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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 520 / 21.9.2007

Das Subversive suchen

Zehn Jahre "Handbuch der Kommunikationsguerilla" - eine Bilanz

1997 erschien das "Handbuch der Kommunikationsguerilla" von Sonja Brünzels und Luther Blisssett (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe). Das "Handbuch", welches durch seine ungewöhnliche typographische Aufteilung herkömmliche Lese- und Betrachtungsgewohnheiten irritiert, hat sich seitdem zu einer Art Klassiker entwickelt und ist in mittlerweile vier Auflagen und in italienischer und spanischer Übersetzung erschienen. Viele linke Gruppen haben sich bei ihren Überlegungen zu Aktionen und Interventionen davon anregen lassen. Nach zehn Jahren ist Zeit für eine Bestandsaufnahme.

ak: Die Proteste gegen den G8 in Heiligendamm zeigten Clowns, SuperheldInnen, Riesenpuppen in der Konfrontation mit Polizeiketten. Ist die Linke in den letzten zehn Jahren kreativer geworden?

autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe: Wir denken, die Linke ist sich der Bedeutung von Symbolen, vor allem aber von bildlichen Repräsentationen, bewusster geworden. Sie ist mittlerweile eher in der Lage, Bilder bewusst zu erzeugen und taktisch einzusetzen, und dabei auch mit dem eigenen Selbstbild spielerischer umzugehen. Neben die bewusst inszenierte Konfrontation (Black Bloc) sind Formen getreten, welche versuchen, die martialisch aufmarschierende Staatsmacht symbolisch ins Leere laufen zu lassen. Wenn sich hoch gerüstete SEKler im schwarzen Körperpanzer auf der einen und rosenfarbige Feen unklaren Geschlechts oder depperte Clowns auf der anderen Seite gegenüber stehen, dann sieht die Staatsmacht im wörtlichen wie übertragenen Sinne schlecht aus - auch wenn das die Gewaltförmigkeit des staatlichen Overkills nicht mindert. Wird dann versucht, in bewährter Manier die Spritzpistolen und Seifenblasen der Clowns qua Presseerklärung in terroristische Instrumente chemischer Kriegsführung umzudeuten, dann mag sich zeigen, dass Lügen, die von Fünfjährigen zu durchschauen sind, auch von manchen JournalistInnen nicht immer unkommentiert kolportiert werden.

Welche Rückmeldungen habt ihr seit dem Erscheinen des Handbuchs bekommen und welche Absicht hattet ihr bei der Publikation?

Zum einen passierte das, was wir nicht wollten: Es wurde als Rezeptbuch aufgefasst. Zum anderen geschah aber auch das, was wir erhofft hatten: Es wurde als Werkzeugkasten, zum Teil auch als Nachschlagewerk oder zur Inspiration genutzt. Teilweise gab es Aktionen, die denen im Handbuch beschriebenen nachempfunden waren, verändert oder auch nicht. Ebenso gab es Aktionen, die das, was im Konzept Kommunikationsguerilla angelegt war, weiter entwickelt haben. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass das Buch eine Stimmung zum Ausdruck gebracht hat, die weit mehr war als bloße Unzufriedenheit mit früheren Aktionsformen. In dieser Hinsicht würden wir nicht mehr so defensiv argumentieren, wie wir das Ende der 1990er Jahre noch gemacht haben.

Inwiefern unterscheidet sich eure heutige Argumentation für die Kommunikationsguerilla von der damaligen?

Wir waren früher sehr befangen in den klassischen Debatten der aktivistischen Linken und fühlten uns doch noch sehr dem alten aufklärerisch-ideologiekritischen Projekt der Linken verpflichtet. Wir hatten selbst noch nicht wirklich verstanden, dass sich das Kommunikationsguerilla-Konzept in gewisser Weise auf der Höhe der Zeit eines sich immer mehr herausbildenden Kognitiven Kapitalismus (Yann Moulier Boutang) befindet. Während der damaligen Kommunikationsguerilla-Welttournee (1997-1999) betonten wir immer wieder sehr defensiv, dass solche symbolischen Aktionsformen natürlich nicht alles seien. Dahinter verbargen sich die Reste eines falschen Bewusstseins von "letzter Instanz" oder die Vorstellung von mehr und weniger zentralen Kampffeldern.

Haben sich im letzten Jahrzehnt neue Formen der Kommunikationsguerilla entwickelt oder bestimmte Formen an Bedeutung gewonnen?

Verändert hat sich zum einen, dass inzwischen die globalisierungskritischen Bewegungen aufgekommen sind, die sich nach dem "Ende der Geschichte" dezidiert als transnationale soziale Bewegungen verstehen. Zusätzlich haben sich die Medien und Kommunikationsformen von sozialen Bewegungen - lokal wie global - zumindest äußerlich verändert.

