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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 519 / 17.8.2007

Gegen Gringos

In Costa Rica wächst die soziale Bewegung gegen das CAFTA

Die Peitsche des Neoliberalismus treibt die soziale Bewegung voran. Dieses Bild umreißt, was viele AktivistInnen in Costa Rica denken, wenn sie von ihrem Widerstand gegen das CAFTA-Freihandelsabkommen (spanisch TLC) zwischen Mittelamerika, den USA und der Dominikanischen Republik berichten. "Die Bewegung hat sich im Kampf gegen CAFTA unter einem neuen Dach zusammen gefunden und ihre Schwäche der Neunziger Jahre überwunden", konstatiert Wilson Campos von der radikalen Kleinbauernorganisation Mesa Campesina. Vorbei sind die Zeiten, in denen Linke in den anderen Ländern Mittelamerikas ihre isolierten costa-ricanischen GenossInnen mitleidig belächelten.

Die Bewegung gegen das CAFTA hat die politische Landschaft in der angeblichen "Schweiz Mittelamerikas" aufgewühlt und politisch tiefe Spuren hinterlassen. "Die nächsten Wahlen im Jahr 2010 wird in Costa Rica erstmals eine Mitte-Links-Regierung gewinnen, die fest mit der sozialen Bewegung verbunden ist", gibt sich Wilson Campos siegesgewiss. Es sei zudem ein Riesenerfolg, dass die Regierung für den 7. Oktober 2007 einen Volksentscheid anberaumt habe, in dem das Wahlvolk über das Abkommen entscheide. Ohne den Druck der Bewegung wäre es dazu nie gekommen.

Das CAFTA sieht vor, dass bis 2015 alle Importhürden für US-Produkte abgebaut sein müssen. Doch gerade die Importregulierung, v.a. durch Zölle, ist ein wichtiges Instrument der ärmeren Staaten, um die wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land zu schützen. Die CAFTA-GegnerInnen fürchten eine Zunahme der sozialen Ungleichheit zwischen den USA und den anderen Teilnehmerstaaten sowie eine Verschlechterung von sozialen und ökologischen Standards. Als schlechtes Beispiel zitieren sie das ganz ähnlich gestrickte NAFTA-Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, Kanada und den USA, das bereits 1994 in Kraft trat. Unter anderem hat kaum ein kleiner oder mittelständischer Landwirt in Mexiko die direkte Konkurrenz mit der hochsubventionierten Hightech-Landwirtschaft im Norden überlebt.

Beim CAFTA geht es um mehr als nur die Schaffung einer Freihandelszone. Es bestimmt politische Rahmenbedingungen im Geiste des 1998 offiziell beerdigten Multilateralen Investitionsabkommens (MAI). Investitionsvorhaben der Konzerne sollen schwerer wiegen als nationale Gesetze, zudem dient das Abkommen als Türöffner für Privatisierungsvorhaben in allen Bereichen. In den 3.500 Seiten des Vertrags versteckt sich die volle Agenda des Neoliberalismus. Schlussendlich geht es um die Frage der Hegemonie der USA in Costa Rica, die seit dem Bürgerkrieg 1948 nicht herausgefordert wurde.

Bei der Unterzeichnung des CAFTA durch die Regierungschefs steckte die soziale Bewegung noch in den Kinderschuhen. Die Wende kam mit der Massendemonstration am 18. November 2005, als die Bewegung von ihrer eigenen Mobilisierungskraft überrascht wurde. Erstmals hatten Gewerkschaften und Studierendenorganisationen gemeinsam mit einer Vielzahl von Organisationen und Basisgruppen zu der landesweiten Aktion in der Hauptstadt San José mobilisiert. Am Ende waren es 30.000 Menschen, welche die Straßen des Zentrums der 400.000-Einwohner-Stadt für Stunden lahm legten.

Die Stärke der sozialen Bewegung ließ die damalige Regierung des christlich-sozialen Präsidenten Abel Pacheco von der Partido de Unidad Social Cristiana (PUSC) zögern, das CAFTA zur Ratifizierung ins Parlament einzubringen. Pacheco schien die Situation nicht eskalieren lassen zu wollen.

Hinter dem CAFTA steht die Hegemoniefrage

Sein Amtsvorgänger und Parteifreund Miguel ngel Rodríguez war mit seinem als "Combo ICE" bekannt gewordenen Gesetzespaket zur Privatisierung des staatlichen Institutes für Telekommunikation und Elektrizität ICE auf ganzer Linie gescheitert. Nachdem das Gesetz Ende 1999 vom Parlament verabschiedet worden war, brach sich im Jahr 2000 eine bis dato in Costa Rica nicht gekannte soziale Bewegung gegen die Privatisierung Bahn, welche das Land mit Demonstrationen und Straßenblockaden lahm legte. Die Regierung zog das Gesetz schließlich zurück.

