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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 512 / 15.12.2006

Haus mit 500 Steinewerfern zu verkaufen

Der Kampf um das Ungdomshus in Kopenhagen geht weiter

Seit 1981 besteht das Ungdomshus - das Jugendhaus im Kopenhagener Szenestadtteil Nørrebro. Und seit den Hochzeiten der "BZer", der Hausbesetzerbewegung der 1980er Jahre ist es ein aktives soziales Zentrum geblieben, wichtig für zahllose linke und radikale Projekte, aber auch ein Ort für Konzerte und Kultur. Die Politik der dänischen Rechtsregierung, soziale und politische Projekte der Linken unter der Parole der "Normalisierung" umfassend anzugreifen, trifft heute sowohl Christiania als auch das Ungdomshus. Ende 2006 steht die Räumung unmittelbar bevor - aber die NutzerInnen des Hauses kämpfen mit aller Kraft und Fantasie dagegen.

Hintergrund des Konfliktes ist, dass die damals wie heute sozialdemokratisch geführte Stadtregierung 1999 einen Nutzungsvertrag mit dem Ungdomshus ("Jugendhaus") aufkündigte und das Haus - ein bereits 1897 erbautes altes Kulturzentrum der dänischen Arbeiterbewegung - zum Verkauf freigab. Nach einigem Hin und Her erstand das Gebäude eine Aktiengesellschaft, die sich als Strohfirma einer rechtsradikalen christlichen Sekte entpuppte: Das Faderhus ("Vaterhaus") hatte sich die Reinigung des "Sündenpfuhls" Nørrebro vorgenommen und rückt seitdem nicht mehr von diesem Ziel ab. 2001, als der Verkauf rechtskräftig wurde, besetzten Mitglieder der Sekte das Ungdomshus, wurden aber postwendend von AktivistInnen wieder hinaus geworfen. Davor und danach veranstaltete die nur ein paar Duzend Mitglieder zählende Sekte auf Nørrebro Missionsveranstaltungen, die aber in der Bevölkerung nicht gut ankamen. Die Nähe von "Faderhuset" zu rechtsradikalen Klerikalen, die das migrantisch geprägte Innenstadtviertel Kopenhagens "von den Moslems befreien" wollen, ist bekannt.

Aber der Ankauf des Ungdomshus hat wohl nicht nur missionarische Gründe: Tatsächlich ist Nørrebro auch ein Boomstadtteil in einer Stadt, in der die Grundstückspreise ohnehin exorbitant steigen. Die im Jahre 2000 gezahlten 2,6 Millionen Kronen (etwas mehr als 350.000 Euro) sind vor diesem Hintergrund ein Spottpreis. Wie gewinnträchtig das Vorhaben ist, lässt sich auch daran sehen, dass die Sekte das Angebot eines links-liberalen Fonds, das Ungdomshus für neun Millionen Kronen zu erstehen, rundweg ablehnte. Die Erklärungen des Faderhus, das Gebäude "dem Erdboden gleich" machen zu wollen, passen zwar gut zu früheren Reden der Rechtspopulisten im Kopenhagener Stadtparlament, bedeuten aber keineswegs, dass beim Kauf des Gebäudes nur Irrationalität im Spiel war.

Räumung wegen Weihnachtsgeschäft vertagt

Wenn schon das Gebäude und das Grundstück unbezahlbar geworden ist, so soll - wenn es nach den AktivistInnen des Ungdomshus geht - wenigstens der politische Preis für eine eventuelle Räumung in die Höhe getrieben werden. Schon als die sozialdemokratische Stadtregierung 1999 beschlossen hatte, den Vertrag mit dem sozialen Zentrum zu kündigen, machten die NutzerInnen von "Ung'eren", inspiriert von der Berichterstattung der Boulevardpresse, ein Plakat mit der Aufschrift "Zu verkaufen mitsamt 500 autonomen Steinewerfern und Gewaltpsychopaten". Tatsächlich hält sich die Militanz der autonomen Szene in Kopenhagen allerdings in Grenzen. Mitte des Jahres haben die Gerichte die endgültige Räumung des Hauses zum 14. Dezember beschlossen. Seitdem geht die Eskalation des Konfliktes eindeutig von der Polizei aus, die auf die vielen Solidarisierungsdemos für das Ungdomshuset zunehmend genervt reagiert. Für den 26. September war eine Demonstration angemeldet, die die Verbundenheit zwischen Ungdomshus und der ebenfalls bedrohten "Freistadt" Christiania zeigen sollte und bereits einige hundert Meter nach ihrem Beginn von der Polizei aufgehalten wurde. Kleinere Rangeleien führten dazu, dass über 260 überwiegend sehr junge Menschen verhaftet und teilweise stundenlang in Polizeigewahrsam genommen wurden. Die Eltern und Nachbarn protestierten gegen Misshandlungen.

