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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 519 / 17.8.2007

Aufgeblättert

Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext

Weltweit schränken ökonomischer Druck und gesellschaftliche Wertesysteme Frauen in ihrer Entscheidungsfreiheit für oder gegen Kinder ein. In Deutschland etwa wird ihnen die Verantwortung für die demographischen Probleme des Landes aufgebürdet, in Polen ist kürzlich ein Versuch gescheitert, das Abtreibungsverbot in der Verfassung zu verankern. Gleichzeitig sind illegale Abtreibungen weltweit zu einem lukrativen Geschäft geworden. "Laut WHO stirbt alle sieben Minuten auf der Welt eine Frau an den Folgen eines illegal oder medizinisch nicht korrekt durchgeführten Schwangerschaftsbruchs", schreibt Sarah Diehl in dem von ihr herausgegebenen Sammelband "Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext". Das Buch vereinigt 27 zumeist kurze Beiträge von Autorinnen aus Europa, den USA, Südamerika und Afrika und behandelt länderspezifische und historische Aspekte von Abtreibung und Verhütung auf verschiedenen Kontinenten. Daneben stehen Untersuchungen zum Thema Abtreibung in Literatur, Film, Fernsehen und Internet und persönliche Erfahrungsberichte. Auch einen Comic über Profite, die man(n) mit illegalen Abtreibungen machen kann, hat die Herausgeberin eingefügt. Diese Vielfalt wirkt bei näherer Lektüre jedoch eher verwirrend. Allein im ersten Teil "Über die Situation in einzelnen Ländern" ist das Themenspektrum äußerst weit gefasst. Einige Aspekte auch in den eher wissenschaftlich ausgerichteten Abschnitten werden allein durch Interviews abgedeckt. So wird unter dem Titel "Die Geschichte der Selbstbestimmung" ebenso über exotische Abtreibungsmittel in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts berichtet wie über das im Internet gehandelte Mittel Mifigyne und seine Nebenwirkungen. Maria Wersigs gut recherchierter Aufsatz über die Abtreibungsregelungen im wiedervereinigten Deutschland steht hier neben Anita Klötis allzu kurzer Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs in Europa. In den "Persönlichen Erfahrungen" sind ziemlich sorglos Berichte und ein Interview zusammengestellt, in dem eine Frau von ihrer Großmutter erzählt, die in einem NS-Zwangsarbeiterlager eine Abtreibung versucht hat. Wie die Textformen wechseln auch die Diskursebenen. Von radikaler Gendertheorie, die den Körper als Gefängnis versteht, bis zu einer differenzierten rechtlichen Untersuchung finden sich sehr unterschiedliche Ansätze. Etliche Beiträge sind zwar lesenswert und informativ. Doch insgesamt wirkt das Buch eher wie ein Sammelsurium von Texten als wie ein fundierter Überblick über das weltweit noch immer eingeschränkte Recht der Frauen, über ihre reproduktiven Fähigkeiten selbst zu bestimmen.

Angela Martin

Sarah Diehl (Hrsg.): Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2007, 256 Seiten, 17 EUR

Revolutionärer Kampf, revolutionäre Musik

Der Aufstand und die Niederschlagung der Pariser Commune 1871 beflügelte jahrzehntelang nicht nur die politische, sondern auch die künstlerische Fantasie. In der Sowjetunion entstand 1929 unter der Leitung von Grigori Kosinzew und Leonid Trauberg der Stummfilm "Das neue Babylon": In dem mondänen Pariser Kaufhaus gleichen Namens, das von einem stilechten Kapitalisten mit Zylinder und Zigarre geleitet wird, frönen die Reichen dem Konsumrausch. Hier arbeitet die Verkäuferin Louise, die sich in den Soldaten Jean verliebt. Im revolutionären Verteidigungskrieg nach der französischen Niederlage entwickelt sich Louise - Ähnlichkeiten mit der berühmten Communardin Louise Michel sind nicht zufällig - zur Revolutionärin. Jean dagegen wird Mitglied eines Exekutionskommandos, das nach der Niederlage der Commune unter den Besiegten wütet und auch Louise ermordet. Die Reaktion siegt - diesmal noch! - aber die RevolutionärInnen fallen vor einer Mauer mit der Inschrift "Vive la Commune!". Damit endet der Film. Reclams Film-Führer urteilt nicht zu Unrecht: "Mängel des Films werden über weite Strecken überspielt vom furiosen Tempo der Inszenierung, vom spürbaren Engagement, das sich mit einer gewissen ruhigen Selbstverständlichkeit der karikaturistischen wie der pathetischen Übersteigerung gleichermaßen bedient."