Der Erfolg der Anti-Combo-Bewegung bildet die Grundlage für den Kampf gegen das CAFTA. "Viele Menschen haben verstanden, dass das CAFTA die gleichen Elemente wie Combo enthält und noch weiter geht", sagt die IT-Expertin und Sozialwissenschaftlerin Adriana Sánchez von der alternativen IT-Beratungskooperative Sulá Batsú. Die Costa-RicanerInnen verteidigen einen Sozialstaat mit öffentlicher Rentenversicherung, kostenlosem Schulwesen und Gesundheitssystem und ausgebauter Telekommunikationsinfrastruktur. Bereits 1948 wurde das Militär abgeschafft und das Geld stattdessen in die Bildung gesteckt. Dazu kommen weitgehende Umweltgesetze, die dem Land den Ruf eines Dorado für Ökotourismus eingebracht haben. "Die Telekommunikationsinfrastruktur hält jedem Vergleich mit den Ländern der Europäischen Union stand. Die Preise für Handytelefonate sind die niedrigsten der Welt und laut einer finnischen Studie sind die Costa-RicanerInnen, nach Japan Vizeweltmeister im Versenden von SMS-Kurznachrichten. Und in Costa Rica leben nicht mehr als 4,5 Mio. Menschen", sagt Adriana Sánchez.

Entgegen aller von den Massenmedien verbreiteten Umfragen kam es bei den Präsidentschaftswahlen im Februar 2006 zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger scar Arias von der rechts-sozialdemokratischen Partido Liberación Nacional (PLN) schien den CAFTA-BefürworterInnen in den Chefetagen als der geeignete Kandidat, um mit seiner Aura von Dialogbereitschaft und dem Ruf, ein "Progressiver" zu sein, wenigstens einen Teil der sozialen Bewegung zu neutralisieren. Schließlich war es scar Arias, der 1989 die Staatschefs der von Bürgerkriegen zerrütteten Länder Mittelamerikas an einem Tisch versammelte und so einen Friedensplan auf den Weg brachte. Und so sagten die ihm nahe stehenden oder von seiner Familie kontrollierten Medien und Meinungsforschungsinstitute für Arias einen 15-Prozentpunkte-Vorsprung vor seinem Herausforderer, seinem ehemaligen Planungsminister Ottón Solis, voraus. Auf diesem virtuellen Vorsprung ruhte Arias sich aus und verweigerte sich jeder Debatte über das CAFTA oder andere Themen.

Am Ende gewann Arias hauchdünn mit ein paar tausend Stimmen. Errungen hat er den Wahlsieg bei der Nachzählung der Stimmen von Hand. Der Prozess war begleitet von Unregelmäßigkeiten und ihm haftet der Geruch der Manipulation an. Die soziale Bewegung hatte ihre Hoffnung in Ottón Solis gelegt, der mit dem Versprechen antrat, das Abkommen mit den USA nachzuverhandeln. In wenigen Jahren ist dessen ursprünglich als Abspaltung der rechts-sozialdemokratischen PLN neu gegründete Partei der Bürgeraktion (Partido Acción Ciudadana, PAC) mit fast 40 Prozent der Stimmen für ihren Präsidentschaftskandidaten zur zweiten politischen Kraft im Land geworden und hat nach Jahrzehnten das Zweiparteiensystem Costa Ricas aufgebrochen, in dem sich PLN und PUSC die Ämter hin und her geschoben hatten. Die PAC stützt sich vor allem auf ein Wählerpotenzial, das für eine Linkspartei typisch ist, ohne originär "links" zu sein. So gibt es in der Partei Spielraum für linke Programmatik und einige führende VertreterInnen wie z.B. Parteichefin Epsy Campbell, die als erste schwarze Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin Costa Ricas angetreten war, kommen aus der sozialen Bewegung und genießen dort auch heute noch großes Vertrauen. Andererseits wird Ottón Solis von vielen als Ableger des alten Parteienduopols gesehen und konservativ-katholische Ideen sind auch in der PAC einflussreich.

Zwiespältig wahrgenommen von der Bewegung wird auch die Rolle, welche die PAC im Kampf gegen das CAFTA spielt. Einerseits ist es beispielhaft, wie die Fraktion die Spielregeln des Parlamentes, in dem die CAFTA-BefürworterInnen über eine Mehrheit verfügen, ausnutzt, um die Abstimmung zu verzögern. Ganz im Gegensatz zu den Sandinisten in Nicaragua, die zwar gegen das CAFTA stimmten, aber nicht einen einzigen Änderungsantrag im Parlament einbrachten, um die Ratifizierung zu verzögern und so der sozialen Bewegung mehr Zeit für Mobilisierungen zu verschaffen. Noch im Frühjahr wurde Ottón Solis auf Protestveranstaltungen aber dafür ausgebuht, dass er sich lange Zeit zur Gänze auf die parlamentarische Auseinandersetzung konzentriert und die Legitimität der außerparlamentarischen Bewegung in Frage gestellt hatte.

