Braune Kriminalisten
Erst jetzt beginnt das BKA mit der Aufarbeitung seiner Geschichte
Das 1951 gegründete Bundeskriminalamt (BKA) wurde von ehemaligen Nazi-Tätern aufgebaut, über Jahre hinweg geleitet und entscheidend geprägt. Dieser keineswegs neue Befund war vom BKA selbst und von den wechselnden Bundesregierungen jahrzehntelang vertuscht und geleugnet worden. Erst auf einem Kolloquium, das im September in Wiesbaden stattfand, begann die oberste deutsche Polizeibehörde mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Das dient nicht zuletzt der Image-Pflege: Nur wenn es Verantwortung für seine Geschichte übernehme, so Präsident Ziercke, könne das BKA "seine Rolle im demokratischen Rechtsstaat ausfüllen und die Demokratie tagtäglich mit Überzeugung leben."
Kurz nach Kriegsende waren die Institutionen des NS-Terrors zerschlagen, deren Funktionseliten wanderten zu Tausenden in die Internierungslager der Alliierten. Im Nürnberger "Hauptkriegsverbrecherprozess" wurden Gestapo, SS und SD zu "verbrecherischen Organisationen" erklärt. Umso bemerkenswerter erscheint es, dass sich nur wenige Jahre später die Kernbelegschaften der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, sei es im Bereich der Kriminalpolizei, sei es in den Verfassungsschutzämtern oder beim Bundesnachrichtendienst (BND), aus genau jenem Personenkreis rekrutierten, der wie kaum ein anderer an den präzedenzlosen Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt gewesen war.
Zunächst verfolgten die Alliierten das Ziel einer umfassenden Entnazifizierung der deutschen Polizei. Am konsequentesten ging dabei die sowjetische Militäradministration vor, in deren Einflussbereich das polizeiliche Personal nahezu vollständig ausgetauscht wurde. Aber auch Briten und US-Amerikaner machten sich daran, das deutsche Polizeiwesen neu zu strukturieren. Für die deutschen Polizeibehörden bedeutete dies, dass unmittelbar nach Kriegsende höhere Polizeioffiziere sowie Beamte, die der SS, dem SD oder der Gestapo angehört oder ein Parteiamt der NSDAP im Range eines Ortsgruppenführers bekleidet hatten, in "automatischen Arrest" genommen wurden.
Die von den Alliierten forcierte Entnazifizierung der Beamtenschaft sowie die Dezentralisierung des Polizeiapparates gerieten nur wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges ins Stocken. Besonders in der britischen Militärverwaltung setzte sich ein Pragmatismus durch, der schon zu einem frühen Zeitpunkt einer "Restauration der deutschen Polizei" (Falco Werkentin) den Weg ebnete. Für diese Entwicklung sind im Wesentlichen drei Gründe zu nennen. Erstens erwies sich die systematische Überprüfung tausender Beamter für die Alliierten als zu aufwändig. Seit September 1945 wurden daher zahlreiche rangniedere Angehörige der Kriminal- und Ordnungspolizei aus dem "automatischen Arrest" entlassen. Die in den folgenden Jahren eingeleiteten Entnazifizierungsverfahren vor deutschen Spruchkammern eröffneten selbst ehemaligen Gestapo-Mitarbeitern am Ende der 1940er Jahre die Rückkehr in den Polizeidienst.
Alte Seilschaften an der Spitze des BKA
Zweitens unterliefen die Militärverwaltungen angesichts steigender Kriminalitätsraten den eigenen Anspruch, die deutschen Polizeistrukturen zu kommunalisieren. Schon im Januar 1946 wurde in Hamburg ein zentrales Kriminalamt für die britische Zone (KPABrZ) ins Leben gerufen, das als eine Art Vorläuferorganisation des Bundeskriminalamts (BKA) die Arbeit der entstehenden Landeskriminalpolizeiämter in den Ländern der britischen Besatzungszone koordinierte. Das Personal dieser Polizeibehörden rekrutierte sich zu großen Teilen aus vormaligen Mitarbeitern des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA). Drittens hatte die Bereitschaft auf Seiten der West-Alliierten, die noch kurz zuvor postulierten Prinzipien stark zu relativieren, damit zu tun, dass im Zuge der sich verschärfenden Blockkonfrontation die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und dessen Protagonisten zunehmend an Bedeutung verlor.
