Macht der Gewehrläufe, Gewalt des Begriffs
Sri Lanka als Nebenschauplatz des "Kriegs gegen den Terror"
Der Bürgerkrieg zwischen dem sri-lankischen Staat und den Guerillas der Liberation Tiger of Tamil Eelam (LTTE) geht in sein drittes Jahrzehnt. Drei Mal schon haben Regierung und Armee die LTTE in die Enge getrieben, jedes Mal entkamen die tamilischen Guerillas in spektakulärer Wende dem scheinbar finalen Zugriff. Während all dieser Jahre ruhten die Waffen immer nur für kurze Zeit. Als die Insel im Dezember 2004 von den Fluten des Tsunami heimgesucht wurde, stand auch das zwei Jahre zuvor geschlossene Waffenstillstandsabkommen vor dem Scheitern. Völlig überraschend wurde das Seebeben dann aber zur Friedenschance. Aber auch diese Chance wurde vertan.
Ein halbes Jahr nach dem Tsunami suspendierte der Oberste Gerichtshof ein Abkommen, in dem sich Regierung und Guerilla auf eine angemessene Verteilung der internationalen Hilfsgelder geeinigt hatten. Obwohl das Gericht der Regierung empfahl, sich mit den "Befreiungstigern" zu arrangieren, kündigte die damalige Präsidentin Chandrika Bandaranaike die Kooperation mit der LTTE auf. Als ihr Außenminister Lakshman Kadirgama kurz darauf einem mutmaßlich von der LTTE durchgeführten Attentat zum Opfer fiel, eskalierte der Konflikt.
Mittlerweile sind Anschläge und offene Gefechte zwischen Armee und Guerilla nahezu alltäglich geworden. Die Armee wird durch Flächenbombardements der Luftwaffe und durch die Kämpfer des früheren Ostküsten-Kommandanten der LTTE, Colonel Karuna Amman, unterstützt, dessen TamilEela Peoples Liberation Tiger sich im Dezember 2004 vom LTTE-Chef Villupilai Prabakharan abgespalten haben. Der seit November 2005 regierende singhalesische Hardliner Mahinda Rajapakse legitimiert das Vorgehen seiner Streitkräfte als Beitrag Sri Lankas zum weltweiten "Krieg gegen den Terror" und darf sich dabei der Rückendeckung aus Washington sicher sein.
Washington, Bagdad, Colombo, Brüssel
In der Überlagerung des inner-sri-lankischen "Separations-" durch den weltweit geführten "Anti-Terror-Krieg" liegt das Spezifikum der aktuellen Phase des Konflikts. Datiert werden kann diese Verschiebung auf das Frühjahr 2003, auf einen Zeitpunkt also, an dem die Friedensverhandlungen noch auf gutem Wege waren. Ihr Ziel - Einführung eines föderalen Systems auf der Grundlage einer begrenzten Autonomie der tamilischen Minderheit und Bereitstellung internationaler Wiederaufbauhilfe in Höhe von 4,5 Mrd. US-Dollar - schloss die Beteiligung der LTTE ein. Das aber sabotierten die USA in letzter Minute, indem sie darauf bestanden, die Vorverhandlungen zur Friedenskonferenz in Washington abzuhalten. Da die LTTE von den USA zu dieser Zeit bereits als "terroristische Organisation" gelistet war, waren ihre UnterhändlerInnen von diesen Gesprächen ausgeschlossen: Ein Umstand, den die Tiger nur mit ihrem Rückzug quittieren konnten. Als der abgebrochene Friedensprozess in Genf wieder aufgenommen wurde, war der Konflikt bereits so weit eskaliert, dass sich Regierung und LTTE nicht einmal mehr auf eine gemeinsame Agenda einigen konnten.
Im Mai 2006 gossen die InnenpolitikerInnen der EU Öl ins Feuer, als auch sie die LTTE auf ihrer "Terror"-Liste aufnahmen und ihr wie der tamilischen Diaspora den Bewegungsspielraum in Europa nahmen. Die LTTE nahm den EU-Beschluss zum Anlass, den Rückzug aller aus EU-Ländern stammenden Mitglieder der Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM) zu verlangen, der bis dahin die neutrale Überwachung und Dokumentation der Waffenstillstandsverletzungen oblag. Von zunächst 56 auf nunmehr 20 BeobachterInnen aus Norwegen und Island reduziert, verlor das Gremium seinen politischen Einfluss und erfüllt seither nur noch eine symbolische Funktion.
