Breit, laut, militant
Die Linke in Griechenland
Sonne, Meer, weiße Häuser mit blauen Fensterläden und Tavernen, in denen frischer Fisch zu jungem Wein oder Anisschnaps serviert wird. Das in etwa verbindet der/die gemeine LeserIn mit Griechenland. Gegenwartspolitisch ist das Land jedoch für die meisten ein weißer Fleck. Dabei hat Griechenland, gerade für Linke, einiges zu bieten. Etwa 40 kommunistische Parteien und Organisationen tummeln sich dort neben zahlreichen Gruppierungen aus dem anarchistischen, libertären und anti-autoritären Spektrum.
Diese Linke stellt zusammengenommen an die 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Allein die beiden großen im Parlament vertretenen Parteien, die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die Linksallianz Synaspismos (SYN), erzielen regelmäßig Wahlergebnisse von zusammen mehr als zehn Prozent, wobei die KKE fast doppelt so stark ist wie der Synaspismos.
Was die Bedingungen für soziale Kämpfe angeht, erscheint Griechenland im Vergleich mit Deutschland geradezu als demokratisches Paradies. Demonstrationen müssen nicht angemeldet werden, es gibt keinerlei Auflagen für die Größe von Transparenten, und die in Deutschland schon lange verbotenen Helme und als Fahnen getarnte Knüppel sind fester Bestandteil jeder Demonstration, nicht nur der außerparlamentarischen Linken. Angesichts der aus Griechenland angekündigten Teilnahme an den Protesten gegen den G8-Gipfel taten deutsche Linke gut daran, im Vorfeld einige Informationsveranstaltungen in Athen und Thessaloniki durchzuführen. Polizeikessel, flächendeckende Kontrollen und Massenverhaftungen bei Protestveranstaltungen sind dort nämlich ebenfalls unbekannt.
Auch in den Medien ist man wesentlich präsenter als die Linke hierzulande. Selbst die kleinste Splittergruppe hat ihr eigenes zwei bis vier Mal im Monat erscheinendes Publikationsorgan. Die beiden Großen verfügen sogar über eigene Tageszeitungen. Die Kommunistische Partei verkauft täglich etwa 4.500 Exemplare des Rizospastis, das Pendant Avgi des Synaspismos bringt es auf 1.400 Stück. Die KKE besitzt darüber hinaus noch einen eigenen Fernseh- und Radiosender, der SYN verfügt seit letztem Jahr immerhin ebenfalls über einen Radiosender. Wichtigstes Sprachrohr der Linken ist jedoch die linksliberale Tageszeitung Eleftherotypia. Die mit täglich knapp 60.000 verkauften Exemplaren zweitgrößte Tageszeitung des Landes ist zwar im Besitz eines Großindustriellen, berichtet aber nichtsdestotrotz auch über die kleinste Aktion jeder linken Organisation und veröffentlicht auch deren Presseerklärungen.
Deren gibt es genug, denn militante Kämpfe sind an der Tagesordnung. Einige davon machen sogar international Schlagzeilen. So beispielsweise die Aktionen militanter AnarchistInnen auf der Demonstration des 4. Europäischen Sozialforums im Mai vergangenen Jahres in Athen. Damals brannten einige Bankautomaten sowie ein Streifenwagen vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofes von Athen aus. Die Polizei antwortete mit dem massiven Einsatz von Tränengas, der den über 10.000 ausländischen BesucherInnen sicher gut im Gedächtnis geblieben ist. Oder die bürgerkriegsähnlichen Bilder anlässlich der (wohl auch deswegen seltenen) Besuche hoher Repräsentanten des US-Imperialismus, zuletzt des Besuchs von US-Außenministerin Condoleezza Rice im vergangenen April. Auch im Anschluss an die von Zehntausenden besuchte Demonstration an jedem 17. November, dem Jahrestag des Massakers im Politechnikum (1), kommt es regelmäßig zu Straßenschlachten.
Eine Vielzahl von linken Organisationen und Zeitungen
Seltener schafft es einer der meist gegen Banken gerichteten häufigen Brandanschläge mit aus Campinggas gebastelten Bomben in die internationale Öffentlichkeit. Dabei wären allein die Namen der sich in der Regel durch Anrufe bei der Tageszeitung Eleftherotypia bekennenden Täterorganisationen eine Veröffentlichung wert. So machten erst vor kurzem das "Chaotische Kollektiv" und die "Brigade zur Übertragung revolutionärer Tollwut" mit Gasbomben auf den Hungerstreik inhaftierter GenossInnen aufmerksam.
