Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 517 / 18.5.2007

Glaubwürdigkeit von NGOs auf dem Prüfstand

Eine Replik der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO)

Im März 2007 haben über 40 Nichtregierungsorganisationen ein "Positionspapier" zum G8-Gipfel in Heiligendamm verabschiedet, in dem sie in verschiedenen Bereichen wie der Klima- und Rohstoffpolitik, dem Welthandel oder der Entwicklungspolitik gegenüber Afrika und dem Schutz von Biodiversität und geistigen Eigentumsrechten Forderungen an die G8-Regierungen stellen. Sie kündigen damit einen Konsens auf, der bis dato in der Mobilisierung nach Heiligendamm von einem breiten Bündnis getragen wurde: Die G8 zu delegitimieren anstatt Forderungen - von A wie Afrika bis Z wie Zollpolitik - an sie zu stellen. Wir kritisieren an diesem Positionspapier sowohl die politische Perspektive als auch die inhaltliche Ausrichtung.

Der Grund für die Delegitimierung der G8 war und ist, dass es dieser "Institution" in zweifacher Hinsicht an Legitimation mangelt: Erstens gemessen an den für viele Menschen katastrophalen Ergebnissen ihrer Politik, zweitens gemessen am eklatanten Missverhältnis zwischen den Beteiligten und den Betroffenen der G8-Entscheidungen. Statt zu kritisieren, dass sich die G8-Regierungschefs anmaßen, die Probleme der Welt zu lösen, werden sie umgekehrt aufgefordert: Sie sollen es machen - statt Delegitimierung der G8 erfolgt nun die Legitimierung. Ausgeblendet bleibt die Auseinandersetzung um die G8 selbst, d.h. um ihre Struktur, Mitgliedschaft, Aufgaben und ihre Verantwortlichkeit.

Das Papier fordert "Kurswechsel" und "Umkehr" - doch genau dies lässt sich nicht erreichen mit dem einseitig konsens- und dialogorientierten Politikverständnis, das dem Papier der NGOs zu Grunde liegt. Vor lauter Details und Pragmatismus geht ihnen der Blick für die strukturellen Zusammenhänge und notwendigen Konflikte verloren, die hinsichtlich der überfälligen tief greifenden Veränderungen anstehen. Die Suche nach Lösungen und Wegen wird auf das Machbare und durch den Regierungsapparat Akzeptable reduziert. Die politische Perspektive des Papiers vermittelt den Eindruck, dass zwischen dem bestehenden System bzw. seinen politischen RepräsentantInnen einerseits und den KritikerInnen andererseits nur Meinungsverschiedenheiten in Einzelheiten bestehen, über Ziele, Richtung und Wege notwendiger Veränderungen aber ein weitgehendes Einverständnis herrscht. Damit wird der Eindruck erweckt, als könnten und müssten Regierungen überzeugt werden, die Welt zum Besseren zu verändern. Regierungen und die G8 werden damit als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems dargestellt. Die politischen und ökonomischen Mechanismen der Weltordnung, die von den Regierungen abgesichert und vorangetrieben werden, sind in dem Papier nicht angesprochen. Statt die Machtkonzentration und die zu Grunde liegenden Herrschaftsverhältnisse zu kritisieren, werden diese durch die Forderungen bestätigt.

Die unterzeichnenden NGOs fallen damit hinter die Kritik und Reflexion ihrer eigenen Rolle in den 1990er Jahren zurück, die einige NGOs durchaus sehen, und machen sich damit zum Teil der herrschaftlichen Strukturen. Angesichts der breiten Kritik stellt sich die Frage, warum denn nun ausgerechnet die G8 den "globalen politischen Herausforderungen der Zeit" gerecht werden soll. Was das Papier bewusst ausblendet: Die G8 bzw. die beteiligten Regierungen spielen mit ihrer realen und symbolischen Macht für die Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse eine zentrale Rolle - und sind damit Teil der Ursache der Probleme, die sie zu lösen vorgeben.

