Eine Frage der Transparenz
Katja Kipping über das Verhältnis zu sozialen Bewegungen und die Mobilisierung nach Heiligendamm
Katja Kipping, stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei und Teil der Diskussionsplattform "Emanzipatorische Linke", ist eine von vier Abgeordneten, die sich für die Kontaktstelle zu den sozialen Bewegungen verantwortlich zeigt. Diese stellt den bisher in der Bundesrepublik erstmaligen Versuch dar, einen "Kommunikationsknotenpunkt" zwischen Partei und außerparlamentarischen Kräften zu etablieren - so das Selbstverständnis der Kontaktstelle. Mit Katja Kipping sprach ak über die notwendige Zusammenarbeit und das gleichzeitig schwierige Verhältnis zwischen Linkspartei und außerparlamentarischer Bewegung sowie die Mobilisierung nach Heiligendamm.
ak: "Wir können hier mit unseren 53 Abgeordneten im Bundestag sitzen und tam, tam, tam machen, aber das reicht nicht". Das sagte Oskar Lafontaine bei der ersten Betriebsrätekonferenz der Linkspartei. In ähnlicher Weise wird seitens der Partei immer wieder betont, dass gesellschaftliche Veränderungen die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse voraussetzt. Kann es sein, dass sich die Kräfteverhältnisse zwischen denen, die zügig regierungsfähig werden wollen und denen, die soziale Bewegungen anhören und unterstützen wollen - ich erinnere an das erste Papier für eine Wahlalternative von Ralf Krämer - im Zuge des Fusionsprozesses verschoben haben?
Katja Kipping: Oskar Lafontaine traf die Aussage vor einem anderen Hintergrund. Es ging in diesem Zusammenhang und in der Einladung darum, die Gewerkschaften für das Mittel des Generalstreiks und des politischen Streiks zu gewinnen und deutlich zu machen, dass es nicht reicht, dass es mit der Linkspartei eine starke gesellschaftliche Opposition im Parlament gibt. Das ist eine Aussage, die ich teile, die aber auch nicht neu ist. Zum Beispiel kann eine Landesregierung recht wenig erreichen, wenn es nicht gelingt, gesellschaftliche Hegemonien für Projekte zu gewinnen. Die Abhängigkeit ist aber eine beidseitige. Allein der Protest auf der Straße bringt auch nicht viel. Es bedarf eines Transmissionsriemens auf die gesetzgebende Ebene.
Ich fände es jedoch falsch, wenn sich die neue Linke bei den außerparlamentarischen Bewegungen ausschließlich auf die Gewerkschaften konzentriert. Es gibt sehr viele und unterschiedliche außerparlamentarische Bewegungen und Initiativen: Von Studierendenprotesten über kleine Inseln solidarischer Ökonomie bis hin zur Erwerbslosenbewegung. Und die Linke wäre falsch beraten, wenn sie sich nur die Gewerkschaften als Partner heraussuchen würde. Wir sollten die Bewegungen, so weit sie linke Ziele verfolgen, in ihrer gesamten Breite unterstützen und mit ihnen zusammenarbeiten.
Gibt es denn bestimmte Kriterien für die Unterstützung? Sind es politische Kriterien oder stützt man sich auf die stärksten Teile der Bewegungen?
Ich würde nicht dafür plädieren, eine Top-5-Liste festzulegen. Soziale Bewegungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nach gewissen Zyklen verlaufen. Unsere Aufgabe ist es nun, dass wir, wo die Bewegungen gegen etwas Berechtigtes eintreten - z.B. drohende Studiengebühren oder die Hartz-Gesetze -, diese in ihren Kämpfen unterstützten. Eine linke Partei darf sich nicht danach richten, wo möglicherweise die meisten WählerInnen winken. Des Weitern gilt: Neben der Tatsache, dass wir als Partei bei Wahlen antreten, haben wir natürlich die Aufgabe, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern, und hier wäre eher die inhaltliche Ausrichtung ein Kriterium für Unterstützung von und Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Kräfte.
Kann man behaupten, dass es kaum ein Problembewusstsein dafür gibt, dass soziale Bewegungen und Parteien nicht einfach am gleichen Strang ziehen, sondern eben unterschiedliche Formen der Interessensvertretung und andere Formen der Organisierung darstellen, die sich nicht konfliktfrei einfach zu einer gesellschaftlichen Kraft der Veränderung addieren lassen?
