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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 519 / 17.8.2007

Achtung, Intellektuelle!

§129a-Verfahren basiert auf haltlosen Mutmaßungen und Unterstellungen

Nach den Razzien im Vorfeld des G8-Gipfels am 9. Mai in Berlin und den Durchsuchungen in Bad Oldesloe und Strausberg am 13./19. Juni schlugen die Ermittlungsbehörden nach einem versuchten Brandanschlag erneut zu. Vier Berliner wurde in Haft genommen, drei weitere Beschuldigte befinden sich auf freiem Fuß. Der Vorwurf: "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß §§ 129 a StGB u.a. (,militante gruppe (mg)`)".

Am Morgen des 31. Juli wurden die Wohnungen und teilweise auch die Arbeitsplätze von Andrej H. und drei weiteren Personen durchsucht. Andrej H. wurde festgenommen, mit dem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen und dort dem Haftrichter vorgeführt. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Wie im Rahmen der Hausdurchsuchungen bekannt wurde, läuft das §129a-Ermittlungsverfahren gegen die vier bereits seit September 2006.

Wenige Stunden zuvor waren in Brandenburg Axel H., Florian L. und Oliver R. festgenommen worden - auch hier erfolgten Durchsuchungen der Wohnung und teilweise der Arbeitsplätze. Den drei wird versuchte Brandstiftung auf vier Fahrzeuge der Bundeswehr vorgeworfen. Die Lastwagen, die zum Fuhrpark der Rolandkaserne gehören, waren wegen anstehender Wartungs- und Reparaturarbeiten auf dem Gelände des MAN-Nutzfahrzeuge-Zentrums in der Upstallstraße abgestellt.

Andrej H., Axel H., Florian L. und Oliver R. sitzen zur Zeit unter verschärften Haftbedingungen in Berlin-Moabit ein: Sie sind 23 Stunden am Tag in einer Einzelzelle und haben eine Stunde Hofgang. Sie können alle 14 Tage für insgesamt eine Stunde besucht werden, Kontakte sind nur mit Trennscheibe erlaubt. Auch die AnwältInnen können mit ihren Mandanten nur hinter Trennscheiben sprechen, die Verteidigerpost wird kontrolliert.

Andrej H. soll einen der drei in Brandenburg Festgenommenen im Februar und April 2007 unter angeblich konspirativen Umständen getroffen haben. "Diese zwei konspirativen Treffen sind in der Argumentation der Karlsruher Strafverfolger nicht nur konstitutiv für den Terrorismusvorwurf, sondern die einzige Verbindung zwischen den in Brandenburg Festgenommenen und den vier in Berlin lebenden weiteren Beschuldigten", so die AnwältInnen der Betroffenen. Was bei den Zusammenkünften besprochen wurde, darüber liegen keine Erkenntnisse vor. Für die Bundesanwaltschaft (BAW) sind die Treffen aber ausreichendes - und einziges - Indiz, dass sowohl die vier Berliner als auch die drei in Brandenburg Festgenommenen Mitglieder der "militanten gruppe" sind.

Und das kommt so: "Hinsichtlich des Anschlagziels, der Tatzeit und der konkreten Tatausführung" weise der versuchte Anschlag auf die Fahrzeuge der Bundeswehr eine "Vielzahl von Parallelen" zu anderen Aktionen der "mg" auf, so die BAW. Mehr hat sie nicht zu bieten. Also wird flugs nachgelegt - der §129a StGB macht es möglich. Außer Banalitäten gibt es keine Hinweise, dass der versuchte Brandanschlag in Brandenburg der "mg" zugerechnet werden kann. Also konstruiert die BAW die Zuordnung über Mutmaßungen zu und Unterstellungen über Andrej H. und den drei weiteren Berliner Beschuldigten, indem sie sie zu Vordenkern der "mg" macht.

Suspekte Kontakte und konspiratives Verhalten

Andrej H. ist Stadtsoziologe und langjähriger Aktivist in stadtpolitischen Gruppen. Ähnlich sieht es bei den anderen Beschuldigten aus dieser Gruppe aus, z.B. sind sie Politologen oder anerkannte Wissenschaftler im Bereich der Stadtforschung. Fähigkeiten, die ihnen nun zum Verhängnis werden sollen. Im Haftbefehl wirft die BAW ihnen vor, Texte publiziert zu haben, die "Schlagwörter und Phrasen" enthalten, "die in Texten der ,militanten gruppe` ebenfalls verwendet werden", sowie über die "intellektuellen Voraussetzungen" zu verfügen, die eben für das Verfassen der "vergleichsweise anspruchsvollen Texte" der "mg" nötig seien. Weiteres schlagendes Indiz: Einem Wissenschaftler stünden "Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der ,militanten gruppe` erforderlichen Recherchen durchzuführen". Darüber hinaus müssen Kontakte in die "linksextremistische Szene" herhalten, um den "Terrorismusvorwurf" zu begründen. Bei Andrej H. kommt offensichtlich verschärfend hinzu, dass er "in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten Widerstand gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv" gewesen sei.

Um es zusammenzufassen: Auf der Basis des Ausforschungs-Paragrafen 129a StGB und mit dem Vorwurf, zu "anschlagrelevanten Themen" zu publizieren, umfangreiche Kontakte zu haben und sich "konspirativ" zu verhalten, begründet die BAW den Verdacht einer "terroristischen Vereinigung", durchsucht neun Wohnungen, beschlagnahmt umfangreiche persönliche Gegenstände und steckt vier Leute ins Gefängnis.

"Die bekannt gewordenen Begründungen aus dem Haftbefehl sind eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand und würden - wenn sie von der Gesellschaft akzeptiert werden - die Grundlagen jeder kritischen Öffentlichkeit in einer freien Gesellschaft zerstören." In seiner Stellungnahme vom 3. August nahm der Wissenschaftliche Beirat von attac vorweg, was mittlerweile viele empört. "Wenn sie als Indizien für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gelten, dann wird kritische Wissenschaft unter Generalverdacht gestellt." Inzwischen haben sich zahlreiche WissenschaftlerInnen, aber auch Mietervereine, der BUKO oder der Stipendiatenrat der Rosa-Luxemburg-Stiftung öffentlich zu den Verhaftungen geäußert und das Vorgehen der BAW kritisiert.

"Augenscheinlich versucht die Bundesanwaltschaft gerade, den Tatbestand der terroristischen Vereinigung auf einen zufällig zustande gekommenen losen Zusammenschluss von Personen auszudehnen", kritisierte bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Verhaftungen der Berliner Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Ratzmann. (taz, 3.8.07) Und er zeigte sich zuversichtlich, "dass das Konstrukt, das die Bundesanwaltschaft da zusammengezimmert hat, einer Überprüfung nicht standhält".

Wie die Erfahrung zeigt, sollte man dabei nicht allzu viel Hoffnung auf Strafverfolgungsbehörden setzen. Für die Einstellung des §129a-Ermittlungsverfahrens und die Freilassung der Inhaftierten braucht es stattdessen vor allem viel Unterstützung und politischen Druck.

mb.