Politisch bin ich in der Tat heimatlos
Interview mit Moshe Zuckermann über sein neues Buch: "Israel - Deutschland - Israel"
Seine Biografie ist durch den Nexus von Israel und der Shoah geprägt: Als Sohn von Auschwitz-Überlebenden wurde Moshe Zuckermann ein Jahr nach Gründung des Judenstaates in Tel Aviv geboren: "Israel war das unmittelbar erfahrene, nachmals auch unauslöschlich verinnerlichte Paradigma meiner Weltgeworfenheit", schreibt er in der Vorbemerkung zu seiner jüngsten Veröffentlichung "Israel - Deutschland - Israel".
Im Mittelpunkt des Bandes steht die Beziehung des Autors zu dem Land, das nach seinen eigenen Worten "die große Desillusion" seines Lebens geworden ist. Denn die Staatsideologie Israels habe eine Reihe "Anderer" geboren, so Zuckermann, nach deren Unterdrückung der Zionismus verlange: Nicht nur "den Araber als feindlichen Nichtjuden, den als schwächlich und degeneriert verachteten diasporischen Juden oder etwa den orientalischen Juden, der in seinem schieren Dasein von den Erscheinungsvorstellungen der dominierenden aschkenasischen Hegemonie abwich, sondern auch das Individuum, sofern es sich anmaßen mochte, sich von der Norm kollektiver Vorgaben abzusetzen".
Kritische Reflexionen widmet Zuckermann auch dem Täterland, in dem er zehn Jahre seiner Jugend verbrachte, in dem er Theodor W. Adornos ideologiekritisches Denken zur "konstitutiven Grundlage" seiner Weltsicht machte, das für ihn aber bis heute "vertraute Unheimat" geblieben ist - nicht zuletzt, weil seit Gründung der Berliner Republik immer häufiger diejenigen öffentlich Zuspruch erfahren, die nach Entledigung der "dauerpräsenten Schande" trachten und nicht mehr zulassen wollen, dass ihr wachsendes "Normalitätsbedürfnis unterminiert" wird.
Unmissverständlich kritische Worte findet der jüdische Intellektuelle für die krude Vergangenheitsbewältigungsstrategie, die von Strömungen innerhalb der deutschen Linken praktiziert wird: "Israel" so weit zu abstrahieren, "dass sich auf die leer abstrahierte Fläche ,Israel` alles projizieren lässt, was die Ökonomie ihres geschichtlich gebeutelten Befindlichkeitshaushalts verlangt". Deutsche AntizionistInnen, die Israel (in vermeintlicher Solidarität mit den PalästinenserInnen) das Existenzrecht absprechen, seien mit "bedingungslosen" Israel-Solidarisierern darin eng "verschwistert, dass sie ihr Problem mit den Juden an ,den Juden' austragen; was sie an sich selbst nicht ertragen können, kompensieren sie (,theoretisch') an denen, die die historischen Opfer ihres Volkes waren".
Am 11. November wird Moshe Zuckermann in Hamburg sein neues Buch vorstellen. Susann Witt-Stahl führte vorab mit ihm ein E-Mail-Interview.
ak: Ihre jüngste Publikation ist Ihrer "Intention nach kein Memoirenbuch, schon gar keine Autobiografie", vielmehr dienten die geschilderten "Individualerfahrungen" lediglich als "subjektiver Ausgangspunkt für die Erörterung kollektiver Prozesse und Strukturen". Warum ist Ihnen die Vermittlung zwischen subjektiven Erfahrungen und objektiven Verhältnissen ein so wichtiges Anliegen?
Moshe Zuckermann: Wenn das Subjektive und das Objektive ihre wechselseitige Relevanz nicht verlieren sollen, ist für mich eine solche Vorgehensweise bei der Art von Material, das im Buch behandelt und verarbeitet wird, schlicht unabdingbar. Dabei muss freilich hervorgehoben werden, dass das Objektive letztlich den Vorrang behält. Denn zwar ist es - als Bewusstgewordenes - von der je subjektiven Wahrnehmung entscheidend (mit)bestimmt, aber diese Wahrnehmung selbst entsteht ja nicht im luftleeren Raum, sondern ist wesentlich von objektiven Entstehungsbedingungen, mithin auch von der unhintergehbaren Wirkmächtigkeit kollektiver Prozesse und Strukturen eingetönt und vorgeprägt.
