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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 517 / 18.5.2007

Wir werden gegen Einschränkungen aktiv vorgehen

Interview mit Rechtsanwältin Silke Studzinsky zum Anwaltlichen Notdienst auf dem G8-2007

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und die Strafverteidigervereinigung Mecklenburg-Vorpommern organisieren zwischen dem 15. Mai und dem 30. Juni 2007 Ad-hoc-Büros in Rostock und Bad Doberan für einen anwaltlichen Notdienst. In Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsausschuss (EA) wird sich der Anwaltsnotdienst um effektiven Rechtsschutz für G8-GegnerInnen einsetzen, die ins Visier polizeilicher Maßnahmen gekommen sind. Über die Arbeit des Notdienstes, zu erwartende Repression und das Verhalten der Polizei sprachen wir mit Silke Studzinsky vom RAV.

Wie die bundesweiten Razzien vom 9. Mai zeigen, wird der vielstimmige Protest, der sich gegen den Gipfel formiert, schon im Vorfeld kriminalisiert. Das lässt erwarten, dass auch während des Gipfels viel Arbeit auf euch zukommt.

Silke Studzinsky: Demonstrationen und Aktionen als Protest gegen den G8 sind nicht nur legitim, sondern notwendig. Der Versuch der Kriminalisierung von Protest und Widerstand und die Trennung in "böse" und "gute" AktivistInnen durch die Razzien am 9. Mai ist meines Erachtens gescheitert. Die Aktion hat vielmehr zu einer noch breiteren Mobilisierung beigetragen. Was auch immer in Heiligendamm und Rostock passieren wird, gegen die Kriminalisierung der breiten Protestbewegung und die Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit und des Freiheitsrechts werden wir aktiv vorgehen: auf der Straße, vor den Behörden und in den Gerichtssälen. Protest muss auch dort stattfinden können, wo er hörbar und sichtbar ist. Hierzu werden wir unseren Beitrag leisten, egal mit welchem Arbeitsaufwand das verbunden ist.

Erfahrungsgemäß gehen Großereignisse wie der bevorstehende G8-Gipfel in Heiligendamm immer wieder mit grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen einher. Bereits jetzt wird geplant, Protestierer an Grenzen zurück- oder auf dem flachen Land festzuhalten, Demonstrationen vom Gipfeltreffen fern zu halten und große Gruppen in vorübergehenden Gewahrsam zu nehmen. Mit was rechnet ihr?

Wir gehen davon aus, dass präventive polizeiliche Maßnahmen, wie z.B. im Vorfeld Gefährderansprachen, Einreiseverbote, Meldeauflagen und vor Ort Platzverweise, Kontrollen großräumige Absperrungen, Einkesselungen und Ingewahrsamnahmen einen Schwerpunkt der Behinderungen darstellen werden. Aber natürlich wird es auch Festnahmen wegen des Verdachts von Straftaten geben.

Was kann der Anwaltsnotdienst tun, um diese Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte von GipfelgegnerInnen zu verhindern?

Wir werden sowohl im Vorfeld, also z.B. bei Einreiseverweigerungen als auch vor Ort tätig werden und sowohl auf der Verhandlungsebene mit der Einsatzleitung als auch durch gerichtlichen Rechtsschutz gegen polizeiliche Beschränkungen von Grundrechten vorgehen.

Viele dieser Grundrechtseingriffe - wie etwa Platzverweis und Ingewahrsamnahme - werden taktisch und auf Grundlage des Polizeirechts vollzogen. Wie kann man sich dagegen wehren?

Grundsätzlich kann man gegen polizeiliche Maßnahmen Widerspruch erheben, der jedoch keine aufschiebende Wirkung hat und erst ein Gericht im Eilverfahren angerufen werden muss. Bei den Ingewahrsamnahmen muss eine Person unverzüglich, also nach bisheriger Rechtsprechung nach rund eineinhalb Stunden einem Richter oder einer Richterin vorgeführt werden. Die Rechtswidrigkeit vieler Maßnahmen wird aber sicherlich erst Jahre später festgestellt werden.

Wie bewertest du die Tatsache, dass bereits jetzt Platzverweise am Zaun in Heiligendamm ausgesprochen wurden?

Solche Maßnahmen sind völlig unverhältnismäßig. Damit soll einerseits ein rigoroses Vorgehen demonstriert werden, andererseits sollen Leute abgeschreckt und eingeschüchtert werden.

Worin unterscheidet sich die Arbeit des Anwaltsnotdienstes von der Arbeit eines EA? Werdet ihr auch vor Ort bei Aktionen präsent sein?

Der Unterschied besteht vor allem in der Dimension und der Einbeziehung der europäischen und internationalen Ebene. Eine weitere Herausforderung besteht darin, den Anwaltsnotdienst in einer Region mit kaum vorhandener linker Infrastruktur aufzubauen. Wir werden auch bei Aktionen vor Ort sein. Das Legal Team Europa, in dem viele europäische Kolleginnen und Kollegen vertreten sind und das nach Genua 2001 aufgebaut wurde, wird u.a. auch die Beobachtung von Polizeieinsätzen durchführen.

Was empfehlt ihr den Leuten, die am 2. Juni zur Großdemonstration kommen und denjenigen, die sich an den Protesten in den folgenden Tagen beteiligen wollen?

Es ist unbedingt notwendig, dass die Leute sich in Bezugsgruppen organisieren und natürlich die Telefonnummer des Anwaltsnotdienstes anrufen, sobald irgendwelche Eingriffe oder Beschränkungen erfolgen. Wie immer gilt auch hier, zunächst keine Aussagen gegenüber der Polizei und Justiz zu machen. Alle sollten sich mit den Grundzügen, wie man sich bei Aktionen und Demonstrationen verhält, vertraut machen - Material dazu gibt es u.a. auf der Website www.gipfelsoli.org.

Steht ihr im Kontakt mit der Polizei und dem Land Mecklenburg-Vorpommern? Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Wir stehen zwar in Kontakt mit der Besonderen Aufbau-Organisation Kavala, die die polizeilichen Maßnahmen während des Gipfels koordiniert, und auch mit der Justiz. Allerdings war es bisher (11.5.07) noch nicht möglich, mit der Polizei Vereinbarungen zu treffen, obwohl wir nach einem fruchtlosen Gespräch Anfang April noch einmal schriftlich auf ihre Verpflichtung zu bestimmten Absprachen hingewiesen haben.

Welche Schlussfolgerungen zieht ihr daraus?

Sollte die Polizei an ihrer Verweigerung festhalten, werden wir öffentlichen und politischen Druck entfalten. Es stimmt mich bedenklich, dass sich die Polizei nach außen dialogbereit gibt - z.B. auch in der Frage der Protestcamps -, im Kern jedoch konkrete Absprachen verweigert. Ein solches Verhalten erweckt den Eindruck, als treibe sie ein doppeltes Spiel. Schon heißt es, es wird doch Zugangsbeschränkungen für das unweit von Heiligendamm gelegene Bad Doberan geben, obwohl das bislang immer verneint wurde.

Wird es unter diesen Umständen überhaupt Möglichkeiten für Protest geben?

Natürlich: flexibel, spontan und fantasievoll.

Interview: mb.

Weitere Infos: www.gipfelsoli.org/Antirepression