Geht uns aus der Sonne
Gründe, warum sich die Anti-Atom-Bewegung gegen den G8-Gipfel engagieren sollte
Was die G8-Gipfel bisher sagten: "Mit sicheren Atomkraftwerken dienen wir dem Weltfrieden. Freier Zugang zu Öl, Gas und Kohle bedeutet Stabilität." "We reaffirm the objective set out in the 2004 G8 Action Plan on Non-Proliferation to allow reliable access of all countries to nuclear energy on a competitive basis ..." (St. Petersburg G8 Action Plan Global Energy Security, Juli 2006) Was wir sagen: Atomkraft und fossile Energien bedeuten Krieg gegen Mensch und Umwelt. Mehr Atomenergie bedeutet mehr Risiko durch Atomwaffen.
Die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind in bloßen Zahlen nicht zu fassen: 70.000 Todesopfer, 162.000 km2 verseuchtes Gebiet mit neun Mio. betroffenen Menschen, 350.000 Umsiedlungen, Verdoppelung der Krebsraten. Die so genannte "friedliche" Nutzung der Atomenergie ist nicht von der militärischen Nutzung der Atomkraft zu trennen. Tschernobyl liegt nicht weit entfernt von Hiroshima. Sinn und Zweck der Atomenergie war es, zu zerstören. Angesichts der Opferzahlen, Verwüstungen und sozialen Zerrüttungen muss von einer andauernden Gewalt gesprochen werden, die in ihren Auswirkungen nur mit einer militärischen Auseinandersetzung zu vergleichen ist: Atomenergie ist offener Krieg gegen die Bevölkerung. Der Normalbetrieb ist bereits der Störfall.
Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur Atombombe ist die Urananreicherung. Mit der einzigen deutschen Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau ist auch Deutschland de facto eine Atommacht im Stand-by-Modus. Das Zentrifugenverfahren der Gronauer Urenco-Gruppe wurde - teilweise staatlich gefördert, teilweise auch illegal - u.a. in den Iran, nach Pakistan, Nordkorea und in andere Länder weitergegeben. Atomenergie garantiert auch und gerade nach Ende des Kalten Krieges noch immer Wettrüsten und die militärische Zuspitzung von Konflikten. Solange die Atommächte der G8 nicht endlich abrüsten, gibt es auch für die "unerwünschten" und angehenden Atommächte des Südens keinerlei Grund, auf diese Option zu verzichten, ganz im Gegenteil.
Auch fossile Energien tragen nicht zu Frieden und Stabilität bei. Nicht erst seit dem Irak-Krieg mit seiner blood-for-oil-Logik wissen wir, dass die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen zur treibenden Kraft der Geopolitik wird. In Zentralasien und im Nahen Osten wird der Wettlauf um die knapper werdenden fossilen Ressourcen zunehmend mit militärischen Mitteln ausgetragen. In der logischen Konsequenz erklärt Bundesverteidigungsminister Jung die Bundeswehr nun auch für die Sicherung des Zugriffs auf fossile Energiequellen zuständig. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wird somit zu einem Motor der weiteren Militarisierung europäischer Außenpolitik.
Die Schuldenkrise ist eine Energiekrise
Einnahmen aus fossilen Ressourcen fördern auch nicht die Stabilität der Förderländer oder gar den Wohlstand der dortigen Bevölkerung. Sie fördern schon gar nicht die wirtschaftliche Entwicklung der Länder des Südens - wie selbst der Salim-Report der Weltbank (Extractive Industries Review 2003) klar belegt. Öl- und Gasreichtum stützt letztlich autoritäre, hochgerüstete Regime, von Saudi-Arabien über den Tschad bis Turkmenistan. Gleichzeitig verhindern diese Verhältnisse den Aufbau von Alternativen zur Exportabhängigkeit. Die dezentrale Nutzung Erneuerbarer Energien bietet die einzige verantwortbare Grundlage für den Ausweg der Länder des Südens aus Schuldenkrise und Abhängigkeit vom Norden. Erneuerbare Energien sind im besten Sinne low tech für alle. Um den Zugang zur Sonne müssen keine Kriege geführt werden. Und auf Windkraftanlagen hat noch niemand Terroranschläge verübt.
Was die G8-Gipfel bisher sagten: "Wir retten das Klima mit neuen Atomkraftwerken." "Those of us, who have or are considering plans relating to the use and/or development of safe and secure nuclear energy, believe, that its development will contribute to global energy security, while simultaneously reducing harmful air pollution and addressing the climate change challenge ..." (St. Petersburg G8 Action Plan Global Energy Security, Juli 2006) Was wir sagen: Mit der Pest kann man nicht die Cholera austreiben.
