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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 517 / 18.5.2007

Es fehlt eine reflektierte Haltung gegenüber dem Internet

Interview mit nadir über linke Netzaktivismus

Mal eben schnell was googeln oder ein Buch bestellen? Eine weitere gratis Mailadresse gefällig oder gleich eine ganze Domain? In Bezug auf das Internet ermöglichen nicht wenige Linke dem Staat oder der Wirtschaft leichten Zugriff auf ihre Daten. Wurden in den 1980er Jahren Computer noch pauschal verteufelt, so unreflektiert wird heute das Internet als vermeintlich neutrales Werkzeug benutzt. Wir sprachen mit Aktivisten von nadir über das Internet als politischer Raum und über die aktuellen Repressionen gegen das linke Netzprojekt so36.net.

Es gehört nicht unbedingt zu einem linken Selbstverständnis, dass Technik nicht neutral ist. Für viele scheint Internet etc. meist nur neutrale Infrastruktur für die eigentliche Politik. Warum glaubt ihr, wird der politische Charakter so gering geschätzt bzw. nicht gesehen?

nadir: Letztendlich legt man sich mit einem Kernproblem kapitalistischer Vergesellschaftung an: Technik ist (angeblich) neutral. Dass die dahinterliegenden Verhältnisse auch wirklich nicht sichtbar werden, dazu ist eine Menge Ideologie nötig: Wer von den "ganz normalen" ComputernutzerInnen weiß schon, unter welchen Bedingungen die kleinen Siliziumbausteine hergestellt werden, welche Rolle militärische Interessen in der Technikentwicklung spielen oder wie affirmativ OpenSource-Software im Kapitalismus funktionieren kann.

Eine kritische Produktivität im Schnittfeld von Politik und Technologie zu finden, ist immer wieder ein Abenteuer. Die Linke hat sich an diesem Punkt nicht gerade hervorgetan. "Wir leben im Computerstaat" ist nach Mitte der 1990er Jahre durch eine unkritische Technikeuphorie abgelöst worden. Einer der wesentlichen Gründe ist ein Defizit in linker Medientheoriebildung und natürlich, dass die Linke nicht gerade großen Anteil an der Entwicklung des Internets hatte, von daher den Entwicklungen immer hinterherhinkt.

Frühe Versuche von basisdemokratischem Zugang zum Internet sind an den ökonomischen Interessen von professionellen Providern gescheitert. Gleichzeitig waren diejenigen, die sich im Boom des Internets und davor artikulierten, mit einem Diskurs konfrontiert, der von Verheißungen einer besseren Gesellschaft qua Technologien gespickt war. Was haben wir uns nicht alles anhören müssen. Es war und ist auch für uns immer wieder wichtig einzuwerfen - dies nun sehr verkürzt - dass Bits nicht satt machen. Es ist notwendig, dass den Heilsversprechen, die auch heute immer wieder kursieren, in jüngerer Zeit ja auch beim Thema Gentechnik, eine materialistische Kritik entgegengesetzt wird, in der klar die Akteure solcher Artikulationen benannt und ins Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Funktion gesetzt werden. Wir haben leider viel zu selten Zeit dafür.

Was ist denn das originär politische bzw. linke an dem was Ihr macht?

Politisch an nadir ist der Versuch, linken Gruppen und sozialen Bewegungen eine politische Aneignung des Internets als Medium zu ermöglichen. Mit unseren bescheidenen Möglichkeiten versuchen wir, das Internet als politischen Raum offen zu halten. Durch unsere verhältnismäßig lange kontinuierliche Arbeit in diesem Bereich können wir aber neben der späten Affirmation durch die Linke auch den Regulierungs- und Verwertungsprozess zumindest für Teilbereiche recht gut überschauen. Politisch ist an nadir insofern auch, dass wir verstärkt Praxen vermitteln und Technologien bereitstellen, die in bescheidenem Masse dem radikalen Verschwinden bürgerlicher Rechte auf Kommunikationsgeheimnis etc. begegnen.

Für Linke bedeutet die Formierung des Technostaats seit dem 11. September eine Kampfansage, die tatsächlich darauf abzielt, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Dieser Prozess ist weiterhin offen und niemand kann derzeit vorhersagen, welche Daten in fünf Jahren ohne richterliche Erlaubnis abrufbar sein werden. Zusätzlich sind die privatwirtschaftlichen Akteure hier ungeheuer mächtig geworden. Vor Google kann mensch sich aus gutem Grund fürchten.