Ausgeblendet: Die Rolle der G8

Das NGO-Papier verpasst damit die große politische Chance, an die Erfahrungen und Prozesse anzuknüpfen, die sich seit Mitte der 1990er Jahre entwickelt haben. Eine G8-Mobilisierung, die die G8 delegitimieren will, muss sich auf die Ziele dieser breiten Bewegung beziehen: Sie muss die undemokratische Verfasstheit sowie die neoliberale und imperiale Ausrichtung internationaler Politik öffentlich kritisieren; sie muss ein breites gesellschaftliches Bewusstsein schaffen, dass es radikaler Veränderungen bedarf, dass hier von staatlicher und internationaler Politik unter den gegebenen Umständen wenig zu erwarten ist und dass Menschen sich selbst organisieren müssen, um die Welt zu verändern.

Mitunter ist es sinnvoll, mit staatlichen Stellen Probleme zu verhandeln. Staatliche Politik ist wichtig, beispielsweise wenn es um die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen oder um die Garantie von Rechten geht. Tief greifende gesellschaftliche Veränderungen können den Staat, der eben selbst grundlegend verändert werden muss, nicht außer Acht lassen.

Es hat sich aber gerade in der jüngeren Geschichte erwiesen, dass Argumente gegenüber Staat, Unternehmen und der breiten Öffentlichkeit eingebettet sein müssen in einen kritischen Umgang mit eben diesen staatlichen Akteuren, mit Firmen oder Medien. Das gute Argument ist Teil von Machtfragen und die Mächtigen müssen dazu gebracht werden, dass sie unsere Argumente nicht überhören können. Wird das nicht bei der Entwicklung von Strategien berücksichtigt, laufen politische Forderungen - wie sie von den unterzeichnenden NGOs aufgestellt werden - ins Leere oder bewirken das Gegenteil dessen, was ihre AutorInnen erhoffen.

Staatliche und zwischenstaatliche Politik spielen nach wie vor eine große Rolle - aber in den meisten Fällen orientiert sie sich daran, die imperiale und neoliberale Weltordnung zu sichern. Um eine solidarische, demokratische und nachhaltige (Welt-)Gesellschaft zu schaffen, muss auch staatliche Politik verändert werden. Dies gelingt aber nur, indem die sozialen Kräfteverhältnisse und gesellschaftlich dominanten Orientierungen verschoben werden, die der Staat zum Ausdruck bringt. Hierfür dient, wie die historische Erfahrung zeigt, vor allem scharfe Kritik und die Delegitimierung von staatlichem und intergouvernementalem Handeln. Dies eröffnet Denk- und Handlungsräume und zwingt die Staaten, sich auch progressiver Anliegen anzunehmen.

Die Strategie, Regierungen nur durch das "bessere Argument" zu besserem Handeln zu bewegen, ist hingegen naiv. Sie blendet aus, dass staatliches Handeln fundamental darauf ausgerichtet ist, die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse zu sichern: Als Klassen- und patriarchale Geschlechterverhältnisse, als spaltende ethnische Verhältnisse, als imperiale weltwirtschaftliche und weltpolitische Ordnung. Insofern haben die privatkapitalistischen Unternehmen immer "das bessere Argument", nämlich Investitionen und Arbeitsplätze zu schaffen. Denn das, so ihre Logik, bereitet dem Staat weniger arbeitsmarktpolitische Probleme und sichert seine materiellen Ressourcen in Form von Steuern (die de facto viel stärker von den Lohnabhängigen als von den Unternehmen bezahlt werden). Solange dieses Verständnis herrscht, sind Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplatzschaffung - gleich zu welchen Bedingungen - immer die "besten Argumente". Zudem reproduziert die ausschließliche Orientierung am Dialog mit den Herrschenden genau das Politikverständnis, das es zu überwinden gilt: Eben jenes, das den Staat als Zentrum gesellschaftlicher Steuerung und Vertreter des Allgemeininteresses wahrnimmt.

Die NGOs, die sich als Vertreterinnen der "Zivilgesellschaft" verstehen, spielen die Rolle des "TÜV für gute Regierungspolitik": Sie loben und kritisieren und spornen die Regierungen an, sich weiter für Verbesserungen einzusetzen.

