Wenn braune Brause krank macht
Widerstände gegen Coca-Cola in Indien
Neben der Fastfoodkette McDonalds gilt der Softdrinkmulti Coca-Cola als weltweites Symbol des American Way of Life. Wie kaum ein anderes Markenprodukt steht der weiße Schriftzug auf rotem Hintergrund für den Siegeszug des Kapitalismus im ehemaligen Ostblock und den Ländern der Dritten Welt. Immer wenn diese Länder Grenzen für die globale Marktwirtschaft öffneten, waren es Symbole des Softdrinkmultis, die auf Hauswänden, Werbetafeln und Schulhöfen prangten und in den besten Werbezeiten des Fernsehens ausgestrahlt wurden - noch vor den Werbelogos der Automobil- und Zigarettenmarken. In Indien sieht sich der Coca-Cola-Konzern derzeit allerdings mit erheblichen Widerständen konfrontiert.
Der Siegeszug der braunen Brause begann mit dem zweiten Weltkrieg. Überall, wo US-Soldaten stationiert waren, sollten sie auch Coca-Cola trinken können, lautete die Unternehmensmaxime. Heute verkauft Coca-Cola in mehr als 200 Ländern seine Produkte und ist immer noch ein Gefährte des Krieges geblieben: Der Konzern versorgte etwa US-Soldaten während des Irak-Krieges mit Sonnenbrillen und Getränken. Im Sommer 2005 schließlich, nach beinahe 40 Jahren, erhielt Coca-Cola erstmals wieder eine Lizenz für den Verkauf im Irak.
Doch Coca-Cola, der flüssige Begleiter der weltweiten US-Militäroperationen, stößt zunehmend auf Kritik und Widerstand: In vielen arabischen Ländern, wo das Symbol von Coca-Cola ablehnende Reaktionen auslöst; in Ländern wie Kolumbien, weil dort Gewerkschafter, die bei Coca-Cola für Arbeiterrechte warben, von Paramilitärs ermordet wurden: in westlichen Ländern, wo das Getränk wegen seiner politischen Konnotation boykottiert wird.
"Erfrischend": Wasser, Pestizide und Aromastoffe
Erhebliche Umsatzeinbußen dürften dem Konzern nun in Indien bevorstehen, wo er seit 1991 Geschäfte macht, seit dem Jahr, in dem sich der Subkontinent dem globalen Markt geöffnet hat. Dort steht der Coca-Cola-Konzern nicht nur in der Kritik, weil seine Abfüllanlagen, die täglich viele Millionen Liter Wasser verbrauchen, umliegenden Dorfbrunnen regelrecht das Wasser abgraben. Anfang August hat das in Neu Delhi ansässige Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) 57 Softdrinks der Firmen Coca-Cola und Pepsi, abgefüllt in verschiedenen indischen Regionen, auf ihren Schadstoffgehalt überprüft. Die Getränke enthielten im Durchschnitt die 24fache Konzentration von Pestizidrückständen, wie sie in der Europäischen Union erlaubt sind. Das krebserregende Lindan habe bei einigen Proben sogar die Grenzwerte um das 140fache überstiegen.
Die Grenzwerte der Europäischen Union hatte auch ein wissenschaftliches Gremium in Indien übernommen und der Regierung empfohlen, diese als gesetzliche Richtlinie zu verabschieden. Aber die Regierung weigert sich, die Grenzwerte gesetzlich festzulegen. Die Lobby der beiden US-Konzerne wehre sich "mit Zähnen und Klauen dagegen, dass diese Grenzwerte für Softdrinks verbindlich angewendet werden", erklärt das CSE.
Bereits vor drei Jahren hatte das CSE, das im vergangenen Jahr den Wasserpreis des Stockholmer Umweltinstituts gewann, ähnliche Werte in den Getränken von Coca-Cola und Pepsi nachgewiesen. Damals ging der Absatz der Getränke auf dem Subkontinent kurzfristig um 30 Prozent zurück. Zusammen kontrollieren beide Konzerne 90 Prozent des Softdrinkmarktes in Indien und erzielen einen jährlichen Umsatz von knapp 1,2 Milliarden Euro.
"Hundertprozent sicher, hundertprozent erfrischend", reagiert Coca-Cola in großformatigen Anzeigen auf die jüngsten Anschuldigungen. Bollywood-Filmstars wie Amir Kahn und Shahrukh Kahn treten in Werbespots auf und wollen die InderInnen Glauben machen, bei den Softdrinks handele es sich um gesunde Getränke.