Auf der Ebene der Aktionsformen waren die globalisierungskritischen Bewegungen innovativ. Man könnte von einer neuen sthetik der Konfrontation" sprechen, bei der ästhetische Formen (z.B. Pink&Silver, Black Bloc, Rebel Clown Army) oft bewusst genutzt werden, um Konfrontation und Dissens symbolisch zu inszenieren. Plakativ gesprochen: Es gibt nun nicht nur die Multitude, sondern auch ihre vielfältigen Protest-Dramaturgien, die Ausdruck und Beschleunigung eines gesellschaftlichen Wandels sind. Auf der Ebene der Medien sind die kommunikativen Möglichkeiten, die sich aus einer "Many-to-many"-Kommunikation ergeben, offensichtlich. Die Haltung der meisten AktivistInnen hat sich jedoch, was Fragen der medialen Vermittlung oder der Kommunikation anlangt, weniger verändert, als wir uns das wünschen würden. Es dominiert nach wie vor die naive Haltung: "Wenn ich die Wahrheit sage, müssen die Leute mir doch glauben ".

Kommunikationsguerilla soll Widersprüche aufdecken, die Unhinterfragbarkeit des Bestehenden angreifen und die Legitimität von Macht in Frage stellen. Besteht nicht die Gefahr, dass verschiedene Formen die ihr vorstellt (z.B. das Adbusting) populär und völlig beliebig werden, indem es nur noch um die Form und nicht mehr um die Kritik am Bestehenden geht?

Adbusting (1) ist mit Abstand die langweiligste Spielart der KG. Vermutlich ist sie deswegen so präsent, weil die Bilder oft schön bunt und eben hyperästhetisch daherkommen. Es ist technisch inzwischen relativ einfach, die Vierfarb-Werbeanzeigen bekannter Marken nachzuahmen. Oft macht Adbusting die kommunikativen Räume, die es zu öffnen gilt, eher zu als auf, wenn sich die verfremdeten Botschaften lediglich als "Aufklärung für Eingeweihte" herausstellen: Es geht meist weniger um Kommunikation mit Nicht-Eingeweihten als um die Selbstvergewisserung, auf der richtigen Seite zu stehen. So richtig es ist, das Unsichtbare sichtbar zu machen, stellt sich die Frage, warum dies häufig mit moralischem Rigorismus und formelhafter "political correctness" erfolgen muss. Seitdem Unternehmen gelernt haben, Kritik als "corporate social responsibility" zu integrieren, stellt sich die Frage, welche Funktion Kritik noch hat. Möglicherweise braucht es ergänzend oder gar jenseits von Gegenöffentlichkeit Interventionsformen, mit denen die unter dem Leitbild eines kulturellen und kognitiven Kapitalismus immer wichtiger werdende Imageproduktion angegriffen und umgedreht werden kann. Die Imagebeschmutzungs-Kampagne "deportation class" gegen die Lufthansa hat ja gezeigt, dass das punktuell durchaus funktioniert.

Gerade bei der "Deportation-class"-Kampagne, aber auch bei Fake-Flugblättern gab es ja von staatlicher Seite massiven Druck. Wie steht es um die staatliche Repression bei Kommunikationsguerilla-Aktionen?

Kommunikationsguerilla verweigert sich der direkten Konfrontation. In diesem Sinne mögen viele Aktionsformen der Kommunikationsguerilla, was die Gefahr staatlicher Repression anlangt, als relativ "sicher" erscheinen. Dennoch unterliegt auch diese Form von Aktivismus der "ganz normalen" Belästigung durch staatliche Organe: Eine Clownsmaske oder ein Feenkostüm schützen nicht davor, eins aufs Maul zu bekommen. Wir gehen darüber hinaus davon aus, dass sich im Zuge der Durchsetzung kontrollgesellschaftlicher Mechanismen die Repression gegen jede Form gesellschaftlicher Kritik tendenziell ausweiten wird. Die Delikte, die Kommunikationsguerilla in Folge ihrer Aneignung, Umnutzung und Rekombination von Bildern, Images, Logos vorgeworfen werden, bewegen sich häufig im Bereich von Copyright und geistigen Eigentumsrechten - einer rechtlichen Grauzone, die gerade in den letzten Jahren zunehmend zum umkämpften Terrain geworden ist. Hier ist eine weitere Einschränkung rechtlicher Freiräume und Grauzonen zu beobachten bzw. zu erwarten. Das unterstreicht aber umgekehrt auch die zunehmende Relevanz des Terrains der Symbol- und Zeichenproduktion.

Läuft nicht auch die Kommunikationsguerilla ständig Gefahr, von der Verwertungslogik subsumiert zu werden?

Offensichtlich ist, dass bestimmte Formen der Subversion vergänglich sind. Insofern plädieren wir dafür, die Frage nach der "richtigen" Subversion stets gegenwärtig und im Kontext von konkreten Aktionen zu diskutieren.

