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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 514 / 16.2.2007

Stimmungsmache und mehr

GipfelgegnerInnen im Visier des Staates

Knapp fünf Monate vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm bringen sich die staatlichen Akteure immer vernehm- und sichtbarer an den Start. Der Landesverfassungsschutz in Berlin verbreitet etwa eine "Lageanalyse" unter dem Titel "Linksextremistische Protestvorbereitungen gegen den G8-Gipfel 2007" mit dem Zusatz "Stand: Januar 2007", währenddessen in Bayern gleich eine härtere Gangart eingelegt wird. Am 17. Januar durchsuchte ein Großaufgebot der Polizei mehrerer linke Projekte in München. Der Vorwurf: "Aufruf zu Straftaten". Fünf Tage später legten die KollegInnen der politischen Polizei in Erlangen mit der Durchsuchung eines selbstverwalteten Jugendzentrums nach.

Über 150 PolizistInnen und zwei StaatsanwältInnen waren in München aufgeboten. Rund drei Wochen vor der jährlichen NATO-Sicherheitskonferenz sperrten sie zum Teil ganze Straßen ab, durchsuchten linke Projekte, Betriebe und Privatwohnungen der Betreiber zweier Webseiten, beschlagnahmten mindestens zwölf Computer und nahmen neun Menschen zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit. Gesucht wurden die Broschüre "In Bewegung bleiben - Zwischenstand der Mobilisierung gegen die NATO-Sicherheitskonferenz" und Flugblätter mit dem Aufruf "SIKO & G8 angreifen".

Angeblich - so das Münchner Staatsschutzdezernat 14 - solle mit beiden Schriften, "eine Vielzahl von Personen" dazu bewegt werden, "dass der Flughafen Rostock-Laage am 5.6.2007 gestürmt wird". In den inkriminierten Schriftstücken ist zwar von einer Blockade, nicht aber von einer "Stürmung" des Flughafens die Rede. Mittels eigenmächtiger und eigentümlicher Interpretation konstruierte der Staatsschutz daraus - mit Segen der zuständigen Ermittlungsrichterin - den Vorwurf des "Aufrufs zu Straftaten".

Auf welch wackliger rechtlicher Grundlage das Ganze steht, zeigt ein Beschluss der selben Münchner Ermittlungsrichterin vom 19. Januar. Darin wird eine Beschlagnahmung der dritten Ausgabe der Kampagnenzeitung G8Xtra abgelehnt. Der Aufruf zu Blockaden könne keinesfalls als Androhung oder Aufruf zu Straftaten gewertet werden, da auch straffreie Möglichkeiten der Blockaden, "z.B. durch die schiere Menge an Gipfelgegnern", denkbar seien.

In verwegener Textinterpretation üben sich auch die Schlapphüte des Berliner Verfassungsschutzes (VS). Auf acht Seiten machen sie einen Rundumschlag über die linke Mobilisierung nach Heiligendamm - unter spezieller Berücksichtigung Berliner Akteure, um angeblich die "Gefahrenlage in Berlin" zu bewerten. (1) Besonderer Aufmerksamkeit gilt den drei bundesweiten linken Netzwerken/Bündnissen gegen den G8. Dabei kommen die VS-"AnalytikerInnen" zu dem Ergebnis, dass die strategischen und politischen Unterschiede der Gruppen zum Teil sehr groß seien, um nichtsdestotrotz festzustellen, dass es allen darum geht, "den Gipfel maßgeblich zu stören", auch wenn - wie sie einräumen - die Form der Proteste noch gar nicht "spezifiziert" sei.

"Auch der Zusammenhang zu einer tatsächlich gewalttätigen Gruppe ist schnell konstruiert", bringt die taz das Vorgehen des Berliner VS auf den Punkt. "In einem Satz wird die Gruppe Libertad zitiert, die bei den Protesten auf ein ,produktives Chaos` hofft. Gleich im folgenden Absatz werden die tatsächlich verübten Anschläge der Militanten Gruppe (mg) detailliert aufgezählt." (taz Berlin lokal, 1.2.07)

Dass der Wind rauer wird, zeichnet sich seit geraumer Zeit ab. Ende November 2006 trafen sich in Rostock-Warnemünde 50 PolizeiführerInnen und SicherheitsexpertInnen aus dem In- und Ausland. Auf der internationalen Konferenz SECON MV 2006 ging es um Sicherheitsfragen bei Großereignissen. Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, nutzte die Gelegenheit zur Stimmungsmache. "Der G8-Gipfel ist ein Ereignis, das für islamistische Terroristen interessant sein könnte", so der BKA-Chef. Immerhin sei es das erste Zusammentreffen der G8 in Deutschland nach dem 11. September 2001.

Als zweites, großes Gewaltpotenzial benannte Ziercke auf der Tagung die Gegenaktionen der "linksextremen Szene". "Es gibt eine breite, auch militante Kampagne gegen den Gipfel", stellte der BKA-Präsident fest. "Wir müssen uns auf die entsprechende Planung von Straftaten einstellen." Dabei gebe es eine zunehmende Vernetzung zu Extremisten aus dem Ausland. Wie da im Hintergrund gearbeitet wird, macht ein Bericht des Berliner Tagesspiegel klar: Da hieß es in der Ausgabe vom 15. Januar: "Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden vernetzt sich die ETA zunehmend auch europaweit mit linksextremistischen Terrorgruppen, die zum Beispiel versuchen könnten, den bevorstehenden G8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm zu stören." Beweise für diese abstruse Behauptung bleibt man natürlich schuldig.

Ganz in diesem Sinne sprach Ziercke dann auch in Rostock-Warnemünde von einer "Anti-Terrorstrategie", die die Sicherheitsbehörden während des G8-Treffens umsetzen werden. Dass heutzutage demokratischer Protest auf der Straße schon als "Terrorismus" diffamiert wird, macht der Dreiklang aus Einreisebeschränkung, Einsatz von szenekundigen BeamtInnen zur Identifizierung von "Störern" und Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Inneren deutlich, mit dem diese "Anti-Terrorstrategie" umschrieben wurde. Da wundert es auch nicht mehr, dass der BKA-Chef davor warnte, eine vermehrte Zahl von kriminellen Handlungen sei in nächster Zeit zu erwarten: "Die bisherigen Straftaten geben Anlass zu größter Besorgnis." Schon jetzt gebe es Farb- und Brandanschläge. Dass er gleichzeitig einräumen musste, das Gewaltpotenzial beim G8-Treffen sei nicht vorhersehbar, interessiert dann nicht mehr. Die Lageanalysen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz entfalten wie gewünscht ihre Wirkung.

mb.

Anmerkung:

1) www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/verfassungsschutz/stand2005/lage_g8_2007.pdf