G8-Infotour in Israel und Palästina
Eindrücke einer Reise
Der G8-Gipfel steht vor der Tür, und täglich vermeldet die Presse Neuigkeiten zum Konflikt in Israel/Palästina. Wie aber passt das zusammen? Die G8- Infotour jedenfalls war im Dezember in Israel/Palästina und hat dort die G8 vorgestellt und vom Stand der Mobilisierung berichtet. Der ak dokumentiert den Reisebericht, weil er erstens einen Einblick in die internationale Dimension der Mobilisierung, zweitens einen Einblick in die Situation vor Ort gibt, indem darin unterschiedliche linke Initiativen in Israel/Palästina und ihre spezifische Bedingungen ihrer Aktivitäten vorgestellt werden. Der persönlich gehaltene Reisebericht gewährt drittens, ohne den Anspruch auf tiefgründige Analyse zu formulieren, einen subjektiven Einblick von unten, der Anlass und Gelegenheit bieten könnte, das Thema Israel/Palästina auch anders zu diskutieren, als in der deutschen Linken sonst üblich.
Die Tour wurde organisiert von AktivistInnen aus dem anarchistischen, kommunistischen und queeren Teil der israelischen radikalen Linken. Auch die Treffen in Palästina hatten sie arrangiert. In der Westbank trafen wir überwiegend RepräsentantInnen palästinensischer Behörden und NGOs. Wir trafen auch "Internationals", die sich für unterschiedliche NGOs dokumentativ oder direkt unterstützend einmischen. Überhaupt waren alle Gruppen und Einzelpersonen, die wir trafen mit ihrer politischen Arbeit an diesem Konflikt ausgerichtet. Ganz wichtig ist derzeit der Zaun bzw. vielerorts die Mauer. An vielen Orten geht diese Mauer mitten durch palästinensisches Gemeindeland und trennt die Bauern von ihrem Land. Die Zustände unter der israelischen Besatzung wurden von allen - ob InstitutionenvertreterInnen oder Einzelpersonen - als unzumutbar beklagt: Das Alltagsleben ist massiv beeinträchtigt, was Mobilität angeht, Arbeit, Militarisierung der Gesellschaft, Ernährung, Wasser, Umweltverschmutzung, Kanalisation, Gesundheitsversorgung usw.
Die ursprüngliche Idee, eine Infotour in Israel und Palästina zu machen, entstand aus dem Bedürfnis, Gruppen kennen zu lernen, die ihre Aktivitäten mit der G8- Mobilisierung "verlinken" würden. Außerdem wollten wir uns umschauen, ob es in der radikalen Linken Gruppen mit interessanten Positionen oder Vorschlägen zum Konflikt gäbe. Wir fanden dies wichtig, weil wir sehen, dass viele internationalistische Gruppen aus allen möglichen Ländern in der G8-Mobilisierung ihr Augenmerk auf Krieg und Besatzung in Nahost legen - ohne dass daran Gruppen oder einzelne beteiligt wären, die in der Region selbst leben und politisch aktiv sind. Es finden vermeintliche politische Streitigkeiten statt, die uns irritieren, weil sie - so völlig losgelöst von der aktuellen Situation und der Erfahrung von Menschen aus dem Konflikt selbst - immer wieder nach den selben identitären Mustern ablaufen.
Veganismus, Rebel Clowns Army und Gummigeschosse
In den Infotour-Workshops versuchten wir uns auf die geplanten drei G8-Aktionstage zu konzentrieren: Globale Landwirtschaft, Migration und Rechte für alle und Antimilitarismus. Uns war klar, dass es nicht in erster Linie um Mobilisierung nach Heiligendamm gehen kann, sondern einerseits um lokale Verbindungen zu den Themen der Aktionstage und andererseits nochmals um den Einstieg in eine etwas grundsätzlichere Kritik der kapitalistischen Globalisierung und ihrer Institutionen. Sehr wenige haben überhaupt die Mittel und Möglichkeiten zu reisen. Kaum jemand aus den besetzten Gebieten kann sich teure Reise und Visa leisten - von den besatzungsbedingten Reiseeinschränkungen bei Aus- und Wiedereinreise über die von den Israelis kontrollierten Übergänge ganz zu schweigen. Schließlich haben viele verständlicherweise andere Prioritäten, was die Orientierung ihrer Kämpfe angeht. Aber auch das ganz klassische Infotour-Programm war gefragt: Schon vor der Abreise wussten wir von etwa 20 Israelis, die bereits entschlossen sind, im Sommer nach Heiligendamm reisen zu wollen.