Ich stelle fest, dass es in den verschiedensten Diskussionsrunden und Strategiebesprechungen, an denen ich in der letzten Zeit beteiligt war, sehr stark thematisiert wurde. Es wurde festgestellt, dass es einen strukturellen Unterschied zwischen einer linken Partei auf der einen und sozialen Bewegungen auf der anderen Seite gibt. Eine Partei ist schlecht beraten, wenn sie versucht, eine Bewegung zu imitieren. Was verdeutlicht werden muss, ist, dass eine Partei ganz andere Aufgaben hat: Erstens sind Parteien auf Wahlen und Mitwirkung in Parlamenten angelegt. Zweitens kämpft eine Partei im Gegensatz zu Bewegungen, die ja eher zyklisch verlaufen, längerfristig für eine ganz bestimmte Weltanschauung und politische Werte - und das ganz unabhängig davon, was politisch en vogue ist oder was gerade im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht. Ich plädiere in der Partei dafür, dass es unsere Aufgabe sein müsste, so weit es übereinstimmende Interessen gibt, mit außerparlamentarischen Kräften zusammen zu arbeiten und diese zu unterstützen, aber sehr wohl zu wissen, dass wir eine andere Aufgabe haben.
Du hast es selbst angedeutet: Bewegungen brechen immer wieder ab, desorganisieren sich und beginnen wieder bei Null. Kann die Linkspartei eine stabilisierende Rolle innerhalb der zyklischen Bewegung sozialer Bewegungen spielen?
In meinem kürzlich verfassten Text "Die Kunst des nachhaltigen Protestierens" (1) argumentiere ich, dass die wahre Kunst darin besteht, mit der Phase umzugehen, wo die TeilnehmerInnenzahlen an Protesten wieder zurückgehen. Das ist eine Phase, wo man Sorge tragen muss, dass diejenigen, die aktiviert und mobilisiert wurden, sich nicht in völliger Frustration wieder verabschieden und die innere politische Immigration suchen. Dabei sind längerfristige Strukturen sicherlich hilfreich und die Linkspartei kann sicherlich eine davon sein. Ich würde mich jedoch dagegen wehren, dass die Partei in dieser Frage einen Alleinvertretungsanspruch formuliert.
Über die Montagsdemonstrationen habe ich mich zum Beispiel sehr gefreut und diese versucht so weit wie möglich darin zu unterstützen, dass sich zumindest der aktive Kern nach den Demos weiterhin bei Erwerbslosencafés oder Ähnlichem trifft. Das ist eine von vielen Möglichkeiten, Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen. Neben der Linkspartei können aber auch Gewerkschaften oder Erwerbslosenverbände als längerfristige Strukturen ein kontinuierliches Engagement ermöglichen.
Ist die Linkspartei im Vergleich zu anderen europäischen Linksparteien in ihrem Verhältnis zu den sozialen Bewegungen im Rückstand?
Ich hoffe, dass wir mit den G8-Protesten in Heiligendamm im kommenden Jahr beweisen, dass wir nicht hinterherhinken. Was die parteiinterne Mobilisierung angeht, bin ich zurzeit ganz guter Dinge. Deine allgemeine Ausgangsthese, dass die Linkspartei in der Frage hinterherhinken würde, kann ich so nicht teilen. Was ich eher sehe ist, dass die Zusammenarbeit in der Vergangenheit eher dadurch belastet war, dass es einerseits den Anspruch gab, dass eine linke Partei in der Frage der Unterstützung außerparlamentarischer Aktivitäten sehr viel machen soll.
Andererseits wird aus einer allgemeinen Parteiskepsis heraus nicht gewollt, dass die Linkspartei in Bündnissen kenntlich in Erscheinung tritt. Das finde ich eine sehr schwierige Grundlage für eine gute Zusammenarbeit. Natürlich dürfen Parteien niemals ein Bündnis dominieren. Gleichzeitig ist es aber für ein faires Bündnis auf Augenhöhe notwendig, dass Mitglieder einer Partei offen mit ihrer Teilnahme an Bündnissen umgehen können. Das ist vor allem eine Frage der Transparenz. Es gibt ja das Phänomen, dass z.B. auf den Sozialforen bis zu Zweidrittel der Diskutierenden Parteifunktionäre sind, dass diese aber auf Grund des dort herrschenden Parteienverbots mit einer anderen Identität auftreten. Das ist sicherlich weder im Sinne der Parteienkritik und auch nicht im Sinne der Transparenz.