Regierung und LTTE scheinen nun genau die Rolle zu spielen, die ihnen vom Szenario aus Washington vorgegeben werden: Während die Armee offen auf die "Vernichtung des Terrorismus" setzt, begegnet die Guerilla der Übermacht durch brutale Kommandoaktionen. Am 11. Oktober starben bei heftigen Gefechten auf beiden Seiten etwa 700 Menschen, sieben Tage später kamen bei einem Selbstmordanschlag auf einen Armeekonvoi über 100 Regierungssoldaten zu Tode. Zum Jahreswechsel stürmten Armee und Karuna-Truppen an der abschnittsweise entweder vom Militär oder von der Guerilla kontrollierten Ostküste mehrere Bastionen der LTTE. Dabei kann dem gegenseitig erhobenen Vorwurf, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu operieren, in jedem Fall Glauben geschenkt werden, weil die Darstellung der Regierung, nach der die LTTE die ZivilistInnen als lebendige Schutzschilde missbrauche, ebenso zutrifft wie die Gegendarstellung, nach der es Regierung und Armee auch um die ethnische Säuberung mehrheitlich tamilischer Gebiete gehe.
Mittlerweile setzen nicht nur Regierung und Armee, sondern auch bis jetzt moderate Medien auf die systematische Niederwerfung der "Terroristen". Am 3. Januar meldete der liberale Daily Mirror an prominenter Stelle, dass der auf Februar dieses Jahres terminierten Säuberung des Ostens der Angriff auf das Vanni, das im Norden gelegene Kerngebiet der LTTE folgen werde. Tatsächlich sind das Vanni und die nördlich davon gelegene Halbinsel Jaffna bereits seit der im August letzten Jahres erfolgten Sperrung der Landstraße A9 vom Rest der Insel abgeschnitten - mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung.
Dabei wird der "Anti-Terror-Krieg" nicht nur im Norden und Osten, sondern auch im Süden und in Colombo ausgetragen. Nachdem im Dezember ein Anschlag der LTTE auf den Präsidentenbruder und Verteidigungsminister Gothabaya Rajapakse scheiterte, stoppten an den zentralen Verkehrsachsen der Hauptstadt aufgezogene Militärposten im Abstand von zweihundert Metern PassantInnen und vorbeifahrende Fahrzeuge. Festgenommen wurden zumeist Tamilen; der Aufenthaltsort nicht weniger Verhafteter ist noch immer unbekannt. Zur alltäglichen Verunsicherung gehört auch, dass überall im Land wieder die berüchtigten "White Vans" gesichtet werden: Lieferwagen ohne Kennzeichen, die Sicherheitskräfte bei den systematischen Verschleppungen der 1980er Jahre benutzten. Über 16.000 Fälle sind noch heute nicht aufgeklärt.
Das Fatale am ideologischen Szenario des "Anti-Terror-Kriegs" liegt darin, den Konfliktparteien einen Ausstieg aus der Eskalation der Gewalt im Grunde unmöglich zu machen, weil Verhandlungen mit "Terroristen" in seinem Rahmen eigentlich nur als Kapitulation vor dem an sich selbst Bösen gedacht werden können. Aufzubrechen ist dieses Szenario nur in der Offenlegung der tatsächlichen Konfliktlogik, die von der "antiterroristischen" Deutung ebenso verfehlt wird wie von der Reduktion auf eine ethnische Frage.
Pottuvil, Saltion 1, Thallikulam
Exemplarisch lässt sich dies an drei Beispielen demonstrieren, bei denen soziale Kategorien ins Spiel kommen, die sich den beiden vorherrschenden Deutungsmustern des Konflikts entziehen. Der erste hat sich in Pottuvil an der Südostküste zugetragen, einem Ort, an dem nicht nur Tamilen und Singhalesen, sondern auch Moslems leben. Im September 2006 wurden hier zehn moslemische Jugendliche mit Hacken ermordet, einige von ihnen geköpft. Regierungsstellen beschuldigten die LTTE; ein Vorwurf, der von der tamilischen wie der moslemischen Gemeinde empört zurückgewiesen wurde. Es kam zu Demonstrationen und Streiks, Polizei- und Militärfahrzeuge wurden mit Steinen beworfen und zogen sich unter Schüssen zurück. Die Leute machen eine Eliteeinheit der Armee für die Tat verantwortlich, verlangen deren Verlegung und die Aufklärung des Massakers, dem monatelange Spannungen vorausgingen. Tatsächlich sind die Moslems keine weitere ethnische Gruppe, sondern zumeist tamilischen, aber auch singhalesischen Hintergrunds. Dem entspricht, dass der Streit zwar infolge religiöser Provokationen eskalierte, er in der Sache aber um Land und um den Zugang zur See und zu den Fischfanggründen geführt wird: Besiedelbares Land, das seinen BewohnerInnen ein erträgliches Auskommen ermöglichen könnte, ist knapp auf Sri Lanka und wechselt seine EigentümerInnen am einfachsten durch Flucht und Vertreibung.
