Eine glatte Lüge
Die Bleiberechtsregelung ist gewollt unwirksam
Ab nächsten Montag könnten langjährig Geduldete ein Bleiberecht beantragen, verkündeten die InnenministerInnen am Freitag den 17. November 2006. Dies erwies sich als glatte Lüge: Viele Ausländerbehörden erklärten noch etliche Wochen später, dass es ihnen nicht möglich wäre Anträge entgegenzunehmen, da ihnen noch keine Weisungen vorlägen. Und auch sonst bewahrheitete sich nach nunmehr über 100 Tagen seit In-Kraft-Treten der Regelung, was viele KritikerInnen von Anfang an befürchteten: Neben den restriktiven Ausschlusskriterien erinnert vor allem die praktische Umsetzung an alt bekannte Muster: Flüchtlinge werden oftmals als lästige, unmündige BittstellerInnen empfunden, die es möglichst schnell abzuwimmeln gilt. Während die InnenministerInnen anfänglich ein Bleiberecht für 50.000 Menschen versprachen, werden es wohl am Ende lediglich 10.000-15.000 sein.
Nur 40-50 Prozent der 174.980 Geduldeten (Stand 31.12.2006) fallen unter die Stichtagsregelung, die bei Alleinstehenden einen achtjährigen bzw. bei Familien einen sechsjährigen dauerhaften Aufenthalt voraussetzt. Selbst wenn diese erste hohe Hürde überwunden ist, stellen sich für die Betroffenen weitere gravierende Probleme. So müssen sie einen Arbeitsplatz nachweisen, obwohl man ihnen die Annahme eines Arbeitsplatzes durch Arbeitsverbote bzw. durch das Nachrangigkeitsprinzip in der Vergangenheit nahezu unmöglich gemacht hat.
Zwar räumten die InnenministerInnen eine Übergangsfrist von neun Monaten ein, die eine rechtliche Gleichstellung mit Deutschen bzw. EU-AusländerInnen bei der Arbeitsplatzsuche vorsieht. Bei über vier Millionen Arbeitslosen und weitverbreiteten rassistischen Klischees, haben jedoch selbst hochqualifizierte Flüchtlinge meist kaum Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, der das geforderte Einkommen einbringt. So muss eine Familie mit zwei Kindern im Grundschulalter 728 Euro zusätzlich zu den Mietkosten für den ebenfalls geforderten "ausreichenden Wohnraum" aufbringen. Die Annahme eines Jobs im Niedriglohnsektor reicht somit in aller Regel nicht aus, realistische Chancen auf einen Arbeitsplatz mit ausreichender Vergütung haben nur die wenigsten.
Flüchtlinge in der Warteschlange
Selbst wenn ein ausreichend bezahlter Job vorliegt, können viele Geduldete kein Bleiberecht bekommen. Verurteilungen zu mehr als 50 Tagessätzen reichen für den Stempel "krimineller Ausländer, der kein Bleiberecht verdient". Insbesondere dadurch, dass mehrere Verurteilungen addiert werden, führen selbst Lappalien wie Schwarzfahren zu einem Ausschluss von der Bleiberechtsregelung für die ganze Familie. Sippenhaft hat schließlich Tradition in Deutschland.
Und wenn keines der Ausschlusskriterien, die hier noch nicht mal vollständig aufgeführt wurden, anwendbar ist, kann die missgünstige Ausländerbehörde immer noch auf ihr Universalwerkzeug, den Vorwurf der "mangelnden Mitwirkung" an der eigenen Abschiebung zurückgreifen.
Auffällig ist zudem, dass die Ausländerbehörden bei der Bearbeitung der Anträge ein gehöriges Maß an Gemütlichkeit an den Tag legen. So wurden in Berlin bis Mitte Februar gerade einmal acht Prozent der eingegangenen Anträge bearbeitet. Insbesondere für die Menschen, die sich noch um einen Arbeitsplatz bemühen müssen, stellt dies eine immense Härte dar, da sie bis zur Entscheidung meist weiterhin mit einem faktischen Arbeitsverbot konfrontiert sind.