Zur vollen Entfaltung kamen die Seilschaften ehemaliger Beamter des NS-Sicherheitsapparats erst mit Gründung der Bundesrepublik 1949. Die von den Alliierten installierten kommunalen Polizeistrukturen wurden überwiegend beseitigt. Gleichzeitig begannen alle Bundesländer mit der Aufstellung geschlossener paramilitärischer Bereitschaftspolizei-Einheiten. 1951 wurde das BKA gegründet. Dort zeigten sich die personellen und organisatorischen Kontinuitätslinien besonders deutlich. Als zentrale Figuren fungierten hier der Kriminaloberinspektor Rolf Holle, der seit 1937 der Kripo angehörte, und Paul Dickkopf, der während des Zweiten Weltkrieges für den Geheimdienst der Wehrmacht gearbeitet hatte. Bereits im Jahr 1948 entwickelten die beiden, zunächst im Verborgenen, Organisationspläne für eine künftige Bundeskriminalpolizei, die weitgehend jenen des früheren Reichskriminalpolizeiamtes entsprachen.
Zudem knüpften sie im politisch-administrativen Bereich Netzwerke und Koalitionen, um die Personalauswahl für die neue Polizeibehörde beeinflussen zu können. Holle und Dickkopf, der in den Jahren zwischen 1965 und 1971 selbst zum Präsidenten des BKA avancierte, agierten äußerst erfolgreich. So gelang es ihnen, zahlreiche Kameraden aus dem gemeinsam in den Jahren 1938/1939 an der Schule der Sicherheitspolizei und des SD in Berlin-Charlottenburg absolvierten Kommissarlehrgang in Führungspositionen des BKA unterzubringen. Die "Charlottenburger" sollten über beinahe 20 Jahre hinweg die Leitbilder, Zielsetzungen und Strategien der Behörde maßgeblich prägen.
Der Kampf um die Führungspositionen im BKA war, so urteilt der Historiker Patrick Wagner, "im Kern eine Auseinandersetzung zwischen Cliquen, Zirkeln und Seilschaften, die auf Kontakten und Freundschaften beruhten, welche in die NS-Zeit zurückreichten." (Wagner: 163) Insofern mag es kaum verwundern, dass sich von Beginn an eine beträchtliche Zahl ehemaliger Funktionsträger der Reichskriminalpolizei in der Behörde tummelte. Von 47 leitenden Beamten des BKA im Jahr 1959 waren fünf im RKPA mit der Einweisung von Sinti und Roma, "Asozialen" und Homosexuellen in die Konzentrationslager befasst gewesen. 15 hatten als Angehörige der berüchtigten Einsatzgruppen an den Massenmorden in Osteuropa und der Sowjetunion teilgenommen. Jeder Dritte war zudem Mitglied der Gestapo gewesen. Auf der Ebene der Landeskriminalämter und bei den lokalen Kripo-Stellen sah die Personalstruktur kaum anders aus. Allein in Nordrhein-Westfalen waren am Ende der 1950er Jahre rund 60 leitende Kripo-Beamte mit einschlägiger SS-Vergangenheit beschäftigt.
Ähnliche Verhältnisse herrschten bei den Verfassungsschutzämtern und dem Bundesnachrichtendienst (BND). Die unübersehbare Präsenz ehemaliger nationalsozialistischer Funktionseliten in den Sicherheitsbehörden der frühen Bundesrepublik kann im Rückblick nur als eine beispiellose "moralische Katastrophe" (Dieter Schenk) bezeichnet werden. Erklärungsbedürftig bleibt indes, weshalb sich Polizei und Geheimdienste trotz ihrer personellen Renazifizierung zu institutionellen Stützen des demokratischen Verfassungsstaates entwickeln konnten. Vor allem vier Aspekte sind hier zu nennen.
Erstens war eine zumindest formale Anerkennung der rechtstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik für die durch die NS-Zeit schwer belasteten Mitarbeiter von Polizei, Verfassungsschutzämtern und BND unumgänglich, wollten sie nicht die Aufmerksamkeit der alliierten Kontrollinstanzen oder der Justiz auf sich ziehen.
"Resozialisierung" von NS-Schreibtischtätern
Zweitens schwelte innerhalb der Belegschaften von Polizei und Geheimdiensten ein Generationenkonflikt. Die Seilschaften der alten Kameraden sorgten bei Beamten, die ihre Laufbahn erst in der Nachkriegszeit begonnen hatten, für erheblichen Unmut. Die früheren Kriminalisten und Geheimdienstler des NS-Staates galten als autoritär und arrogant. Zudem blockierten sie über Jahre hinweg die Karrieren ihrer jüngeren Kollegen. Das Verhältnis zwischen beiden Generationen war demnach eher durch Konkurrenz als durch Konsens geprägt.
Drittens zeichneten sich in der Bundesrepublik seit dem Ende der 1950er Jahre erste Umrisse einer entstehenden kritischen Öffentlichkeit ab. Die "Spiegel-Affäre" im Herbst 1962 sowie illegale Abhöraktionen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), die in den Jahren 1963/64 bekannt wurden, entwickelten sich zu politischen Skandalen, bei denen die zweifelhaften Praktiken der Sicherheitsbehörden ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückten. Der legendär gewordene Rechtfertigungsversuch von Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU), die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes könnten nicht "den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm" herumlaufen, warf weitere Fragen nach dem demokratischen Selbstverständnis des BfV auf.
