Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 517 / 18.5.2007

Macht und Ohnmacht der Bewegung

40 Jahre danach: ein Rückblick auf den 2. Juni 1967

Die Rostocker Demo am 2. Juni wird keine Gedenkveranstaltung sein. Als Auftakt massenhafter Proteste gegen das G8-Treffen ein paar Tage später in Heiligendamm wird sie organisiert und getragen von einer Bewegung, in der die "VeteranInnen" der 1960er Jahre nur eine kleine Minderheit darstellen. Aber am 40. Jahrestag des "historischen" 2. Juni 1967 ist ein Blick zurück angebracht: ohne Nostalgie oder konstruierte Parallelen, aber in dem Bewusstsein für eine Tradition des Widerstandes, die in der staatsoffiziellen Geschichtsschreibung allenfalls in verzerrter Form vorkommt.

Der 2. Juni 1967 war nicht der Beginn der "Studentenbewegung" bzw. der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO). Diese hatte vielmehr einen jahrelangen Vorlauf in vorwiegend studentischen Zirkeln. Aber auch vor der Geburt der Neuen Linken hatte es in der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin außerparlamentarische Opposition gegeben, u.a. gegen "Wiederbewaffnung" und atomare Rüstung oder anlässlich der Spiegel-Affäre. Der 26-jährige Student Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 in Westberlin erschossen wurde, war auch nicht das erste Opfer von Polizeigewalt. Schon 1952 war bei einer antimilitaristischen Demonstration in Essen der junge Kommunist Philipp Müller von der Polizei erschossen worden.

Aber der 2. Juni 1967 war eine Zäsur. Der gezielte Todesschuss sowie die zynischen Reaktionen von Politik und Medien, später dann der Freispruch für den Schützen, machten der Protestbewegung klar, mit welchem Gegner sie es zu tun hatte. Unmittelbare Folge der Westberliner Ereignisse war die Verbreiterung und Radikalisierung der Proteste im gesamten Bundesgebiet. Später legte sich eine bewaffnete Gruppierung den Namen "Bewegung 2. Juni" zu - auch um deutlich zu machen, von wem die Eskalation ausgegangen war.

Im Juni 1967 reisen der Schah von Persien, Resa Pahlewi, und seine Frau Farah Diba auf Staatsbesuch durch Europa. In Westdeutschland werden die Lieblinge der Regenbogenpresse wegen ihres "märchenhaften" Reichtums, den sie offen zur Schau stellen, von einem Millionenpublikum umschwärmt. Über die sozialen und politischen Zustände unter der kaiserlichen Diktatur informieren der iranische Schriftsteller Bahman Nirumand ("Persien - Modell eines Entwicklungslandes"), die Konföderation Iranischer Studenten (CISNU), der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) und westdeutsche studentische Vertretungen.

"Besonnene" Polizei gegen "linksradikale Störenfriede"

Erste Station des Staatsbesuchs auf deutschem Boden ist Westberlin. Iranische Geheimpolizisten und monarchistische Studenten ("Jubelperser") schlagen mit Latten auf GegendemonstrantInnen ein. Auch die Polizei reagiert mit bisher nicht dagewesener Brutalität auf die "Störungen". Während das kaiserliche Paar, Bundespräsident Heinrich Lübke, Außenminister Willy Brandt und der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz mit ihren Ehefrauen in der Deutschen Oper Mozarts "Zauberflöte" hören, hetzen Greiftrupps der Polizei DemonstrantInnen, prügeln und nehmen vermeintliche "Rädelsführer" fest. Benno Ohnesorg, der zum ersten Mal an einer Demonstration teilnimmt, flüchtet sich in einen Garagenhof. Dort wird er von mehreren Polizisten verprügelt. Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras (39) schießt ihn in den Hinterkopf - in "Notwehr", wie er nach der Tat behauptet. Ein Gericht spricht ihn im November des selben Jahres von der Anklage der fahrlässigen Tötung frei - weil die Notwehr-Version nicht eindeutig zu widerlegen gewesen sei.

Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) stellt sich voll hinter die Polizei und macht die DemonstrantInnen für den Tod Benno Ohnesorgs verantwortlich: "Die Geduld der Stadt ist am Ende. Einige Dutzend Demonstranten, unter ihnen auch Studenten, haben sich das traurige Verdienst erworben, nicht nur einen Gast der Bundesrepublik Deutschland beschimpft und beleidigt zu haben, sondern auf ihr Konto gehen auch ein Toter und zahlreiche Verletzte. Ich sage ausdrücklich und mit Nachdruck, dass ich das Verhalten der Polizei billige und dass ich mich durch eigenen Augenschein überzeugt habe, dass sich die Polizei bis an die Grenze des Zumutbaren zurückgehalten hat." Dass war schlicht gelogen, wie Albertz später zugeben musste. 1981, nach seiner Wandlung zum Harmonisierer und Gesprächspartner der Linken, schrieb er: "Die Nachricht vom Tode Benno Ohnesorgs kam schon über die Mitternachtsnachrichten des Rundfunks. Der Pressechef des Senats las mir eine von ihm formulierte Erklärung vor: Ich stünde voll hinter der Polizei. Ich stimmte zu. Am nächsten Morgen musste ich den Schah zum Flugplatz bringen. Ich fragte ihn, ob er von dem Toten gehört habe. Ja, das solle mich nicht beeindrucken, das geschehe im Iran jeden Tag."

"Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen"

Unmittelbar nach der Orgie staatlicher Gewalt werden deren Opfer zu Tätern gemacht. Springers BZ schreibt am Tag danach: "Linksradikale Störenfriede haben gestern Abend vor der Deutschen Oper der Polizei eine regelrechte Straßenschlacht geliefert. Der Anlass war der Besuch des Schahs von Persien. Dennoch war das keine politische Demonstration. Es war das Werk eines Mobs. Ihm ging es nicht mehr um die politische Aussage in irgendeiner Form. Ihm ging es nur um Krawall, um Unruhe, um Prügelei. Um Terror. Frauen, die gekommen waren, um den Schah zu sehen, brachen von Steinen getroffen blutend zusammen. Polizisten wurden schwer verletzt abtransportiert. Und auch die Demonstranten kamen nicht ungeschoren davon."

Mit dieser zynischen Verdrehung der Tatsachen und der klammheimlichen Billigung des Todesschusses lässt man es im Hause Springer nicht bewenden. Die BZ heizt den "Volkszorn" gegen die "Krawallmacher" noch weiter an: "Die Berliner haben kein Verständnis dafür, dass ihre Stadt zur Zirkusarena unreifer Ignoranten gemacht wird. Wer Anstand und Sitte provoziert, muss sich damit abfinden, von den Anständigen zur Ordnung gerufen zu werden. Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen. Die Anständigen in dieser Stadt aber sind jene Massen der Berliner, die Berlin aufgebaut und Berlins Wirtschaft angekurbelt haben. Ihnen gehört die Stadt. Ihnen ganz allein!" (BZ, 3.6. 1967) Mehrfach, nicht erst beim Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968, reagieren "anständige Berliner" auf diese planmäßige Hetze mit Übergriffen gegen Linke; der Verwaltungsangestellte Lutz-Dieter Mende, der eine entfernte Ähnlichkeit mit Dutschke hat, entkommt im Februar 1968 nur knapp dem Lynchversuch durch eine tausendköpfige Menge.

Der Westberliner Senat verhängt am 3. Juni faktisch den Ausnahmezustand: Die Gebäude der Freien Universität (FU) sind verschlossen, auch auf dem Campus herrscht - ebenso wie im gesamten Stadtgebiet - ein generelles Versammlungs- und Demonstrationsverbot. Ein Trauermarsch in der Innenstadt wird von der Polizei eingekreist und aufgelöst. Als sich trotz Verbot 6.000 Studierende auf dem Campus versammeln, droht die Polizei damit, auch diese Versammlung gewaltsam aufzulösen. Schließlich öffnet der Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät sein Gebäude. Dort beschließen die Studierenden, für mindestens eine Woche den normalen Lehrbetrieb zu unterbrechen und statt dessen Diskussionen zu führen:

