Mein Öl, mein Zink, mein Gold - mein Markt
Nicht nur beim Kampf um Energiesicherheit fordert die deutsche Industrie den Einsatz der Staatsgewalt
UnternehmerInnen lieben das Risiko. Heißt es. Wie wenig das stimmt, zeigt der jüngste Appell der deutschen Industrie an die Bundesregierung wenige Wochen vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Unternehmen fordern "Sicherheit", und zwar "Rohstoffsicherheit". In der verschärften globalen Konkurrenz um für die Produktion notwendige Naturprodukte verlangt die Industrie eine "strategische Rohstoffpolitik" und die Schaffung verlässlicher Rohstoffmärkte.
Damit zeigt sie erstens, wie viel (Staats-)Gewalt ein freier Markt braucht; zweitens, welche große Rolle Nationalstaaten in der globalisierten Wirtschaft spielen; drittens, dass Kapitalismus ohne Imperialismus nicht zu haben ist, und zu guter Letzt, dass für die Verwertungsbedingungen des Kapitals eine Unterscheidung zwischen Energie - zentrales Thema in Heiligendamm - und anderen wichtigen Rohstoffen nur bedingt tragfähig ist. Rohstoffe sind eine besondere Güterklasse. Denn sie sind "als Vorstoffe für die industrielle Produktion unverzichtbar", so Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Dabei handelt es sich nicht nur um Öl und Gas, sondern auch um mineralische Rohstoffe wie Industrieminerale (Diamant, Grafit, Talk) und um metallische Rohstoffe. Aufgrund ihrer Unersetzlichkeit müssen sie für die Produktion verfügbar sein. Denn "wenn wir kein Benzin mehr bekommen, fahren unsere Autos nicht mehr. Aber wenn wir keine Metalle mehr bekommen, dann brauchen wir kein Benzin mehr, denn dann haben wir keine Autos mehr". Mit anderen Worten - hat die deutsche Industrie nichts mehr an andere zu verkaufen. Zudem müssen die Rohstoffe möglichst billig sein. Da sie als Vorstoffe für die Produktion notwendig sind, fließt ihr Preis in die Preise aller anderen Güter ein. Höhere Rohstoffpreise bewirken unmittelbar eine Verteuerung der Produktion.
Deutsche Industrie schlägt Alarm
Das Problem für ein Land wie Deutschland besteht darin, dass diese Naturprodukte in der Erde lagern - und diese Erde untersteht zumeist einer fremden politischen Souveränität. Das Ausland verfügt über "unsere Vormaterialien" (BDI). Darin sehen Politik wie Unternehmen eine schwer erträgliche Abhängigkeit vom Willen fremder Staaten. "Bei vielen Metallen sind wir zu 100 Prozent importabhängig", klagt der BDI. "Verglichen mit Öl und Gas stellen diese Rohstoffe in unserer Importstatistik keine großen Posten dar. Aber wenn sie fehlen, dann stehen bei uns die Räder still." Früher lösten die Industriestaaten dieses Problem, indem sie sich rohstoffreiche Gegenden als Kolonien sicherten und daheim unter staatlicher Aufsicht nationale Rohstoffkonzerne schufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Versorgungssicherheit gewährleistet, indem die Kolonien in formal souveräne, aber abhängige Staaten umgewandelt wurden, die dann als Rohstofflieferanten auf dem "freien Weltmarkt" für Rohstoffe auftreten konnten. Flankiert wird diese ökonomische Abhängigkeit durch militärische Drohungen an all jene, die sich dem "freien Markt" entziehen wollen.
Auch die Preisgestaltung bei den Rohstoffen differiert von der anderer Güter: Bei Industriewaren kalkuliert der Hersteller den Preis so, dass er außer den Kosten auch einen Gewinn erzielt. Er setzt den Preis, und dieser Preis ist für ihn Mittel zur Profiterzielung. Für Rohstoffe sind dagegen globale Rohstoffbörsen eingerichtet, die in den Industriestaaten angesiedelt sind. Dort bildet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Die Produktionskosten sind in diesem Spiel nur ein Faktor, andere sind zum Beispiel die Entwicklung des Verbrauchs, das Wetter, die Industriekonjunktur oder die Spekulation auf künftige Preisentwicklungen.
So weit war alles gut eingerichtet für die Verbraucherländer. Doch nun schlägt die deutsche Industrie Alarm: "Rohstoffpolitik ist Daueraufgabe zur Zukunftssicherung!", ermahnte Ulrich Grillo, Vorsitzender der BDI-Präsidialgruppe Internationale Rohstoffaufgaben und im Hauptberuf Chef des Duisburger Zinkverarbeiters Grillo-Werke AG, die anwesende Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach klagt: "Ein weltweiter Wettbewerb um Rohstoffe hat eingesetzt."
