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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 516 / 20.4.2007

Geschlechter.Verhältnisse.G8

Der Gipfel - die Verhältnisse - die Bewegungen gegen G8

Die G8 stehen für die acht Länder, die die Regeln von globalem Handel und Wirtschaften weitgehend bestimmen und diese auch durchsetzen. Zum Beispiel durch eine Mehrheit im Internationalen Währungsfonds (IWF) oder durch ihre ökonomische Überlegenheit in der Welthandelsorganisation (WTO). Die G8 stehen für eine Macht, die auf dem Glauben an Wachstum, Fortschritt, Marktfreiheit und Privatisierung beruht und die diesen Glauben zur vorherrschenden Rationalität ausgebaut hat. Die G8 stehen für ein Modell der Klubpolitik - patriarchal, exklusiv, undemokratisch - das den Herrenclubs im England des 19. Jahrhundert ähnelt: Geschlossene Veranstaltung, Mitglieder sind Männer, die Mitgliedschaft ist selbst ernannt, andere werden nur auf Empfehlung aufgenommen.

Auf der Agenda des G8-Gipfels stehen in diesem Jahr: Das Bekenntnis zur Freiheit für Investitionen, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Handels- und Finanzbeziehungen und die "drängenden Probleme Afrikas" mit dem Kampf gegen Armut und HIV/AIDS. Die "Philosophie der G8" wird deutlich auf der G8-Website der Bundesregierung: Es geht in erster Linie um Marktradikalität, Investitionsfreiheit, Handelsliberalisierung und daran angelehnt um die "Behandlung" (sic!) der damit verbundenen sozialen Fragen.

Geschlecht steht nicht auf der Agenda der deutschen G8-Präsidentschaft, auch Frauen stehen hier nicht: "Also, was bitte schön, hat G8 mit Geschlechterverhältnissen zu tun? Es geht doch da gar nicht um Geschlecht", sagte kürzlich ein Redakteur einer größeren Tageszeitung. Irrtum. Zwar reicht es nicht, auf das Verhältnis 7:1 bei den Regierungschefs der G8 zu schauen, gleichwohl aber dreht es sich um das Verhältnis von 70:30: Die informelle Arbeit von lokalen Bäuerinnen und Bauern sowie KleinhändlerInnen macht in vielen ärmeren Ländern 70 Prozent der Wirtschaft aus und stellt somit das Rückgrat ihrer Ökonomie dar, darunter sind 70 bis 80 Prozent Frauen.

Auf ihrem Rücken werden die Exportorientierung und Handelsliberalisierung der G8 ausgelebt; ihre Existenz wird zerstört, wenn die Länder Afrikas nun erneut auf die G8-Agenda kommen. Denn Armut soll mit freiem Marktzugang, freiem Handel und der Freiheit für Investoren gelöst werden. Auswirkungen und Ursachen geraten hier schwer durcheinander. Handelsliberalisierungen und Privatisierungen haben die Armut weltweit vergrößert und Ungleichheiten verschärft. Das Einkommen der 500 reichsten Menschen ist inzwischen höher als das der ärmsten 416 Millionen. Die Gleichgültigkeit demgegenüber ist enorm, und ihr zu begegnen, ist eine der größten Herausforderungen der Globalisierung, schreibt der UN-Report zur menschlichen Entwicklung im November 2006. Warum zählen also die allseits bekannten Zahlen nicht? Und was hat das erneut mit den Geschlechterverhältnissen zu tun?

Geschlecht muss kein Thema sein, um eine Rolle zu spielen

Als "strategisches Schweigen" bezeichnen feministische Ökonominnen den Tatbestand, dass das Schweigen über informelle Ökonomien - den Hauptsektoren von Frauenarbeit - System hat und kein Zufall ist. Das Schweigen über diese "informelle" Ökonomie der Daseinsfürsorge und Existenzsicherung ist den herkömmlichen Konzepten von Wirtschaft eingeschrieben. Diese Arbeiten gelten nicht als Teil der Ökonomie. Das gilt für die lokalen informellen Ökonomien in armen Ländern des Südens ebenso wie für die weitgehend unsichtbare Care-Ökonomie in Ländern des Nordens und des Südens.