Dieser Aufgabe entsprechend erschöpft sich das Papier weitgehend darin, die Mächtigen an ihre Versprechen und Vereinbarungen zu erinnern. So fordert es im Hinblick auf Afrika, "endlich die Verpflichtungen umzusetzen, die bereits auf dem G8-Gipfel von Gleneagles getroffen wurden." Es ignoriert damit, dass eine zentrale Funktion der G8 gerade darin besteht, mit progressiven Versprechungen symbolische Politik zu betreiben: Das bedeutet, ein Bild zu erzeugen, dass sie die globalen Probleme lösen können - und den Anschein zu erwecken, dass sie das auch wirklich wollen (de facto koordiniert die G8 ja in vielen Bereichen Politiken, aber eben keine progressiven). Nicht die Umsetzung solcher progressiver Versprechen zählt für die G8, sondern die Ankündigung selbst. Sie täuschen Problemverständnis und Großherzigkeit vor, und haben bereits in dem Moment an Macht gewonnen, wo diese Inszenierung auf die Menschen wirkt.

Zwischen Dialog und Konflikt: Ein schmaler Pfad

Natürlich kann man diesen Mechanismus aufdecken, indem man zeigt, dass die Versprechen nur leere Worte waren. Doch wenn im gleichen Moment neue Forderungen gestellt werden, unterläuft das diese Kritik - und verhilft der G8 zugleich zu neuer Legitimität.

Die meisten NGOs haben ihre Rolle in den letzten Jahren kritisch reflektiert. Sie sind sich bewusst geworden, dass sie sich - z.B. beim Gipfel in Gleneagles 2005 - haben instrumentalisieren lassen, um die Kritik an den G8 in Unterstützung umzulenken: Der G8 ist es so gelungen, sich zur "Retterin Afrikas" und Verfechterin einer gerechteren Globalisierung zu stilisieren - ohne dass dem eine konkrete Tatsache entsprochen hätte. Doch durch die Inszenierung und die unfreiwillige "Mitarbeit" vieler NGOs konnten die G8 in den letzten Jahren neue Legitimität gewinnen. Sie nehmen dazu genau die Kritik auf, die an sie gerichtet ist, doch sie entschärfen sie und lenken sie in Bahnen, wo sie ihnen nützt statt schadet: Wenn Kritik die G8 als Lösung ansieht statt als Problem, so stärkt sie eben gerade ihre Stellung. Genau aus diesem Grund ist es eben nicht gleichgültig, ob aus pragmatischen Erwägungen auch mal ein solches Papier herausgegeben wird - denn es stärkt die hegemoniale Stellung einer bestimmten Politik und die der G8, die sich dadurch eben erst als legitimer Ort der Problembearbeitung installieren kann. Diese grundlegenden politischen Differenzen lassen sich an verschiedenen, im NGO-Papier angesprochenen Politikfeldern verdeutlichen.

Der Schutz des Klimas ist in der Tat ein zentrales Konfliktfeld, das gegenwärtige Herrschaftsverhältnisse, Wachstumsparadigmen und - hiermit eng verknüpft - dominante, fossilistische Energiesysteme herausfordert. Eine "globale Energiewende" zu fordern, wie es die unterzeichnenden NGOs tun, ist daher nur folgerichtig und konsequent. Diese Forderung jedoch an die Umsetzung der Kyoto-Ziele, an einen effektiven Ressourceneinsatz sowie an eine Ausweitung der Marktmechanismen zu knüpfen, ist einerseits naiv und hilflos. Andererseits verdeutlicht das Festhalten am Kyoto-Prozess, dass die NGOs sich trotz ihrer Kritik an der Langsamkeit der Umsetzungen als Dialogpartner einer Politik anbieten, die einer radikalen Energiewende diametral gegenübersteht.

Denn die vergangenen Jahre internationaler Klimapolitik haben eins mehr als verdeutlicht: Weder das unzureichende 5,2%-Reduktionsziel des Kyoto-Protokolls (bis 2012 im Vergleich zu 1990), noch die Einführung von Marktmechanismen für den Handel mit Verschmutzungsrechten (Emissionshandel) oder der von Weltbank und BMZ hoch gepriesene "Mechanismus für saubere Entwicklung" (Clean Development Mechanismen) tragen zu einem Kurswechsel bei, dessen Ziel es sein muss, die Kongruenz von fossilistischem Energiesystem und global dominierendem kapitalistischen Wirtschaftsmodell aufzubrechen. Im Gegenteil! Den G8-Staaten, die maßgeblichen Einfluss auf die klimapolitischen Vereinbarungen haben, geht es seit der ersten Klimakonferenz in Berlin 1995 darum, den Klimawandel zu vertretbaren wirtschaftlichen Kosten so in das herrschende System zu integrieren, dass ein "Weiter So!" möglich ist.