Auch das "gesetzliche" Bleiberecht, das momentan die öffentliche Diskussion beherrscht, verspricht kaum Verbesserungen. Vorgesehen ist, die Zeit zur Arbeitsplatzsuche bis Ende 2009 auszudehnen, ansonsten bleibt alles beim alten. Mit dieser minimalen Verbesserung werden jedoch weitgehende Verschärfungen im Zuwanderungsrecht erkauft. Im Windschatten des Streits um das Bleiberecht gingen diese bisher unter.
Der Ehegattennachzug soll nur möglich sein, wenn der/die AusländerIn bereits im Herkunftsland ausreichende Deutschkenntnisse erworben hat. Dies wird in vielen Ländern, vor allem in der so genannten Dritten Welt, schlichtweg nicht möglich sein. Zudem muss auch der Lebensunterhalt des/der Deutschen gesichert sein, wodurch die Heirat mit SozialhilfeempfängerInnen nicht mehr zu einem Aufenthaltsrecht führt. Interessant ist auch, dass, wenn von Ehegattennachzug gesprochen wird, im Widerspruch zu der allgemeinen Wortdeutung, auch Personen gemeint sind, die bereits in Deutschland leben. Des Weiteren sollen die Ausländerbehörden in noch stärkerem Maße als bisher die Möglichkeit erhalten, Ehen als reine "Scheinehen" zu diffamieren.
Eine andere Verschärfung besagt, dass Verstöße gegen die Mitwirkungspflicht einen Ausweisungsgrund darstellen sollen. Somit können die Ausländerbehörden praktisch willkürlich jedem Geduldeten einen Aufenthaltstitel, der beispielsweise durch Heirat oder eine Altfallregelung entstehen könnte, verweigern.
Auch die Möglichkeiten, einen Asylantrag überhaupt stellen zu können, sollen weiter eingeschränkt werden. Anhaltspunkte dafür, dass ein anderer Staat zuständig ist, sollen ausreichen, um den Asylantrag gar nicht erst prüfen zu müssen.
Zudem sollen humanitäre Aufenthaltserlaubnisse unabhängig von ihrer Dauer widerrufen werden können. So bestünde die Möglichkeit, kranke Menschen auch nach jahrzehntelangem Aufenthalt abzuschieben, wenn im Heimatland eine Behandlung möglich wird.
Verschärfungen im Schlepptau
Einige Law-and-Order-Innenminister torpedierten sogar diesen faulen Kompromiss von Anfang an - sowohl intern als auch öffentlich, was bis zu einem Wutausbruch des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann gegenüber Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble führte. Dass die Ursache für diese Ablehnung vor allem darin zu sehen ist, dass der rassistisch eingestellte Durchschnitts-Deutsche schließlich auch bedient werden will, gab Günther Beckstein ganz offen zu: "Dieses Thema kann eine entscheidende Bedeutung dafür erlangen, ob die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit verteidigen kann."
Wenn sich die SPD in der aktuellen Debatte als humanitäre Kraft verkauft, die die Interessen der Geduldeten gegenüber dem Populismus der Konservativen vertritt, ist dies übrigens mehr als verlogen. Eine Diskussion um ein Bleiberecht wurde überhaupt erst mit einem Innenminister Schäuble möglich, da "Schily Wutausbrüche bekam, wenn nur das Stichwort Bleiberecht ins Gespräch kam", wie SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz zur Rolle von Schäubles rot-grünem Amtsvorgänger vor einiger Zeit bekannte. Das Schicksal der Geduldeten wird also auch weiterhin Anlass für die dümmsten Sprüche in der deutschen Politik sein.
Bleiberechtsbüro München
Weitere Infos: www.bleiberechtsbuero.de
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