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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 515 / 16.3.2007

Luft von anderen Planeten

Dem Musikphilosophen Heinz-Klaus Metzger zum 75. Geburtstag

Es nahm seinen Anfang in Café und Supermarkt, weitete sich aus in die Friseurstube, mittlerweile werden sogar Kunstausstellungen mit Musik beschallt. Die akustische Konditionierung scheint so weit fortgeschritten zu sein, dass sich nun auch jede/r Einzelne nicht mehr der Belästigung durch Ruhe ausgesetzt fühlen will, was die massenhafte Verbreitung von I-Pods beweist. Selbst politische Demonstrationen führen so gut wie immer einen Lautsprecherwagen mit sich, der zur Unterhaltung der ansonsten wohl wenig erträglichen Märsche eingesetzt wird.

Je inflationärer Musik zum Einsatz kommt, desto weniger wird über sie, ihre Rolle und Funktion reflektiert. Dass es durchaus Argumente gegen die "omnipräsente Diktatur des Schalls" gibt und dass es sich nicht notwendig um beiläufig konsumierte Tracks handeln muss, sondern ein Musikwerk eine ganz eigene Dimension der Freiheit mit sich bringen könnte, daran erinnert Heinz-Klaus Metzger, der am 6. Februar seinen 75. Geburtstag feierte. Metzger studierte in Paris bei dem Schönberg-Schüler Max Deutsch Komposition und gilt als einer der prominentesten Theoretiker der seriellen Musik mit Vertretern wie Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez.

Immer wieder lotet Metzger die in der Musik als Glutkern enthaltenen Potenziale und ihr Verhältnis zur Emanzipation aus. Sein Augenmerk gilt dem Erlebnis von Autonomie, welches manche Stücke verheißen, vor allem aber auch den Tendenzen, die genau diese Dimensionen plattzuwalzen drohen. Dementsprechend verwahrt sich Metzger strikt gegen jedwede Instrumentalisierung der Musik für Ökonomie oder Politik, so progressiv diese auch sein mögen. Mit dem Einspannen der Kunst in einen zweckgerichteten Rahmen verliere diese alles, was sie zu einem Vehikel der Befreiung werden lasse. Exemplarisch zeigt sich dies für Metzger an den Kompositionen Hanns Eislers: Während sich der Duktus seiner Arbeiterkampflieder auch in der Marschmusik der Nazis wiederfinden ließe, verwahrten sich die experimentellen Arrangements durch ihre innere Beschaffenheit gegen eine Vernutzung von Rechts - wie auch von Links.

Genau die durch die Musik entstehende Möglichkeit eines entrückenden Korridors inmitten der verdinglichten Welt benannte der Mitbegründer der Zwölftonmusik und geistige Vater Metzgers, Arnold Schönberg, in seinem zweiten Quartett in fis-Moll als "Luft von anderen Planeten", eine Formel, die auch Theodor W. Adorno in seine Philosophie der Neuen Musik aufnahm. Letzteren traf Metzger auf den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, was zu einer äußerst produktiven Auseinandersetzung zwischen beiden Musiktheoretikern führen sollte. Überhaupt steht sein Werk in ständiger immanenter Kommunikation zum Oeuvre Adornos. Nicht zuletzt erinnert Metzgers Aufsatzsammlung Musik wozu? Literatur zu Noten an Adornos Noten zur Literatur, und auch das von ihm und Rainer Riehn 1969 gegründete Ensemble Musica negativa wurde explizit in Anlehnung an das philosophische Hauptwerk des Frankfurter Theoretikers, die Negative Dialektik, benannt.

Überzeugende Revolutionstheorie fehlt

Ähnlich wie Adorno besticht auch Metzger durch die Forderung, Musik nicht nur als Fußnote zur Politik oder Philosophie zu sehen. Letztere bleiben unvollständig und unverstehbar ohne die Ästhetik, da die Perspektive eines Gesamtrahmens gewählt werden müsse. Bei ihm ist ästhetische Theorie gleichermaßen Gesellschaftstheorie. Virtuos zeichnet er den ständigen Umschlag und die universelle Verzahnung beider Bereiche nach. Neben der Nähe zu Adorno sind aber auch die kontroversen Debatten mit ihm und die darin erkennbaren Differenzen der beiden bemerkenswert: So nahm Metzger in seiner Schrift Das Altern der Philosophie der neuen Musik die serielle Musik gegen Adornos Attacken in Schutz und verteidigte sie gegen die fehlende Differenziertheit Adornos, die dessen negativer Triumphialismus manchmal mit sich brachte und der Kritik etwas Gestenhaftes verlieh. Genauer nachzulesen sind die Auseinandersetzungen in dem hoffentlich nun bald im Suhrkamp Verlag erscheinenden Briefwechsel der beiden Musikphilosophen.

Generell war Metzger immer auf der Suche nach Ausbruchsversuchen aus dem musischen und gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang, was ihn zu einem Verfechter des musikalischen Anarchisten John Cage werden ließ. In einem Gespräch mit Stefan Amzoll bemerkte er gar nicht adornitisch: "Was uns jetzt fehlt, ist aber eine überzeugende Revolutionstheorie. Übrigens würde es nicht genügen, wenn sie überzeugend wäre. Sie müsste auch noch wahr sein, wahr werden."

Trotz allem scheint sich Metzger mehr und mehr der Prognose Adornos einer allgemeinen Totalisierung der Kulturindustrie anzuschließen, in der alles warenförmig durchsetzt ist. Mit seinem Beharren auf absolute ästhetische Freiheit ist Metzger wohl einer der letzten BewohnerInnen des Elfenbeinturms, was keinesfalls denunziatorisch zu verstehen ist, ist dieser mittlerweile doch ausnahmslos zum Schlot der der Ökonomie unterworfenen Denkfabriken umfunktioniert worden. Diese allgegenwärtige Tendenz, die Autonomie der Kunst der Ökonomie zu unterwerfen, zeigt sich in allen Bereichen der kulturellen Produktion. So postulierte Christian Detig, Musikchef des Kulturradios des RBB, 2005 mit den Worten Joseph Goebbels, das Radio solle "Entspannung und Unterhaltung" bieten. Dieses Verdikt wandte sich bitterer Weise - wie eine verkehrte Bestätigung Metzgers - als erstes gegen die Neue Musik.

Die von ihm selbst von 1977 bis 2003 herausgegebene Zeitschrift Musik-Konzepte bezeichnete Heinz-Klaus Metzger einmal als Kampfschrift gegen die herrschende Kriterienlosigkeit. In einem Rundfunkinterview anlässlich seines Geburtstages bemerkte Metzger rückblickend, dass es ihm letzten Endes nicht gelungen sei, einen Bewertungsrahmen für Musik zu finden. Vielleicht ist genau dies ein Zeichen dafür, dass sich die Musik, trotz allen Verhängnisses und jenseits aller Beliebigkeit, doch ein Stück Autonomie bewahrt hat.

Tilman Vogt