Die jüngeren Debatten um saubere und umweltfreundliche Kohlekraftwerke zeigen einmal mehr, dass Klimapolitik einem Diskurs technologischer Modernisierung unterliegt. Nicht die in eine tiefe Krise geratenen ausbeuterischen Verhältnisse zwischen Gesellschaft und Natur werden hinterfragt; es wird im Gegenteil nach einer Steigerung der Naturbeherrschung gestrebt. Mit der Forderung, neue Technologien im Bereich Kohlenstoffspeicherung zunächst wissenschaftlich auf ihre Klimaschutzwirksamkeit zu untersuchen, leisten die NGOs dem oben genannten Diskurs weiter Vorschub. Damit verbleiben sie im herrschenden Referenzrahmen, zu mehr "Kurswechsel" kann man sich nicht durchringen.

Eingeblendet: Die Rolle der NGOs

Die unterzeichnenden NGOs lassen sich von der Regierungspropaganda instrumentalisieren. Während sich die Bundesregierung international zum Vorreiter des Klimaschutzes aufschwingt, vertritt sie im Inland und der EU die Interessen der deutschen Automobilindustrie und der Energiemonopolisten. Damit vergeben sie sich im Bereich der Klimapolitik die Chance, ihre Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. Zu Beginn der Debatten um das Kyoto-Protokoll und die Einführung des Emissionshandels lehnte ein Großteil der unterzeichnenden Organisationen dieses Instrument als "Verkauf und Privatisierung der Atmosphäre" ab. Heute sind sie auf dieselbe Linie eingeschwenkt, die sie damals noch ablehnten und haben sich mit dem "Minimalkonsens" Kyoto bereitwillig abgefunden.

Dass das Kyoto-Protokoll den Klimawandel aus einer verkürzten Perspektive als globales Umweltproblem definiert, wird nicht mehr thematisiert. Klimawandel ist jedoch mehr als ein ökologischer Kollateralschaden von Wirtschaftswachstum und Wohlstand; es handelt sich um eine tief greifende Krise gegenwärtiger gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Als solche muss Klimawandel verstanden und politisiert werden. Dies bedeutet neben Konsumverhalten, bestehende Herrschaftsverhältnisse und die ungleichen internationalen und innergesellschaftlichen Verteilungsstrukturen zu thematisieren. So bleibt im Papier unerwähnt, dass das Verhältnis zwischen Nord und Süd immer mehr zu einer sozioökonomischen Bruchlinie wird. Diese Tendenz wird gerade verstärkt, indem vor allem der Süden zum Ort der nötigen Veränderung erklärt wird.

Gleichzeitig verkennt die regierungskonforme Forderung nach einer Effizienzrevolution im Bereich der Energierohstoffe, dass es "Zeiten billiger Rohstoffe", die nun gemäß Papier vorbei sind, niemals gegeben hat. Vielmehr haben die Menschen in den Erzeugerländern durch den Zwang zu billiger Arbeit, ökologischem Raubbau und der Rohstoffausbeutung durch transnationale Konzerne wie BP, Shell oder Exxon schon immer einen hohen Preis für "unsere Rohstoffe" bezahlt. Nicht sozialer Ausgleich, Klimaschutz oder eine Energiewende stehen auf der G8 Agenda. Es geht um die Sicherung und Aufrechterhaltung der Zugangsrechte zu fossilen Energieträgern, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln. Mit der Forderung nach einer Effizienzrevolution statt nach einer radikalen Abkehr vom fossilistischen Energiesystem beschreiten die NGOs den gleichen Pfad der Versorgungssicherheit und der Sicherung von Verfügungsrechten wie ihn die G8 Staaten seit Rambouillet (1975) verfolgen.

