Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 520 / 21.9.2007

Heizen mit Weizen

Kollateralschäden des Welthandels mit Bioenergie

Regierungen und Lobbyisten betrachten den Welthandel mit Bioenergie als alternativlos. Der Klimawandel lasse keine andere Wahl, so ihr Diktum. Entwicklungsländer wiederum besitzen die Flächen, nach denen die agroenergetische Massenproduktion verlangt. Felder und Forsten der Industriestaaten genügen nicht, um die eigene Nachfrage zu decken. Jedoch produziert der globale Biomassemarkt erhebliche Kollateralschäden: die Plünderung der Tropenwälder, gewaltsame Vertreibungen, die Expansion von Monokulturen, den Siegeszug der Gentechnik, das Verheizen von Nahrungspflanzen und nicht zuletzt die nachwachsenden Monopole transnationaler Konzerne.

Der massenhafte Welthandel mit Bioenergie steht vor dem Durchbruch. Die Vereinten Nationen vermelden, dass allein die Biokraftstoffe das "am schnellsten wachsende Segment des Weltagrarmarkts" sind. Solange der Erdölpreis steigt, werde auch die Nachfrage nach Pflanzenkraftstoff anziehen - und damit der Bedarf nach Anbauflächen.

Noch landet vornehmlich die sogenannte erste Generation des Agrosprits im Tank, hauptsächlich Bioethanol und Biodiesel. Ihr wichtiges Kennzeichen: Sie beruht zu großen Teilen auf Nahrungs- und Futterpflanzen. Die Basis des Bioethanols bilden diverse zucker- oder stärkehaltige Pflanzen wie Zuckerrohr, Zuckerrüben, Gerste, Weizen, Mais und Maniok. Biodiesel hingegen wird aus verschiedenen Ölpflanzen herausgepresst, etwa Raps, Soja, Palmen, Sonnenblumen, Rizinus oder Jatropha.

Noch nicht marktreif hingegen ist die zweite Generation der Agrokraftstoffe. Hierzu gehören vor allem Bioethanol aus Lignozellulose sowie synthetische Kraftstoffe. Für die Produktion von Zelluloseethanol kommen hauptsächlich Holz, Stroh, Gräser und Reste in Frage. Die breiteste Ressourcenbasis versprechen synthetische Kraftstoffe, auch Biomass-to-Liquid (Btl.) genannt. Sie können grundsätzlich jede Art von Biomasse verarbeiten.

Pflanzenölproduktion ist ein blutiges Geschäft

Angeheizt wird der Welthandel mit Agroenergie durch die Beimischungsziele in den USA, Europa und einer Reihe von Schwellenländern. Bis 2010 will die Europäische Union einen Biosprit-Anteil von 5,75 Prozent der fossilen Brennstoffe erreichen; bis 2020 sollen es zehn Prozent sein. Ähnliche Ziele formulierten die USA, China, Indien und Brasilien. Da die EU ihren Bedarf nicht durch Eigenproduktion decken kann, setzen Wirtschaft und Politik auf steigende Importe, hauptsächlich aus Lateinamerika, Subsahara-Afrika und Südostasien.

Schon jetzt erweisen sich die niedrigeren Herstellungskosten im Süden als entscheidender Katalysator des Handels. Beispiel Bioethanol: Trotz hoher Zölle in den USA und Europa lohnt sich die Einfuhr, denn Brasiliens Zuckerbarone haben die weltweite Preisführerschaft inne. Nicht nur die klimatischen Vorteile ermöglichen dies, sondern vor allem der stark konzentrierte Landbesitz, der Monokulturanbau, der hohe Mechanisierungsgrad und der intensive Pestizideinsatz. Kehrseite sind die Vergiftung von Böden, Grundwasser und Saison-ArbeiterInnen. Die Arbeitsbedingungen gehören zu den härtesten in der Landwirtschaft: Noch heute sterben Zuckerrohrschneider an Erschöpfung.

Ähnliches gilt für Palmöl: Auf Grund steigender Preise für heimischen Raps ist der Großteil der deutschen Betreiber von Blockheizkraftwerken zur Verbrennung von billigerem Palmöl übergegangen. Zu den Hauptanbaugebieten zählen Indonesien und Malaysia, in Lateinamerika vor allem Kolumbien, Ecuador und Brasilien. Während deutscher Rapsanbau dem streng kontrollierten Regularium der "guten fachlichen Praxis" unterworfen ist, gehören großflächige Abholzungen und schwere Menschenrechtsverletzungen zu den häufigen Begleiterscheinungen der Palmölproduktion.

