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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 516 / 20.4.2007

Aufgeblättert

Mumia Abu-Jamal

Das Leben des schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal ist weiterhin in Gefahr. Am 17. Mai wird in Philadelphia eine Anhörung stattfinden, die darüber entscheidet, ob er doch noch hingerichtet wird, wie es die Staatsanwaltschaft, die einflussreiche Polizeigewerkschaft und führende konservative Kreise in den USA fordern. Die Jury könnte auch dafür sorgen, dass die Todesstrafe in lebenslängliche Haft umgewandelt wird. Weil in den USA lebenslänglich wortwörtlich genommen wird, würde das bedeuten, dass er bis an sein Lebensende hinter Kerkermauern bleiben müsste. Mumias Anwälte fordern ein neues Verfahren, das dann - davon sind sie angesichts der Fülle von entlastendem Beweismaterial überzeugt - nur in einem Freispruch enden kann. Doch dazu muss die internationale Solidaritätsbewegung wieder aktiv werden, die Mumia schon in den 1990er Jahren das Leben rettete. So wird u.a. für den 12. Mai eine überregionale Solidaritätsdemonstration in Berlin vorbereitet. Weil es in den letzten Jahren um Mumias Kampf ruhiger geworden ist, kommt ein Hörbuch gerade richtig, das der Heidelberger Dozent Michael Schiffmann herausgegeben hat. Dort wird in knapp einer Stunde wichtiges Hintergrundwissen vermittelt: über Mumias persönliche Entwicklung, die Zerschlagung der Black-Panther-Bewegung, die Move-Bewegung und das US-Gefängnissystem. So beschreibt Schiffmann auch, wie die US-Polizei führende Aktivisten der Black Panthers in ihren Betten liquidierte. Der junge Mumia Abu-Jamal, der in der Presse der schwarzen Bewegung über den Staatsterror berichtete, zog sich damit den Hass des Establishments zu. Ausführlich behandelt Schiffmann auch die Schüsse auf einen Polizisten, die Mumia angelastet wurden und ihn in die Todeszelle brachten.

Peter Nowak

Michael Schiffmann: Wettlauf gegen den Tod. Mumia Abu-Jamal CD-Hörbuch. 7 EUR. Die CD kann bestellt werden über free.mumia@gmx.net

Italiens Krieg in Abessinien

Bis heute hält sich das Bild eines relativ "gemäßigten" italienischen Faschismus, der auch in seinen Kriegen - im Unterschied zum deutschen Nationalsozialismus - keine größeren Verbrechen begangen hätte. Der Schweizer Historiker Aram Mattioli weist nun in seinem Buch über den Abessinienkrieg 1935-1941 nach, dass das faschistische Italien nach seinem Überfall auf das ostafrikanische Land einen regelrechten Vernichtungskrieg führte. Mindestens 350.000, vielleicht auch mehr als doppelt so viele AbessinierInnen fielen dem Krieg zum Opfer, größtenteils ZivilistInnen. Systematisch und auf Befehl Mussolinis wurde dabei Giftgas eingesetzt, das zu einem besonders qualvollen Tod führte. Auch Viehherden wurden mit Gas getötet - damit wurde der Hunger ebenfalls als Waffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Ein Verstoß gegen das Kriegsrechts war auch die regelmäßige Erschießung Gefangener. Ungeachtet heftiger Proteste der abessinischen Regierung beschloss der Völkerbund, dessen einziges afrikanisches Mitglied der souveräne Staat Abessinien war, allenfalls halbherzige Sanktionen gegen den Aggressor. In Italien selbst lösten die militärischen Erfolge einen nationalen Taumel aus - nach der Einnahme von Addis Abeba im Mai 1936 stand Mussolini auf dem Gipfel des Triumphes. Die Ausrufung des Kaiserreichs wurde als Fortsetzung glorreicher römischer Geschichte gefeiert. Im demokratischen Nachkriegsitalien waren die Verbrechen der eigenen Nation kein Thema. Geschichtsfälscher wie die Marschälle Badoglio und Graziani - die als Kriegsverbrecher hätten abgeurteilt werden müssen - bestimmten das Bild: Italien habe Abessinien die "Zivilisation" gebracht, und Giftgas sei niemals verwendet worden. Erst in den vergangenen zehn Jahren begann sich die historische Wahrheit auch in Italien durchzusetzen. Aram Mattiolis lesenswertes Buch könnte ein wichtiger Beitrag zur dortigen geschichtspolitischen Debatte werden - wenn es denn, wie zu hoffen ist, demnächst auch in italienischer Sprache erscheint.