Dennoch herrscht natürlich nicht nur eitel Sonnenschein im linken Griechenland. Die Bestrebungen der EU zur Verschärfung der Gesetze im "Kampf gegen den Terror" und die Anstrengungen für die Austragung der Olympischen Spiele brachten schon vor Jahren die sozialdemokratische PASOK unter Ministerpräsident Kostas Simitis auf den Pfad der Antiterrorgesetzgebung. In einem ersten Anlauf verabschiedete die PASOK im Sommer 2001 das "Gesetz gegen das organisierte Verbrechen". Es folgte im Wesentlichen den Vorgaben der Europäischen Kommission. Allerdings wurden abweichend weder die Besetzung öffentlicher Gebäude noch Ausschreitungen im Zuge von Demonstrationen oder die Zustimmung zu terroristischen Aktionen unter Strafe gestellt.
Im Sommer 2002 verhaftete die Polizei 19 mutmaßliche Mitglieder der griechischen Stadtguerillaorganisation 17N. Im Dezember 2002, drei Monate vor Beginn der Gerichtsverhandlung, verabschiedete die Regierung ein Gesetz, mit dem die Einschränkungen der Rechte der Beschuldigten legalisiert und die Berichterstattung von Rundfunk und Fernsehen aus dem Gerichtssaal verboten wurde. Dem neuen Gesetz nach wurden die folgenden "Terroristenprozesse" auch nicht mehr vor Geschworenengerichten, sondern vor Berufsrichtergremien verhandelt.
Das kurz vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Athen im Sommer 2004 verabschiedete Antiterrorgesetz der seit März 2004 amtierenden konservativen Nea-Dimokratia-Regierung ist eine verschärfte Version der von der PASOK entwickelten Gesetzesvorlage. Zum ersten Mal wurde hier der Begriff des Terrorismus definiert. Demnach ist eine Handlung terroristisch, wenn sie "mit Methoden oder in einem Ausmaß oder unter Bedingungen ausgeführt wird, die geeignet sind, dem Land oder einer internationalen Einrichtung ernsthaft zu schaden, das Ziel hat, eine Menge in Angst zu versetzen oder eine staatliche oder internationale Einrichtung zur Ausübung einer Handlung zu zwingen oder diese zu verhindern, oder darauf gerichtet ist, die verfassungsrechtlichen, politischen oder ökonomischen Fundamente eines Landes oder einer internationalen Einrichtung zu zerstören oder ihnen ernsthaft zu schaden."
Obwohl das selbe Gesetz auch die Bewertung von symbolischen Besetzungen öffentlicher Gebäude oder Ausschreitungen auf Demonstrationen als "terroristische Handlungen" zulässt, schlug die erste Probe einer solchen Anwendung zunächst einmal fehl. Als Ende letzten Jahres drei Autonome für die Entwendung von Polizeiausrüstung bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht vor ein Berufsrichtergericht gestellt werden sollten, entschied der zuständige Untersuchungsrichter, dass das Werfen von Molotow-Brandsätzen noch keine "terroristische" Strafstaat darstelle und verwies den Fall an ein normales Geschworenengericht. Mit dem Erfolg, dass die drei Aktivisten mit einem Freispruch und zwei durch die Untersuchungshaft abgegoltenen Strafen freikamen.
Erst seit 2004 gibt es ein "Antiterrorgesetz"
Doch Griechenland wäre nicht Griechenland, wenn man nicht Grauzonen des Rechts nutzen würde, um bürgerrechtssensible Kreise der Justiz zu umgehen. So ist es sicherlich kein Zufall, dass im Zusammenhang mit Demonstrationen verhaftete Autonome und AnarchistInnen mit sehr löcheriger Anklage für lange Monate in U-Haft verschwinden, während bekannte Großindustrielle, RichterInnen und Staranwälte, die stichhaltig der Kartellbildung, der Bestechlichkeit und der Erpressung beschuldigt werden, nach wenigen Tagen hinter Gittern auf freien Fuß gesetzt werden.
Autonome Kreise wehren sich zu Recht, wenn auch mit nicht immer glücklichen Aktionen, gegen Polizeirepression. Reicht es der Polizei einmal nicht, im Anschluss an eine Demonstration Dutzende von Tränengasgranaten auf eine studentische Versammlung im Hochschulasyl zu schießen, kennt man auch in Griechenland den Einsatz von Undercover-Agenten. Weil sie das Pech hatten, vor laufenden Fernsehkameras zu agieren, wird jetzt einigen Polizeibeamten der Prozess gemacht, die im Anschluss an die 17.-November-Demonstration letzten Jahres in Thessaloniki einen Studenten krankenhausreif schlugen. Die Bilder der als Anarchos verkleideten, brutal prügelnden Polizisten machten die Runde in den hiesigen Medien.