Eine Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Everywhere beschreibt die "gute fachliche Praxis" in Kolumbien: Zunächst rücken paramilitärische Gruppen in Regenwaldgebiete vor, um mit Terror und Mord die lokale Bevölkerung zu vertreiben. Anschließend werden Wälder gerodet, das Holz verkauft und der Landraub mittels Korruption "legalisiert". Es folgt die Anlage großflächiger Palmplantagen und die industrielle Verarbeitung des Palmöls. Schließlich landet das blutige Pflanzenöl auf dem internationalen Markt, um etwa in deutschen Blockheizkraftwerken - subventioniert durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz - verstromt zu werden.

Viele Länder setzen auf die mit allerlei Mythen behaftete Jatropha, deren Öl sich ebenfalls zu Biodiesel verarbeiten lässt. Auf Grund ihrer Genügsamkeit und Hitzeresistenz erscheint die Pflanze häufig als ideale Kultur für trockenere Regionen oder für die Regenerierung degradierter Böden. Ihre Fans meinen daher, dass sie KleinbäuerInnen besondere Einkommenschancen biete. Mit der Realität der ersten Plantagen haben diese Annahmen wenig zu tun.

Indien etwa steigt massiv in die Jatropha-Produktion ein und stellt dafür immer mehr Land zur Verfügung. Der Anbau erfolgt jedoch nicht nur auf degradierten Böden, sondern auch auf fruchtbarem Land, das zuvor der Nahrungsmittelerzeugung diente. Der Bundesstaat Rajasthan plant gar eine Änderung des Bodenrechts, das die traditionellen Rechte diskriminierter Gruppen wie der Dalit und Adivasi beschneiden und den Zugriff auf ihr kollektiv verwaltetes Land erleichtern würde. In ganz Indien häufen sich mittlerweile Meldungen über gewaltsame Vertreibungen zur Anlage von Jatropha-Pflanzungen.

Ähnliches geschieht in Tansania, wo die britische Firma Sun Biofuels eine 9.000 Hektar Jatropha-Plantage errichten will. Elf Dörfer mit mehr als 11.000 BewohnerInnen müssen hierfür weichen. Streit entbrannte bereits über die als unzureichend kritisierten Entschädigungszahlungen.

Nachwachsende Monopole der Agrarmultis

Selbst in der kritischeren Öffentlichkeit herrscht beredtes Schweigen über die gewaltigen Konzentrationsprozesse in der Biospritbranche. Es entsteht ein gänzlich neuer, überaus mächtiger industrieller Komplex aus Agro-, Biotech-, Energie-, Erdöl- und Autounternehmen. Vor allem die großen Erdölmultis wie Royal Dutch Shell oder British Petroleum (BP) richten sich längst auf die Ära nachwachsender Kraftstoffe ein.

So stieg Shell im Jahr 2002 bei der kanadischen Biotech-Firma Iogen ein, die ein enzymatisches Verfahren zur Gewinnung von Ethanol aus Stroh entwickelte. Gemeinsam mit Daimler-Chrysler und Volkswagen kooperiert Shell mit der sächsischen Firma Choren. Das Btl-Verfahren der Sachsen ermöglicht die Verarbeitung von Holz zu Dieselkraftstoff. Und auch den kommenden Zellulose-Boom hat Shell längst erwartet. Seit Ende der 1970er Jahre investiert der Erdölmulti in Plantagen, etwa in Brasilien, Argentinien, Neuseeland und Südafrika.

Gemeinsam mit der Biotech-Firma DuPont entwickelte BP den Agrosprit der zweiten Generation Biobutanol. Die Markteinführung dieses Benzinzusatzes soll noch in diesem Jahr in Großbritannien erfolgen. Im Februar 2007 kündigte BP die Gründung eines Forschungsinstituts an der Universität von Berkeley an und stellte dafür 500 Mio. US-Dollar zur Verfügung. Ziel des Energy Biosciences Institute ist die Entwicklung von Biosprit und neuen Pflanzensorten. Daneben engagiert sich BP - ebenso wie Daimler-Chrysler - in der indischen Jatropha-Produktion.

Die größten Agrarkonzerne der Welt, darunter Cargill, Bunge und Archer Daniels Midland (ADM), investieren massiv in den Aufbau von Biospritfabriken. In den USA mauserte sich der politisch protegierte Multi ADM zum König des Maisethanols. In Deutschland ist ADM führender Biodieselhersteller. Den brasilianischen Agrarmarkt teilen sich die drei Konzerne ebenfalls weitgehend auf. Auch die deutschen Strommonopolisten mischen eifrig im Bioenergiegeschäft mit. E.ON etwa verwendet in 16 Kraftwerken in Europa Biomasse.