Ist zur Zeit ein gutes Zeitfenster für die Öffnung der Partei hin zu sozialen Bewegungen? Selbst bei den Gewerkschaften kann man eine zaghafte Öffnung zu anderen sozialen Bewegungen feststellen. Dass Annelie Buntenbach als attac-Mitglied und Grüne nun DGB-Bundesvorstandsmitglied ist, würde ich so interpretieren.
Ja, ich denke, dass es zur Zeit ein gutes Zeitfenster gibt - gerade auch um Bündnisse entstehen zu lassen, die eine breite Basis haben. Die Proteste gegen den G8 bieten ja die Möglichkeit, dass Bündnisse entstehen, die von der radikalen Linken über Gewerkschaften, Linkspartei und WASG bis hin zu Umweltgruppen und kirchlichen Initiativen reichen. Das Entscheidende ist, dass man in diesen Bündnissen jetzt so fair miteinander umgeht, dass es auch noch nach Heiligendamm die Lust dazu gibt, miteinander zu tun zu haben. Die G8-Proteste sind also eine gute Möglichkeit, sich zu öffnen. Zum anderen sehe ich auch beim DGB einen Silberstreifen. Ich musste aber auch feststellen, dass man sich beim letzten Gewerkschaftstag dagegen entschieden hat, den Status von RentnerInnen und Erwerbslosen in der Gewerkschaft zu verbessern. Das werte ich eindeutig als einen Schritt zurück.
Welche Rolle kann bei diesem Problemkomplex die Kontaktstelle zu den sozialen Bewegungen spielen?
Wir haben die Kontaktstelle eingerichtet, um institutionell abzusichern, dass die Aktivitäten im Parlament und in außerparlamentarischen Bündnissen nicht in Parallelwelten vonstatten gehen. Wir versuchen, gute Anregungen aus Initiativen aufzugreifen und ins Parlament einzubringen. So versuchen wir gerade durchzusetzen, dass die Bundesregierung Farbe bekennt, d.h. welche Position sie bei den G8-Verhandlungen einnehmen wird. Nicht, um das ganze Procedere zu legitimieren, sondern um deutlich zu machen, dass sie nicht einfach alles in Hinterzimmern abklären kann. Wir zwingen sie vorher zu einer öffentlichen Positionierung.
Es geht aber immer auch darum, den Informationsfluss anders herum zu garantieren. Wenn wir etwas im Parlament mitbekommen, zum Beispiel dass Gelder für politische Projekte gekürzt werden sollen, dann versuchen wir, diese Info möglichst schnell an VertreterInnen der Zivilgesellschaft weiterzuleiten. Das ist die eine Aufgabe. Die zweite Aufgabe besteht darin, uns in Initiativen und Protestbündnisse einzubringen. Wir haben natürlich kein Mandat. Wir sind ja nicht von den sozialen Bewegungen als Kontaktstelle gewählt. Wichtig ist aber, und das haben unsere MitstreiterInnen auch verinnerlicht, dass egal in welchen Zusammenhängen man sich bewegt, immer auch für die Sicht der anderen geworben werden muss.
Des Weiteren geht es auch darum, gezielt Diskussionsräume zu öffnen, indem man sich neben dem alltäglichen parlamentarischen Kleinklein für bestimmte Auseinandersetzungen sensibilisiert. Zum Beispiel haben wir einen Stammtisch ins Leben gerufen, wo wir den Organizing-Ansatz der Gewerkschaften diskutiert haben. In diesem Rahmen haben wir uns intern auch darüber verständigt, wie sich die Zusammensetzung von sozialen Bewegungen verändert und haben gezielt VertreterInnen von Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen eingeladen.
Die Kontaktstelle war und ist ja ein Experiment. Bisher hat es so was noch nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr froh, dass wir uns durchgesetzt und die Kontaktstelle eingerichtet haben.
Interview: Ingo Stützle
Anmerkung:
1) Der Text "Die Kunst des nachhaltigen Protestierens" ist zu finden in dem von Christine Buchholz und Katja Kipping herausgegebenen Buch "G8: Gipfel der Ungerechtigkeit" und als Leseprobe auf der Website des VSA-Verlags.