Tel Aviv: Die Präsentation fand im Salon Mazal statt, einem anarchistischen Infoladen mit veganer Bar. (1) 35 Leute waren gekommen. In Tel Aviv, der liberalsten der größeren Städte Israels, ist die Politszene recht vielseitig. Auffällig für uns: Veganismus und Tierrechte sind innerhalb der israelischen radikalen Linken sehr präsent. Eine Gruppe von FotografInnen namens Activestills erzählte uns, dass sie sich bereits für den Besuch beim G8-Gipfel entschieden hätten. Activestills fotografieren die verschiedensten Formen des Protests gegen die Mauer und warten dabei mit einer neuen Ästhetik zur Bebilderung des palästinensischen Widerstands auf. (2) Hier fiel der Hinweis, dass am 5. Juni in Israel und Palästina sowieso antimilitärische Aktionen und Demonstrationen stattfinden werden. Der 5. Juni 1967 war der erste Tag des 6-Tage- Krieges - am 5. Juni 2007 jährt sich die Militärbesatzung von Gaza und Westbank also zum 40sten Mal. Vielleicht wird sich die eine oder andere Protestveranstaltung auch in den Kontext des G8-Aktionstages an diesem Datum stellen.
Am 2. Dezember gingen wir zur Demo gegen die Besatzung und den "Krieg in Gaza", veranstaltet von der Women's Coalition. (3) Vor einem McDonald's gab eine kleine Auseinandersetzung. Ein Aktivist wurde von der Polizei mitgenommen. Am folgenden Wochenende fand eine Demo gegen die "Business-Convention" statt, ein informelles Treffen der wirtschaftlichen und politischen Elite des Landes, denen es um eine Fortsetzung des neoliberalen Programms in Israel geht. Aufgerufen hatten SozialistInnen, gekommen waren insgesamt gut 500 Menschen. Ziemlich traurig war die Aktion von drei Rebel Clowns, die sich einer Polizeikette näherten und sofort verhaftet wurden. (4) Mit einem kurzen Redebeitrag luden wir dazu ein, auch den Kapitalismus in seiner globalisierten Form zu bekämpfen - z.B. nächstes Jahr beim G8. Das führte zu einer spontanen Einladung zu einem weiteren Veranstaltungstermin in Lod. Am Ende der Demo gab es die Internationale im Chor - und die israelische Nationalhymne. Die sozialistischen Jugendverbände sangen, AnarchistInnen und KommunistInnen blickten betreten bis wütend in die Gegend.
Jerusalem: Unser Workshop in Jerusalem fand im Daila Infoshop statt, in direkter Nachbarschaft des Alternative Information Center. (5) Ein Schwerpunkt in der Diskussion mit etwa 20 Leuten bildete die Idee der Rebel Clowns Army und der Samba Band. Einerseits fanden die AktivistInnen diese Protestformen sehr interessant, andererseits stritten sie darüber, ob es moralisch vertretbar sei, spaßbetont zu demonstrieren, während die, die in den besetzten Gebieten gegen die Besatzung kämpfen, damit fast jeden Tag ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren. Sehr gut kam der "Pink Point" an, eine Aktion auf dem Bombodrom, bei der ein Militärkontrollturm pink angemalt wurde. Es kam zu einer lebhaften Diskussion, was am 5. Juni in Tel Aviv pink angemalt werden könnte. Zudem gab es großes Interesse an den Hartz-Regelungen in Deutschland. Die israelische Regierung plant nämlich ein ganz ähnliches Programm mit Arbeitszwang für Arbeitslose.