Als potenziellen Gewinner sieht sich auch die Biotech-Industrie. Schon jetzt dienen genmanipulierte Mais-, Soja- und Rapssorten der Energieerzeugung. Die boomenden Agrobrennstoffe heizen die Forschung weiter an. Monsanto entwickelt die neue Maissorte Mavera. Durch genetische Veränderung weist diese Sorte einen höheren Stärkegehalt auf, was eine größere Ausbeute für die Ethanolproduktion verspricht. Der schweizerische Pharmakonzern Syngenta beantragte in Südafrika und der EU die Einfuhr der Maissorte Event 3272. Diese ist gentechnisch verändert, um die Umwandlung der Maisstärke in Bioethanol zu beschleunigen.

Schon machen sich die Genforscher über die Biotreibstoffe auf Zellulosebasis her. Sie frisieren Plantagenbäume wie Weiden, Pappeln oder Eukalyptus, um die Insekten- und Pestizidresistenz zu erhöhen oder den Ligningehalt der Zellwände zu senken, was eine schnellere Verarbeitung ermöglicht. Mittlerweile geraten auch Nahrungspflanzen ins Visier der Genpanscher, die vornehmlich der Subsistenzproduktion dienen, etwa das Knollengewächs Maniok. Für über 600 Millionen Menschen ist Maniok ein unverzichtbares Grundnahrungsmittel. Nun aber wird immer stärker in die energetische Maniok-Ausbeutung investiert. Erste Verarbeitungsstätten entstehen in Nigeria, China, Thailand und auf den Philippinen. BASF experimentiert bereits mit genmanipulierten Manioksorten für die Ethanolproduktion.

Die beunruhigendste Dimension der nachwachsenden Energien ist ihre unmittelbare Konkurrenz zur Nahrungsproduktion. Der Wettlauf zwischen Brot und Benzin bedroht nicht nur die Ernährungssicherheit in den Anbaugebieten, sondern auch in vielen Ländern, die von Lebensmittelimporten abhängen.

Immer größere Anteile der US-amerikanischen Maisernte landen in den immer zahlreicheren Ethanoldestillerien. Ende 2006 gab es 116 Bioethanolfabriken in den USA; 2008 könnte ihre Zahl bereits auf 200 klettern. Noch Anfang 2000 nutzten die USA lediglich sechs Prozent ihrer Maisernte für die Ethanolproduktion, 2006 waren es bereits 20 Prozent, in wenigen Jahren könnte es über ein Drittel sein. Zugleich entfallen auf die USA rund 40 Prozent der globalen Maisproduktion und 70 Prozent der Exporte. Die explodierende Ethanolnachfrage treibt die Maispreise in die Höhe, obwohl immer größere Flächen mit der Kornsaat belegt werden.

Der Preistrend schlägt auf zahlreiche weitere Pflanzen durch, etwa Weizen, Reis, Maniok und Ölsaaten. Da sich die steigende Nachfrage nach Biosprit mit der nach Futtermitteln verbindet, verteuern sich auch Fleisch- und Milchprodukte. Hinzu kommt, dass die weltweiten Weizenvorräte auf das niedrigste Niveau seit 25 Jahren geschrumpft sind. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen bringt diese einschneidende Veränderung des Agrarmarktes auf den Punkt: "Wir leben nicht mehr in einer Überschusswelt."

Steigen aber die Preise mehrerer Grundnahrungsmittel gleichzeitig, erhöht sich die Zahl der Mangelernährten. Dieses Risiko ist besonders groß in über 80 Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und chronischem Nahrungsmitteldefizit. Die weltweiten Ausgaben für Nahrungsimporte sind bereits deutlich angestiegen. Allein für die 48 sogenannten Least Developed Countries (LDCs) stiegen die Importrechnungen für Lebensmittel seit 2000 um 90 Prozent, für Industrieländer hingegen nur um 22 Prozent.

Schockwellen in den Agrarmärkten

Angesichts dieser riskanten Dynamik kann nicht verwundern, dass die weltweiten Proteste zunehmen. In einem offenen Brief fordern lateinamerikanische Umweltgruppen: "Wir wollen Ernährungssouveränität, keine Biotreibstoffe. Der durch die Länder des Nordens verursachte Klimawandel lässt sich nicht dadurch aufhalten, dass nun neue Probleme in unserer Region geschaffen werden." Beim Sozialforum in Mali im Februar 2007 sagten Hunderte von AktivistInnen den Energieplantagen, den sogenannten "Grünen Wüsten", den Kampf an.

Das südamerikanische "Forum Widerstand gegen das Agrobusiness" erinnert dabei an eine Option, die hier zu Lande schon in Vergessenheit geriet: "Die Zentralität der Energiekrise für die Kapitalakkumulation eröffnet die Möglichkeit einer globalen Debatte über andere Formen der Produktion und des Lebens, über ein radikal anderes Projekt." Ohne eine solche Debatte jedoch werde das destruktive Gesellschaftsmodell, nun auf Basis der Bioenergien, lediglich fortgeschrieben.

Thomas Fritz, Forschungs-
und Dokumentationszentrum
Chile-Lateinamerika (FDCL)