Ein Atomkraftwerk selbst emittiert tatsächlich kein CO2 - sondern Radioaktivität. Das AKW "exportiert" seine CO2-Emissionen: Die gesamte Produktionskette, vom aufwendigen Uranerz-Tagebau über die Aufbereitung, Anreicherung, Brennelementeherstellung und Atommüll-Verarbeitung ist extrem energieintensiv. Werden diese Emissionen miteingerechnet, gibt ein Atomkraftwerk mit jeder produzierten Kilowattstunde Strom ähnlich viel CO2 ab wie neue fossile Gaskraftwerke. Atomenergie wird die notwendige Verringerung von klimaschädlichen Treibhausgasen nicht leisten können. Die Enquêtekommission des Deutschen Bundestages hat es ausrechnen lassen: Angenommen, die CO2-Emissionen sollen in Deutschland bis zum Jahr 2050 um 80% gegenüber 1990 gesenkt werden - wie es das UN-Expertengremium IPCC fordert - und dies solle durch den Ausbau der Atomenergie geschehen, so müssten zusätzlich zwischen 60 und 80 Atomkraftwerke gebaut und dauerhaft betrieben werden. Sollte der CO2-Ausstoß im Strombereich in Deutschland bis 2020 ausschließlich durch Atomenergie um die 40% gesenkt werden, die der Nationale Klimaschutzplan fordert, müsste bis dahin jedes Jahr ein neues AKW in Deutschland ans Netz gehen. Zurzeit sind weltweit 440 AKWs in Betrieb. Schon um nur 10% der fossilen Energie im Jahr 2050 durch Atomstrom zu ersetzen, müssten mehr als 1.000 neue Atomkraftwerke gebaut werden. Der Klimawandel passiert bereits jetzt und wir benötigen heute und sofort Lösungen: Erneuerbare Energien stehen jetzt bereit, sind technisch ausgereift und emittieren garantiert Null Gramm CO2.
Was die G8-Gipfel bisher sagten: "Eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung ist Grundvoraussetzung für ein starkes wirtschaftliches Wachstum, sowohl in den G8-Ländern als auch im Rest der Welt. (...) Wir ermutigen die erdölproduzierenden Staaten, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um ein günstiges Investitionsklima zu schaffen, das zur Unterstützung eines starken globalen Wachstums ausreicht." (Klimawandel, saubere Energie und nachhaltige Entwicklung, G8-Gipfel Gleaneagles, Juli 2005) Was wir sagen: Die herrschenden Strukturen der Energieversorgung sind nicht die Lösung, sondern der Grund für Armut und Ungleichheit.
Wirtschaftliche Stabilität und Profitmaximierung sind undenkbar ohne billige, allzeit verfügbare Energie. Das Modell der westlichen Konsumgesellschaft mit all den Produkten, die niemand braucht, ist zutiefst "fossilistisch". Dass es überhaupt einen G8-Gipfel gibt, hängt mit der ersten ernsthaften Krise dieser "fossilen" Wachstumslogik zusammen: 1973 reduzierten die Erdöl exportierenden Staaten der OPEC als Reaktion auf die westliche Unterstützung für Israel ihre Fördermengen und provozierten den ersten Ölpreisschock. Die Ölkrise stürzte die westlichen Industriestaaten in die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Ein koordiniertes Vorgehen zur Wahrung der Versorgungssicherheit war einer der Gründe für die Initiative zum ersten G7-Gipfel 1975. Für die Länder des Südens war der Preisanstieg für Öl dagegen der Auftakt für Verschuldung und Verelendung, mussten sie doch weiterhin bei immer schwächerer Kaufkraft die gleichen, immer höheren Weltmarktpreise zahlen. Der Anteil der Ausgaben für den Import fossiler Energieträger im Verhältnis zu den Exporteinnahmen beläuft sich in vielen Entwicklungsländern auf über 50% bis 75%, d.h. die geringen Einnahmen durch heimische Produkte auf dem Weltmarkt werden umgehend von der Ölrechnung wieder aufgefressen.
Energiemonopole und Abhängigkeiten
Wachstum und freie Märkte werden heute von neoliberalen Denkmodellen gleichgesetzt mit Wohlstand. Dabei zeigt gerade das Thema Energie, wieweit diese Logik zu einem realitätsfernen Selbstläufer geworden ist. Während die Abschlusserklärungen der letzten G8-Gipfel in Gleneagles und St. Petersburg die verstärkte Ausbeutung atomarer und fossiler Ressourcen fordert, um das globale Wirtschaftswachstum zu sichern, wird dadurch schon heute die Existenz tausender Menschen zerstört, ob bei der Erdölförderung im Nigerdelta, ob durch Überschwemmungen in Bangladesh, ob durch die Folgeschäden des Uranabbaus in Australien. Diese Logik verursacht schon heute gigantische externe Kosten; Umweltschäden, die von der Allgemeinheit getragen werden müssen und in keiner Stromrechnung stehen.