Westjordanland (Westbank): In Beit Sahour trafen wir im zweiten Büro des AIC mit unserer einzigen Infotour-Veranstaltung in den besetzten Gebieten hauptsächlich auf Internationals - und einige wenige aus Palästina. Auch hier gab es Aufsehen und Diskussion anlässlich der Clowns: Viele hielten es für eine gute Form, um mit konfrontativen Situationen umzugehen bis hin zu solchen, in denen auch geschossen wird. Allerdings, so die Einwände, stehe einem in den besetzten Gebieten Militär und nicht Polizei gegenüber. Die Einschätzung war: Die Armee schießt genauso auf Clowns wie auf alle anderen auch. (6) Dann ging es um Militanz. Nach einem Film über die Proteste in Prag wurde die Frage aufgeworfen, wie die Spaltung der Bewegung sich in dem Moment vermeiden lässt, wenn es zu Sachbeschädigungen, direkten Aktionen und Sabotage kommt. Spaltungsversuche gäbe es so oder so: Sobald es nennenswerte antikapitalistische Kräfte in der Bewegung gibt - auch wenn diese sich ganz friedlich auf einem Alternativ-Gipfel artikulieren. Weitere mögliche Verbindungspunkte zwischen den Aktionstagen und den palästinensischen Alltagskämpfen könnten die Wasserfrage sein, Landwirtschaft und Bodenverteilung bzw. Landzugang sowie die Besatzungssituation als Fluchtursache.
Die drei Tage in und um Ramallah und in Jenin waren zu kurz, um sich ausführlich mit AktivistInnen aus Basisbewegungen, mit anarchistischen oder kommunistischen Gruppen zu treffen. Unter israelischer Besatzung ist alle Aktivität auf die Opposition und den Widerstand gegen diese ausgerichtet. Die eigenen Kämpfe werden in den Globalisierungszusammenhang gestellt, um möglichst weltweit Unterstützung zu mobilisieren. Globalisierung gerät weniger als Erklärungszusammenhang ins Blickfeld, und - verständlicherweise - schon gar nicht als Ansatzpunkt für den eigenen Widerstand.
Ein Konlikt und identitäre Muster des politischen Streits
Alle Leute, die wir in Palästina trafen, waren mehr oder weniger daran interessiert, dass wir nicht mit "pro-zionistischen" Organisationen zusammenarbeiten. Es ging ihnen dabei um die Siedlungspolitik und um die enorme Zahl israelischer Siedlungen, die bis zum heutigen Tag ausgebaut werden. Sie befürchten, dass der Status Quo der Zersiedelung des palästinensischen Gebietes weiter befestigt wird.
"Pro-zionistische" Teile der israelischen Friedensbewegung schlagen diese Option tatsächlich vor. Damit wäre aber eine Fortschreibung vieler Probleme verbunden: Die Siedlungen kontrollieren den Großteil der unterirdischen Wasserreserven im Westjordanland. An vielen Stellen lassen sie ihr Schmutzwasser ins Palästinensergebiet abfließen. Die Schnellstraßenverbindung zwischen Siedlungen in der Westbank und Tel Aviv ist exklusiv für Israelis, während die Straßen, die auch die Palästinenser benutzen dürfen, in schlechtem Zustand sind und von Sperren und Checkpoints unterbrochen werden. Vielerorts wird Agrarland durch die Mauer, durch Zäune oder durch Straßenverläufe so von den Dörfern getrennt, dass eine Bewirtschaftung schwierig bis unmöglich wird. Nach israelischem Recht fällt das Gelände dann an den israelischen Staat.
Wir trafen den Repräsentanten des Dachverbandes der Dorf-Komitees gegen die Mauer (7), der wenige Wochen zuvor bei PaxChristi in Rostock zu Besuch war, und einige Vertreter palästinensischer Behörden, alle Fatah-Angehörige. Dabei erwiesen sich die G8-Gipfel und die Protest-Mobilisierungen dagegen als gute Ausgangspunkte für ganz unterschiedliche Diskussionen. Einige verliefen eher offiziös, andere dagegen waren von einer offenen und anregenden Diskussionsatmosphäre geprägt. Wir wiesen darauf hin, dass in Europa auch viele radikale Linke ihre Solidarität Mitte der 1990er aufkündigten, als die militante Strategie auf Wellen von Selbstmordattentaten setzte. Wir wandten uns auch gegen Kritik, die sich überwiegend gegen die USA richtet und die Machtpolitik anderer - speziell der G8-Regierungen - übersieht. Damit werde der Netzwerkcharakter des postmodernen kapitalistischen Systems und seiner Herrschaftsweise völlig übersehen. Wir argumentierten, Kapitalismus sei das Problem, unangenehme Repräsentanten gehören zu dessen Symptomen.
