From Wacken to hell
Porträt eines norddeutschen Dorfs, das Wallfahrtsort der Heavy-Metal-Szene ist
Ein gutes Dutzend braun-weißer Kühe steht auf einer Weide. Träge schieben die Kühe ihre Unterkiefer nach rechts und links. Ab und zu stört sie dabei eine Fliege, die in der Nähe der leicht entzündeten Augen landet. Es ist warm, irgendwo im Nirgendwo in der norddeutschen Tiefebene. Nur das Zirpen der Insekten ist zu hören und die Windkrafträder, die im Hintergrund surren. Plötzlich bricht es herein. Zunächst nur in Form eines kurzen, lautlichen Clashs of Zivilisation: eine E-Gitarre, voll aufgedreht. Dann herrscht wieder Ruhe, doch die Kühe sind unruhig. Kurz darauf galoppiert die Herde über die Koppel - getrieben von einem tösenden Klanggewitter aus Heavy Metal. Willkommen in Wacken.
Jedes Jahr, am ersten Wochenende im August, ist es vorbei mit der ländlichen Idylle in dem 2.000-Seelen-Dorf in Schleswig-Holstein. Dann findet das "Wacken Open Air Festival" statt, von Heavy Metal Fans nur liebevoll W:O:A genannt. Die Welten, die dort aufeinander treffen, können unterschiedlicher kaum sein: Schlammbeschmierte Metaler halten den Stinkefinger in die Kamera, in Spitzenblusen gekleidete Landfrauen singen im Gemeindechor. Die Koreanerin Sung-Hyung Cho hat einen charmanten Dokumentarfilm über Wacken und das W:O:A gemacht, der u.a. mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet wurde. Sie zeigt, wie die WackenerInnen äußerlich und innerlich mit dem Ansturm der etwa 60.000 Heavy-Metal-Fans umgehen: Die Dorfstraße wird zum Schutz der Vorgärten komplett mit Gittern abgesperrt, ältere Frauen beten für die verlorene Jugend, der kleine Supermarkt ordert Unmengen an Alk und Straßenschilder werden vorsorglich abgeschraubt, da sie sonst von Souvenirjägern mitgenommen werden würden.
Einen "Heimatfilm" nennt Cho ihr Werk, geht es ihr doch vor allem darum, eine "Mentalitäts- und Gesellschaftsstudie über die dörflichen Gemeinden" zu erstellen. Der erzählerische Focus liegt auf dem "Full Metal Village" - so der schöne Filmtitel - und ihren BewohnerInnen. Das Festival taucht lediglich im letzten Drittel des Filmes auf, gezeigt wird vielmehr die Ruhe vor dem Sturm. Dieses "Warten auf" ist unterlegt mit einer eigens für diesen Film von Peyman Yazadanian komponierten Musik, die es präzise schafft, Dynamik und Stillstand einzufangen und dem Film einen trapsenden "Grundbeat" gibt. Diese Ambivalenz zwischen Fortschritt und Beschaulichkeit ist es, die das Dorf im Wandel charakterisiert. Auf der einen Seite ist da Bauer Plähn, der Zigarette rauchend der Regisseurin den Unterschied zwischen einem Kalb und einer Kuh erklärt. Auf der anderen Bauer Trede, der zwar auch noch Milchkühe hat, aber als zweite Einnahmequelle die Aufräumarbeiten des W:O:As koordiniert. "Menschen sind besser zu melken als Kühe", bilanziert er die Umwälzungen im Dorf.
Eine besondere Spannung erhält der Film auch dadurch, dass sich die Regisseurin immer wieder selbst als Dokumentierende mit einbringt. Etwa wenn sie mit dem redseligen Bauer Trede zu sehen ist, der ihr - als Nichtdeutsche - erklären will, wie das generell "so ist mit den Frauen in meinem Leben, nech?" "Mein Blick", sagt Sung-Hyung Cho, "ist der einer Ausländerin, die seit siebzehn Jahren in Deutschland lebt, die sich aber immer noch fremd fühlt". Selbst in einem Dorf im Taunus lebend erzählt Cho, dass sie dort beim Einkaufen - obwohl sie perfekt deutsch spricht - immer noch nicht verstanden wird. "Die wollen mich einfach nicht verstehen, hab ich das Gefühl".
Dieses Nicht-verstehen-Wollen seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft führt dazu, dass Cho aus der Distanz heraus, quasi mit einem ethnologischen Blick, die Menschen im Dorf porträtiert. So werden ihr, der "Fremden", Geschichten anvertraut, die bezeichnende Einblicke in die deutsche Mentalität nicht nur auf dem Land geben. Oma Irmchen, die - keiner weiß warum - plötzlich aus ihrer "Heimat" Ostpreußen flüchten musste; ihre Enkeltochter Katrin, die diese Fluchtgeschichten in- und auswendig kennt, und gerne mal einen Tag im Dritten Reich erleben will, als Nationalsozialistin versteht sich. Oder die Geschichte des arbeitslosen Kfz-Mechanikers, der das Wacken-Festival vor über 17 Jahren mitgegründet hat, jedoch kurz vor dem kommerziellen Durchbruch ausgestiegen ist, und nun darüber sinniert, dass die vielen Ausländer ihm die Arbeit wegnähmen. Was den Dokumentarfilm "Full metal village" (neben seinen vielen komischen Szenen) auszeichnet, ist dies: Er ist eben ein "typischer" Heimatfilm.
Nicole Vrenegor
Full Metal Village, Deutschland 2006, Kinostart 19.4.07, www.zorrofilm.de