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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 520 / 21.9.2007

Schwarzes Bewusstsein von weißer Dumpfheit erschlagen

Vor 30 Jahren wurde in Südafrika Steve Biko ermordet

"Sein Tod lasse ihn kalt", kommentierte der damalige Polizeiminister von Südafrika, Jimmy Kruger, die Nachricht, dass Steve Biko am 12. September 1977 in Polizeihaft gestorben ist. Die ganze Kälte, Rohheit und auch Überheblichkeit des rassistischen Apartheidsystems bricht sich in dem Mord an dem 30-jährigen Intellektuellen, Aktivisten und Mitbegründer des Black Consciousness Movement (Schwarze Bewusstseinsbewegung): Über zwei Wochen hinweg von der Sicherheitspolizei verhört und derart gefoltert, dass er am 11. September ins Koma fällt, wird Steve Biko nackt liegend in einem Landrover 1.200 Kilometer weit von Port Elisabeth nach Pretoria gefahren, wo er tags darauf - immer noch nackt - auf dem Zellenboden liegend an Hirnblutungen stirbt.

Die hässliche Fratze der Apartheid - man muss sich hierzu nur die Gesichter der fünf Bullen anschauen, die 1996 für den Mord an Biko vor der südafrikanischen Wahrheitskommission Amnestie beantragt, aber nicht bekommen haben - hatte den Kopf der einflussreichsten schwarzen Bewegung der 1970er Jahre in Südafrika buchstäblich eingeschlagen.

Stephen Bantu Biko, am 18. Dezember 1946 in King William's Town geboren, politisierte sich in den 1960er Jahren unter dem Eindruck der staatlichen Repression gegen die beiden großen Widerstandsbewegungen, den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) und den Panafrikanischen Kongress (PAC). Beide wurden 1960 verboten; ihre AktivistInnen gingen in den Untergrund oder ins Exil. Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki, Ahmed Kathrada und andere zentrale Figuren des Widerstandes wurden 1964 im sogenannten Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das weiße Rassistenregime hatte so Ende der 1960er Jahre mit seinem - dank westlicher Unterstützung - bestens ausgestatteten Sicherheitsapparat den noch in den 1950er Jahren massenhaften zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Apartheid nahezu vollständig zerschlagen. Dieses Widerstandsvakuum füllte nun das von Biko mitbegründete Black Consciousness Movement, das sich 1972 mit der Black Peoples Convention (BPC) ein organisatorisches Dach für mehr als 70 schwarze Gruppen gab. Nur scheinbar - und vielleicht auch taktisch - lag der Unterschied zum ANC und PAC darin, dass die BCM-orientierten Gruppierungen genau darauf achteten, legal und gewaltfrei zu operieren, um dem Sicherheitsapparat keinen Vorwand zu bieten, sie zu bannen oder zu zerschlagen. Tatsächlich aber lag der entscheidende Unterschied in der von BCM und Biko beabsichtigten totalen Emanzipation von den UnterdrückerInnen bzw. in der Konzentration auf die unterdrückte schwarze bzw. afrikanische Bevölkerung:

"Allein dadurch, dass du dich als ,schwarz` beschreibst, beschreitest du den Weg in Richtung Emanzipation, widmest du dich dem Kampf gegen all jene Kräfte, die versuchen, dein Schwarzsein als Stempel zu nutzen, der dich als ,dienendes Etwas` brandmarkt." (1)

Biko war in seinem Denken und Handeln beeinflusst von anderen anti-kolonialen Bewegungen und Befreiungskämpfen Afrikas. Er hatte sich mit den Werken von Aimé Césaire und Frantz Fanon auseinandergesetzt und auch die Entwicklungen und Kämpfe verschiedener afroamerikanischer Gruppierungen - von Bürgerrechtsbewegung bis Black Panther - aufmerksam verfolgt. "Black man, you are on your own" lautete der Slogan der von Biko 1968 mitgegründeten South African Students Organization (SASO). Der Spruch bilanzierte auch die frustrierende Erfahrung von Biko und anderen AktivistInnen wie Barney Bityani, Jerry Modisane, Drake Koka, Strini Moodley und Sats Cooper mit der von weißen Liberalen dominierten National Union of South African Students (NUSAS). Lange Zeit galt der 1969 von Biko angeführte Auszug der schwarzen Studierenden aus NUSAS, einer der wenigen "gemischten" Körperschaften im Südafrika der 1960er Jahre, als Trauma für die weißen Liberalen und Linken.