In meinem persönlichen Fall darf ich zudem davon ausgehen, dass eventuelle narzisstische Impulse, die ja bei jeder Verhandlung von Subjektivem zwangsläufig mitspielen, weitgehend durchs Objektive aufgehoben worden sind, weil meine individuellen Lebenserfahrungen und subjektiven Erlebnisse in eine Zeit fallen und sich mit Umständen und Verhältnissen decken, die an sich schon wert wären, dargestellt und reflektiert zu werden: Als Sohn von Shoah-Überlebenden, der 1949 in Tel Aviv geboren wurde, das erste Jahrzehnt seines Lebens im jüngst gegründeten Staat Israel verbrachte, seine Jugend aber im Deutschland der 1960er Jahre durchlebte, um dann 1970 nach Israel zurückzukehren und die Entwicklung dieses Landes seither mitzuleben, ohne freilich die Verbindung zu Deutschland je abgebrochen zu haben, habe ich eine historisch entscheidende Zeit für die Entwicklung beider Länder, samt der sie bestimmenden gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Phänomene, durchmessen, auf die, so will es mir scheinen, es sich objektiv lohnt, einen kritischen (Rück)blick zu werfen.
Im Untertitel bezeichnen Sie sich selbst als "Heimatlosen". Meinen Sie damit, dass Sie weder in Israel noch in Deutschland zu Hause sind - betrachten Sie sich als "Displaced Person" zwischen der diaspora-jüdischen "Welt von gestern", aus der ihre Eltern stamm(t)en, und der modernen zionistischen Welt der "neuen Juden"? Oder fühlen Sie sich nicht nur regional, national und kulturell, sondern auch politisch "heimatlos"?
Nun, es ist wohl eine Mischung aus alledem, wiewohl ich den Begriff der "Displaced Person" nicht für mich selbst in Anspruch nehmen würde; es ist ja gerade im jüdischen Kontext ein sehr spezifisch konnotierter Begriff. Und schon aus Respekt vor der Tragödie jener, die nach der Shoah in einem ganz anderen - horrenden - Sinne Entwurzelte waren, würde ich da den wesentlichen Unterschied machen wollen. Aber etwas davon ist in der Tat in meine Lebensgeschichte eingegangen. Denn Deutschland war kulturell, intellektuell und erfahrungsgeschichtlich von allergrößter Bedeutung für die formativen Jahre meiner Jugendzeit, konnte aber aus nahe liegenden Gründen nie "mein Land" werden.
Israel war von Anbeginn mein Land; d.h. das Land, in dem ich geboren wurde und in das ich zurückgekehrt bin. Aber es ist gerade darin auch das Land der großen Desillusion meines Lebens geworden und kann, so besehen, schon deshalb nicht mehr "mein Land" in einem wie immer gearteten affirmativen Sinne werden. In alledem liegt eine gewisse Tragik, ja, aber nicht minder auch ein gewisser Eros. Denn dieses kulturelle, intellektuelle und regionale Wandern bzw. Pendeln zwischen den Welten erhält etwas von jenem hybriden diasporischen Judentum der "Welt von gestern", dem ich mich in vielerlei Hinsicht als ein genuines Judentum verbunden fühle - einem Judentum, das von Deutschen ausgerottet wurde, aber auch in Israel aus bekannten ideologischen Gründen keinen Bestand haben konnte.
Und politisch? Ja, politisch bin ich in der Tat heimatlos, aber nicht nur in Israel und in Deutschland, sondern in der Welt. Die Welt, in der ich zu Hause, im wahren Sinne beheimatet wäre, ist ja noch nirgends historisch geworden.