Was ist geschehen? In den vergangenen Jahren sind die Preise für Rohstoffe in die Höhe geschossen. "Wir müssen mit Preisforderungen fertig werden, die es in dieser Höhe und in diesem Tempo jahrzehntelang nicht gegeben hat", klagt BDI-Präsident Thumann. Seit 2002 seien die Produktionskosten in der Industrie auf Grund höherer Rohstoffpreise um 90 Milliarden Euro gestiegen. Diese Milliarden fließen in "ferne Länder" - für Deutschland sind sie reine Kosten. Betroffen von der Verteuerung seien alle Industriezweige. "Diese Entwicklungen sind nicht nur für einzelne Unternehmen zum Problem geworden, sondern sind zum Sprengsatz in der industriellen Wertschöpfungskette geworden."
Wer zündelt an der Lunte dieses Sprengsatzes? Ganz klar: das Ausland. "Auf den Rohstoffmärkten sind Akteure unterwegs, die gänzlich andere Vorstellungen haben von den Gepflogenheiten auf den Märkten." Damit meint der Industriepräsident allerdings nicht die Finanzanlagefonds, sondern ausländische Staaten. China sei mittlerweile weltweit größter Verbraucher von Kupfer, Zink, Zinn und Steinkohle. Bei Aluminium und Mineralöl liege das Land auf Platz zwei. "Und Indien befindet sich bereits in den Fußstapfen Chinas ... Das bedeutet: dauerhaft höhere Preise."
Die unsichtbare Hand und die geballte Faust des Staates
Aus diesem Grund ist "das mit Rohstoffen gesegnete" (Deutsche Bank) Afrika wieder auf der politischen Landkarte in den Mittelpunkt gerückt. Denn China vergibt dort großzügig Milliardenkredite an Staaten, hat eine chinesisch-afrikanische Handelskammer gegründet und will bis 2009 die Entwicklungshilfe verdoppeln, um sich Rohstofflieferanten zu sichern. Dies registriert Deutschland als abnehmende Abhängigkeit der afrikanischen Lieferländer von seiner Rohstoffnachfrage. "Die Chinesen und andere agieren sehr schnell und sehr zielstrebig", sagte Merkel vor dem BDI-Rohstoffkongress. "Wo in der Welt wir auch hinkommen, waren oft schon andere Politiker da, die sich für ihre Staaten bestimmte Rohstoffreserven gesichert haben - und das auf ziemlich lange Zeit."
Zudem erhebt China, wie auch andere Staaten, hohe Zölle auf den Rohstoff-Export, um die Rohstoffe im Land zu halten. Andere Länder wie Russland wiederum bieten ihren heimischen Unternehmen Rohstoffe zu Sonderpreisen, die unter denen des Weltmarkts liegen, um die Firmen zu fördern. Daneben betreibt China eine aktive "Rückwärtsintegration", d.h. chinesische Firmen kaufen sich weltweit in die Rohstoffproduktion ein, ähnlich wie Russland, das auf diesem Wege seine Position als Rohstoffverkäufer stärken will. So fusionierten die russischen Aluminiumkonzerne Rusal und Sual mit der Schweizer Glencore zum weltgrößten Aluminiumkonzern. Das russische Kartellamt genehmigte die Fusion mit der Begründung, dies verschaffe Russland mehr Einfluss auf den internationalen Märkten. Indiens Stahlgigant Mittal verleibte sich den europäischen Konkurrenten Arcelor ein. Weltweit schließen sich immer mehr Bergbaukonzerne zusammen. Laut UNCTAD gab es im vergangenen Jahr 83 Fusionen oder Übernahmen im Wert von 61 Milliarden US-Dollar.
Die Bundesregierung hat zwar die deutschen Unternehmen aufgefordert, bei diesem Spiel mitzumachen und ebenfalls ausländische Unternehmen zu kaufen. Doch die Industrie sträubt sich. Dieser Weg ist ihr zu teuer. "Der Kauf einer Rohstofflagerstätte oder -fördergesellschaft ist mit hohem finanziellen Aufwand verbunden", so der BDI. So erfordere z.B. der Erwerb einer Kupfermine mit einer Jahresproduktion von 500.000 bis 600.000 Tonnen heute einen Kapitaleinsatz von ca. zwei Milliarden US-Dollar. "In Deutschland verfügen nur wenige Unternehmen über die nötige Kapitalkraft." Gleichzeitig gehöre die Rohstoffförderung nicht zu den "Kernkompetenzen" der deutschen Unternehmen, was wohl heißen soll: Sie sind kaum in der Lage, mit dem hohen notwendigen Kapitalvorschuss einen anständigen Profit zu erwirtschaften.
