der Hisbollah, ein robustes Mandat der NATO, um Israels Norden zu schützen, und vor allem: ein konsequentes und geduldiges Eindämmen des iranischen Klerikalfaschismus mit dem Ziel, dies Regime erst von Nuklearwaffen fernzuhalten und dann von der eigenen Bevölkerung ablösen zu lassen." Ob das "geduldige Eindämmen des iranischen Klerikalfaschismus" die Drohung mit militärischer Gewalt einschließen soll, lässt Brumlik an dieser Stelle offen.

Der Wiener Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici, Mitherausgeber des 2004 erschienenen Suhrkamp-Buchs "Neuer Antisemitismus?" (vgl. ak 491), rechtfertigt in seinem Kommentar "Israel kann nicht anders, als gegen die Hisbollah zu kämpfen" (Frankfurter Rundschau, 27.7.) die israelische Offensive zumindest im Prinzip. Zugleich bezweifelt er "die Intelligenz des militärischen Vorgehens. Israel kann die Hisbollah durch die massive Offensive zwar schwächen, aber nicht auslöschen. Im Gegenteil: Die Eskalation schürt den Hass und stärkt zunächst den Rückhalt der extremistischen Islamisten in der libanesischen Bevölkerung." Andererseits wäre wegen der "Gefahr aus Teheran" im Falle einer Eskalation die Hisbollah "ein direkter Vorposten des Iran". Rabinovicis Fazit: "Wer das Dilemma leugnet, lügt. Nichts, was Israel in dieser Lage unternimmt, scheint richtig zu sein, aber völlig falsch wäre es gewesen, jede militärische Gegenwehr zu unterlassen." Andererseits: "Das Recht auf Verteidigung ist kein Blankoscheck für unbegrenzte Militäraktionen." Maßvoll und möglichst "sauber" wünscht der Wiener Intellektuelle sich den israelischen Verteidigungskrieg.

Mit Dimitroff gegen die "neuen Barbaren" (Elsässer)

Nach dem Blick auf die Elaborate der Pro-Israel-Fraktion sollen auch die Kommentare der Gegenseite gebührend gewürdigt werden. In der Berliner Tageszeitung junge Welt liest man einerseits Erhellendes über die "jüngsten Mutationen der sogenannten Antideutschen", so in Jürgen Elsässers längerem Artikel "Alte Feinde, neue Feinde". (jW, 2.8.) Der Autor zeigt, wie sich die Antideutschen (zu denen er einstmals selbst gehörte) "im Laufe der Jahre zum durchaus deutschen Ableger der Neocons gemausert haben"; und er stellt angesichts des antideutschen Kriegshetze die berechtigte Frage: "Müssten Linke ... nicht einen ganz klaren Trennungsstrich ziehen und sagen: Genausowenig, wie wir mit alten und neuen Nazis eine gemeinsame Veranstaltung oder Demonstration veranstalten wollen, lehnen wir auch jedes Bündnis mit den Antideutschen ab?" So weit, so gut.

Haarsträubend wird es da, wo Elsässer von der Polemik gegen die Antideutschen zur Einschätzung der Weltlage und den Aufgaben der Linken übergeht. Im Vorbeigehen holt er Georgi Dimitroffs Faschismus-Definition von 1935 aus der Mottenkiste: Der Faschismus sei die "Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals". Woran Elsässer kühn die "Einschätzung" anschließt: "Diese Elemente waren vor 75 Jahren hauptsächlich in Deutschland und sind heute in den USA zu finden ..." Nach einem Exkurs über "faschistische Tendenzen in den USA" kommt Elsässer zum Kern seiner Botschaft: "Unabhängig davon, mit welchem Terminus man die neuen Barbaren kennzeichnet: Sie sind gefährlicher als die Erbverwalter des historischen Faschismus."

Doch wo militärische Aggression und "Barbarei" herrschen, wächst auch der Widerstand: "Im Libanon kämpfen Islamisten, Nationalisten und Linke Schulter an Schulter gegen die Aggressoren. Natürlich ist das zunächst nur ein Zweckbündnis zwischen Gruppierungen, die sich dis dato oft spinnefeind waren. Ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg, als die Antipoden Stalin und Churchill samt ihrer Anhängerschaft gemeinsame Sache machen mussten, obwohl sie das ursprünglich gar nicht wollten. Sie waren dazu gezwungen, wenn sie überleben wollten. So ist das nun mal in einer Weltkriegssituation."

Wer Jürgen Elsässer kennt, könnte geneigt sein, das nicht weiter ernst zu nehmen und entspannt den nächsten Geistesblitz dieses wandlungsfähigen Autors abzuwarten. Allerdings ist seine "Analyse" keine bloß individuelle (Fehl-)Leistung sondern Ausdruck einer politischen Linie, die von dem junge-Welt-Strategen Werner Pirker schon seit Jahren vertreten wird. Zum diesjährigen 1. Mai formulierte Pirker seine "Friedensbotschaft" in einem Kommentar zum dritten Jahrestags des Regimewechsels im Irak: Die Friedensbewegung "müsste zur Kenntnis nehmen, dass der Kampf gegen den Krieg nur an der Seite der nationalen Widerstandskräfte erfolgreich zu führen ist". (jW, 29.4.)

Was sich damals auf den irakischen "Widerstand" bezog, hat für Pirker auch im Libanon-Krieg seine Gültigkeit. Anders als Elsässer, dem beim Bündnis mit Islamisten und Nationalisten nicht so ganz wohl zu sein scheint, singt Pirker geradezu ein Loblied auf den "libanesischen Volkswiderstand", insbesondere die Hisbollah: "Die Hisbollah soll, wenn schon nicht völlig aus dem Verkehr gezogen, zumindest domestiziert werden. Mit der Unterwerfung des lebendigsten Teil der libanesischen Demokratie, dem sich auf die Masse der Unterprivilegierten stützenden nationalen Widerstand, wären alle Voraussetzungen für eine ,Demokratie` nach irakischem Muster gegeben ..." usw.. Doch dazu wird es nicht kommen - dank dem "Durchhaltevermögen der Hisbollah", das auch "der palästinensischen Erhebung gegen das Besatzungsregime neuen Auftrieb" verleiht. So kommt doch noch die Demokratie in den Nahen Osten - "aber ganz anders, als George W. Bush sich das vorgestellt hat. Demokratie heißt zunächst einmal Widerstand" - unter Führung der Hisbollah.

Lob des libanesischen "Volkswiderstands" (Pirker)

So verteidigt der betonköpfige "Antiimperialist" beherzt seine gesellschaftliche Randstellung. Die hat er sich redlich verdient. Dass gleichzeitig einige Antideutsche wegen ihrer Thesen von der Mainstream-Presse (Welt, FAZ, Zeit, Spiegel) um Kommentare gebeten oder von der Adenauer-Stiftung zu Vorträgen eingeladen werden, mag ungerecht erscheinen. Folgerichtig ist es allemal.

Js.