Von der Selbstbefreiung zum Selbstbewusstsein

Biko und den anderen AktivistInnen von SASO wurde irrwitzigerweise gar "umgekehrter Rassismus" vorgeworfen. Für Biko war aber, wie er einmal formulierte, "Schwarzsein" keine Frage der Pigmentierung, sondern eine des (kritischen) Bewusstseins und der Reflexion der südafrikanischen/kolonialen Machtverhältnisse. Ganz in der Tradition von Fanon wollte er, dass sich die Schwarzen von ihrem kolonisierten Bewusstsein befreien. Und einer der ersten Schritte war es, sie an "ihre Komplizenschaft bei dem an ihnen verübten Verbrechen des Sich-Ausbeuten-Lassens zu erinnern". Biko hatte nichts gegen Weiße. Er war ihnen gegenüber nur skeptisch, wenn sie - wie in der StudentInnenorganisation NUSAS - für die Schwarzen sprechen und ihnen helfen wollten, ohne aber ihre eigene Verstrickung in die Apartheid zu thematisieren bzw. sich aus dieser selbst zu befreien:

"Man muss das ganze System in Südafrika hinter sich lassen, bevor man daran denken kann, dass Schwarze und Weiße gemeinsam den Feind bekämpfen. Momentan ist es so, dass sich beide, Schwarze und Weiße, in einen hastig organisierten Zusammenhalt begeben und dabei die Keimzellen der Zerstörung dieses Zusammenhalts stets mit sich tragen - ihren Minderwertigkeits- und Höherwertigkeitskomplex." (2)

Eine neue Generation schwarzer AktivistInnen

Das Black Consciousness Movement - und mit ihr Steve Biko - prägte in den 1970er Jahren eine neue Generation von selbstbewussten schwarzen AktivistInnen. Ohne ihren Einfluss wäre der Soweto-Aufstand vom Juni 1976, bei dem Zigtausende SchülerInnen lautstark gegen einen Unterricht auf Afrikaans, der Sprache der UnterdrückerInnen, protestierten, nicht denkbar gewesen. Der Aufstand und das von den Sicherheitskräften verübte Massaker vom 16. Juni 1976, bei dem 176 SchülerInnen erschossen wurden, veränderten das Land am Kap nachhaltig.

So richtig sichtbar wurde dies aber wohl erst in den 1980er Jahren. Unzählige Jugendliche tauchten unter und schlossen sich dem bewaffneten Kampf des ANC und des PAC an. In der Folge des Soweto-Aufstandes erstarkten die SchülerInnen- und StudentInnenorganisationen, in den Townships bildeten sich Stadtteilkomitees und Teile der Kirchen radikalisierten sich an der Seite der Unterdrückten. Interessanterweise profitierte vor allem der in den 1970er Jahren in Südafrika schwächelnde ANC von diesen Entwicklungen. Sein militärischer Flügel Umkhonto we Sizwe (MK) bekam deutlich Zulauf und intensivierte fortan die Anzahl der Operationen im Land. Und der auf Robben Island einsitzende Nelson Mandela wurde - vor allem international - zur uneingeschränkten Symbolfigur des gerechten Widerstandes gegen das Rassistenregime.