Während die deutsche Industrie üblicherweise den Rückzug der Politik aus der Wirtschaft verlangt, appelliert sie im Falle der Rohstoffe an die Staatsgewalt. Denn mit der Lösung des Problems seien "die Unternehmen überfordert", so BDI-Chef Thumann. "Wenn Rohstoffe extrem teuer werden - oder gar fehlen -, gerät der Produktionsstandort Deutschland in ernsthafte Schwierigkeiten. Das macht Rohstoffe zum Politikum." Das hat die Politik verstanden und daher "Elemente einer Rohstoffstrategie" entworfen.
Rahmenbedingungen als Form imperialer Politik
Die Strategie anderer Staaten zur Förderung ihrer eigenen Wirtschaft und Versorgungssicherheit identifizieren Bundesregierung und BDI als "Wettbewerbsverzerrung", als unfaire Maßnahmen in einem eigentlich freien und "fairen" Weltmarkt. Dies ist nicht bloß eine ideologische Formulierung. Denn auf dem "freien" Weltmarkt erhält derjenige die Rohstoffe, der zahlen kann und der von den Weltmächten als zuverlässiger "Partner" anerkannt ist. Zu diesen Ländern gehört Deutschland. Länder wie China, Russland oder die Ukraine hingegen müssen auf Dauer fürchten, aus politischen oder finanziellen Gründen von diesem Weltmarkt ausgeschlossen oder behindert zu werden - im Gegensatz zu Deutschland ist es nicht "ihr Weltmarkt". Daher organisieren sie ihren Zugang zu Rohstoffen teilweise am Weltmarkt vorbei und "verzerren" auf diese Weise laut BDI den "Wettbewerb".
Die Bundesregierung ergänzt daher ihre Kritik an der "geostrategischen Rohstoffpolitik" anderer Staaten damit, dass sie ihre eigene geostrategische Rohstoffpolitik ausbaut. Sie fördert massiv den Unternehmenssektor mit Investitionskrediten und durch Informations- und Beratungsangebote zur globalen Rohstofflage, unter anderem durch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Sie finanziert die Forschung zum Ersatz von Rohstoffen durch andere Materialien oder zur Erhöhung der Verbrauchseffizienz und setzt sich für eine Erhöhung der Recyclinganteile bei einigen Rohstoffen ein - schließlich sind "Recyclingrohstoffe eine wichtige heimische Rohstoffquelle". Das Sammeln von Papier, Batterien, Schrott und Glas macht Deutschland unabhängiger vom Weltmarkt.
In einem Interministeriellen Ausschuss "Grundstoffe" wird die Bundesregierung Fragen der Rohstoffversorgung bündeln. Führend ist hier das Wirtschaftsministerium, doch alle Ressorts sollen sich der Rohstoffsicherung Deutschlands widmen. Mit der breiteren Streuung seiner Rohstoffbezugsquellen will Deutschland sich in die Lage versetzen, seine Lieferstaaten gegeneinander auszuspielen. Gerade in Afrika und in der kaspischen Region wird Druck auf die Regierungen ausgeübt; gleichzeitig sollen dort die Förderung und der Abtransport der Rohstoffe - also die "Lieferfähigkeit" des Landes - verbessert werden. Dies ist auch eine militärische Frage, schließlich kommt "über die Hälfte der weltweit produzierten metallischen Rohstoffe aus politisch instabilen Ländern" (BDI). In diesen Ländern beansprucht Deutschland ein weitgehendes Mitspracherecht in der Politik: Es fordert dort die "Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen", "verbesserte Bergbaugesetzgebung", "Bekämpfung von Korruption", verbesserte Umweltgesetze, Abbau von Rohstoffexport-Beschränkungen und Einsicht in die Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf wie auch in die Verwendung der Gelder, sprich in den ganzen Staatshaushalt. Auf diese Weise sollen diese Länder ihrer weltwirtschaftlichen Funktion gerecht werden: der "Rohstoffversorgung" Deutschlands.
In Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) dringt die Bundesregierung - in Form der EU - darauf, die Politik der Bevorzugung von lokalen Unternehmen in anderen Ländern zu verbieten. Parallel dazu nutzt die EU ihre Macht in den bilateralen Verhandlungen mit anderen, schwächeren Staaten, die fern der WTO und meistens ohne große Öffentlichkeit ausgehandelt werden. Europa hat mittlerweile etwa 100 derartige Abkommen abgeschlossen. Das soll ausgebaut werden: "Es geht darum, dass die EU bei Fragen der Rohstoffaußenpolitik mit einer Stimme spricht."
Auf diese Weise will die Bundesregierung sicherstellen, dass "wir" nicht eines Tages ohne "unsere" Rohstoffe dastehen. Mit all ihrer Macht will sie (weiter) dafür sorgen, dass der Weltmarkt "frei" bleibt. Trotz all des Geredes über Globalisierung und Primat der Ökonomie setzen Industrie und Politik dabei auf Gewalt und Macht des Staatsapparates und demonstrieren so - noch weit unterhalb der Schwelle militärischer Einsätze -, wie wenig friedlich der freie Welthandel ist.
Anna Blume und Stefan Kaufmann