Nicht überraschend ist auch, dass sich Leute mit verschiedenen Interessen der KG annehmen und sie für ihre Zwecke nutzen wollen. Werbung, PR und Marketing setzen in Zeiten, in denen Aufmerksamkeit zum knappen Gut geworden ist, immer wieder auf das Überraschende, Unerwartete und Spektakuläre, Stichwort "Guerilla Marketing". Hier sind auch die Versuche von Unternehmen und Lobbygruppen zu nennen, die sich mittels "Miet-Demonstrationen" oder Flash Mobs (2)

Aufmerksamkeit verschaffen wollen. Das Problem stellt sich manchmal auf überraschende Weise auch anders herum. Was tun, wenn die politische Aktion vom Angegriffenen integriert wird? Dass Formen der Kritik und der Revolte integriert und adaptiert werden können, ist aber aus unserer Sicht kein so großes Dilemma wie die Frage nahe legt. Die herrschenden Verhältnisse sind kompliziert, und die Revolte wird immer zum Teil von denselben Verhältnissen geprägt sein, mit denen sie sich auseinander setzt. Eigene Handlungsmuster und Aktionsformen müssen immer wieder kritisch hinterfragt werden, anstelle sich nach dem bequemen Ruhebett der garantiert kritischen Kritik oder der garantiert rekuperationsfesten Aktionsform zu sehnen. Die Alternative, sich zurückzulegen und ideologiekritisch zu schwadronieren, ist kein Ausweg: Auch die (Ideologie-)Kritik des Spektakels ist Teil des Spektakels.

Aus unserer Sicht zeigt das Interesse der anderen Seite vor allem, dass die Auseinandersetzung um die Kommunikationsverhältnisse ein Ort relevanter gesellschaftlicher Kämpfe ist, die in vielerlei Hinsicht produktiv sind. Nur "die" Linke hier zu Lande ist so blöd zu behaupten, dass das Terrain, auf dem die Kämpfe stattfinden, nicht betreten werden darf, weil es der Gegner auch tut. Demgegenüber muss unsere Aufgabe als Linke doch vielmehr sein, das Subversive zu suchen, zu formulieren und Vorschläge zu machen. Es gibt dafür kein Rezept und manches Mal werden wir eine schlechte, weil integrierbare Aktion gemacht haben. Und dann wieder eine gute, und dann wieder eine nicht so gute ... Diese Erkenntnis ist zugleich eine weitere Antwort auf Eure Frage nach dem Perspektivenwechsel, weg von einem defensiven hin zu einem gelasseneren bis offensiveren Standpunkt.

Und zum Schluss: Was ist eure "Lieblings-Subersiv-Aktion"?

Wir haben keine Charts und wir würden uns untereinander nie auf eine Lieblings-Aktion einigen können. Es gibt sicher Aktionen, die wir alle klasse finden, z.B. als in Wien ein Pavillon auf dem Karlsplatz aufgestellt wurde, um für dessen Umbenennung in Nikeground zu werben oder jener Fake, bei dem es den Yes Men 2004 gelang, im Namen der Dow Chemical Company via BBC-Fernsehinterview zu behaupten, der Konzern würde nun endlich die Opfer der Bhophal-Katastrophe von 1984 entschädigen. Aber diese Aktionen legen die Messlatte schon sehr hoch. Wir möchten demgegenüber auch an jenes Fax anno 1999 erinnern, das Sonja Brünzels und Luther Blissett an die Medien verschickten und darin ankündigten, dass der Ex-Kanzler Helmut Kohl nun endlich - unabhängig von seinem "Ehrenwort" - in der Parteispendenaffäre Ross und Reiter nennen werde.

Als Kommunikationsguerilleras freuen wir uns über jede Aktion, die die herrschende kulturelle Grammatik unterläuft, aushöhlt, verspottet und die zeigt, dass das Leben auch ganz anders sein kann. Das können hübsche Fakes, gut platzierte Torten oder auch ein fein inszeniertes unsichtbares Theaterstück sein. Dokumentiert sind viele Aktionen übrigens in der "Blogchronik der Kommunikationsguerilla". (http://kommunikationsguerilla.twoday.net) Uns geht es dabei nicht um "die" Wahrheit oder die richtige Ideologie, sondern um die bessere soziale Praxis. Das ist die Essenz unseres Begriffs des Politischen.

Anmerkungen:

1) Werbung, die so umgestaltet wird, dass ihr Sinn umgekehrt oder ins Lächerliche gezogen wird (von advertisement = Werbung + busting = zerstören)

2) Kurzer, scheinbar spontaner Menschenauflauf, zu dem über Internet oder Handy mobilisiert wird. Typisch sind die blitzartige Bildung, das identische Handeln in der Gruppe und die Auflösung nach wenigen Minuten.