Welche Wesenszüge - außer dem Hybriden - charakterisieren das diasporische Judentum? "Die Weigerung, Gewalt als Argument der Wahrheit anzuerkennen", wie Max Horkheimer schrieb? Das unermessliche Leid, das Juden erfahren mussten und das "dem Gedanken an die Toten die unendliche Zartheit (verleiht), die vom Trost des ewigen Lebens nicht abhängt"? Warum fühlen Sie sich der jüdischen "Welt von gestern" so tief verbunden?
Es sind in der Tat primär diese Wesenszüge, die meine starke Affinität zu dem bilden, was wir idealtypisch als "diasporisches Judentum" apostrophieren. Freilich müssen aber auch diese Wesenszüge in ihrem historischen Zusammenhang begriffen werden. "Die Weigerung, Gewalt als Argument der Wahrheit anzuerkennen", mag zwar bestimmten ethischen Postulaten im Judentum eignen - eindeutig ist dies nicht, denn im Alten Testament gibt es Vorbilder für Gewaltferne, wie den Propheten Jeremia, aber durchaus auch Beispiele für Bewunderung von Gewalt, von der das Buch "Josua", immerhin das Buch der biblischen Landnahme, nur so strotzt. Aber besagte Absage an die Gewalt war natürlich auch Resultat der historischen Situation der Juden, nämlich ihrer fast durchgängigen Wehrlosigkeit in den diasporischen Lebenswelten. Leiderfahrung kann natürlich die real gewachsene Fähigkeit zur Empathie fördern und ausbilden, aber sie kann nicht minder auch spätere Gewaltbereitschaft steigern.
Wenn man Israel und seinen Mythos der Wehrhaftigkeit als geschichtlich geronnene Schlussfolgerung aus der diasporischen Leiderfahrung deutet, wird man geneigt sein, der zweiten Möglichkeit größere Wirkmächtigkeit beizumessen. Es ist nie a priori ausgemacht, welche Eltern aus geschlagenen Kindern werden.
Sie beschäftigen sich ebenfalls mit dem Komponisten Richard Wagner. Und zwar nicht nur als Symbolfigur der widersprüchlichen Beziehung, die Israel zum Täterland unterhält - Sie werten den halboffiziellen Wagner-Boykott, an dem die israelische Öffentlichkeit festhält, auch als Indikator für eine "ideologisch längst prästabilisierte (...) Banalisierung des Shoah-Gedenkens". Welchen Umgang mit Wagner halten Sie für angemessen?
Es geht mir gar nicht um einen angemessenen Umgang mit Wagner in Israel. Insofern es Empfindlichkeiten unter israelischen Shoah-Überlebenden hinsichtlich der Aufführung der Werke Wagners gibt, kann man, denke ich, auf diese Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen - solange die Überlebenden unter uns weilen. Was immer es an Wagner qua Wagner kritisch zu erörtern gilt, muss m.E. nicht in eine aufoktroyierte Aufführungspraxis münden. Mich beschäftigt vielmehr das Wesen des israelischen Shoah-Gedenkens, mithin die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass eine im Jahre 1883 verstorbene Figur des deutschen Kulturlebens gleichsam zum Paradigma des staatsoffiziellen israelischen Umgangs mit Deutschland und - darin codiert - mit der Shoah zu avancieren vermochte.
Wenn das junge Israel bereits 1952 das Wiedergutmachungsabkommen mit der alten BRD staatsoffiziell abschließen konnte; wenn seit 1965 volle diplomatische Beziehungen zwischen beiden Staaten existieren; wenn viele israelische Institutionen im akademischen, wissenschaftlichen, kulturellen und militärischen Bereich mit deutschen Geldern finanziert sind; wenn Israels Straßen, Einkaufsläden, Warenhäuser und Privatwohnungen vor deutschen Produkten überquellen; wenn es regelmäßigen Wissenschafts- und Kulturaustausch gibt; wenn Deutschland als Israels bester Verbündeter in Europa gilt - was spielt da der Wagner-Boykott für eine Rolle? Und was besagt das ihm inhärierende Bigotte über das israelische Shoah-Gedenken? Aber allein schon die so artikulierte Fragestellung wird zumeist idiosynkratisch abgeschmettert.