Die beiden großen US-Konzerne verweisen auf die Studien einiger Laboratorien, die den Softdrinks eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt haben. Coca-Cola hat nach Angaben der US-Tageszeitung International Herold Tribune eigens einen Lobbyisten in Neu Dehli damit beauftragt, "sicherzustellen, alle staatlichen oder privaten Untersuchungen, die das Unternehmen der Umweltzerstörung bezichtigen, mit einer Gegenuntersuchung zu widerlegen". Außerdem seien auch in anderen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Milch hohe Pestizidrückstände nachgewiesen worden, so der Vorwurf der Multis.
Das bestreitet in Indien niemand, denn dort werden mehr Pestizide als in fast jedem anderen Land zur Schädlingsbekämpfung auf den Äckern versprüht. Sie werden dort vor allem von westlichen Chemiekonzernen und ihren Tochterfirmen vertrieben. Viele Böden sind verseucht, ebenso das Trinkwasser. Das Zentrum für Wissenschaft und Umwelt setzt sich deshalb dafür ein, die Anwendung der Pestizide insgesamt zu reduzieren. Ohnehin geht niemand davon aus, dass die US-Multis die Pestizide ihren Getränken absichtlich beimischen. Aber auf die Softdrinks aus Zucker, Wasser und Aromastoffen könne man gut verzichten, erklären Vertreter des CSE. Ihr ständiger Konsum führt nach Angaben von Ärzten und Wissenschaftlern sowieso zu Zahnschäden, Fettleibigkeit und steigert das Risiko der Knochenkrankheit Osteoporose.
Verkaufsverbote führen zu erheblichen Umsatzeinbußen
Acht Bundesstaaten haben im August Sanktionen gegen die US-Konzerne verhängt. In Regierungsgebäuden, Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern darf dort kein Softdrink mehr verkauft werden. Der kommunistisch regierte Bundesstaat Kerala hat sogar ein generelles Verkaufs- und Produktionsverbot erlassen. Trotz eines Werbebudgets, das den Haushaltsposten für Öffentlichkeitsarbeit vieler indischer Bundesstaaten weit übersteigt, müssen die Softdrinkmultis also schon jetzt erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen.
Doch bei dem Konflikt mit den Softdrinkriesen - die Branche gilt als eine der profitabelsten weltweit - geht es um mehr als die Gesundheit der InderInnen. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy hatte 2004 dazu aufgerufen, einen Konzern, der vom Irak-Krieg profitiere, in die Knie zu zwingen. Denn die Proteste wenige Wochen vor dem Krieg, an denen sich weltweit mehr als zehn Millionen Menschen beteiligten, hatten die Militäroffensive nicht verhindern können. Ihr Aufruf auf dem indischen Weltsozialforum blieb nicht ohne Widerhall. In Indien sieht sich nun ein Profiteur des Irakkrieges, nämlich Coca-Cola, mit einer Allianz aus Bundesstaatsregierungen, UmweltschützerInnen und GlobalisierungskritikerInnen konfrontiert.
Das Oberste Gericht in Neu Delhi hat nun angeordnet, Pepsi und Coca-Cola müssten innerhalb von vier Wochen ihre gut gehüteten Rezepturen für die braune Brause offen legen. Zumindest für Coca-Cola handelt es sich dabei um ein Déjà-vu: Bereits 1978 musste sich der Konzern für 15 Jahre von dem Subkontinent zurückziehen, weil er sein Geheimrezept nicht preisgab. Ob sich die in Indien mächtigen Gerichtshöfe gegen die neoliberale Musterregierung in Neu Delhi auch heute wieder durchsetzen können, bleibt offen. Der Dachverband der indischen Industrie- und Handelskammern (FICCI) und der indische Verband der Industieunternehmen (CII) behaupten, schon mit den Verboten gegen die Softdrinkmultis stehe "Indiens Glaubwürdigkeit als Rechtsstaat auf dem Spiel"; sie fürchten eine "Imageschädigung" als Investitionsstandort. Diese Haltung wird auch der heute amtierende Premierminister, Manmohan Singh, einst ein bekennender Anhänger der radikal-liberalen Wirtschaftspolitik von Margaret Thatcher, teilen müssen. Indien, der neue asiatische Tiger, könne es sich seiner Ansicht nach nicht leisten, einen US-amerikanischen Konzern über die Grenze zu jagen.
Gerhard Klas,
Rheinisches JournalistInnenbüro