PalästinenserInnen erklärten, dass alle relevanten Organisationen einen Waffenstillstand angeboten haben, um mit Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung anzufangen. Sie wiesen darauf hin, dass seit beinahe zwei Jahren kein großes Selbstmordattentat mehr stattgefunden hat (was die israelische Regierung mit der Mauer erklärt). (8) Ein Riesenproblem sei nach wie vor der rapide Ausbau der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten. Als wir das Camp Jenin an der Stelle des Massakers von 2002 besuchten, stieß zufällig einer der führenden Kämpfer des Islamischen Dschihad zu unserer Gruppe. Es kam zu einer kurzen Diskussion über die Ziele des bewaffneten Kampfes und den Zweck der Selbstmordattentate. Er argumentierte, alle Israelis gingen zur Armee, also seien alle als militärisches Ziel zu erachten. Diese Meinung teilten die uns begleitenden PalästinenserInnen nicht.
Sechs-Tage-Krieg jährt sich am Aktionstag gegen Krieg
Bil'in: Bil'in ist ein kleines Dorf, von welchem ein Teil seiner Ländereien durch den sog. Sicherheitszaun abgetrennt wurde. (9) Seit 2005 gibt es in Bil'in einen gewaltfreien Kampf gegen den Zaun, der sich am sichtbarsten in den wöchentlichen Demos manifestiert: Jeden Freitag versuchen die DorfbewohnerInnen, gemeinsam mit Israelis und internationalen UnterstützerInnen (je nach Mobilisierung 70 bis 1.000 Menschen), zu ihren Ländereien auf die andere Seite des Zauns zu kommen. Die israelische Armee verschießt jedes Mal Gummigeschosse, mit und ohne Stahlkern und experimentiert mit allen möglichen Sorten von Aufstandsbekämpfungs-Chemikalien - sie bemüht sich dabei, nur PalästinenserInnen zu treffen, egal welchen Alters und Geschlechts. Dabei kam und kommt es immer wieder zu ernsthaften Verletzungen, wenn die israelischen SoldatInnen aus nächster Nähe abdrücken oder auf Köpfe zielen.
Marda: Das Dörfchen Marda liegt mitten im nördlichen Teil der Westbank. Es gehört zum Einzugsbereich der Stadt Salfit, ist aber von der Stadt und dem Rest der West Bank durch Ariel, eine über eine Hügelkette hingezogene israelische Siedlung und den Checkpoint Za'atara abgetrennt. Anlass unseres Besuches war ein gemeinsamer Arbeitseinsatz auf einer Permakultur. Wir schichteten Steine für eine Stützmauer um ein zu terassierendes Feld. Das Land gehört einer palästinensischen Familie; etwa fünfzehn Israelis waren gekommen, um zu helfen. Einige Wochen zuvor hatte es einen Permakultur-Workshop gegeben, zu dem mehr als 40 Frauen aus dem Dorf gekommen waren. Ziel des Workshops war es, das Konzept Permakultur bekannter zu machen, da es eine hervorragende Möglichkeit bietet, landwirtschaftliche Produktion in Richtung nachhaltiger und umfassender Selbstversorgung umzustrukturieren. Es gelang auch, traditionelles Wissen der lokalen Bauernschaft zu reaktivieren, mit dem die Diversität und Reichhaltigkeit der Ernten durch geschickte Einbeziehung der spezifischen Bedingungen vor Ort gesteigert werden kann. Für uns war dieses Projekt ein perfektes Beispiel einer gewaltfreien und sogar nicht-konfrontativen Unterminierung der offiziellen israelischen Politik der Trennung ("disengagement") - im Effekt eine Politik der Erdrosselung - des Alltagslebens in den besetzten palästinensischen Gebieten.