Während der ANC, gestützt von Gewerkschaften und von dem 1983 gegründeten breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis der United Democratic Front (UDF), nun wieder die relevanteste schwarze Widerstandsbewegung darstellte, war die vermutlich letzte große Manifestation des Black Consciousness Movement die Beerdigung von Steve Biko, an der mehrere Zehntausend Menschen teilnahmen. Nur einen Monat nach dem Tode des charismatischen Bikos, der nicht nur ein brillanter Redner und unabhängiger Denker war, sondern der auch viele Gemeindeprojekte in Durban und King Williams Town mit aufgebaut hatte, wurden 18 BCM-orientierte Gruppierungen, darunter SASO und BPC, verboten und viele AktivistInnen und UnterstützerInnen verhaftet oder gebannt. Danach nahm der Einfluss und die Bedeutung der BCM stetig ab.

Die Azanian People's Organization (AZAPO) und der 1983 gegründete Dachverband National Forum (NF) spielten in den 1980er Jahren noch eine gewisse Rolle, aber spätestens mit den ersten demokratischen Wahlen von 1994 sind jegliche BCM-orientierte Parteien politisch in die Bedeutungslosigkeit abgetaucht.

Nachdem er bereits in den 1980er Jahren mit einem Song von Peter Gabriel und einem Film von Sir Richard Attenborough zur Legende wurde, ist Steve Biko heute - 30 Jahre nach seinem Tod - auch in Südafrika weitgehend historisiert. Er hat seinen Platz in der "Hall of Fame". Gerade unter älteren SüdafrikanerInnen wird sein Name in einem Atemzug mit Nelson Mandela, Oliver Tambo und Walter Sisulu genannt. Ein paar Straßen und Brücken im Land wurden nach ihm benannt, und in Durban, wo er bis zu seinem Rauswurf Medizin studierte, gibt es nun endlich einen Steve-Biko-Campus. Die sicherlich produktivste aller Würdigungen ist jedoch die Einrichtung einer Steve Biko Foundation, die sich seinem intellektuellen und kulturellen Erbe verpflichtet fühlt und dies dazu einsetzen möchte, um über landesweite Seminare und konkrete Gemeinwesenprojekte die Demokratie in Südafrika zu stärken. (3)

Heute fehlt Bikos kompromisslose Stimme

Wo wäre Biko heute zu verorten, wenn er noch leben würde? Wo würde er stehen in der Post-Apartheid-Gesellschaft? Würde er die Opposition links vom ANC führen? Oder wäre er auch verfangen in Realpolitik, Marktwirtschaft und internationalen Zahlungsverpflichtungen? Wäre er Teil der vitalen südafrikanischen Zivilgesellschaft? Würde er Programme und Projekte der Gemeinwesenarbeit umsetzen, in NGOs arbeiten oder als unabhängiger Intellektueller Regierung und Gesellschaft kritisch kommentieren? Mit viel Wut im Bauch muss man konstatieren, dass Biko vor 30 Jahren mit nackter Gewalt die Chance genommen wurde, ein befreites Südafrika mitzugestalten, während die Polizisten, die ihn damals unmittelbar oder mittelbar totgeschlagen haben, heute unbehelligt ihre Rente mit Boerwurst und Biltong verfressen.

Wo auch immer er heute stehen würde, er fehlt mit seinen kompromisslos klaren, unbequemen Ansichten. Denn was er 1972 in einem Journal namens Student Perspectives on South Africa geschrieben hat, klingt vielleicht naiv und ist vermutlich unrealistisch. Aber im Kern formulierte Biko dort eine Position, deren Klarheit und Radikalität der heutigen Auseinandersetzung mit Apartheid, Rassismus, Kolonialismus und Paternalismus in Südafrika (und anderswo) guttun würde:

"Uns ist bewusst, dass der weiße Mann an unserem Tisch sitzt. Wir wissen, dass er kein Recht hat, dort zu sein. Wir möchten ihn von unserem Tisch entfernen und alle Gegenstände abräumen, die er dort hingestellt hat. Dann decken wir den Tisch in einem ,wahrlich afrikanischen Stil`, lassen uns nieder und fragen ihn, ob er sich zu uns setzen möchte - aber zu unseren Bedingungen."

Andreas Rosen

Anmerkungen:

1) Steve Biko: I write what I like. London/New York 1978

2) Donald Woods: Biko. New York 1987

3) www.sbf.org.za