Eine radikal andere Klima- und Energiepolitik setzt nicht auf die Einsicht der Regierungen und der Energiekonzerne, sondern auf eine alternative, konsequent dezentrale und erneuerbare Energieversorgung, die die Bedürfnisse aller berücksichtigt. Sie muss aufzeigen, dass die scheinbar alternativen Ansätze aktueller Regierungsdebatten, wie die Ausweitung von Biokraftstoffen, in die bestehenden Herrschaftsverhältnisse weltweit eingeschrieben sind und sie muss sich unterscheiden von den technokratischen Modernisierungsansätzen der globalen Ressourcenmanager. Eine solche Klimapolitik ist Gesellschaftspolitik auf der Basis von Emanzipation und sozialem Ausgleich - hierfür stehen Wir.

Klima- und Energiepolitik: Radikal anders?

Die G8-Regierungen, so fordern die NGOs, sollen gegenüber "Afrika" ihre Politik überdenken, stärker auf Verteilungspolitiken achten und die Rolle der Zivilgesellschaft stärken. Es ist illusorisch zu denken und zu fordern, dass "die politischen Vertreter der G8-Staaten in Heiligendamm zeigen [könnten], dass für sie die Menschen in Afrika und deren Interessen an erster Stelle stehen", wie das Positionspapier dies tut. Der neoliberal-imperiale Kapitalismus wird von den sich in der G8 koordinierenden Regierungen mit Gewalt durchgesetzt und verteidigt, in Reinform zu erleben etwa in den laufenden Verhandlungen zu den sog. Economic Partnership Agreements (EPAs), weit reichende Freihandelsabkommen, die die EU mit ihren ehemaligen Kolonien in Afrika, in der Karibik und im Pazifik gerade "partnerschaftlich" verhandelt. Die G8-Regierungen bieten keine Alternative zur zerstörerischen Ausbeutung von Mensch und Natur, keine Alternative zu permanenten Kriegen um Energie und Rohstoffquellen, keine Alternative zu Armut, Hunger und Zerstörung des globalen Südens und einer kommerziellen Konsumwelt des Nordens, keine Alternative zum kapitalistischen Wirtschaften.

Die heutigen Verteilungsverhältnisse sind nicht ahistorisch zu betrachten, sondern u.a. als Folge der langen Geschichte der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch Sklaverei und Kolonialismus zu verstehen. Die derzeit im Weltmaßstab noch immer Privilegierten werden Verluste hinnehmen müssen, sollen die gesellschaftlichen Konflikte tatsächlich überwunden werden. Daher scheint eine Lösung ausschließlich durch Dialog und Überzeugungsarbeit wenig realistisch. Die notwendige Umverteilung des Reichtums der Menschheit lässt sich nicht herbeidiskutieren.

Mit der progressiven Entwicklungssprache wird ausgeblendet, dass es zuvorderst um die Ausbeutung der Rohstoffe geht und dass die herrschende Form der Integration in den kapitalistischen Weltmarkt, die von den G8-Regierungen weiter vorangetrieben werden wird, ein Hauptproblem ist. Die eigene Verstricktheit von NGOs darin, ihre oft unrühmliche Rolle bei der Durchsetzung von neo-kolonialen Maßnahmen und das Konzept der Stellvertreterpolitik werden nicht erwähnt. Stellvertreterpolitik ist aber häufig das Alltagsgeschäft von NGOs. Sie reproduziert koloniale Hierarchien und kann gerade nicht der Unterstützung emanzipatorischer Ansätze dienen.

Der Schutz von Biodiversität kann kein Selbstzweck sein. Ihre Bedeutung und auch die Notwendigkeit des Schutzes sind immer abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen und somit auf globaler, supranationaler, nationaler oder lokaler Ebene jeweils auf unterschiedliche Weise nötig. Das NGO-Papier suggeriert ein Allgemeininteresse am Erhalt biologischer Vielfalt und beklagt - richtigerweise - die Leerstelle in der G8-Agenda. Eingefordert wird ein Biodiversitätsprogramm, um Biodiversität ganz oben auf der politischen Agenda zu platzieren. Doch Programme und Abkommen gibt es genug, beispielsweise die Konvention über biologische Vielfalt (CBD). Doch auch diese fördert in ihrer Grundausrichtung die Inwertsetzung der Natur durch Pharma-, Agrar- und Kosmetikkonzerne.