Beer Sheva: Die Stadt liegt im Süden Israels, in der Wüste Negev. 20 Leute kamen zum Workshop - mehr als die lokalen Organisatoren erwartet hatten. Für die meisten waren Globalisierung und G8 Neuland. Wir fanden einen guten Einstieg mit dem "Refugee Chair Game", einem Spiel aus der antirassistischen politischen Bildungsarbeit. (10) In der Diskussion nahmen einige an unseren Positionen zu direkten Aktionen Anstoß. Sie verurteilten das Fällen von Bäumen für Barrikadezwecke als Gewalt. So werde Polizei und Militär mit denselben verurteilungswürdigen Mitteln bekämpft, nämlich Gewalt. Nach der Veranstaltung wurde uns erklärt, dass diese Diskussion um die Grenzen von zivilem Ungehorsam vielleicht damit zu erklären sei, dass einige der Anwesenden als Militärs bei der Räumung von israelischen Siedlungen in Gaza einige Monate zuvor beteiligt waren und ihnen dort von militanten Siedlern heftiger und in ihrer Wahrnehmung illegitimer Widerstand entgegen geschlagen war. Untereinander diskutierten sie, ob es legitim sei durch die Proteste Sicherheitskosten zu steigern, die wiederum über die Steuern von der lokalen Bevölkerung zu tragen seien. Sie schlugen Steuerstreiks vor, in denen die Zahlung von Polizeikosten verweigert wird.
Haifa: Der Workshop in der alten Hafenstadt im Norden Israels fand in den Räumlichkeiten der Kommunistischen Partei (CPI) statt. (11) Es gab ein großes Interesse an anti-imperialistischer Organisierung in Deutschland, wie sie das "Revolutionäre Bündnis" im Hinblick auf den G8-Gipfel betreibt. (12) Die CPI sieht den israelisch-palästinensischen Konflikt mit einer klassenbewussten Perspektive: Die israelische Regierung plane die "Lösung" des Konflikts durch Kommerzialisierung und Privatisierung und durch die Gründung einer Freihandelszone, wie z.B. Peres' "New Middle East". Erste Schritte in diese Richtung stellen kleinere "Joint Ventures" an der Grünen Linie zwischen Israel und der Westbank dar. Tatsächlich bedeutet dies: Die Firmen gehören Israelis, Palästinenser arbeiten dort für Niedrigstlöhne und müssen zunehmend mit ArbeitsmigrantInnen, hauptsächlich aus Südostasien, konkurrieren. Daher unterstützt die CPI eine Zwei-Staaten-Lösung. Nicht weil sie das für die beste Lösung hält - aber weil es das kleinere Übel sei, wenn palästinensische ArbeiterInnen nicht mehr von der israelischen, sondern der palästinensischen Bourgeoisie ausgebeutet werden. Die CPI betreibt gemeinsame Projekte mit der kommunistischen Partei in Palästina (Peoples Party). Dann gab es (zwischen den Anwesenden mit christlichem, muslimischem, drusischem und jüdischem Hintergrund) eine interessante Diskussion über Religion. Zehn Prozent der PalästinenserInnen mit israelischem Pass sind ChristInnen. Die Hälfte von ihnen lebt in Haifa. Im arabischen Teil der Stadt war Weihnachtsdeko auch nicht zu übersehen.