In dem Theodor W. Adorno gewidmeten Kapitel "Geliebter Philosoph" schreiben Sie, während Juden im Zionismus sich des Diasporischen zu entledigen hätten, werde es in der Kritischen Theorie "zum Angelpunkt einer gerade dieses Diaspo-rische zur exponierten Gesellschafts- und Zivilisationskritik befähigenden Position gewendet". Welche Potenziale wohnen dem Diasporischen inne, dass die Frankfurter es als Ausgangspunkt ihrer radikalen Zivilisationskritik verstanden und wohl auch gebraucht haben?
Meine Antwort korrespondiert mit dem, was ich bereits im Zusammenhang mit der vorigen Frage geäußert habe. Ohne jetzt eine essentialistische Wesensbestimmung des Diasporischen formulieren zu wollen, würde ich einen (möglichen) zentralen Aspekt in ihm hervorheben: Insofern das Diasporische nicht eine verhärtete, selbst gewählte Absonderung der Minorität innerhalb ihrer Residenzgesellschaft zeitigt (wie es beim halachischen Stetl-Judentums weitgehend der Fall war), sondern ihre Bestrebung zur akkulturierten Integration in dieser, entfaltet das Diasporische eine Grundspannung des eigenen Seins zum Fremden im Fremden, die das Fremde zum Heimischen werden lässt, ohne aber dies Heimische zur fetischisierten Ideologie mutieren zu lassen. Strukturell hat dies mit dem von Simmel herausgearbeiteten Begriff des Fremden, psychologisch mit der Fähigkeit zur empathischen Wahrnehmung des "Anderen" zu tun. Die damit einhergehende Unterwanderung des zur Ideologie verkommenen "Wirs" scheint mir auch politisch von Relevanz zu sein.
Ich glaube, dass diese Qualitäten nicht zuletzt dem verschwistert sind, was Sie in der vorigen Frage (im Namen von Horkheimer) als Wesenszug des diasporischen Judentums aufgezeigt haben. Ich meine, dass einiges von diesen Qualitäten - historisch bedingt, vielleicht auch notwendig - im Neuen Juden des Zionismus untergegangen ist.
Sie sagen auch, vergleiche man die ideologische Funktion, die die Shoah für den Zionismus habe - der die Shoah als Shoah der Juden, ganz und gar für seine Partikularinteressen vereinnahmt habe -, mit ihrer "zivilisationskritischen Auslegung im Denken Adornos" werde klar, "wie inkommensurabel der Ansatz der Kritischen Theorie und die sinnstiftenden Ideologeme des Zionismus" seien. Würden Sie so weit gehen zu sagen, der Zionismus sei Ideologie und die Kritische Theorie u.a. objektiv die adäquate Kritik des falschen Bewusstseins des Zionismus?
"Objektiv" lässt sich dies behaupten. Ich würde es aber dennoch nicht tun, und zwar deshalb, weil sich die Denker der Kritischen Theorie mit dem Zionismus als solchen zu wenig befasst und daher auch so gut wie gar nicht um ihn gekümmert haben. Nicht von ungefähr waren Horkheimer und Adorno nie in Israel (Löwen-thal meines Wissens auch nicht) und Marcuse nur einmal, wobei er damals mit seinem kritischen Denken bei der ideologisch zementierten israelischen Studentenschaft, die sich noch großteils im Triumphalismus von 1967 suhlte, so gut wie gar nichts auszurichten vermochte. Horkheimers Kritik am Eichmann-Prozess spricht ja schon für sich - er war gegen diese formalisierte Form der Auseinandersetzung mit der Shoah, die aber Israel gerade als einen von Ben-Gurion als solchen verstandenen Staatsakt inszenieren wollte. Gravierender scheint mir indes die Frage zu sein, ob der Zionismus die historische "Antwort" auf die Shoah abgeben konnte, wie es von Israels Staatsideologie im Sinne der zionistischen Teleologie postuliert wurde.