Die Prominenz der Landfrage wird auch an der Westküste sichtbar, an einem Ort, der den eigentümlichen Namen Saltion 1 führt und im Distrikt Puttalam liegt. Saltion 1 ist das erste von drei fortlaufend durchnummerierten Lagern gleichen Namens, in denen seit 16 Jahren Vertriebene aus dem weiter nördlich gelegenen Mannar leben. Auch sie sind Moslems, diesmal aber Opfer der LTTE, die seinerzeit ein Drittel der mehrheitlich moslemischen BewohnerInnen Mannars in die Flucht nach Puttalam zwang. Das Lager ist ein Haufen palmblattgedeckter Hütten aus Holz und Wellblech, von schlammigen Wegen durchzogen. Chikungunya- und Denguefieber sind ebenso weit verbreitet wie Diarrhö und Cholera. Fünf Familien teilen sich ein zwischen den Hütten liegendes Plumpsklo, die Sickergruben laufen über, Wasser gibt es nur zwei Mal am Tag. Ein Fünftel der etwa hundert Moslemcamps rund um Puttalam sind in solcher Verfassung - eine Frage der Eigentumsverhältnisse. Längst sind die Lager selbst zum Streitfall geworden - in Konflikten, die jetzt zwischen Moslems geführt werden, zwischen denen in den Lagern und denen in der Stadt. Sie kreisen darum, dass die Mannar-Moslems ursprünglich nur einige Monate bleiben sollten, jetzt aber noch immer da sind. Sie kreisen um die kärglichen Möglichkeiten des Überlebens: um Tagelöhnerjobs in der Salzgewinnung oder den Hotels an der Küste - und um den Zugang zu Land.
Das dritte Beispiel hat nichts mit Moslems, doch ebenso mit Flucht und Vertreibung zu tun. In Thallikulam bei Vavuniya, dem Grenzübergangsort ins Vanni, leben Leute, die bereits mehrfach vertrieben wurden und aus verschiedenen Ecken des Nordens und Ostens stammen. "Displaced Person" ist auf Sri Lanka eine eigene soziale Kategorie, die von den 18 Mio. EinwohnerInnen aktuell Hunderttausende fasst, sich durch die letzten drei Jahrzehnte aber auf Millionen bezieht. Der Tsunami machte fast eine halbe Million Menschen obdachlos, seit 2005 hat der militärische Konflikt eine weitere halbe Million ihres Lebensortes beraubt. Trotz des ländlich-friedlichen Anblicks ist deshalb auch Thallikulam ein Ort des Konflikts, zwischen Neuangesiedelten und Alteingesessenen, aber auch zwischen Männern und Frauen. In vielen Flüchtlingslagern und nicht wenigen vom Krieg verwüsteten Siedlungen gehören massive sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen zum Alltag und sind dabei zum Schnittpunkt der zentralen gesellschaftlichen Probleme geworden - des Krieges, aber auch der Armut, der systematischen Diskriminierung und der massenhaften sozialen Entortung.
Minderheitenperspektiven brechen sich Raum
Während des gescheiterten Friedensprozesses der letzten Jahre protestierten Frauen-, aber auch Moslemorganisationen wiederholt gegen ihren Ausschluss von den Verhandlungen. Sollte es zu einer neuen Gesprächsrunde kommen, wird das deutlich anders sein müssen. Unter den Friedens- und MenschenrechtsaktivistInnen des Landes kursiert deshalb der Begriff von den "minority perspectives", von denen ein nachhaltiger Friedensprozess seinen Ausgang nehmen müsse. Auch wenn von ihnen aus die singhalesisch-buddhistische Dominanz und die rassistische Konstitution des sri-lankischen Staats bestritten wird, zeigen der Plural im Begriff und die eben geschilderten Beispiele, dass es dabei zwar immer auch, aber eben nicht nur um die tamilische Frage, sondern um ein ganzes Bündel weiterer Macht- und schließlich auch um Fragen des Eigentums geht: des Zugangs zu Land, zu Gesundheit, Bildung, zu sozialen, kulturellen und politischen Rechten und zum Recht auf Frieden.
Wer glaubt, dass solche Fragen im aufgeheizten Konflikt keine Chance haben, sei an die letzten drei Präsidentschaftswahlen erinnert. Ranil Wickremasinghe und Chandrika Bandaranaike kamen ins Amt, weil sie vor der Wahl die demokratische Lösung des Konflikts versprachen, die sie nachher aktiv verhinderten. Mahinda Rajapakses hauchdünner Vorsprung hing ausgerechnet an der LTTE, die im von ihr kontrollierten Gebiet eine freie Wahlbeteiligung verhinderte. Damit sich die für den Frieden offene Mehrheit politisch artikulieren kann, muss das Szenario vom "Krieg gegen den Terror" aufgebrochen werden, dem sich die Eskalation der Gewalt verdankt. Da dieses Szenario dem Konflikt zu einem guten Teil von Washington und Brüssel aus auferlegt wurde, liegt dafür dort auch die Verantwortung.
Thomas Seibert, medico international