Anknüpfungspunkt Landwirtschaft
Sederot: Die kleine, eher arme Stadt liegt in nächster Nähe zum Gaza-Streifen. Sie wurde 2006 heftig mit Kassam-Raketen beschossen. Obwohl es nur eine Hand voll Tote gab, sind alle BewohnerInnen der Stadt mehr oder weniger heftig traumatisiert, weil die Raketen mit einem gewaltigen Knall beim Aufschlag explodieren. Seit drei Wochen vor unserem Besuch war ein Waffenstillstand eingehalten worden. Die Infotour- Veranstaltung fand im Sappir College statt, auf einem umzäunten Campus am Stadtrand und wurde von etwa 15 InteressentInnen besucht, zu einem Teil AktivistInnen, zum anderen StudentInnen. Das "Refugee Chair Game" zu Beginn machte Spaß und diente als Einführung in die Themen globale Ungleichheit und Migration. Die Schwerpunkte unserer Präsentation bestanden in einem Überblick über die globalen Institutionen, die Geschichte der Gipfelproteste und dem Stand der Planungen für Heiligendamm. In der Diskussion kam die Frage auf, warum wir uns für unsere Ziele nicht auf den "institutionellen Weg" begeben und versuchen, über bestehende Parteien unsere Ziele zu erreichen. Daraus ergab sich eine angeregte Diskussion zwischen den AktivistInnen und den "normalen" Studierenden. Anschließend übernachteten wir in den Zelten auf einem weiteren Permakulturprojekt außerhalb der Stadt. In der Nacht waren die Kampfhubschrauber der israelischen Armee auf ihrem Weg nach Gaza und zurück zu hören.
Lod: Lod liegt vor den Toren Tel Avivs auf dem Weg nach Jerusalem. In der Stadt gab es im ersten israelisch-arabischen Krieg 1948 heftigen arabischen Widerstand und große Zerstörungen. In den darauf folgenden Jahrzehnten entstand in Lod so etwas wie der Schmelztiegel der unterprivilegierten Gruppen der israelischen Gesellschaft: 1948/49 und 1967 wurden vertriebene AraberInnen angesiedelt, außerdem äthiopische Juden und Jüdinnen, RussInnen, palästinensische "VerräterInnen". Die Stadt selbst ist sehr arm und beherbergt mehr oder weniger offen die harte Drogenszene von Tel Aviv. Eine Gruppe von etwa 60 jungen Freiwilligen zwischen 18 und 22 Jahren leistet sozialen Dienst in diesem angespannten Umfeld. Sie hatten uns spontan auf der Demonstration in Tel Aviv drei Tage zuvor für ihr monatliches, gemeinsames Event eingeladen. Dementsprechend waren etwa 35 Leute zugegen, einer mit Gipfelprotesterfahrung, der Rest lokale SozialaktivistInnen mit wenig oder kaum Bewusstsein über globale Zusammenhänge und Institutionen. Sie folgten der G8-Einführung mit großem Interesse und hatten viele Fragen über die Funktionsweise der Institutionen des globalen Wirtschaftssystems. Wir hielten die Hinweise knapp, was die konkrete Gipfelmobilisierung angeht, hatten aber das Gefühl, dass bei ganz vielen ein großes Interesse bestand, an den Zusammenhängen zwischen globalen Kämpfen und ihren eigenen lokalen Themen weiterzuarbeiten.
Kiryat Shemona: Diese kleine Stadt liegt im äußersten Norden Israels, nahe der libanesischen Grenze. Die Veranstaltung wurde organisiert von AktivistInnen von Mahapach, einer linken Bewegung, die sich landesweit darum bemüht, soziale Unterschiede einzuebnen, soziale Rechte zu stärken und in unterprivilegierten Vierteln, Dörfern und Städten Strukturen aufzubauen. (13) In Kiryat Shemona mussten während des Libanonkrieges 2006 viele Menschen unzählige Tage in Bunkern verbringen. Die meisten Leute haben weder Zeit noch sonstige Ressourcen, um sich ernsthaft über globale Politik Gedanken zu machen. Die wenigsten TeilnehmerInnen des Workshops hatten Vorwissen über Globalisierung, multinationale Institutionen und ihre Auswirkungen. Unser Input bestand dann auch eher darin aufzuzeigen, wie die G8 versuchen, Weltpolitik und -wirtschaft zu beeinflussen und damit auch die lokalen Verhältnisse beeinträchtigen. In der Diskussion ging es um die Möglichkeiten grundsätzlicher Systemveränderung. So hieß es, Demonstrationen würden doch auch nichts ändern. Wir kamen überein, dass ein Focus Aufklärung von unten ("Popular Education") sein müsse. Es kam auch der Vorschlag von Steuerverweigerung oder Boykott-Kampagnen - Einzelne hätten sehr wohl Macht. Auch der Kampf um Einfluss an den Universitäten sei wichtig. Uns wurde gesagt, es sei ein großes Problem in Israel, dass das Land so jung sei, dass es keine Protesttradition gebe, keine Bewegungsgeschichte und keine Geschichte von Klassenkämpfen. Darin sahen sie einen möglichen Grund für die im Hinblick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt so apathische israelische Gesellschaft.