Wegweisende Schritte in die richtige Richtung wären die Akzeptanz unterschiedlichster Wissensformen, das Verhindern von Biopiraterie und die gleichberechtigte Teilnahme indigener Völker an den Diskussionen zu den Spezialthemen der CBD - und dazu ist keine G8 nötig, sondern sehr vielfältige Politiken auf unterschiedlichen Ebenen.

Die Forderung der NGOs, nur dann Patente zu gewähren, wenn "zweifelsfrei" keine Biopiraterie stattgefunden hat, fällt weit hinter den internationalen NGO-Diskurs zurück. Seit Jahren sind sich NGOs und soziale Bewegungen zumindest in dem Punkt einig, dass keine Patente auf Leben, Pflanzen, Tiere, Menschen, ihre Gene und Organe, gewährt werden sollen, egal wie diese angeeignet wurden. Sich jetzt auf die legalistische Verhinderung von Biopiraterie zu konzentrieren, negiert die sozialen Kämpfe der letzten 20 Jahre; es steht ebenfalls im Widerspruch zum Kapitel zu Geistigem Eigentum im selben Papier.

Keine "Afrika" - Stellvertreterpolitik

Nachdem in den industrialisierten Ländern bereits große Teile der biologischen Vielfalt zerstört worden sind, setzten sich die Regierungen dieser dafür ein, dass das in den Ländern des Südens nicht weiter passiert. Das ist dringend notwendig. Für den Erhalt und die Wiederbelebung der Biodiversität in den eigenen Ländern tun sie aber nach wie vor viel zu wenig. Im Gegenteil: Im Bereich der Agrobiodiversität wird der Erhalt durch allerlei Regeln und Gesetze immer weiter erschwert, währenddessen die Ausweitung der geistigen Eigentumsrechte zeigt, dass es letztlich um die Privatisierung von genetischen Ressourcen geht und eben nicht um ihre Erhaltung.

Der Verlust bzw. Erhalt biologischer Vielfalt ist mehr als ein ökologisches Problem; es handelt sich um ein hochkonfliktives Terrain sozialer und ökologischer Gesellschaftsinterpretationen. Und als solches muss es akzeptiert werden, bevor einfache Lösungen propagiert werden.Wir stehen für eine demokratische und solidarische Biodiversitätspolitik, die die Bedürfnisse aller einschließt und allen die Möglichkeit gibt, an den Diskussionen und Entscheidungen zu partizipieren - Knut alleine wird die Vielfalt nicht retten.

Geistiges Eigentum ist Teil der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Diese Tatsache wird im Papier der NGOs nicht reflektiert: In Frage gestellt wird noch, wie weit der Schutz von (geistigem) Eigentum reichen darf oder soll, um Überlebens- und Entwicklungschancen nicht zu konterkarieren. Ausgeblendet bleibt jedoch die seit 150 Jahren geführte Debatte über die Sinnhaftigkeit und Funktion von Eigentum an sich - und damit die gesellschaftliche Gemachtheit von Eigentum, auch geistigem Eigentum. Eigentum bzw. Nicht-Eigentum an Produktionsmitteln ist konstitutiv für innergesellschaftliche und internationale soziale Herrschaft. Das gilt in zunehmendem Maße für geistiges Eigentum, das im aktuellen Kapitalismus eine enorme Bedeutungszunahme erfährt. Dies anzuerkennen ist entscheidend, will man nicht in die Falle tappen und Eigentum als Naturgesetz propagieren.

Geistige Eigentumsrechte verhindern bewusst den Zugang zu Medikamenten und zu Saatgut. Sie behindern Forschung und bedeuten die weitere Kolonialisierung der meisten Länder durch die Konzerne und Regierungen der G8-Staaten. An diese zu appellieren, Gnade walten zu lassen, heißt zu hoffen, die Strukturmerkmale des Kapitalismus durch dessen Profiteure außer Kraft setzen zu können.

Der politische Rückschritt dieses Positionspapiers wird schließlich daran deutlich, dass die Erfolge der globalisierungskritischen Bewegung nicht erwähnt werden. Tatsächlich aber entstanden gesellschaftliche Dynamik und Veränderungsdruck nicht durch Verhandlungen, sondern vor allem durch Proteste wie in Seattle oder Genua, durch die Sozialforen, durch Kampagnen und die (Selbst-)Organisierung von Menschen. Das Papier vergisst in seiner politischen Ausrichtung die diesbezüglichen jüngeren historischen Erfahrungen und die von vielen NGOs durchaus geübte Selbstkritik - etwa nach dem G8-Gipfel in Gleneagles im Jahr 2005.

