Weiß gekachelte Banalität
"Deutschland. Ein Sommermärchen" oder warum ein Schwabe nicht als Führer taugt
War man nicht mit der Voreingenommenheit ins Kino gegangen, Sönke Wortmann zur "Leni Riefenstahl der Bundesrepublik" erklären zu wollen? In Erinnerung immer noch die obszöne Schlüsselstelle aus dem Standort-Propaganda-Film "Das Wunder von Bern": Der aus Kriegsgefangenschaft in "Russland" heimgekehrte Wehrmachtsvater hat gerade Filius' Kaninchen gekillt und der Familie zum Verzehr vorgesetzt - er wollte sich nach "unverschuldeter" Abwesenheit mal wieder nützlich machen. Der so um seinen Streichelzoo gebrachte Nachkriegsdeutsche sitzt weinend an einem Kanal, wo ihn die Mutter aufspürt und den Vater einfühlsam und stellvertretend für das gescheiterte Millionenheer von Welteroberern und Völkermördern als Opfer entschuldigt, schließlich habe Vater nichts für den Krieg gekonnt und habe dann ja auch in Gefangenschaft "genug gelitten". Da sei das bisschen Hasenschlachten doch ein Klacks dagegen ... Aber dann das.
"Deutschland. Ein Sommermärchen": Zwei lange Stunden geballte Langeweile, unambitioniertes Fußballgeschwalle und eine bis zum Exzess getriebene Redundanz der trostlos weiß gekachelten und grell erleuchteten Stadion-Kabinen vor den WM-Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Das ist also dies Sommermärchen: der völlige Mangel an Humor und Intelligenz, das Fehlen selbst jeden filmischen Kniffs zur Hebung der Stimmung.
Im Dämmerlicht der luxuriösen Mannschaftshotels oder im lichten Gleißen der Stadion-Flure reihen sich endlose Nahaufnahmen Schwindel erregender Wackel-Kamera-Einstellungen, wo die Helden dieses blasse zwei Dutzend deutscher Fußballstrategen und -spieler sein soll, die dann ja auch nur den dritten Platz gemacht haben.
Und dann Jürgen Klinsmann: die immer wiederkehrende Situation kurz vor den WM-Spielen der deutschen Mannschaft. Klinsis Kerle, deren Gesichter uns im Laufe des WM-Zirkus' als nationale Ikonen ins Gehirn gebrannt wurden, sitzen stumpf da und glotzen leer vor sich hin, während ein peinlich um Charisma ringender Klinsmann seine Anfeuerungsreden schwäbelt. Und so schrecklich sich das Schwäbische auch anhört, es gibt etwas, das für diesen Dialekt spricht: Er eignet sich nicht wirklich, Begeisterungsstürme und Massenhysterie auszulösen.
Im Gegenteil: Wenn BRD-Filmer Wortmann diese Inszenierung zum fünften Mal und dann auch noch einmal vor dem Spiel um Platz drei in den Fokus nimmt, darf man getrost am filmischen Konzept und Verstand des Regisseurs und Ex-Fußballprofis zweifeln. Das ist einfach der Flachpfeiferei zu viel und wird dort zum Ärgernis, wo Klinsmann sich den Weg zum Pokal "von niemandem nehmen" lassen will, "schon gar nicht von den Polen", und das Kinopublikum wiehernd aufjauchzt ob dieser antipolnischen Grobheit. Derselbe Klinsmann, der in seiner kalifornischen Strandvilla irgendwas von deutscher Jammerei und internationalem Wettstreit schwafelt - vermutlich das neoliberale Kernstück dieser öden deutschen Selbstinszenierung ("Was können wir von Klinsi lernen?") - grunzt kurz etwas lauter, wenn seine "Männer" den Ecuadorianern "eins auf die Fresse geben sollen".
Völliger Mangel an Humor und Intelligenz
Zum nationalen Sommermärchen gehören zwar die Kanzlerin und der Präsident, die eine locker parlierend, der andere grinsend wie aufgeschlitzt, aber die Funktionäre des deutschen Fußballs gleiten höchstens mal wie Statisten durchs Bild: allenfalls im Vorbeischwenk mal Mumie Mayer-Vorfelder, aber kein Beckenbauer. Dafür versteckte Kritik an der "allmächtigen" FC-Bayern-Führungsriege aus dem Munde des erstaunlich flüssig formulierenden Jens Lehmann. Die Perspektive der einfachen, braven Kicker-Soldaten soll wohl eine grundehrliche, basisnahe "Unsere-Jungs"-Haltung suggerieren, welche sich volksnah absetzt von Bonzentum und korrupter Politik. Die Statements der anderen National-Kicker sind dann auch an Einfältigkeit und Stammelei selbst von den allfälligen hirnlosen Spieler-Befragungen nach Live-Übertragungen nicht zu toppen.
Der Film "Deutschland. Ein Sommermärchen", dessen Titel wohl als bewusste Umdrehung des Heineschen Wintermärchens gewählt wurde, erzählt nicht nur kein Märchen, er hat im Grunde nichts zu sagen, was darüber hinaus ginge, was WM-KonsumentInnen vor drei Monaten schon einmal durchgestanden haben. "Auch eine Niederlage kann großes Kino sein. Es ist hoch dramatisch, wenn man kurz vor Erreichen des großen Ziels scheitert", sagte Wortmann dem Spiegel und reklamiert für seine banale Nahaufnahme der deutschen Elf gleich das mächtige Prädikat "großes Kino".
Erweckungsmission fehlgeschlagen
Was hier aber grobkörnig über die Leinwand flimmert ist alles andere als großes Kino und kommt wie ein billiger Werbefilm für - ja: wofür eigentlich? - daher. Man muss schon ein ziemliches Maß an blinder Anhängerschaft an deutschem Gekicke mitbringen, um Wortmann klaglos zwei Stunden seines Lebens für diesen Mist bar jeder Dramatik zu schenken. Und diese zwei Stunden totgeschlagene Zeit sollen Wortmanns Destillat, mithin das "Best of", aus 100 Stunden Material sein!
Womöglich soll die Entspanntheit dieser zu neuer Normalität erwachten Groß-Nation gezeigt werden, diese Lässigkeit im Umgang mit "unserer" Fahne und dass "wir" es endlich geschafft haben, die Entpolitisierung und inhaltliche Entleerung zum abendfüllenden Kino-Ereignis für das ganze Volk zu machen. Und wenn dann auch noch Sportfreunde Stiller, der penetrante (im Hintergrund ständig hörbare) Xavier Naidoo sowie Formel-Eins-Heroe Michael Schuhmacher durchs Bild huschen und der "dunkle" Odonkor ebenso Fahne schwenkend wie Bundeswehr-SoldatInnen, PolizistInnen und PilotInnen ins Bild gesetzt wird, mag man ahnen, was hier für ein "Wir sind ein Volk"-Schwulst geplant war.
Aber dieser Vorsatz versinkt im stinklangweiligen, witz- und ideenlosen, langatmigen und schlecht gemachten Brei aus bierernster Mediokrität. Und das ist gut so: Mit diesem Streifen ist jedenfalls kein Nationalismus zu machen. Immerhin. Aber eben auch sonst nichts.
Friedrich C. Burschel