Dieses Schicksal bleibt den meisten ihrer KollegInnen erspart. Zwar bezeugten ProfessorInnen, wie sich im Januar Polizeibussen entsteigende Vermummte kurz vor Straßenschlachten unter eine studentische Kundgebung mischten. Zwar gibt es immer wieder Bilder, auf denen solche Vermummte einträchtig mit ihren uniformierten Kollegen zu sehen sind, bevor sie sich, mit Rucksäcken versehen, unter die Menge mischen, aus der wenig später die ersten Brandsätze fliegen. Zu einer Anklage kommt es dennoch nur in Fällen, in denen die Zivilpolizisten zweifelsfrei identifiziert werden können.
GriechInnen finden Freiheit wichtiger als Ordnung
Randgruppen, von ihnen begangene oder ihnen untergeschobene illegale Aktionen werden international als Vorwand für die Kriminalisierung von Widerstand im Allgemeinen benutzt. Auch in Griechenland fordert die Rechte im Einklang mit den Massenmedien eine Verschärfung der Demonstrationsgesetzgebung und die Ausweitung von Überwachungsmechanismen. Gleichzeitig wird versucht, der gesamten Linken einen "Terrorismusverdacht" anzuhängen. Vorreiter dabei sind die rechtspopulistische Partei LAOS, die sich Umfragen zufolge bei den spätestens im nächsten Frühjahr anstehenden Parlamentswahlen erstmalig Hoffnung auf die Überwindung der Drei-Prozent-Hürde machen kann.
Ihr Vorsitzender, aber auch der Minister für Öffentliche Ordnung der Regierungspartei Nea Dimokratie bezichtigen die Linksallianz Synaspismos, der "politische Schutzschirm der Brandbombenwerfer" zu sein. Andere Abgeordnete der gleichen Partei riefen im Parlament dazu auf, über ein Verbot der KKE nachzudenken - wegen militanter Aktionen von deren parteinaher Gewerkschaftsfraktion PAME. Und in einer Presseerklärung der Polizeileitung wurde Anfang Februar der Vorsitzende der griechischen Professoren gewerkschaft POSDEP beschuldigt, Steinewerfer in von der Gewerkschaft angemieteten Bussen zu einer Demonstration gebracht zu haben.
Auch Anschläge der in Griechenland immer noch aktiven Stadtguerilla müssen für den Ausbau von Überwachungsmechanismen herhalten. Zwar haben die sicherlich erstklassigen Überwachungskameras der Athener US-Botschaft keine brauchbaren Bilder derjenigen liefern können, die ihnen am 12. Januar eine Rakete in die Fensterscheiben jagten. Dennoch kann sich der Oberste Gerichtshof nach anders lautenden Urteilen plötzlich vorstellen, den Einsatz von Überwachungskameras auf Straßen und öffentlichen Plätzen "bei Gefahr der öffentlichen Sicherheit" zu erlauben. Dieser Vorrang einer vermeintlichen Sicherheit vor dem eigenen Persönlichkeitsschutz wird "dem einfachen Menschen" mit Vorliebe auch von den großen privaten Fernsehsendern unterstellt. Eine Ende Januar im Auftrag der konservativen Tageszeitung Kathemerini durchgeführte Umfrage ergibt jedoch ein völlig anderes Bild. Danach entscheiden sich 46 Prozent der Befragten im Zweifel für den Schutz der Bürgerrechte und nur 26 Prozent für "Sicherheit und Ordnung".
Der Kampf um die Verteidigung von sozialen und demokratischen Rechten wird in Griechenland aktiver geführt als an vielen anderen Orten Europas. Es ist sicher kein Zufall, wenn die Repressionsschraube im Zusammenhang mit den seit fast einem Jahr tobenden Kämpfen um eine staatliche, kostenlose und den Namen verdienende Bildung für alle angezogen wird. Da die "Bildungsreform" auch in anderen Ländern, in Deutschland beispielsweise in Form von Studiengebühren, auf der Tagesordnung steht, bleibt Griechenland spannend. Nicht nur wegen der Marmortrümmer.
Heike Schrader
Anmerkung:
1) Während der griechischen Militärdiktatur (1967 bis 1974) besetzten Studierende Mitte November 1973 die Athener Hochschule Polytechnikum. Die Aktion unter der Parole "Brot, Bildung, Freiheit, Unabhängigkeit" weitete sich rasch zu einem von Arbeitern unterstützten Aufstand aus. Am 17. November ließ die Junta die Universität mit Panzern räumen. Dutzende wurden getötet, Hunderte verletzt, noch viel mehr festgenommen. Die Besetzung gilt trotz ihres blutigen Endes als Auftakt eines allgemeinen Aufstands gegen die Militärdiktatur, die im Sommer des folgenden Jahres zu Ende ging.