Jeder, der Adornos Auseinandersetzung mit der Shoah kennt, weiß, dass er mit dieser "Antwort" nichts im Sinn haben konnte. Damit meine ich nicht, Adorno habe sich keine persönlichen Sorgen um Israel (etwa beim Ausbruch des 1967er Krieg) gemacht, auch nicht, dass er eine antizionistische Einstellung zur israelischen Staatsgründung gehabt hätte. Es geht einzig darum, dass Adornos Sicht der Shoah als ein menschheitsgeschichtliches Katastrophenereignis sich schlicht nicht auf die Ebene nationaler Staatsbildung reduzieren lässt. Das zivilisationskritische Paradigma Adornos redet da eine diametral entgegengesetzte Sprache.
Hier zu Lande werden Stimmen laut, die behaupten, objektiv habe die Kritische Theorie den Zionismus als die vorläufig (solange Staat und Kapital nicht überwunden sind) einzig mögliche Antwort auf den Antisemitismus begriffen. Adornos neuem kategorischen Imperativ könne daher nur gerecht werden, wer an einem "zionistischen kategorischen Imperativ" auf materialistischer Basis festhalte: "alles zu tun", wie es in einem der zahlreichen Pamphlete aus Kreisen "bedingungsloser" Israel-Solidarisierer heißt, "um die Möglichkeiten reagierender und präventiver Selbstverteidigung des Staates der Shoahüberlebenden aufrecht zu erhalten."
Es ist schon schlimm genug, sich anhören zu müssen, wie sich intellektuelles Mittelmaß anmaßt, Adorno modifizieren zu wollen. Dass diese Wohlmeinenden darüber hinaus noch nicht begriffen haben, dass die Kategorien, mit denen sie operieren, gerade die nächste Kollektivkatastrophe der Juden zeitigen könnten, wenn sie auf längere Sicht zur Grundlage der realen Politik Israels werden würden, grenzt schon an himmelschreiende Verantwortungslosigkeit.
Denn nicht nur ist Israel heute der für die Existenz des Juden als Individuum bedrohlichste Ort der Welt; nicht nur hat selbst der Vorsitzende von Yad Vashem in Abrede gestellt, dass der Zionismus die einzige Antwort auf die Shoah, mithin auf den Antisemitismus sei; nicht nur würden sich die allermeisten Israelis dagegen wehren, ihren Staat als den "Staat der Shoahüberlebenden" apostrophiert zu sehen (und sie wissen sehr gut, warum - Lorbeeren hat sich dieser Staat im Umgang mit den Überlebenden wahrlich nicht verdient); sondern man muss schon blind sein, um nicht zu begreifen, dass die einzige Chance Israels, in dieser Region längerfristig zu überleben, der Frieden sein kann.
Für diesen Frieden muss Israel zwar zur Selbstverteidigung fähig sein (und es ist es auch - da brauchen sich die deutschen Solidarisierer keine inadäquaten Sorgen zu machen). Aber es muss vor allem eine gänzlich andere Nahostpolitik führen. Israel hat bislang nicht bewiesen, dass es diese Politik, die einzig sein Überleben garantieren könnte, rigoros verfolgen will.
Sie rechnen in ihrem Buch mit zwei "randständigen Extremen" der deutschen Linken - antizionistischem Antisemitismus und Israelfetischismus - ab, die sich "aus der historischen Schuld und der psychischen Bemühung um ihren projektiven Abbau speisen". Was sich bei den Antisemiten in Aggressionen gegen "den Juden" richte, übertrügen die jeden IDF-Einsatz beklatschenden Israelfreunde auf "den aggressiven Juden" - einzig er vermöge die Deutschen "kraft eigener aufgeladener Schuld zu entschulden". Die Israel-Solidarisierer halten Ihnen nicht nur entgegen, das "Land der Juden" müsse wegen Auschwitz einen knallharten sicherheitspolitischen Kurs fahren, sie betrachten Israel darüber hinaus als Bollwerk der "westlichen Zivilisation" und des Kapitalismus im Verteidigungskampf gegen "(noch größere) Barbarei".
