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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 516 / 20.4.2007

Kampf zweier Linien

Die globale Energiestruktur und das Ende des fossilen Zeitalters

Die Widersprüche des fossilistischen Kapitalismus spitzen sich zu. Der jüngste UN-Klimabericht ist dramatisch: Verheerende Dürren und dauerhafte Überschwemmungen werden sehr viel früher als bisher angenommen insbesondere Afrika und Asien heimsuchen. Es ist vor allem die Nutzung fossiler Energieträger, die die Menschheit sehenden Auges in die Krise treibt: 90 Prozent der Transportmittel werden mit Öl angetrieben. 95 Prozent aller Waren sind unter Einsatz der zähen Flüssigkeit hergestellt worden. Das gilt selbst für 95 Prozent der Lebensmittel. Doch die globale Klimakrise ist nicht das Hauptproblem des Westens.

Das Erdölzeitalter geht zu Ende und der Konflikt um die überlebenswichtige Ressource spitzt sich zu. Dabei erodiert die Dominanz der Vereinigten Staaten in der globalen Energiestruktur, nicht zuletzt aufgrund ihrer gescheiterten aggressiven außenpolitischen Strategie. Dabei bereitete der Erdölpreis dem Westen in den letzten 20 Jahren kaum Kopfschmerzen. Die durch die OPEC eingeleiteten Ölpreisschocks in den 1970er Jahren führten zu einem verstärkten Engagement westlicher Ölfirmen in Nicht-OPEC-Staaten. Insbesondere das Nordseeöl wurde zu einer attraktiven Alternative. In der Konsequenz stieg die Produktion außerhalb der OPEC kontinuierlich auf über 60 Prozent der Weltölproduktion an.

Der rapide Ölpreisverfall der 1980er und 1990er Jahre muss aber vor allem in den engen Zusammenhang mit der Erneuerung der US-Hegemonie im gleichen Zeitraum gestellt werden. Insbesondere die nicht intendierten Nebeneffekte der finanz- und geldpolitischen Wende der USA Ende der 1970er Jahre waren für den Bedeutungsverlust der OPEC verantwortlich. Es waren vor allem das darauf folgende schwache Wirtschaftswachstum in den OECD-Staaten und die Schuldenkrise der Peripherie, die zum Einbruch der Ölpreise führten.

In der Folge konnten die etablierten Ölkonzerne ("seven sisters") ihre seit den 1970er Jahren verstärkt unter Druck geratene Dominanzposition auf dem Weltmarkt wieder festigen und ausbauen. (1) Insbesondere die Kontrolle über die Explorationstechnologie, die offshore-Produktion, die meisten Raffinerierungskapazitäten und die Vermarktung ermöglichten den Konzernen relativ leicht, neue Produktionsstätten in Nicht-OPEC-Ländern zu erschließen. Hinzu kam, dass einige hochverschuldete Staaten sich in einer Situation wiederfanden, in denen sie widerwillige Konzerne geradezu bedrängen mussten, die Ölproduktion aufzunehmen.

Zwanzig Jahre lang war Öl kein Thema

Der Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus öffnete dann im Laufe der 1990er Jahre einerseits den westlichen Konzernen insbesondere in Zentralasien und dem Kaukasus, dem Zentrum der "strategischen Ellipse", umfangreiche Investitionsmöglichkeiten. Andererseits entstanden mit der zügellosen Privatisierung in Russland neue private Konzerne, die große Mengen billigen Erdöls auf den Weltmarkt warfen. Im Herbst 1998 schließlich erreichte der Ölpreis mit zehn US-Dollar je Barrel einen bisher unerreichten Tiefpunkt. Das hat sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt.

Seit 2004 erleben wir die dritte Ölpreiskrise nach 1973 (Jom-Kippur-Krieg) und 1979-1981 (Iranische Revolution und Iran-Irak-Krieg). In den letzten acht Jahren hat sich der Preis des Leitenergieträgers etwa versiebenfacht. Zwar wurde der historische Rekord von 80 US-Dollar je Barrel zu Beginn der 1980er Jahre nicht eingestellt, aber der jüngste Ölpreisschock ist ein Indikator für den Anfang vom Ende des Erdölzeitalters. Nicht nur verschoben sich die Dimensionen von Angebot und Nachfrage wahrscheinlich fundamental, auch die Konfiguration des ölbasierten fossilen Energieregimes verändert sich deutlich.

Die drastischen Preissteigerungen sind, anders als frühere Ölpreisschocks, nicht auf eine Verknappung des Angebots zurückzuführen, sondern beruhen auf der rapide steigenden Nachfrage.