Zusammenfassend können wir sagen, dass sowohl Menschen aus Israel als auch Palästina gerne mit der Infotour zusammengearbeitet haben - allerdings gab es auch eine harsche Kritik. (14)
Die lokalen OrganisatorInnen meinten, dass es angesichts der Allgegenwärtigkeit des Konflikts unüblich sei, dass AktivistInnen von anderswo kommen, um über Politik in anderen Ländern oder globale Politik zu diskutieren. Nicht zuletzt deswegen waren die an den Veranstaltungen anwesenden wirklich interessiert am bevorstehenden G8-Gipfel, aber auch an Infos und Fakten über die globalen Wirtschaftsinstitutionen, Antikapitalismus und die globalen antikapitalistischen Kämpfe. Deshalb wurde diese Infotour immer fast so etwas wie eine "Popular-Education-Tour". Auch die Gipfelprotestgeschichte der vergangenen zwanzig Jahre kam gut an. Unsere Einschätzungen über Polizeistrategien, Kriminalisierung und neue Aktionsformen boten Anknüpfungspunkte für viele Fragen und Diskussionen. Aufsehen erregte bei vielen die Aktionen der Rebel Clown Army. Es bleibt abzuwarten, ob auch in Israel mit diesem Konzept weitergearbeitet wird. Genauso wäre es schön, wenn die Farbe Pink nicht nur in der Queer-Bewegung, sondern auch im Zusammenhang mit militär- und besatzungskritischen Aktionen zur Anwendung käme. Alles in allem hatten wir den Eindruck, dass wir einigen AktivistInnen aus dem anarchistischen, kommunistischen und internationalistischen Spektrum in Israel die Entscheidung für den Gipfelprotest in Heiligendamm erleichtert haben.
Diese Tour nach Israel und Palästina war die erste G8-Infotour außerhalb Europas. Wir halten es für eine gute Idee, die Infotour über alle Kontinente weiter zu betreiben und weiter über die stattfindende G8-Mobilisierung zu informieren. Sie bietet die Möglichkeit, Bewusstsein zu schaffen über Zusammenhänge zwischen lokalen sozialen Auseinandersetzungen im weitesten Sinne und kapitalistischer Globalisierung. Sie beinhaltet eine große Chance voneinander zu lernen, lokale Kämpfe und die Gipfelsturm- Bewegung miteinander in Kontakt zu bringen und am Ende vielleicht all unsere Widerstände global wirksam werden zu lassen.
Zwei von Vielen (aus der Infotour)
Anmerkungen:
1) www.salonmazal.org
2) www.activestills.org
3) http://coalitionofwomen.org
4) Ein Video ist zu finden unter http://mishtara.org/blog/?p=139
5) Das AIC bietet sehr gute Analysen zur politischen Ökonomie des israelisch- palästinensischen Konflikts. Siehe http://alternativenews.org
6) Eine Checkpoint-Besetzung mit Clowns gab es bereits, siehe http://planet.syriamirror.net/node/2498
7) http://www.stopthewall.org
8) Statistiken finden sich unter www.btselem.org/english/Statistics
9) www.bilin-village.org
10) http://gipfel.oopen.de/ Media+Tools/RefugeeChair.pdf
11) www.maki.org.il
12) http://antig8.tk/
13) www.mahapach.org
14) Vgl. den offenen Brief "Dear Friends from Germany" von Jamal Jumaa, Koordinator der Palestinian grassroots Anti-Apartheid Wall Campaign. Die Kritik ist eine Reaktion auf den englischsprachigen Ur-Text "Early December 2006: Infotour G8 in Israel and Palestine Personal Impressions". Der hier vorliegende Text ist eine freie Übersetzung für ak mit kleinen Ergänzungen alle Texte bei http://info.gipfelsoli.org/Home/ Heiligendamm_2007/Gruppen_ und_Kampagnen/dissent/Infotour