"a) über die Ereignisse der letzten Tage;

b) über die Verschleierung der Tatsachen durch Politiker, Polizei und Presse und die Bedeutung dieser Manipulation des öffentlichen Bewusstseins;

c) über den faktischen Ausnahmezustand in Berlin, die Tendenzen einer bürgerlichen Aufhebung der Demokratie und über den von legalisierten Organen der Exekutive ausgeübten Terror;

d) über die Möglichkeiten der Universität als Ort sich politisch verstehender Wissenschaft, aktiv politisch zu intervenieren, um die Demokratie in Berlin wiederherzustellen, zu verteidigen und weiter zu entwickeln."

Der Beschluss wird vom Konvent übernommen und an fast allen Fakultäten in die Tat umgesetzt. An den westdeutschen Universitäten werden Trauerkundgebungen abgehalten. Auf der Trauerfeier in Westberlin spricht der Theologieprofessor Helmut Gollwitzer vor 15.000 Menschen. Am 9. Juni wird Benno Ohnesorgs Leichnam in Hannover beerdigt. Dort beginnt am selben Tag der Kongress "Hochschule und Demokratie - Bedingungen und Organisation des Widerstandes", an dem 5.000 Studierende und HochschullehrerInnen aus der gesamten Bundesrepublik teilnehmen.

Die zu Diskussionsveranstaltungen "umfunktionierten" Vorlesungen und Seminare sind der unmittelbare Vorläufer der "Kritischen Universität", die zum Wintersemester 1967/68 von den Studierenden an der FU per Urabstimmung beschlossen wird. In 33 Arbeitskreisen geht es um drei Ziele:

"1. Permanente Hochschulkritik und praktische Studienreform.

2. Verbreiterung und Intensivierung politischer Praxis, sei es in spontanen Aktionszentren, politischen Hochschulgruppen oder in der Studentenvertretung, mit Hilfe wissenschaftlicher Analyse und Kritik.

3. Vorbereitung der Studenten auf die Praxis der Wissenschafts- und Gesellschaftspolitik in ihren künftigen Berufen und Unterstützung der kritischen Intelligenz in diesen Berufsbereichen."

Gegen die Diktatur der Manipulateure!

Auch die Mobilisierung gegen den Springer-Konzern soll weiter geführt werden. Unmittelbar nach dem 2. Juni haben politische AktivistInnen eine eigenständige Ermittlungsarbeit über das Vorgehen der Polizei aufgenommen und die Lügen der Presse und der verantwortlichen Politiker in Flugblättern und Zeitungen zurückgewiesen.

In einer längeren Analyse des SDS-Bundesvorstandes, die noch im Juni 1967 erscheint, heißt es: "Die Ereignisse in Berlin haben zugleich Macht und Ohnmacht der oppositionellen Studentenbewegung in der Bundesrepublik und Westberlin demonstriert. (...) Das postfaschistische System in der BRD ist zu einem präfaschistischen geworden. Die Vorfälle in Berlin sind ein Exempel, wie eine mit Notstandsgesetzen ausgerüstete Staatsgewalt, dann sogar völlig legal, der Verschärfung der politischen und sozialen Konflikte begegnen könnte."

Im September 1967 wird dann die Kampagne "Enteignet Springer" beschlossen, um "die Diktatur der Manipulateure" zu brechen und "Gegenöffentlichkeit" zu schaffen. Gegenöffentlichkeit gab es damals und gibt es heute, das Monopol für Meinungsmache und Manipulation aber besteht immer noch, der Springer-Verlag wie gehabt an vorderster Front.

40 Jahre nach dem 2. Juni 1967 sind die dramatischen und teilweise tragischen Ereignisse nicht vergessen. Der Name Benno Ohnesorg ist auch Jüngeren bekannt, nicht als der eines "Märtyrers" - den brauchte die APO nicht und braucht die heutige Bewegung nicht. Seine Ermordung, die staatsoffiziellen und medialen Reaktionen, schließlich der Freispruch für den Mörder zeigen, wie weit die Gegenseite zu gehen bereit ist, wenn sie sich durch demokratische Proteste herausgefordert fühlt.

Js.