Erstens war das Weltwirtschaftswachstum 2004 das stärkste seit dreißig Jahren. Insbesondere die nachholenden und wenig energieeffizienten Ökonomien Chinas, Indiens und Brasiliens wuchsen besonders stark. Diese Volkwirtschaften benötigen im Vergleich mit den "entwickelten" Staaten in etwa das Vierfache an Energie, um einen US-Dollar Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu erzeugen. Der Energiekonsum stieg allein in jenem Jahr um 4,3 Prozent. Das war der höchste Zuwachs seit 1984.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Erdölzeitalters seit ca. 1850 überstieg damit die Nachfrage das potenzielle Angebot. Kritische Geologen wie Jeremy Legett verweisen darauf, dass die Förderspitze ("peak oil") wahrscheinlich erreicht und vielleicht schon überschritten ist. Die Erde ist bereits mehrfach nach Erdölvorkommen abgesucht worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass neue, besonders ergiebige Vorkommen ("Elefanten") gefunden werden, ist äußerst gering und neue Technologien zur Förderung von "unkonventionellen" Vorkommen (etwa Ölschiefer) werden das rapide Nachfragewachstum wohl kaum befriedigen können.

Weniger bekannt ist, dass, zweitens, die derzeitige Verknappung des Angebotes ihren Grund zu einem Teil in fehlenden Raffinierungskapazitäten hat. Es fehlen nicht nur grundsätzlich Kapazitäten für die Verarbeitung von Rohöl, sondern die Wirbelsturmserie im Süden der USA hat auch wichtige Anlagen zerstört oder wochenlang lahm gelegt. Die internationalen Finanzmärkte verfolgen nicht zuletzt wegen dieser Erfahrung die Besorgnis erregenden Sturmprognosen für den Golf von Mexiko im kommenden Herbst mit wachsender Nervosität. Die Internationale Energieagentur mit ihren 26 Mitgliedsstaaten musste damals aus den Notreserven zwei Mio. Fass Öl pro Tag freigeben.

Der Investitionsstau beim Aufbau neuer Raffinerieanlagen ist so groß, dass er hinter der globalen Nachfrage und hinter dem Ausbau der Förderkapazitäten liegt. Seit 1976 ist keine neue Raffinerie in den USA entstanden. Der Grund ist simpel: Die Gewinnmargen im Raffinierungssektor waren so uninteressant, dass nationale oder internationale Konzerne kaum zu investieren bereit waren.

Das "Underinvestment" im Ölsektor hängt drittens unmittelbar mit der repressiven Wirkung der Funktionsweise des globalen Finanzregimes zusammen. Einerseits ist es für - insbesondere die große privaten, sprich börsennotierten - Ölkonzerne sehr viel attraktiver, ihre Profite in den internationalen Finanzmärkte zu parken als sie in langfristige Projekte zu investieren. Pipelines zahlen sich erst nach etwa 20 Jahren aus; Raffinerien beginnen sich noch viel später zu rechnen. Laut einer aktuellen Analyse der Investmentbank Goldman Sachs verfügen die Erdölkonzerne über Kapitalreserven von 500 Mrd. US-Dollar. Andererseits macht das für den Shareholder-Kapitalismus typische Auseinanderfallen von Eigentümerinteresse, Leitungsbefugnis und Kontrolle auch nicht vor den Riesen des Ölgeschäfts halt, wie der Finanzskandal um Enron 2001 spektakulär gezeigt hat.

Die Dominanz der USA steht zur Disposition

Zu guter letzt ist gerade der Ölpreis Gegenstand immenser Spekulation. Öl sowie strategische Rohstoffe insgesamt werden vor dem Hintergrund des Weltwirtschaftsbooms von Hedgefonds, Investmentbanken und sogar eher "konservativ" investierenden Pensionsfonds als neue und überaus lukrative Spielwiese entdeckt. So wechselt eine Tankerladung Öl zwischen Abfahrt und Ankunft, vermittelt über die Finanzmärkte, gleich mehrfach den Eigentümer.

Viertens sind es die neuen geopolitischen Unwägbarkeiten, die den Ölpreis in die Höhe treiben. Fast alle bekannten Erdölvorkommen befinden sich in politisch hoch instabilen Regionen. Das Sicherheitsbedenken, das die großen Ölkonzerne vor Investitionen zurückschrecken lässt, wurde insbesondere im Irak deutlich, wo sie trotz der zwischenzeitlich (neo)liberalsten Investitionsgesetzgebung und eines enormen Drucks durch die Regierungsstellen der USA fern blieben und bleiben.

Die gegenwärtige Preishausse zeigt einen tief greifenden Umbruch im Ölzeitalter an. Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends ist das Ringen um die immer knapper werdenden Ressourcen in eine neue Etappe eingetreten: Einerseits erstarkte die OPEC. Gegenwärtigen Prognosen zufolge wird ihr Anteil an der Weltölproduktion wieder stark zunehmen. Gleichzeitig hat sich das Verhältnis zwischen den USA und zentralen OPEC-Verbündeten bzw. Zulieferern stark abgekühlt wie zu Venezuela und Saudi-Arabien.