Am 26. November flimmerten dann Bilder von PolizistInnen, die anlässlich eines kleinen Protest-Happenings vor der Zentrale des "Vaterhaus" auf sitzende Jugendliche einprügeln, in den dänischen Wohnzimmern. Der erneute Übergriff fand nur wenige Tage, nachdem sich die Polizeiführung offiziell für die Vorfälle des Septembers entschuldigt hatte, statt. Diesmal griff nicht nur die linke Opposition den Einsatz an, sondern auch Amnesty International.

Am 30. November stellte dann die Polizeiführung (!) beim zuständigen Gericht einen Antrag, die Räumung des Gebäudes vorerst auszusetzen. Die AktivistInnen sind mit diesem Beschluss allerdings nur teilweise zufrieden. So hatte man in der Öffentlichkeit die Besetzung und Verbarrikadierung des Hauses sowie massiven Widerstand gegen eine Räumung angekündigt, und die Vermutung liegt nahe, dass die Polizei vor allem darauf aus ist, die NutzerInnen des Hauses mürbe zu machen. Ein weiterer Grund für die Verschiebung dürfte das Interesse an einem ungestörten Weihnachtsgeschäft sein, das durch eine Räumung sicherlich nicht ganz unbeeinträchtigt bleiben würde. Zugleich bedeutet die Aussetzung der Räumung - die Rede ist im Moment davon, dass sie nicht mehr 2006 stattfinden soll - keineswegs, dass die politischen Parteien tatsächlich nach Alternativen suchen würden.

Die AktivistInnen des Ungdomshus haben seit Monaten ihre Bereitschaft erkennen lassen, notfalls auf ein Angebot einzugehen, in ein anderes Haus im Stadtteil zu ziehen. Vor allem die in Kopenhagen immer noch dominanten Sozialdemokraten (im Gegensatz zu dem von der Rechten regierten Dänemark) verhalten sich nicht zu diesem Angebot: Bis heute wird von "Alternativen" nur geredet, ein konkretes Angebot liegt nicht vor. Auch insgesamt ist im Kopenhagener Stadtparlament die Unterstützung für "Ung'eren" halbherzig. während Sozialdemokraten, Linksliberale und leider auch die Sozialistische Volkspartei eher eine "vermittelnde" Position einnehmen wollen, diese aber zugleich nicht füllen können. Lediglich die linksradikale Einheitsliste, die im Viertel eine ihrer Hochburgen mit bis zu 30% der Stimmen bei Parlamentswahlen hat, stellt sich eindeutig auf die Seite des Ungdomshus.

Immerhin ist den Jugendlichen die Unterstützung im Stadtteil gewiss: Elterngruppen, NachbarInnen, Kulturvereinigungen, migrantische Gruppen und viele tausend BürgerInnen des Viertels haben sich gegen die Räumung ausgesprochen. In der Stadt hat sich die Jugend der Dienstleistungsgewerkschaft 3F und im Anschluss sogar die Kopenhagener Abteilung des Dachverbandes der dänischen Gewerkschaften für einen Erhalt des Hauses engagiert. Damit zeigt sich erneut ein Bündnis, das sich schon bei den großen Sozialprotesten des Frühjahrs und Spätsommers konstituiert hatte. Für den 14. Dezember, dem Tag der bis vor kurzem drohenden Räumung, haben all diese Gruppen zu einer Demonstration aufgerufen unter dem Motto "Hvad de end si'r, Ungdomshuset blir!" (Was sie auch reden, das Ungedomshus bleibt) ...

Peter Birke

Aktuelle Infos und Solidaritätserklärungen unter: www.ungdomshuset.info und www.proungdomshuset.dk