"Antikapitalismus" von Rechts
NPD und Kameradschaften haben die Kapitalismuskritik für sich entdeckt
Wenn am 2. Juni in Rostock GlobalisierungskritikerInnen auf die Straße gehen, wird die extreme Rechte in Schwerin gegen den G8-Gipfel demonstrieren. Die NPD, die seit Herbst 2006 in Fraktionsstärke im Schweriner Landtag sitzt, hat eine eigene Demonstration angemeldet. Auch die Freien Kameradschaften wenden sich verstärkt sozialen Themen zu und versuchen einen "Antikapitalismus von Rechts" zu begründen. Die Hinwendung zu einer "antikapitalistischen" Agitation erklärt sich nicht nur aus dem antisemitischen Weltbild der extremen Rechten, sondern ist auch der Versuch, gesellschaftliche Widersprüche zu bearbeiten. Vor allem die NPD ist mit ihrer Verbindung von sozialer Frage mit aggressivem Rassismus und Chauvinismus erfolgreich. Knüpft sie damit doch an die sozialen Ängste und weit verbreiteten Ressentiments in der Bevölkerung an.
Spätestens mit den aufkeimenden Protesten gegen die Arbeitsmarktreform (Hartz IV) im Sommer 2004 versuchte die NPD sich als Anwalt der kleinen Leute zu profilieren. Im Herbst 2004 konnte sie mit dem Einzug in den sächsischen Landtag ihren größten Erfolg seit Ende der 1960er Jahre erzielen. War die NPD damals vor allem eine Partei alter HitleranhängerInnen, modernisierte sie sich Mitte der 1990er Jahre nach der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden. Vor allem von ihrer Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten (JN), wurde eine inhaltliche Radikalisierung vorangetrieben, die auch eine verbale Ablehnung des "liberal-kapitalistischen Systems" einschließt.
"Antikapitalistische" Töne waren zuvor nur auf "nationalrevolutionäre" Zirkel der Neuen Rechten und einzelne neonazistische Gruppierungen wie der Nationalistischen Front beschränkt. Die rechten Wahlparteien setzten vielmehr auf einen Populismus neoliberaler Prägung. Das Bekenntnis zum freien Unternehmertum wurde mit Forderungen nach Bürokratieabbau, Förderung des Mittelstandes, Leistungskürzungen für "Sozialschmarotzer" und rassistischer Ausgrenzung verbunden. In Deutschland konnte sich, anders als in den europäischen Nachbarstaaten, keine dieser Parteien, weder die Republikaner noch die Schill-Partei, über einen längeren Zeitraum halten. Ein großer Teil ihrer potenziellen WählerInnen hat inzwischen realisiert, dass die Sicherung des "Standorts" mit neoliberalen Rezepten auch sie in prekäre soziale Lagen bringen kann.
Die "Kapitalismuskritik" der NPD
Vor dem Hintergrund massivem Sozialabbaus lässt sich eine eher neoliberal orientierte Politik nicht mehr als Alternative verkaufen. Mit einer autoritär-völkischen Gemeinschaftsideologie lassen sich aber, gerade im Osten, noch einige WählerInnen gewinnen. Insofern hofft die extreme Rechte, die seit fast zehn Jahren öffentlich geführten Diskussionen über die Folgen der Globalisierung für sich nutzen zu können. Ihre Logik ist einfach: Wenn die Hauptursache für gesellschaftliche Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit die Internationalisierung der Wirtschaft ist, dann kann nur ein nationaler Protektionismus Abhilfe schaffen. "Weil der Kapitalismus international ist, muss der Sozialismus national sein", meint die AG Zukunft statt Globalisierung in ihrer Kampagnen-Broschüre "Antikapitalismus von rechts". Und der sächsische NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel schreibt: "Die eiserne Wirtschaftsmaxime des Nationalismus lautet: Das Kapital hat der Wirtschaft zu dienen und nicht umgekehrt. Moderner Nationalismus ist deshalb gelebter Solidarismus."
Gansel, der seine Magisterarbeit über "Antikapitalismus in der ,Konservativen Revolution` in Deutschland 1918-1932" schrieb, gehört zu den Verfechtern einer "sozialrevolutionären" Programmatik in der NPD. Er hat sich den Kampf gegen die Globalisierung auf die Fahnen geschrieben, die "das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes" sei. Das "Große Geld" habe, so Gansel in der Deutschen Stimme 12/2005, "obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärischen Standort vor allem an der Ostküste der USA". Die "Kapitalismuskritik" der NPD ist nicht viel mehr als die Forderung nach staatlich regulativen Eingriffen in die Wirtschaft, verbunden mit antisemitischer Hetze.