Die jetzt in der StummfilmEdition der Berliner absolut-Medien erschienene DVD dokumentiert nicht nur einen historischen Agitationsfilm - sie zeigt auch die avantgardistische Kunst der jungen Sowjetunion, nicht nur in der Filmregie: Der Film ist unterlegt mit der rekonstruierten Originalmusik des genialen sowjetischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch (vgl. ak 509). Diesen "Stummfilm" kann man auch mit geschlossenen Augen genießen.

Js.

Das neue Babylon. Ein Film von Grigori Kosinzew und Leonid Trauberg (1929). Mit der rekonstruierten Originalmusik von Dimitri Schostakowitsch. Absolut Medien GmbH, Berlin 2007, 93 Minuten, 19,90 EUR, www.absolutmedien.de

Antikapitalismus nicht nur für AnfängerInnen

Widerstand, der kapitalistische Strukturen perspektivisch überwinden will, braucht Wissen über die Geschichte sozialer Bewegungen und kritischer Theorien. Allerdings haben die wenigstens Menschen Zeit (und Lust?), dicke Wälzer zu diesem Thema durchzuarbeiten. Ezequiel Adamovsky und die Gruppe Illustradores Unidos haben, ausgehend von ihrer Beteiligung an sozialen Auseinandersetzungen in Lateinamerika und an den Weltsozialforen, nun zu diesem Thema eine Einführung der etwas anderen Art entwickelt: Anhand von Comic-Zeichnungen und kurzen Erläuterungstexten illustrieren sie, wie sich Kapitalismus entwickelt hat und welche politischen Strategien in der "kurzen Geschichte des Antikapitalismus" diskutiert und praktiziert wurden. Wichtigen Denkern wie Marx, Marcos oder Negri werden ihre zentralen Aussagen in Sprechblasen in den Mund gelegt, wobei kurze Dispute zwischen ihnen eine schnelle Zurkenntnisnahme historischer Konfliktlinien ermöglichen. Die Geschichte antikapitalistischer Kämpfe und Traditionen wird zwischen dem europäischen Humanismus, den Revolutionen in England und Haiti, dem Scheitern der russischen Revolution und der reformorientierten Sozialdemokratie aufgespannt. Imaginäre AkteurInnen aktueller sozialer Bewegungen erläutern die "zehn Unterschiede zwischen der traditionellen Linken und dem neuen Antikapitalismus". Anstatt sich der Disziplin einer Partei oder einer Bewegung zu unterwerfen, um auf eine zukünftige Revolution hinzuarbeiten, gehe es nun darum, in der Gegenwart die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu erweitern und Vielfältigkeit, "Kreativität und Freude" zu fördern. Die Zapatistas kommen ebenso zu Wort wie die brasilianischen Landlosen, der Weltmarsch der Frauen oder globale Netzwerke. Sie beschreiben ihre Praxen und ihre Vorschläge dazu, wie Gesellschaft alternativ geregelt werden könnte. Ein Namensregister und Verweise auf Websites von Netzwerken und Bewegungen machen das Buch zu einer guten Werkzeugkiste für einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit antikapitalistischen Strategien.

Iris Nowak

Ezequiel Adamovsky / Illustradores Unidos: Antikapitalismus für alle. Die neue Generation emanzipatorischer Bewegungen. Karl Dietz Verlag, Berlin 2007, 175 Seiten, 9,90 EUR