Geistiges Eigentum als Naturgesetz?

So hat der sog. Rio-Prozess - um ein anderes prominentes Beispiel zu nehmen - kaum etwas bewirkt. Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung wurde weitgehend von den mächtigen Regierungen, Weltbank, Shell und Daimler-Benz übernommen. "Greenwash" nannte Greenpeace einst diese Strategie und auch andere NGOs sahen die Notwendigkeit, sich nicht zu schnell auf die Kooperationsangebote von Regierungen und Unternehmen einzulassen. Gesellschaftlich in Bewegung kam erst wieder etwas ab Ende der 1990er Jahre über gesellschaftlichen Protest und scharfe Kritik. Die Bezugspunkte gesellschaftlicher Veränderung sind weniger "Rio 1992" oder der "Millennium-Gipfel" der UNO, sondern "Seattle" und "Porto Alegre". Hier spielen viele NGOs - wie Teile der Gewerkschaften - eine wichtige Rolle, aber sie werden erst in Kooperation mit sozialen Bewegungen wie Vía Campesina, Attac, den Zapatistas und der globalen Anti-Kriegsbewegung wirkungsvoll. Praktische nachhaltige Entwicklung setzt sich in sozialen Kämpfen durch - und zwar oft gegen Regierungen und Unternehmen.

NGOs sind weder soziale Bewegungen noch deren Vertreterinnen, dennoch sind sie in den Bewegungen verwurzelt und mit diesen verbunden. Die sozialen Bewegungen liefern ihnen erst den notwendigen Rückhalt und die Legitimität - aber die einzelnen Verbände müssen oder müssten sich immer wieder konkret zu den gesellschaftlichen Kämpfen verorten. Genau deswegen ist das NGO-Papier zum G8-Gipfel ein politischer Fehler: Die unterzeichnenden NGOs gehen damit bewusst auf Distanz zu kritischeren Positionen und den Protesten, die der G8 die Legitimität für die Gestaltung der Weltpolitik absprechen.

Die Proteste seit den 1990er Jahren haben die Mächtigen in Erklärungsnot gebracht, und auch die Bundesregierung ist gezwungen, sich in der aktuellen politischen Situation zu rechtfertigen. Warum in einer derart interessanten politischen Situation Forderungen an die G8 gestellt werden, die es ihr erlauben, diese schlichtweg abzunicken und aus ihnen eben genau jene Legitimität zurück zu gewinnen, die Protest und mühevolle Diskussion über Jahre angekratzt haben - das bleibt uns unverständlich und ruft unsere Kritik hervor.

Wir sehen die sich köstlich amüsierenden G8-Sherpas und Regierungschefs, die die NGOs endlich (wieder) da haben, wo sie sie gern hätten: Innerhalb ihrer Deutungshoheit, auf dem Platz, den ihnen das Weltbild der G8 zuweist, von wo aus sie die berechtigte Kritik aufnehmen und in Bahnen lenken, die der Rolle der G8 und der Grundsätze ihrer Politik nicht gefährlich werden können.

Wir fahren nicht nach Heiligendamm, um die G8 zu Versprechen zu bewegen, an die wir sie in zwei Jahren wieder erinnern müssen. Das ist politisch contraproduktiv und die geplanten Proteste werden mit derart verwässerten Forderungen unterlaufen. Wir fahren nach Heiligendamm, um uns der G8 massenhaft in den Weg zu stellen.

Anmerkung:

1) "Glaubwürdigkeit der Mächtigen auf dem Prüfstand: Konkret für Umwelt und Entwicklung handeln! - Positionspapier deutscher Nichtregierungsorganisationen zum G8-Gipfel in Heiligendamm 6. - 8. Juni 2007." Zu den UnterzeichnerInnen gehören unter anderem Brot für die Welt, BUND, DNR, Forum Umwelt und Entwicklung, Misereor, Greenpeace, NABU, Oxfam Deutschland, VENRO, WEED und der WWF.