Na ja, in Ihrer Frage ist ja bereits die Struktur der deutschen Befindlichkeit der Israel-Solidarisierer bestens thematisiert: Den Nachfahren der Opfer wird von den Nachfahren der Täter auferlegt, das aufzuheben, was die Täter-Ahnen an den Juden verbrochen haben, und zwar weit entfernt von Deutschland, eben im Nahen Osten. Es kümmert sie dabei einen Dreck, ob Israel mit seinem "knallharten sicherheitspolitischen Kurs" nicht nur die Palästinenser, sondern auch sich selbst zu Grunde richtet; ob die Israel von ihnen zugeschriebene Bollwerkfunktion dereinst Israels Untergang zeitigen könnte, wenn Israel in dieser seiner Funktion in alle Ewigkeit Fremdkörper in der Region und Hassobjekt seiner Nachbarn bleiben sollte.
Dass dabei der von ihnen befürwortete Kapitalismus zudem keinen Verteidigungsfaktor im Kampf gegen "(noch größere) Barbarei" darstellt, sondern im Gegenteil eine katalysatorische Funktion bei ihrer globalisierten Steigerung erfüllt, und zwar gerade auf Grund der spezifischen geopolitischen Lage des Nahen Ostens, mag hier unerörtert bleiben. Das werden diese "Linken" offenbar nie begreifen.
In Ihrer kritischen Analyse der Debatten u.a. um die Wehrmachts-Ausstellung und das Holocaust-Denkmal in Berlin kommen Sie zu dem Schluss, jene seien Symptom einer "subkutan herangereiften allgemeinen "deutschen' Befindlichkeit". In seiner Friedenspreisrede habe Martin Walser dem "stumm vor sich hin grollenden, tabugeschwängerten Zeitgeist genau zum ,richtigen' Zeitpunkt seine Stimme verliehen". Hat eine unaufhaltsame vergangenheitspolitische Wende eingesetzt?
Wie alle diese Tendenzen muss auch die hier angesprochene differenziert anvisiert werden. Und doch würde ich idealtypisierend behaupten wollen, dass mit der Vereinigung beider deutschen Staaten eine Wende im Verhältnis "der Deutschen" zu ihrer Vergangenheit eingeläutet worden sei, eine Entwicklung, die sich primär aus einer über Jahrzehnte in der breiten deutschen Bevölkerung schwelenden Normalitätssehnsucht gespeist hatte. Bemerkenswerterweise war die linksliberale kritische deutsche Intelligenz davon nicht ausgenommen, wobei sie sich freilich zugute halten durfte, als Nachkriegsgeneration die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit gefördert, wenn nicht gar ausreichend geleistet zu haben.
Kein anderer als Hans-Ulrich Wehler hat im Jahre 1998 bei einem Vortrag, in welchem er die Apologie von ehemaligen Nazis wie Werner Conze und Theodor Schieder betrieb, konstatiert: "Es kommt nicht häufig vor, dass Völker sich ihren eigenen Verbrechen stellen. Im internationalen Vergleich kann sich da die Bundesrepublik, aufs Ganze gesehen, durchaus sehen lassen." Schaut man genau hin, stellt man fest, dass diese Behauptung paradigmatischen Charakter trug. Im Schweigen der deutschen Intellektuellen als Reaktion auf Walser schlug sich dies aufs Eklatanteste nieder.
Das Interview führte Susann Witt-Stahl
Moshe Zuckermann: Israel - Deutschland - Israel. Reflexionen eines Heimatlosen. Passagen Verlag, Wien 2006, 224 S., 26 Euro.
Am 12.11.06 gibt es in der Sendung "Gutenbergs Welt" ein Interview mit Moshe Zuckermann, das auch im Internet gehört werden kann, WDR 3, 12.05 Uhr.
ak lädt am 11.11.06 zur Buchpräsentation ein, 19.30 Uhr, Universität Hamburg, Philturm D, Von-Melle-Park 6. Weitere Informationen unter: www.akweb.de.