Boykott gegen Studiengebühren
Im Herbst soll an den Hochschulen die Kampagne beginnen
Spätestens im Oktober will der Hessische Landtag Studiengebühren beschließen. Damit wäre Hessen das siebte Bundesland neben Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland, das allgemeine Studiengebühren erheben wird. Nach der flächendeckenden Einführung der Bachelor-/Master-Abschlüsse im Rahmen des Bologna-Prozesses, dem Abbau der Selbstverwaltungsgremien und der Schaffung größerer Hochschulautonomie ist damit die größte Umstrukturierung des Hochschulwesens der letzten Jahrzehnte erst einmal vollendet. Studiengebühren werden zu einer weiteren Selektion im Bildungswesen beitragen. Doch die Studierenden wollen sich noch nicht geschlagen geben und planen den Boykott der Studiengebühren.
Nachdem in den Landtagen allgemeine Studiengebühren beschlossen und an den Hochschulen Gebührensatzungen erlassen wurden, sind nun die Universitätsverwaltungen gefordert, die Gebühren einzukassieren. So segeln dieser Tage die Briefumschläge mit den Überweisungsträgern für das Sommersemester 2007, mit erstmalig zusätzlichen 500 Euro Rückmeldegebühren, in die Briefkästen der Studierenden. Doch nach den verlorenen Kämpfen der vergangen Semester bleibt die Empörung schwach. Das war Anfang 2005 noch anders, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 26.1.05 die Gebührenfreiheit für das Erststudium aufgehoben hatte. So gingen nur wenige Tage später in Hamburg 10.000 wütende Studierende auf die Straße. Was folgte war der "Summer of Resistance": Mit gelben T-Shirts, brutalen Polizeieinsätzen in Hamburg und einer wochenlangen Präsidiumsbesetzung in Freiburg sorgten die Studierenden für Schlagzeilen, und die Presse berichtete eifrig über die studentischen Probleme. Doch zu einer Organisierung oder einer Verfestigung des Widerstands an den Hochschulen kam es nicht, auch weil es schlicht an Angeboten mangelte. Ein Faktor dafür dürfte sein, dass sich die radikale Linke, die wenigstens die Sozialpolitik wiederentdeckt hat, sich aus der Bildungspolitik noch immer allzu gerne heraus hält.
Studiengebühren in sechs Bundesländern eingeführt
Dabei begann die verstärkte Ausrichtung der Universität nach wirtschaftlichen Interessen bereits mit dem Bologna-Prozess, den die Europäischen Bildungsminister 1999 beschlossen. Es lässt sich jedoch feststellen, dass es zu einer Protestwelle studentischer Massen seit dem "Lucky Streik" 1997 nicht mehr gekommen ist. Teilweise wurde die Umsetzung der neuen Abschlüsse fast als gottgegeben hingenommen, andererseits wurde die angebliche Notwendigkeit der neuen Abschlüsse schlau durch die politischen Verantwortlichen vermittelt. Bachelor- und Masterstudiengängen sollen die Abschlüsse europäisch vergleichbar machen. Da im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz immer mehr Flexibilität und Mobilität von jedem einzelnen abverlangt wird, ist es folgerichtig, dass Studierende auch international attraktiv erscheinen wollen. Auch wenn langsam immer deutlicher wird, dass das Ergebnis ein anderes ist und mit der BA-/MA-Einführung Universitätswechsel selbst im Inland weiterhin problematisch bleiben, war die alte Struktur der Universität längst hinfällig. Die nun stattfindende Verschulung durch einen straffen Studienaufbau, Anwesenheitslisten und Klausuren führt jedoch zu einer weiteren Entfremdung vom Lernstoff.