Im NPD-Aktionsprogramm heißt es: "Ziel nationaldemokratischer Wirtschaftspolitik ist die Synthese von unternehmerischer Freiheit und sozialer Verpflichtung (...) Die Führung der Volkswirtschaft ist jedoch Aufgabe des Staates und unterliegt dessen Verantwortung." Neben der Entmachtung von multinationalen Konzernen fordert die NPD dort auch die Senkung der Lohnnebenkosten und der Erbschaftssteuer für kleine Unternehmen, sowie "Steuerfreiheit für Gewinne, die im Unternehmen verbleiben und somit für Investitionen zur Verfügung stehen". Mit Antikapitalismus hat das alles nichts zu tun: Weder das Privateigentum an Produktionsmitteln noch das Profitprinzip wird in Frage gestellt. Natürlich geht es auch nicht um die gleiche Teilhabe Aller am gesellschaftlichen Reichtum. Die "Solidarität" beschränkt sich auf die "Volksgenossen" und setzt Leistungsfähigkeit und Unterordnung voraus. Die Kritik am Kapitalismus ist deshalb immer mit der Ablehnung von Migration, dem klassischen Thema der extremen Rechten, verbunden.
Da die NPD, laut Gansel, die "einzige authentische Anti-Globalisierungspartei" sei, will sie sich durch die Ablehnung des G8-Gipfels profilieren. NPD-Generalsekretär Peter Marx vermeldete: "Wir werden unseren Demonstrationsschwerpunkt in diesem Jahr auf diesen fatalerweise im ärmsten Bundesland Deutschlands stattfindenden Gipfel der Bonzen richten." Mehr als den Aufmarsch in Schwerin hat die Partei aber noch nicht angekündigt. Auch ist ihr Verhältnis zum G8-Gipfel und den Protesten widersprüchlich. Einerseits beantragt man im Schweriner Landtag die Absage der Gipfel-Ausrichtung, andererseits fordert man die Landesregierung zu einem harten Durchgreifen gegen den Protest auf. Die Millionen für einen Sicherheitszaun in Heiligendamm könnten gespart werden, so der NPD-Abgeordneter Michael Andrejewski, "wenn die Landesregierung einfach nur ihren elementaren Pflichten nachkommen würde, zum Beispiel der, den Rechtsstaat durchzusetzen". Wie immer sieht man sich in der Opferrolle: Die Linken dürften ungestraft in der Öffentlichkeit zu Blockaden aufrufen, während die NPD gegängelt werde.
Auch die Freien Kameradschaften wenden sich verstärkt der Sozialen Frage zu. Um ihre "antikapitalistische" Theorie ist es dabei nicht gut bestellt, auch wenn auf Aufmärschen verstärkt Transparente mit Parolen wie "Kapitalismus zerschlagen!" mitgeführt werden. Dabei hatte die im Frühjahr 2006 gestartete Kampagne "Zukunft statt Globalisierung" das Ziel, die Agitation der Szene weg von einzelnen Aspekten der Sozialen Frage, hin zu einer grundsätzlichen Thematisierung von Kapitalismus und Globalisierung zu verschieben. Die so genannte Antikap-Kampagne wird vor allem von Kameradschaften aus Sachsen und Thüringen getragen. Mit der JN und der kleinen Kaderorganisation Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS), die auch für große Teile der Kampagnen-Schriften verantwortlich ist, arbeitet man eng zusammen.
Antikap-Kampagne Freier Kameradschaften
Die Freien Kameradschaften müssen, anders als die sich volksnah und bürgerlich gebende NPD, nicht auf Wählermeinungen Rücksicht nehmen. Das äußert sich in einem Verbalradikalismus, der sein historisches Vorbild vor allem im Strasser-Flügel der NSDAP sieht. Grundlage ist ein völkisches Gesellschafts- und Menschenbild. Die MacherInnen der Broschüre schreiben: "Die erste und ursprünglichste Form der Sozialisation ist biologischer Art und erfolgt in Familie, Sippe und Stamm, aus denen sich schließlich Völker und Rassen ergeben. Diese blutsmäßige Gruppenbildung erfolgt weit vor jeder anderen sozialen Klassen- und Schichtenbildung." Jedem Volk werden eigene Wesensmerkmale zugeschrieben. Die Deutschen seien ein "ureingessenes Volk", das Jahrtausende lang "organisch-wurzelhaft" gelebt und gewirtschaftet habe. Der Kapitalismus hingegen sei ein Produkt des "nomadisch-orientalischen Händlergeistes", der ihnen von außen aufgezwungen worden sei. Die treibende Kraft im Hintergrund seien die Juden. Antisemitische Motive durchziehen alle Veröffentlichungen der Antikap-Kampagne, sind aber oft chiffriert.