Es mag verrückt erscheinen, darauf zu verweisen, dass die Arbeit des Tischdeckens, Essenkochens und Tischabräumens - würde sie zu marktüblichen Löhnen bezahlt - in der Schweiz größer ist als der - auf Grund seiner Größe - berühmte Schweizer Finanzsektor. (1) Denn das zählt irgendwie nicht, auch in unseren Köpfen nicht. Auch dass alle Menschen im Schnitt 16 Jahre ihres Lebens von der Sorge anderer abhängig sind, ist in den Wirtschaftsdebatten kaum präsent, somit auch nicht, von wem diese Sorge-Arbeiten täglich, größtenteils unbezahlt und unter immer schwierigeren Bedingungen getan werden.

Dass dies so wenig wahrgenommen wird, ist also nicht nur eine Klassenfrage (Ausbeutung und Armut als Bedingung für Kapitalismus), sondern auch eine Geschlechterfrage: Welche Arbeiten zählen zur (wichtigen) Ökonomie und welche nicht? Das regeln die Geschlechterverhältnisse, die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und die damit verbundenen Bewertungen und Geschlechterkulturen (Moral, Familienideologien etc.). Das heißt einerseits: Die Konzepte der G8, ihre Hegemonie machen die gesamte Palette der Daseinsfürsorge, Sorge und Bedürfnisorientierung unsichtbar und unwesentlich - und andererseits: Das Schweigen darüber ist Teil ihrer Macht und Überzeugungskraft.

Ökonomie und Finanzpolitik werden in technischen Begriffen ausgedrückt. Die sozialen Inhalte makro-ökonomischer Politik werden so komplett verdunkelt. (2) Die Tatsache etwa, dass in der Verteilung der Ressourcen die Machtbalance zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen etwa den Geschlechtern berührt wird, wird dadurch, dass Zahlen und ökonomische Begriffe technisch anmuten, gar nicht mehr mitgedacht. Auch die Ungleichheiten, die dadurch geschaffen werden, werden so gar nicht erst zum Skandal: Während zum Beispiel Zahlungsfähigkeit und Verantwortlichkeit (accountability) gegenüber potenziellen InvestorInnen eine herausragende Bedeutung bekommen haben, werden sie gegenüber BürgerInnen im großen Ganzen kaum mehr als wichtig wahrgenommen. Oder wie es die indische Aktivistin Vandana Shiva ausdrückte: Menschen, um deren Geld es geht, haben mehr Rechte und Berechtigungen als Menschen, um deren Leben es geht.

Die Agenda des G8-Gipfels in Heiligendamm enthält die Bekämpfung von HIV/AIDS in Afrika. Wie die G8 hier vorgehen wollen, lässt sich aus der Erklärung des St. Petersburger Gipfels 2006 entnehmen. Sie formulieren darin "eine entschlossene Antwort auf die Bedrohung durch Infektionskrankheiten". Die Antwort lautet: Weitere Fortschritte in der "internationalen Zusammenarbeit bei der Überwachung und Beobachtung von Infektionskrankheiten" und in der "Intensivierung der wissenschaftlichen Forschung". (3) Ganz andere Antworten geben da AIDS-AktivistInnen aus Afrika.

Charlene Smith, Journalistin aus Johannesburg, schreibt zur hohen Rate von AIDS-Erkrankungen: "Diese Katastrophe ist von Männern gemacht und gesellschaftlich tabuisiert, zumal wenn sexuelle Freizügigkeit als Freibrief für die Vergewaltigung von Frauen verstanden wird." (4) Auch der UN-AIDS-Report wies schon 2003 darauf hin, dass inzwischen weltweit bewiesen sei, dass mehr Frauen und Kinder mit HIV infiziert sind, weil die Übertragung oft durch erzwungenen Sex stattfindet. Zwänge - auch sexuelle - sind Teil der Ökonomie, die durch die Politik der G8 gefördert wird. Die Liberalisierung des Handels verschärft die ökonomischen Zwänge für alle diejenigen, die lokal und nicht exportorientiert wirtschaften, also für viele Frauen.