Wie bei der Einführung der BA-/MA-Abschlüsse hielt sich der Widerstand gegen den Abbau der demokratischen Strukturen und den Ausbau der Hochschulautonomie in Grenzen. Gremien mit Wahlbeteiligungen von höchstens 5%, die meist der persönlichen Profilierung von Professoren dienten und eben nicht der konstruktiven Gestaltung der Lehre, weint kaum jemand eine Träne nach. Dass nun aber z.B. die Neubesetzung von Professorenstellen, die Erstellung von Lehrplänen und fachspezifische Anschaffungen von einer kleinen Zahl von Professoren entschieden werden, ist die andere Seite. Schneller als vielleicht erwartet sind diese neuen Formen der Verwaltung jedoch Alltag an der Universität geworden.
Vielmehr richtet sich der Protest der vergangenen Semester zum einen gegen konkrete Sparmaßnahmen im Bildungsbereich, wie im Protestwinter 2003/04 in Berlin und Hamburg, zum anderen gegen ein Bezahlstudium. Da der Bildungsbereich, noch einaml verstärkt durch die Föderalismusreform, Ländersache ist, waren die Konflikte ungleichzeitig. Auch wenn in fast allen Bundesländern die Einführung von Studiengebühren diskutiert wurde, unterschieden sich die Debatten in der Entschiedenheit der Landesregierungen und in der Form der Gebührenerhebung.
Keine französischen Verhältnisse in Hessen
So protestierten die Studierenden 2005 im Rahmen des "Summer of Resistance" in Hamburg und Baden-Württemberg erfolglos gegen Studiengebühren. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern reichte dagegen ein deutlich kleinerer "Aufstand", um Gebühren vorerst zu verhindern. Diesen Sommer gingen nun ihre KommilitonInnen in Hessen auf die Straße. Eine bundesweite Protestwelle konnte so nicht zu Stande kommen.
Zudem entpuppt sich die Einführung von Studiengebühren für so genannte Langzeitstudierende in einzelnen Bundesländern als eine Art "Salamitaktik". Sie bewirkte eine Debatte über den fleißigen Studenten, in der die Linke keinen Sprechort mehr fand, und zwang z.B. in NRW fast 50% der längere Zeit Studierenden zum vorzeitigen Studienabbruch.
Außerdem führte die endlich öffentlich geführte Debatte über die katastrophalen Zustände an den Universitäten nicht zu dem von der Linken erhofften Erfolg. Von schlechtem Mensaessen bis hin zu einsturzgefährdeten Gebäuden reichte die universitäre Mängelliste, die breit in der Presse diskutiert wurde. Jedoch folgte daraus nicht die Aufstockung der Bildungsetats der Länder. Das gebetsmühlenartige Wiederholen der Allparteienmaxime "Die Kassen sind leer" hatte Erfolg. Obwohl vielerorts versucht wurde, die Debatte in andere Bahnen zu lenken, gelang dies nicht. So finden inzwischen nicht mehr wenige Studierende Studiengebühren richtig, solange das Geld für die Verbesserung des Studiums ausgegeben wird.
Dass dies wohl eher ein frommer Wunsch bleiben wird, müssen inzwischen selbst die Universitätsleitungen einräumen. In einem Beitrag der ZDF-Sendung Frontal 21 erklärte der Rektor der Ruhr-Universität Bochum, Gerhard Wagner, dass Studiengebühren nicht zur Verbesserung der Lehre führen, sondern steigende Kosten ausgleichen werden, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Lehre stehen: "Wir können natürlich nicht die Studiengebühren nehmen, um die Heizkosten abzudecken, das muss intern mit anderen Dingen geschehen ... Aber das zeigt etwa diese Dramatik und Größenordnung, wo sich die Einnahmen dann hinterher abspielen - und das zeigt auch, dass die Studiengebühren sicher nicht zu einer erheblichen Verbesserung der Bedingungen führen." (1)
Genau aus solchen Äußerungen schöpfen die GebührengegnerInnen daher ihre Hoffnungen. Dass Gebühren erst umgesetzt sind, wenn sie auch bezahlt werden, wird die Losung sein, die es gilt den KommilitonInnen in den nächsten Monaten zu vermitteln. Die Weichen für eine erfolgreiche Gebührenboykott-Kampagne haben die AktivistInnen auf einem Vernetzungswochenende am 26./27. August in Bochum gestellt. Doch ein Erfolg ist noch lange nicht sicher, auch wenn mit dem Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) ein gesellschaftliches Bündnis mit über 200 Bündnispartnern die Kampagne unterstützt. Bisherige Versuche, Gebühren zu boykottieren wie z.B. in Baden-Württemberg, scheiterten. Fredrik Dehnerdt, Sprecher des ABS ist jedoch zuversichtlich: "Die gleichzeitige Einführung von Studiengebühren in sechs Bundesländern wird zu einer starken Dynamik führen. 500 Euro sind für Studierende eine enorme Belastung. Wir müssen den Studierenden deutlich machen, dass sie durch den Gebührenboykott viel gewinnen, aber nichts verlieren können."