Js.

Aram Mattioli: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935-1941. Verlag Orell Füssli, Zürich 2005, 239 Seiten, 32,80 EUR

Wider das Vergessen

"Wir erzählen alle dieselbe Geschichte, haben alle dasselbe erlebt", sagt eine jener Holocaust-Überlebenden, welche die israelischen Filmemacherin Tali Shemesh in dem bemerkenswerten Film "The Cemetery Club" (2006) vorstellt. Die Geschichten der Überlebenden ähneln sich tatsächlich alle, denn sie erzählen von dem Glück, im richtigen Moment den Vernichtern die richtige Lüge aufgetischt zu haben oder im richtigen Moment nicht am falschen Ort gewesen zu sein. Als Artur Radvansky 1942 von Sachsenhausen nach Auschwitz kam, machte er sich bei der Selektion zum "Studenten der Medizin" und rettete sich so vor der Vernichtung. Wer bei den Berichten von Überlebenden die Augen verdreht oder - wie jüngst ein paar treudeutsche Polizeischüler - sich verbittet, wieder mit den alten Geschichten behelligt zu werden, entehrt nicht nur die Erinnerung an das Leiden der Überlebenden, sondern schändet buchstäblich das Gedenken an die Millionen von Deutschen ermordeten Menschen. Auf die Frage, ob er den Tätern verzeihen könne, antwortet Artur Radvansky: Wenn sie bereuen und bedauern würden, könnte er ihnen vergeben. "Allerdings - und das wiegt schwer - habe ich bis heute keinen getroffen, der bereut hat, was er getan hat." Das ist in einem Satz die deutsche Nachkriegsgeschichte, die nicht vergeht. Der Überdruss, den jetzt auch die Enkel der sich zu Opfern stilisierenden TäterInnen an den Tag legen, ist vor dem Hintergrund des Sterbens der letzten Überlebenden umso alarmierender. Deshalb kann man gar nicht dankbar genug sein, dass Menschen wie der heute 85-jährige Artur Radvansky, der fünf NS-Konzentrations- und Vernichtungslager überlebte, Wege gefunden haben, ihr Schweigen zu überwinden - lange Jahre konnte er mit niemandem, auch mit seinen Kindern nicht, über das Grauen reden, bis er im Frankfurter Auschwitz-Prozess als Zeuge aussagte. Nüchtern erzählt Radvansky (geborener Artur Tübinger aus dem mährischen Radvanice - daher sein heutiger Name) seine haarsträubende Geschichte bei zahllosen Zeitzeugen-Gesprächen an deutschen Schulen; sachlich ist auch das Transkript seines Berichts "Trotzdem habe ich überlebt", das Friedemann Bringt und Lena Schnabel für die Schriftenreihe der Aktion Sühnezeichen besorgt haben. Auf diese Weise wird nicht nur das Entkommen eines Menschen aus der deutschen Vernichtungsindustrie in Buchform gebracht. Vielmehr findet sich darin auch die Geschichte, wie die beiden BearbeiterInnen über den Einsatz als ASF-Freiwillige eine Brücke bauen konnten zu den Überlebenden, wie aus der Überwindung der Sprachlosigkeit der einen und der Weigerung der anderen, Auschwitz auf sich beruhen zu lassen, gelebte Erinnerungskultur werden konnte, an welcher wir bewundernd teil haben dürfen. Wider das Vergessen.

Friedrich C. Burschel

Artur Radvansky: Trotzdem habe ich überlebt. Lebensbericht eines Menschenfreundes, herausgegeben von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Verlag ddp goldenbogen, Dresden 2006, 108 Seiten, 9,90 EUR