Das Schweigen über informelle Ökonomien

Fish for Sex ist eine Redewendung an den Küsten des Viktoriasees. Die Exportorientierung der Region - Export des Fisches in großem Maßstab nach Europa - hat den Frauen, die vom Kleinhandel mit dem Fisch lebten, ihre Existenz geraubt, denn die Preise für die Fische sind enorm gestiegen. Während die Fischer Männer sind, lagen Handel und Fischverarbeitung zu 40 Prozent in Frauenhand, doch jetzt können sie nicht mehr genug Geld für die Ware aufbringen. Da bleibt vielen keine Wahl: "Fish for Sex" - "Jaboya" ist daher Überlebenspraxis für viele Frauen am Ufer des Viktoriasees. Sie müssen sich prostituieren, um den Fisch zum Verkauf zu bekommen.

Das hat weit reichende Folgen, nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Dörfer und lokalen Gemeinschaften in der Region. Die HIV/AIDS-Rate ist enorm gestiegen. Frauenorganisationen vor Ort fordern: Gebt den Frauen ihre Existenz zurück! Sie sehen darin einen der wichtigsten Momente im Kampf gegen AIDS. "This would mean they will no longer be reliant on fish and the jaboya system", sagt Emma Llewellyn vom lokalen Projekt Merlin, das am Ufer des Sees gegen HIV/AIDS kämpft. (The Independent, 16.12.06)

Ein Beispiel: fish & chips und "fish for sex"

Das Beispiel zeigt, wie anders Lösungen aussehen, wenn die Standpunkte, die aus einer G8-Perspektive ausgeblendet werden, sichtbar gemacht werden. Das Beispiel zeigt auch, wie viel Augenwischerei die G8-Konzepte enthalten und wie sich diese auch in unserem Sprachgebrauch und in unseren Denkweisen fortsetzt. Es geht nicht um Geschlecht, sondern um die Frage, welche Rolle spielen die Geschlechterverhältnisse für die Hegemonie der G8? Wie tragen sie die Handlungslogiken, Überzeugungen und Denkweisen der G8 mit?

Hegemonie kann nicht nur von oben kommen, sie wird auch von unten gelebt. Dazu tragen die Geschlechterverhältnisse, die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen, das duale Mann-Frau-Denken und die damit verbundenen Rationalitäten mit den entsprechenden Auf- und Abwertungen bei. Die Geschlechterverhältnisse sind wie Knotenpunkte im globalen Netz der Macht, in den Strukturen und Glaubenssystemen, die die G8-Verhältnisse ausmachen. Dies zu benennen, wäre eine große Chance für eine fundamentale Delegitimierung der G8-Verhältnisse, die in den Bewegungen gegen den Gipfel jedoch kaum zur Sprache kommt. Warum eigentlich nicht?

Ariane Brenssell

Anmerkungen:

1) Mascha Madörin: Care Economy und die Kostenexplosion im Gesundheitsbereich: Die Ökonomisierung des Sozialen (Die Wochenzeitung, 1/2001), Die andere Hälfte der Wirtschaft (WOZ, 3/2001); Frauen und Welthandel: Nachhilfe in Wirtschaftstheorie (WOZ, 8/2001).

2) Nilüfer Cagatay: Gender budgets and beyond: feminist fiscal policy in the context of globalisation. In: Gender and Development Vol. 11, No 1, May 2003.

3) Erklärung der G8 zu Infektionskrankheiten 2006, 17. Punkt

4) Charlene Smith: Alle lassen die Opfer im Stich. Aids und sexuelle Gewalt in Südafrika. Le Monde Diplomatique, 14.10.05