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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 510 / 20.10.2006

Willkommen in der neoliberalen Energieplanwirtschaft

"Energiesicherheit" ist ein wahrscheinliches Thema auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm

Im Mittelpunkt des diesjährigen G8-Gipfels in St. Petersburg stand die so genannte "Energiesicherheit". Auch wenn die Themen des G8-Treffens in Heiligendamm 2007 noch nicht feststehen, kann davon ausgegangen werden, dass "Energiesicherheit" wieder auf der Agenda sein wird. Klar ist auch, dass "Energiesicherheit" - im Rahmen des Treffens der Staats- und Regierungschefs der großen sieben Industrieländer und Russlands - als reines ordnungs- und "sicherheitspolitisches" Problem diskutiert wird. Konkret geht es darum, wie der Zugriff der führenden Industrieländer auf die Öl- und Gasressourcen in den Förderländern weiterhin abgesichert und wie die Atomenergie vorangetrieben werden kann.

Die Geschichte des "Club der Reichen und Mächtigen" begann 1975, als sich auf Initiative des damaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d' Estaing die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, der BRD, Italien, Japan, Großbritannien und den USA zu einen "Kamingespräch" auf Schloss Rambouillet versammelten. Damals ging es vor allem um die Währungspolitik im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Wechselkurssystems von Bretton Woods, aber auch um die erste Ölpreiskrise 1973.

Mit der Gründung der "Gruppe der 6" (1) reagierten die führenden imperialistischen Länder auf den Umstand, dass die Ölförderländer des Südens zum ersten Mal, in Form einer gemeinsamen Förder- und Preispolitik der OPEC, ihrer Funktion als Eigentümer ihrer Ölressourcen nachkommen konnten. Die Ölförderländer waren an angemessenen, d.h. höheren Ölpreisen interessiert. Demgegenüber waren die Industrieländer zur Globalisierung des "american way of life" und zur Aneignung der Energierente weiterhin auf niedrige Ölpreise angewiesen. Eine zentrale Zielsetzung der Treffen war also von Anfang an die Etablierung eines globalen neoliberalen Energiesystems im Interesse der führenden Konzerne der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie.

Dieses Energiesystem basiert auf bestimmten ökonomischen und außerökonomischen Prämissen, wie der Subventionierung der fossilen und nuklearen Energienutzung, der Hochzinspolitik der USA, Rüstungsexporten in die Ölländer gegen "Petro-Dollars", IWF-Strukturanpassungsmaßnahmen und geostrategischen Regulationen, inklusive direkter militärischer Interventionen. Die Weltenergiemärkte gleichen einer neoliberalen Energieplanwirtschaft, die im Sinne der Industrie agiert. Sie haben kaum etwas gemein mit den Lehrbuchvorstellungen der Mikroökonomie über die Funktionsweise von "freien" Märkten. Dieses Weltenergiesystem der Extraktions- und Ausbeutungsökonomien des Nordens aufrecht zu erhalten, ist seither permanente Aufgabe der G8.

"Energiesicherheit" auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg

Auf dem G8-Gipfel Mitte Juli in St. Petersburg haben sich die Mitgliedsländer für "offene, wettbewerbsorientierte und transparente" Energiemärkte ausgesprochen und einen "Aktionsplan für globale Energiesicherheit" verabschiedet. Damit reagierten sie auf die hohen und stark schwankenden Ölpreise, den weltweit wachsenden Energiebedarf und die immer knapper werdenden fossilen Hauptenergieträger Erdöl und Erdgas. Laut G8 soll die weltweite Energienachfrage bis zum Jahr 2030 um mehr als 50% steigen, davon würden weiterhin 80% durch die fossilen Energieträger wie Öl und Gas gedeckt werden.

In St. Petersburg ging es aber auch um die Handhabung divergierender geopolitischer Interessen zwischen den USA und Russland. Das amerikanisch-russische Verhältnis befindet sich derzeit offensichtlich auf einem neuen Tiefpunkt. Einige US-amerikanische PolitikerInnen hatten sogar einen Boykott des St. Petersburger Gipfels gefordert. Beim Konflikt zwischen den USA und Russland geht es um zwei Fragen: Wer kontrolliert die globalen Energieressourcen und Transportrouten? Und wie verhält man sich gegenüber dem Iran? Russland ist einer der weltgrößten Erdöl- und Erdgasexporteure und verfügt über große noch unerschlossene Gasreserven in Zentralasien. Putin versuchte diesen geologischen Vorteil zu nutzen, um den weltpolitischen Einfluss Russlands zu vergrößern und der US-amerikanischen Hegemonie entgegen zu wirken. Insgesamt wurde in St. Petersburg um strategische Weichenstellungen gerungen, die das geopolitische Kräfteverhältnis des neuen Jahrtausend bestimmen werden.