Wachsende Hoffnung für die Linke

Diese Sichtweise hat er heute revidiert, doch konnten sich unterdessen die fraktionslosen Abgeordneten zweier Kleinparteien profilieren. Zum einen der blinde Abgeordnete Oscar Lopez von der Partei für Barrierefreiheit ohne Ausschluss (Partido Accesibilidad sin Exclusión, PASE), die als Ein-Punkt-Bewegung für die Rechte behinderter Menschen erstmals einen Sitz in der 57 Abgeordnete zählenden Volksvertretung Asamblea Legislativa gewinnen konnte. Der wortgewaltige Oscar Lopez fehlt auf kaum einer Aktion gegen das CAFTA und hat immensen Respekt errungen. Der zweite ist José Merino von der linksreformistischen Breiten Front (Frente Amplio), der bereits während der Anti-COMBO-Proteste im Parlament saß und sich als Bindeglied zwischen Bewegung und Parlamentarismus versteht. Merino hat mit den Vorsitzenden der beiden wichtigen Gewerkschaften, der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (Asociación Nacional de Empleados Públicos y Privados, ANEP) und der Erziehungsgewerkschaft (Asociación de Profesores de Segunda Enseñanza, APSE) sowie anderen Gruppen begonnen, für die Wahlen 2010 eine landesweite linke Kandidatur vorzubereiten, bei der AktivistInnen aus den verschiedenen Bereichen der Anti-CAFTA-Bewegung antreten sollen.

Die Initialzündung für die Proteste hatten vor allem ANEP und die Gewerkschaften der ICE-MitarbeiterInnen gegeben, die - unverkennbar in ihren gelben T-Shirts - auf jeder Demonstration ganz vorne mit dabei sind. ANEP-Vorsitzender Albino Vargas erklärte sogar, dass die Gewerkschaften einen Generalstreik gegen das CAFTA vorbereiteten. Auf der anderen Seite jedoch befindet sich die Gewerkschaftsbewegung Costa Ricas in einer Krise. Der Nachwuchs bleibt aus, in der Privatwirtschaft spielt sie kaum eine Rolle; auf den Bananenplantagen ist sie nach historischen Erfolgen in den 1970er Jahren von der unternehmensfinanzierten "solidarischen Bewegung" zurückgedrängt worden und der Organisierungsgrad im öffentlichen Dienst beträgt heute vielleicht zehn Prozent.

Zentrale AkteurInnen der Bewegung sind die Studierendenverbände und die Schülerorganisation Alternative Schülerbewegung (Movimiento Estudiantil Alternativo, MEA), die radikalisierten Organisationen der Campesinos, die traditionsreiche Umweltbewegung, die Frauenbewegung, die Bewegung der Kulturschaffenden sowie religiöse Gruppen. Zusätzlich haben sich "patriotische Komitees" im ganzen Land nachbarschaftlich organisiert, die nun das Rückgrat der Bewegung bilden. In den Zirkeln wird debattiert, eigenes Material erstellt und landesweit verbreitet. Damit ziehen die AktivistInnen dann von Tür zu Tür, um zu informieren und für die Stimmabgabe beim Volksentscheid zu werben.

Präsident scar Arias versucht mit seinem Gesetz für das Referendum die Durchführung in ihm genehme Bahnen zu lenken, den Anti-CAFTA-AktivistInnen, die sich monatelang für ein Referendum eingesetzt haben, entwandt er mit seinem unerwarteten Vorstoß die Initiative. Am 7. Oktober 2007 ist das costa-ricanische Wahlvolk nun aufgerufen, in dem ersten Volksentscheid des Landes und dem weltweit ersten zu einem Freihandelsabkommen darüber zu entscheiden, ob das CAFTA ratifiziert werden soll oder nicht. Die soziale Bewegung konzentriert sich bis dahin auf ihre "NO"-Kampagne. Und macht auf dem Weg zum Wahltag zahlreiche schlechte Erfahrungen mit den Institutionen der costa-ricanischen Musterdemokratie. An erster Stelle mit den Massenmedien: Mit ganz wenigen Ausnahmen (wie z.B. des TV- und Radiosenders und der Wochenzeitung der Universität von Costa Rica), ergreifen Tageszeitungen, Radio- und TV-Sender eindeutig Partei für das CAFTA und lassen dessen Kritiker gar nicht oder nur sehr verzerrt zu Wort kommen.

Viele AktivistInnen befürchten eine Manipulation beim Volksentscheid und fordern deshalb das Hinzuziehen internationaler BeobachterInnen. Doch ganz gleich, wie das Ergebnis am 7. Oktober lautet, der Kampf um das CAFTA und die neoliberale Agenda der Regierung Arias wird damit nicht beendet sein. Gewinnt das "NO", so wäre das eine Grundlage für eine mögliche Annäherung Costa Ricas an das ALBA, die von Hugo Chávez initiierte "Bolivarianische Alternative für die Amerikas".

Torge Löding, Centro de Comunicación Voces Nuestras, Costa Rica