Die Medien begannen, sich stärker als bisher für die Präsenz ehemaliger NS-Beamter in den Sicherheitsbehörden zu interessieren. So wurde bekannt, dass der für die Ermittlungen gegen den Spiegel zuständige stellvertretende Leiter der Sicherungsgruppe Bonn des BKA, Theo Saevecke, als SS-Hauptsturmführer in den Jahren 1943/44 an der Deportation italienischer Juden sowie an Geiselerschießungen beteiligt gewesen war. Großes Aufsehen erregte auch der Prozess gegen Georg Heuser im Jahr 1963. Der Chef des Landeskriminalamtes von Rheinland-Pfalz, der während des Zweiten Weltkriegs die Gestapo in Minsk kommandiert hatte, musste sich vor dem Landgericht Koblenz wegen der Ermordung von mindestens 30.000 Menschen verantworten und wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Viertens rückte seit dem Ende der 1950er Jahre der Typ des nationalsozialistischen "Schreibtischtäters" stärker ins öffentliche Bewusstsein. Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem im Jahr 1961 sowie die Ermittlungstätigkeit der 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen verdeutlichten, dass es einer erheblichen Zahl nationalsozialistischer Funktionseliten bedurft hatte, um die Vernichtungsmaschinerie am Laufen zu halten. Als Protagonisten dieses Tätertyps galten besonders die SS-, SD- und Gestapo-Beamten der mittleren Führungsebene. Die Feststellung, dass sich genau dieser Personenkreis in den Belegschaften der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden wieder hatte etablieren können, löste in der Öffentlichkeit zunehmend kritische Reaktionen aus und beschränkte die Handlungsspielräume der alten Kameraden.
Die alten Feindbilder blieben nach 1951 erhalten
Die "Resozialisierung" (Patrick Wagner) der ehemaligen Kriminalisten und Geheimdienstler des NS-Regimes in der frühen Bundesrepublik forderte nicht nur in moralischer, sondern auch in politischer Hinsicht einen hohen Preis. In den Behörden konservierten sich über Jahrzehnte hinweg Ressentiments und Feindbilder, die in der Zeit des Nationalsozialismus (teilweise auch schon davor) geprägt worden waren. Die Kriminalpolizei, besonders das BKA, hielt bis weit in die 1960er Jahre an den Vorstellungen vom "geborenen Berufsverbrecher" fest. Ausgehend von diesen kriminalbiologischen Auffassungen forderten führende Vertreter des BKA in den 1950er Jahren wiederholt präventivpolizeiliche Kompetenzen, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus existiert hatten. Ebenso bestand die von den Kriminalpolizeibehörden seit dem Kaiserreich vorgenommene rassistische Stigmatisierung von Sinti und Roma als "Asoziale" bis in die jüngste Vergangenheit weiter.
Ein Aufgabenfeld, in dem Polizei und Geheimdienste in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hingegen äußerst zurückhaltend oder überhaupt nicht tätig wurden, war die Strafverfolgung von NS-Tätern. Bei den Landeskriminalämtern, die gewöhnlich mit der Fahndung nach NS-Verbrechern beauftragt wurden, galten die zuständigen Beamten, die oftmals gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln mussten, lange Zeit als "Verräter" und "Nestbeschmutzer". Es ist daher kaum verwunderlich, dass die meisten Verfahren schon in einem frühen Stadium im Sande verliefen.
Die "braunen Wurzeln" (Dieter Schenk) des Bundeskriminalamtes, der meisten Landeskriminalämter, des BND wie auch der Verfassungsschutzämter werden in der offiziösen Geschichtsschreibung dieser Behörden weitgehend ignoriert. Noch im Dezember 2001 antwortete die rotgrüne Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke: "Das Bundeskriminalamt hat keine nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden." Für das BKA ist diese Legende trotz aller amtlichen Verschleierungsstrategien materialreich widerlegt worden. Auch der Verfassungsschutz und der BND werden sich langfristig kaum mehr hinter spitzfindigen Schutzbehauptungen der Bundesregierung oder restriktiv ausgelegten Archivgesetzen verstecken können.
Michael Sturm
Eine längere Fassung dieses Artikels erschien in Antifaschistisches Infoblatt (Berlin) Nr. 74 (Winter 2006/2007). Darin werden auch die NS-Kontinuitäten bei Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst behandelt.
Literatur:
Gerhard Fürmetz/Herbert Reinke/Klaus Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945-1969, Hamburg 2001, Seite 105-127
Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001
Patrick Wagner: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, München 2002