Es fehlt in der Linken eine reflektierte Haltung gegenüber dem Internet. Wenn wir uns an den Diskurs zum Fernsehen oder Radio in den 1960er und 1970er Jahren erinnern, fällt als erstes auf, dass heute wohl niemand mehr im Fernsehen irgendein reales Potenzial zur gesellschaftlichen Veränderung sieht. Es wäre gewiss nicht schlecht, diese nüchterne Geisteshaltung auch dem Internet gegenüber zu haben und dann noch einmal neu zu erforschen, was es denn so bietet, das Netz der Netze, für das, was mensch so braucht.

Ihr habt gerade die Bedeutung angesprochen, die die Formierung des Technostaats seit dem 11. September für die Linke hat. Ziemlich deutlich wurde das bei den Hausdurchsuchungen am 9. Mai gegen die G8-Mobilisierung - sie haben ja auch die alternative Internetplattform Netzprojekt so36.net getroffen. Wie bewertet ihr das?

Diese Aktion des BKA, die an anderer Stelle bezeichnenderweise "Operation planlos" genannt wurde, scheint zunächst eine ziemlicher Fehlschlag gewesen zu sein. Der Versuch, durch dieses Spektakel linken Widerstand gegen den G8 mit Terrorismus gleichzusetzen, ist medial erst mal nicht aufgegangen. Der Spiegel schrieb einen "Ermittler" zitierend, dass es dabei um ein Signal der Ermittlungsbehörden an die "Szene" ging. Dass dabei linke Kommunikationsmedien - wie in diesem Fall so36.net - mit angegangen werden, ist nicht weiter verwunderlich. Es bleibt abzuwarten durch welche Nachfolgemaßnahmen versucht wird diesen Einsatz im Nachhinein zu legitimieren: Etwas muss es ja gebracht haben. Politisch wirkte das eher wie ein Wecksignal und hat Leute weiter mobilisiert sich innerhalb der Gipfelproteste zu artikulieren.

Aus unserer Perspektive lassen sich jedoch auch einige durchaus kritische Anmerkungen zur Netznutzung exemplarisch an der Mobilisierung zum G8 anbringen: In den letzten Jahren haben sich einige sehr fragwürdige Praxen in der Benutzung des Netzes etabliert, die letztlich aufzeigen, dass der Bewusstseinsstand der Linken gegenüber dem Netz auf dem Tiefstand ist. Neben dem Irrsinn, dass heutzutage unbedingt jede Site eine eigene Domain haben muss (was immer auch einen Eintrag privater Daten in den Registrierungs-Datenbanken mit sich bringt), werden wir regelmäßig damit konfrontiert, dass wir z.B. nicht so tolle Connectivity wie kommerzielle Provider haben, oder unser Service nicht so rasch erreichbar ist. Dies ist ein sehr unerfreulicher Effekt der Kommodifizierung des Netzes.

Als wir anfingen, waren solche Services für kleinere Akteure in der Regel unerschwinglich. Heute erwarten Leute, die auf ihre Website so Sachen wie "Kapitalismus abschaffen" schreiben, von uns, dass wir wie ein beliebiger Dumping-Provider funktionieren. Das ist schon grausam und deutet in Teilen auch auf die Flachheit linken Bewusstseins heutzutage hin.

Die massive Verbreitung von "Umsonstmailadressen", die ja so einfach einzurichten, vorgeblich kostenlos und scheinbar anonym sind, hat das Wissen, dass eine Mailadresse bei uns für z.B. Antifa-Gruppen auch einen gewissen politischen Rahmenschutz (z.B. gegen allzu ungehindertes behördliches Mitlesen) bieten, verdrängt. Es ist halt schön bequem in der Schönen Neuen Welt 2.0. Und die Preisgabe privater Datenströme tut nicht unmittelbar weh, also wird's schon nicht so schlimm sein.

Spielen Gipfelproteste und größere Events bei Euch eine Art Katalysator für die eigene Entwicklung? Sowohl die Castor-Transporte als auch die Ereignisse in Genua waren ja einschneidende Ereignisse für den "Netzaktivismus".

nadir hat in den letzten Jahren des öfteren an solchen Events teilgenommen: Grenzcamps, Castortransporte, Flüchtlings-Kongress in Jena. Für uns war es zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder wichtig, dass wir unsere basispolitische Arbeit als TechnikerInnen gegenüber der aktivistischen Linken dadurch aufbrechen, dass wir uns in Getümmel mit anderen Aktiven schmeißen und Netzaktivismus innerhalb der Events erlebbar machen. Das war meist sehr anstrengend und hat zu sehr intensiven und interessanten Erfahrungen geführt.