Diese Logik hat nicht den Wettbewerb, sondern die Monopolstellung einiger weniger, immer stärkerer Energiekonzerne gefördert: Der jährlichen "Global 500"-Statistik des US-Wirtschaftsblatts "Fortune" über die 500 weltweit wichtigsten Konzerne zufolge sind fünf der zehn kapitalstärksten Unternehmen der Welt Ölkonzerne. Energie-, Automobil- und Luftfahrtkonzerne - die praktisch alle ihren Sitz in G8-Staaten haben - machen allein 31% des Umsatzes der 500 größten Unternehmen aus. Ihr Umsatz verdoppelte sich von 2.965 Mrd. US-Dollar in 1999 auf 5.858 Mrd. US-Dollar in 2005, d.h.: Jene Branchen, die praktisch ausschließlich von den endlichen fossilen Energieressourcen abhängig sind, schöpfen gerade aus deren Verknappung und den steigenden Energiepreisen eine immer stärkere Marktmacht - und können damit auch den Wechsel zu alternativen Energieträgern immer besser blockieren.
Die Agenda der G8 fördert und verstärkt diesen Trend. Die G8-Gipfel fordern als Antwort auf die sichtbaren Energieversorgungskrisen mehr Wettbewerb und offene Energiemärkte: Die Erschöpfung der Ressourcen wird nun nicht dadurch aufgehalten, dass eine noch größere Zahl von AkteurInnen an noch mehr Orten die selbe Sache noch schneller und effizienter betreibt. Die Forderung nach weiterer Deregulierung und "Liberalisierung" der Energiemärkte dient denjenigen, die diese Märkte schon jetzt dominieren. Weitere Fusionen und noch stärkere global player sind zu erwarten, wie die Erfahrungen mit dem EU-Binnenmarkt für Energie seit 1998 zeigen.
Es lohnt sich, den Begriff der "Energie(versorgungs-)sicherheit" (energy security, security of supply), der den G8-Gipfel von St. Petersburg prägte, zu hinterfragen: Geht es hier um Sicherheit von Mensch und Umwelt vor radioaktiver Gefahr und Folgen des Klimawandels, geht es hier um eine zuverlässige und kostengünstige Energieversorgung für die Bevölkerung - oder geht es um die Sicherung der Marktanteile und Wachstumsraten von Unternehmen? 22% der Weltbevölkerung verbrauchen in den Industriestaaten 70% der Energieressourcen. Dennoch verspricht die atomar-fossile Wachstumslogik die weltweite Verallgemeinerung dieses westlichen Entwicklungsmodells.
Dabei gibt es vielfältige Wege aus der Sackgasse der atomar-fossilen Strukturen. Jede Region hat ihre Potenziale und Möglichkeiten. Es klingt simpel, aber Sonne und Wind gibt es tatsächlich überall. Die dezentrale Nutzung Erneuerbarer Energien macht, Schritt für Schritt, Häuser, Dörfer, Stadtviertel, ganze Regionen "energieautonom": Die etablierten, zentralistischen Strukturen, ausgelegt auf Verschwendung, Wachstum und Abhängigkeit, werden überflüssig. Dutzende von Dörfern, Städten und Regionen haben sich bereits energieautonom gemacht oder sind auf dem Weg, sich selbst mit heimischen Erneuerbaren Energien zu versorgen: "Bioenergiedörfer" wie Jühnde oder Mauenheim, Städte wie Unterhaching, Freiamt im Schwarzwald oder Salzgitter, Landkreise wie Potsdam, Lüchow-Dannenberg oder Fürstenfeldbruck, Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern oder das österreichische Burgenland - um nur einige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen.
100% Erneuerbare Energien und zwar jetzt!
Erneuerbare Energien sind mehr als eine ökologische Modernisierung - sie sind eine energiepolitische Selbstermächtigung, ein direkter Angriff auf die Monopole von RWE und Eon. Und wo kämen wir denn da hin, wenn auf einmal jeder seine Energie selbst erzeugt? Mit ein wenig Optimismus vielleicht zu den selbstbestimmten, herrschaftsfreien Verhältnissen, von denen GlobalisierungsgegnerInnen so gerne reden. Ziviler Ungehorsam gegen das Atomprogramm und die Bewegung für Erneuerbare Energien haben eins gemeinsam: Nur als breite Graswurzelbewegung entfalten sie ihre ganze Kraft. Als Teil der Anti-Atom-Bewegung hoffen wir bei der diesjährigen Kampagne gegen den G8-Gipfel diese Graswurzelbewegung zu stärken. Der Agenda des G8-Gipfels können wir unsere Perspektive einer solidarischen Ökonomie in einer solaren Gesellschaft entgegenstellen. Kapitalismus abschalten. RWE, Eon und Co.: Geht uns aus der Sonne!
Anti-Atom-Gruppe Bonn
Termine und Aktionen unter www.antiatombonn.de