Darüber hinaus verstärkt ein schwächelnder US-Dollar die Anreize für die OPEC-Mitglieder, die Preise zu erhöhen, um den sich verschlechternden Terms of Trade entgegenzuwirken. Eine neue alternative Weltölwährung steht mit dem Euro zur Verfügung und eine vorsichtige Umschichtung von US-Dollar-Reserven in Euro ist bereits im Gang. Bisher sind es vor allem Algerien und der Iran, die öffentlich bekundet haben, ihre Ölrechnungen möglicherweise in Euro begleichen zu lassen.

Auch die Dominanz der großen angel-sächsischen "Oilmajors" wird derzeit verstärkt untergraben. Es sind insbesondere chinesische Staatskonzerne, die in bisher geächteten bzw. vernachlässigten ölproduzierenden Staaten wie Sudan und Angola große Investitionen vornehmen. Gleichzeitig wird die Position der großen Konzerne durch eine neue Welle von Nationalisierungen von Ressourcenvorkommen herausgefordert - z.B. in Venezuela, Russland oder dem Tschad.

Kurz, zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht die Dominanz der USA in der globalen Energiestruktur zur Disposition, und das vor dem Hintergrund einer immer stärker wachsenden Abhängigkeit von Ölimporten. Der Westen sucht händeringend nach einer tragfähigen Strategie zur Bearbeitung dieses Widerspruchskomplexes.

In den Medien und der Wissenschaft finden bisher nur die USA, Russland und China als die zentralen Akteure der neuen Geopolitik Beachtung. Die EU, gemeinhin als "wirtschaftlicher Riese und politischer Zwerg" gehandelt, wird in aller Regel nicht ernst genommen. Dennoch bemüht sich auch diese, zu einer weltpolitischen Ordnungsmacht zu werden. Aus den bisherigen, zugegebenermaßen sehr vagen Entwürfen einer europäischen Energieaußenpolitik lässt sich herauslesen, dass es der EU im Kern um eine kooperative, multilateral orientierte und rechtsbasierte Kontrollstrategie geht, die sich durchaus im Kontrast zu einer traditionellen Groß- oder Supermachtstrategie profilieren will. Kurz: Der "Schaffung eines gemeinsamen Regelwerks um Europa herum" (EU-Kommission). Die politische Schwäche der EU, die durch die Spaltung Europas im Vorfeld des Irakkrieges oder die gescheiterte Verfassung einmal mehr manifest wurde, dient hierbei durchaus als "Wettbewerbsvorteil".

In Europa wird derzeit noch um die konkrete Ausgestaltung der Energieaußenpolitik gestritten. Sehr grob lassen sich zwei Fraktionen mit unterschiedlichen strategischen Interessen identifizieren. Die "Transatlantiker" sehen in einer engeren Anlehnung an die USA, gewissermaßen als privilegierter Juniorpartner, die Erfolg versprechendste Entwicklungsperspektive der Union. Demgegenüber stehen die "Europäer" eher für eine sich von den USA distanzierende EU. Mit Blick auf die Energieversorgung hieße das eine engere Anlehnung an Russland.

Vor dem Hintergrund der verheerend gescheiterten US-Strategie im Nahen Osten werden die europäischen Ambitionen durch die USA aufmerksam verfolgt. Bereits 1997 entwarf ein Vordenker der US-amerikanischen Außenpolitik, Zbigniew Brzezinski, das geostrategische Konzept, das nunmehr verstärkt verfolgt wird: Europa solle als "demokratischer Brückenkopf" - damals vor allem gegenüber dem "schwarzen Loch" Russland - fungieren, um eine Entfremdung strategisch wichtiger Staaten von den USA zu verhindern. Notwendig sei dafür, dass die EU ihre Stärken zwar ausspielt, aber ohne sich gleichzeitig von den USA zu emanzipieren.

Vor dem Hintergrund dieser "grand strategy" ist der kommende G8-Gipfel - oder mehr noch die geradezu hektischen Aktivitäten auf der Ebene der Arbeitsgruppen des "G8-Systems" - zu sehen. Es geht um die Anbindung Europas an die USA, also die Vereinheitlichung der Strategie des Westens gegenüber den neuen Herausforderungen, nach dem die aggressive Außenpolitik der USA gescheitert ist. In wie weit und ob dies möglich sein wird, ist mehr als fraglich.

Stephan Heidbrink

Anmerkung:

1) Aufgrund von Zentralisierungsprozessen existieren heute nur noch vier Konzerne: ExxonMobil, , Chevron-Texaco, BP und Royal Dutch Shell.