In den meisten geopolitischen Fragen halten die europäischen G8-Staaten zu den USA. Die Furcht scheint groß zu sein, dass Russland die Stellung der Energieförderländer gegenüber den Energienachfrageländern so sehr stärken könnte, dass das neoliberale Weltenergiesystem in seinem Fundament erschüttert wird. Die EU ist noch mehr als die USA von Energieimporten abhängig und verfolgt daher das Ziel, die Energieträger zu diversifizieren. Die USA hingegen wollen ihre weltpolitische Hegemonie als doppelte "Vetomacht" in der Energie- und Klimapolitik halten und die Kontrolle über die Öl- und Gasressourcen in der Region Kaspisches Meer gewinnen. Letzteres auch, um damit die Entwicklung Chinas und Indiens direkt beeinflussen zu können.

Vergleichsweise hohe Energiepreise, weltweit steigender Verbrauch bei knapper werdenden Energieträgern, wachsende Abhängigkeiten von Energieimporten, ein großer Investitionsbedarf in den Energiesektor, politische Instabilität, der Zwang, das Klima schützen zu müssen, Naturkatastrophen und Terrorismus: mit dieser Aufzählung beginnt der "Aktionsplan für eine globale Energiesicherheit", der das neoliberale Weltenergiesystem neu justieren soll. Die Länder der G8 wollen wie bislang "einen wirksamen Marktzutritt" erhalten und zwar "zu Preisen, die den Marktbedingungen entsprechen". Durch Einflussnahme auf die "Marktbedingungen" versuchen die großen Energienachfrager den Energieförderländern die Preise zu diktieren. Zudem soll - laut Aktionsplan - in den Förder-, Transformations-, Schwellen- und Entwicklungsländern "das Investitionsklima" verbessert werden, damit die Energiekonzerne der G8-Länder dort im Zuge der Privatisierungsmaßnahmen des IWF ungestört ihren Kapitalverwertungsinteressen nachgehen können.

Die Nichtregierungsorganisation Forum Umwelt und Entwicklung schätzt, dass die G8-Länder in den nächsten 25 Jahren rund 15.000 Mrd. US-Dollar in den Energiesektor investierten werden. Dabei erwarten private InvestorInnen Renditen von 20% und mehr. Diese werden in der Energiewirtschaft in der Regel erreicht und oftmals sogar noch übertroffen. Auffallend oft wird im Aktionsplan die Transparenz des Marktes und die Bekämpfung von Korruption betont. Betrachtet man die realen Weltenergiemärkte ist das purer Zynismus. Wer verhindert denn "das Wirken der Marktkräfte" und wer korrumpiert wen? Mit den angesprochenen "Maßnahmen" wird jedenfalls die Machtasymmetrie zwischen Nord und Süd weiter verfestigt.

Umweltschutz mit Atomenergie?

Angeblich ist die Verhinderung oder Abmilderung des Treibhauseffekts eine Herzensangelegenheit der G8. Es wird im Aktionsplan mehrfach erwähnt, dass man die CO2-Emissionen senken und das Kyoto-Protokoll einhalten will, auch wenn dabei die "abweichende Haltung" der USA akzeptiert wird. In diesem Punkt klaffen jedoch Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Im Moment muss davon ausgegangen werden, dass kaum ein Industrieland seine Reduktionsverpflichtungen einhalten wird. Das Klimaschutzziel des Kyoto-Protokolls, die Reduktion der CO2-Emissionen um 5,2%, gegenüber dem Stand von 1990, wird voraussichtlich verfehlt. Dabei betrachten viele KlimaforscherInnen das Reduktionsziel des Kyoto-Protokolls als unzureichend.

Dies könnte durch eine Änderung des Energiemixes, d.h. durch einen massiven Einstieg in regenerative Energien, Energieeffizienzmaßnahmen und durch Änderungen des Lebensstiles durchaus, auch mit einem volkswirtschaftlichen Gewinn bis zum Jahr 2050 bzw. 2080, realisiert werden, wie eine Reihe von Szenarioanalysen belegen. Aber der G8-Aktionsplan zielt in eine völlig andere Richtung. Die oben erwähnten Investitionen in den Energiesektor sollen vor allem für fossile und nukleare Technologien eingesetzt werden. Die G8 fördert keine Nachhaltigkeit, sondern sie setzt den bisherige Politik mit die Zielen: quantitatives Wirtschaftswachstum und billige Energiepreise, fort.