Die Freien Kameradschaften lehnen die kapitalistische Produktionsweise nicht grundsätzlich ab. Auch sie befürworten Konkurrenz, Lohnarbeit und Privateigentum. Ihre "Kritik" basiert auf einer konstruierten Trennung von bodenständig-deutschem Industriekapital und fremden Finanzkapital, das sich nicht für nationale Interessen einspannen lasse. In einer weiteren Kampagnen-Broschüre heißt es: "Im Mittelpunkt der rechten Kapitalismuskritik steht das bewegliche, raffende und wuchernde Handels- und Leihkapital (Finanzkapital, Geldmacht, Goldene Internationale, das ,Große Geld, Hochfinanz, Kapintern, Mammoismus, Plutokratie), das mittels Aktiengesellschaften, Fonds, Banken und Börsen das schaffende nationale Produktivkapital, Mittelstand, Bauerntum und alle übrigen Werktätigen seiner Gelddiktatur unterworfen hat und durch ein teuflisches Weltverschuldungssystem (...) alle schaffenden Völker dieser Erde ausbeutet und zerstört." Ziel ist die "Volksgemeinschaft", in der alle gesellschaftlichen Widersprüche aufgelöst sein sollen.
Historisches Vorbild bleibt der Nationalsozialismus. Neu ist die Propagierung eines "Sozialismus in den Farben der Völker" und der positive Bezug auf nationale Befreiungsbewegungen in Palästina oder Kurdistan und auf die Regierungen Venezuelas oder des Irans. Eigene Demonstrationen der Freien Kameradschaften während des G8-Gipfels sind noch nicht angekündigt. Die Antikap-Kampagne will am 7. Juli, einen Monat nach dem Gipfel, in Frankfurt/Main für "Arbeit statt Dividende" aufmarschieren.
Die globalisierungskritische Bewegung ist kein Bezugspunkt für die extreme Rechte. Sie wird in ihrer Gesamtheit als internationalistisch eingeschätzt und gehört somit zum politischen Gegner. Attac zum Beispiel wird in einem Text der Nationalen Sozialisten Wernigerode als "Diener des globalen Kapitals" bezeichnet. Sie seien selbst "Globalisten", weil sie eine Internationalisierung propagieren würden. Zwar fordert besonders der KDS oftmals eine "Querfront", hält es aber mit SA-Führer Ernst Röhm: "Wenn sie begreifen, um was es geht, kämpfen wir mit ihnen, wenn nicht, ohne sie, und wenn es sein muss gegen sie."
Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass Neonazis versuchen werden an den Protestaktionen der globalisierungskritischen Bewegung teilzunehmen. Eher werden sie mit eigenen Aktionen auf sich aufmerksam machen und versuchen, eine lokale Deutungshoheit über das Ereignis zu erlangen. Denn anders als die radikale Linke sind NPD und neonazistische Kameradschaften in vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommerns recht gut verankert. Einzig ein paar "Autonome Nationalisten" könnten sich, in der Hoffnung mal an echten Riots teilzunehmen, unter die Protestierenden mischen. Das gleiche Problem besteht aber auch mit Hooligans und ist wohl schwer zu verhindern.
Neonazis und globalisierungs- kritische Bewegung
Obwohl der "Antikapitalismus" von NPD und Freien Kameradschaften in sich widersprüchlich ist, funktioniert er. Er erlaubt es seinen VertreterInnen, sich als radikale SystemgegnerInnen zu gerieren, ohne das eigene Handeln in den gesellschaftlichen Verhältnissen reflektieren oder mit den eigenen Vorstellungen brechen zu müssen. Es werden einfache Erklärungen und Feindbilder für unübersichtliche gesellschaftliche Verhältnisse geboten. Hierin liegt die Attraktivität des "Antikapitalismus von Rechts", gerade für die aktionistischen und subkulturellen Freien Kameradschaften begründet. Sie übernehmen ursprünglich linke Codes und Parolen, aber nicht die Inhalte.
Torben Heine
In diesem Zusammenhang sei auf die aktuelle Ausgabe von LOTTA - antifaschistische Zeitung aus NRW hingewiesen, die sich schwerpunktmäßig dem "Antikapitalismus von Rechts" widmet. www.free.de/lotta