Doch schon die eigens auferlegte Hürde zeigt, dass es nicht einfach werden wird: 25% der Studierenden in den betroffenen Bundesländern sollen die Gebühren auf dafür eingerichtete Treuhandkonten überweisen. Wenn das Quorum zum Semesterbeginn 2007 erreicht würde, könnten Verhandlungen mit den politisch Verantwortlichen geführt werden. Ziel ist die Aussetzung der Gebühren für mehrere Semester und eine gleichberechtigte Debatte über die Finanzierung des Hochschulsystems. Fredrik Dehnerdt meint: "Die Kampagne läuft gut an. In den betroffenen Bundesländern haben sich Basisgruppen gebildet, schließlich ist es die letzte Chance für Studierende, allgemeine Gebühren zu verhindern." Ein weiteres Problem stellt die Betreuung der Treuhandkonten dar. Schließlich geht es immerhin um mehrere Millionen Euro. Daher hoffen die AktivistInnen, dass sich möglichst alle ASten an der Kampagne beteiligen und Konten eröffnen.
Letzte Chance: Gebührenboykott
Einen Schub könnte die Gebührenboykott-Kampagne auch durch weitere Kämpfe im Bildungsbereich bekommen. Für den 13. September haben SchülerInnen in Berlin zum Schulstreik aufgerufen, und in Hessen wollen Studierende in Wiesbaden die zweite Lesung des Gebührengesetzes trotz der vorlesungsfreien Zeit mit Protesten begleiten. Gerade in Hessen hatten die Studierenden im Sommer mit teilweise massivem Protest für Aufmerksamkeit gesorgt. Regelverstöße, wie Autobahn- und Gleisblockaden, haben den Spielraum studentischen Widerstands deutlich erweitert und führten kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft zu erhitzten Debatten in Hessen, als Führungskräfte der Polizei und Politiker ein sofortiges Ende der Proteste forderten. Doch die Proteste ebbten von selber ab. Die herbeigesehnten "französischen Verhältnisse" blieben aus. Sollten Studiengebühren bis zum Semesterbeginn in Hessen noch nicht beschlossen sein, könnten die Proteste jedoch wieder von vorne beginnen.
Auch auf rechtlicher Ebene gelang den Studierenden Mitte August ein kleiner Erfolg gegen Gebühren. Nach Hamburg scheiterte nun die Bremer Regierung mit dem Versuch, Gebühren von auswärtigen Studierenden zu kassieren. Das Verwaltungsgericht entschied, die so genannte Landeskinder-Regelung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Bremen ist jedoch alles andere als "gebührenfrei", schließlich wurden dort bereits "Langzeitgebühren" eingeführt. Der Kampf gegen Studiengebühren geht mit der Kampagne Gebührenboykott in die nächste Runde.
jf
Anbmerkung:
1) www.zdf.de/ZDFde/inhalt/8/0,1872,3961768,00.html