Umweltschutz wird dabei auf die übliche Weise anvisiert: Die angeblich so sichere und umweltfreundliche Atomenergie soll als Allheilmittel gegen "Luftverschmutzung" und Klimawandel herhalten. Dazu sollen "effizientere und sicherere" Atomreaktoren entwickelt und gebaut werden. Alle Gefahren der Nutzung der Atomenergie werden negiert und selbst dabei wird, wie es das Beispiel Iran zeigt, noch mit ungleichem Maß gemessen. Offensichtlich wird die Nutzung der Atomenergie nur jenen gestattet, die zur "Wertegemeinschaft" der G8 oder wahlweise der G7 gehören. Zudem wird Atomenergie als kostengünstig dargestellt, dabei werden die staatlichen Subventionen an die Atomindustrie wohlweislich verschwiegen. Denn nur dort, wo es staatliche Privilegien gibt, kann sich die Atomenergie überhaupt halten. Die absolut zunehmende Knappheit der Uranvorräte ist auch kein Argument für die G8. Immerhin hat man der Bundesrepublik in dieser Frage ihren abweichenden Weg gestattet.

Besonders auffällig ist die Fixierung auf fossile Energieträger, insbesondere auf Öl und Gas. Um das Peak-Oil-Problem (2) weiter hinauszuschieben, setzt die G8 auf eine Gemeinsame Öldaten-Initiative (JODI), die über die Entwicklung der Ölressourcen Buch führen wird. Zudem soll die Verflüssigung von Erdgas den drohenden Energiemangel beheben. In diesem Zusammenhang könnten künftig neue geostrategische Konflikte entstehen, da die Erdgasnutzung damit ihren regional-gebundenen Charakter verlieren könnte. Dessen unbeirrt setzen die führenden Industrieländer weiter auf großtechnologische und zentralistische Energieoptionen, wie etwa die Nutzung von Gashydrat.

Wie nachhaltig ist der Energiemix der G8?

Der Abschnitt über die erneuerbaren Energien ist letztlich nur eine Aneinanderreihung von Unterstützungsbekundungen für Programme zur Förderung erneuerbarer Energien. Zusammengefasst heißt es dazu im Aktionsplan: "(We) promote wider use of renewable and alternative energy sources". Das Potenzial von Wind- und Solarenergie wird weitgehend ignoriert. Es wird lediglich eingeräumt, dass diese Energieformen langsam "wettbewerbsfähig zu konventionellen Treibstoffen werden". Grundsätzlich wird deutlich, dass der in St. Petersburg verabschiedete Aktionsplan wirkungsmächtiger sein wird, als der G8 Gleneagles "Aktionsplan Klimawandel, saubere Energie und nachhaltige Entwicklung" aus dem Jahr 2005. In diesem hat sich die G8 zu ihrer besonderen Verantwortung für den internationalen Klimaschutz bekannt. Die Auflösung des Spannungsfeldes von Nachhaltigkeit und neoliberalem Energiesystem durch eine solare Revolution könnte ein Ansatzpunkt der Gegenaktionen zum G8 in Heiligendamm sein.

Der G8-Aktionsplan versucht auch Überlegungen zur Steigerung der Energieeffizienz zu formulieren. Das ist grundsätzlich nicht neu, aber für die Umwelt durchaus positiv zu bewerten. Allerdings wurden bislang die Effizienzgewinne immer durch die Ausweitung von Produktion und Konsumtion überkompensiert. ExpertInnen sprechen in diesem Zusammenhang vom Rebound-Effekt. Bei der Energieeffizienz gibt es zwischen den G8-Ländern sehr große Unterschiede: Japan ist in diesem Bereich führend, dagegen ist die Energieeffizienz Russlands und der USA erschreckend gering. Die USA sind die größten Energieverschwender der Welt. Auch die EuropäerInnen könnten bei der Energieeffizienz noch mehr machen, übrigens ohne Komfortverlust für die VerbraucherInnen, mit einem volkswirtschaftlichen Gewinn und einer Entlastung der Energierechnungen.

Die G8 hat anscheinend auch ihr Herz für Entwicklungsländer entdeckt - und in diesem Kontext wird noch einmal auf erneuerbare Energien eingegangen. Für die "developing countries" schwebt den führenden Industrienationen vor allem der Einsatz von Methan (Biogas) vor. Die benötigten Investitionen in den Energiesektor sollen jedoch aus der Privatwirtschaft der Industrieländer kommen, indem die Energie-Multis die nahezu flächendeckende Energieversorgung übernehmen. Die Ähnlichkeit mit der Privatisierung von Wasser in den Ländern des Südens ist unverkennbar. Die Folgen davon sind hinlänglich bekannt. Diese Art der Neujustierung des neoliberalen Energiesystems wird die absoluten Grenzen der fossil-nuklearen Energienutzung noch schneller näher rücken lassen. Die neoliberale Globalisierung ist eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit.

Anton Schweiger

Anmerkungen:

1) 1976 wird Kanada aufgenommen. Seitdem spricht man von G7. 1998 kommt Russland - wenn auch nicht als vollwertiges Mitglied - hinzu.

2) Das Maximum der Ölförderung ist erreicht und Öl kann ab dem Zeitpunkt nicht mehr als unerschöpflicher Rohstoff gelten.