Insbesondere die Gipfelproteste und Indymedia haben dazu geführt, dass internationale Zusammenhänge entstehen konnten, die es in dieser Breite und kommunikativen Dichte bislang noch nicht gab. Es gab einzelne Projekte, die in unterschiedlichen Ländern ähnliches gemacht haben wie wir (nodo50, sindominio in Spanien, autistici in Italien, riseup in den USA), aber eine wirkliche Vernetzung hat sich erst darüber intensiviert, dass all diese Projekte und deren NetzaktivistInnen irgendetwas für oder mit Indymedia gemacht haben. An dieser Vernetzung weiter zu arbeiten, ist für uns eine Perspektive über alle Gipfelstürmerei hinaus.

Politisch stehen wir dem G8-Gipfelprotesten durchaus skeptisch gegenüber. Dies verbleibt aber in einer "vorkritischen" Phase, da wir selten die Zeit finden, ausführlich das Thema zu diskutieren. Gerade als Aktive in der Mediensphäre müssten wir viel ausdrücklicher die Themen "Inszenierung", "Simulation" und was es noch so aus der Theater- und Medienwelt an Begriffen gibt, in die allgemeine Diskussion und Analyse einführen. Denn die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen finden, das ist nun wirklich nichts neues, auch in der medialen Sphäre statt und haben auch dort Wirkmächtigkeiten, die real in gesellschaftliche Prozesse eingreifen. Hiermit ist jetzt kaum mehr die Idee einer Indymedia-style Berichterstattung gemeint. Vielmehr wäre eine mediale Analyse vonnöten, mit der dann mediale Handlungsräume besser kartiert wären.

Trotz alledem oder deswegen: Bei den diesjährigen Gipfelprotesten machen wir das, was wir immer machen: technische Infrastruktur für soziale Bewegungen bereitstellen, u.a. dann auch vor Ort in Rostock, virtuell im Netz und im Verbund mit anderen sogenannten tech-collectives aus aller Welt.

Woran liegt es, dass sich innerhalb der Linken die Reflexion auf einem Tiefstand befindet? Liegt es daran, dass die im weiteren Sinn programmierenden Linken im Gegensatz zu vielen anderen einen Job bekommen? Einen Job, bei dem sie aber 60 Stunden arbeiten müssen und damit kaum mehr was für eine kritische Selbstreflexion beitragen können?

Das trifft zumindest zu bestimmten Zeiten auf uns zu. Viele von uns sind neben der Aktivität im Netz zugleich "professionell" im IT-Bereich unterwegs. Dies bringt auf der einen Seite die ganzen Probleme der Verfasstheit dieses Marktsegments in unsere politische Praxis ein: einer hat Abgabestress, eine andere Person findet gerade keinen Job; Burn-out, Entgarantierung von Arbeitsverhältnissen. Insofern können wir "sehr viel" mit der Debatte der letzten Jahre um Prekarität anfangen.

Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Momente, wo es möglich ist, sich Tätigkeiten und Wissenserwerb bezahlen zu lassen, die unterm Strich einen stärkeren Nutzen für soziale Bewegungen abwerfen als fürs Kapital. Zudem sind wir durch unsere Jobs mit den breiteren Entwicklungen im IT-Bereich vertraut. Manchmal führt das auch zu seltsamen Momenten, weil es beispielsweise nicht gerade passend ist, in einem Vorstellungsgespräch davon zu erzählen, wie wir es dann doch noch geschafft haben, unter den Extrembedingungen eines Castortransportes die Netzanbindung hinzubekommen - obwohl genau darin vielleicht ein "qualifizierendes" Moment für einen Job läge.

Das Ausbleiben einer verallgemeinerten kritischen Reflexion - oder das Hinterherhinken, wie im Fall der Prekarisierungsdebatte - hat seine Gründe: Die Veränderungen sind zum Teil so rasant, dass Kritik sich entweder sofort in Entwicklungen einschreibt, oder eben hinterher nur noch die Summe ziehen kann.

Bei uns speziell ist es so, dass nadir leider viel zu oft als Projekt von technischen SpezialistInnen gesehen wird: Unter fünf Jahre Linux-Erfahrung sei bei uns an eine produktive Mitarbeit quasi nicht zu denken. Dieses Image hat seine Eigendynamik, bleiben durch seine Wirkung eben nur überschaubar wenige "technische SpezialistInnen" übrig, die dann ständig mit der Technik beschäftigt sind und kaum noch zu anderem kommen. Das führt dazu, dass das politische Potenzial, das in einem Projekt wie nadir steckt, längst nicht ausgeschöpft wird.