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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 521 / 19.10.2007

Mehr als ein Tarifkonflikt

Streik und Privatisierung bei der Deutschen Bahn AG

Im Anschluss an den Beitrag in ak 519 zeigen die nachfolgenden Thesen, welche Ursachen dem aktuellen Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Deutschen Bahn (DB) zugrunde liegen, welche Rolle die Akteure spielen und in welchem Verhältnis der Konflikt zur Auseinandersetzung um die angestrebte Kapitalprivatisierung der DB steht. Sie sind von der ak-Redaktion leicht gekürzt und bearbeitet worden.

1. Das DB-Management möchte mit aller Gewalt die Privatisierung durchdrücken und hat auf der Jagd nach der "Börsenfähigkeit" in den letzten Jahren die Einkommen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten massiv verschlechtert.

Schon der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV) Anfang 2005 hatte viele Haken und Ösen und wurde von den EisenbahnerInnen vor allem mit Lohnopfern, Arbeitszeitverlängerung und Urlaubskürzung bezahlt. Bei zunehmendem Personalabbau auf allen Ebenen wird ein reibungsloser Betriebsablauf immer schwieriger. EisenbahnerInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen beklagen, dass viele für eine langfristige Substanzerhaltung notwendige Investitionen und Anschaffungen zurückgestellt wurden, um auf dem Papier die "Börsenfähigkeit" des Konzerns herzustellen. Die vom Bahnmanagement verordneten Einsparungen bei Mensch und Material wirken sich kontraproduktiv und ökologisch schädlich aus. So wurden Arbeitsplätze und Kapazitäten bei der Güterverkehrssparte Railion inzwischen so weit abgebaut, dass Railion an der Kapazitätsgrenze angekommen ist und zusätzlicher Nachfrage oftmals nicht nachkommen kann.

2. Die Unzufriedenheit in allen Bereichen der Bahn hat sich bei der diesjährigen Tarifrunde in einer hohen Kampfbereitschaft ausgedrückt.

Anfang Juli 2007 war die Resonanz auf die Streikaufrufe der drei Bahn-Gewerkschaften überwiegend besser als erwartet. Die wenigen Stunden Warnstreik waren nur die Spitze des Eisbergs. Wiederholt erklärten über 70% der Bevölkerung in repräsentativen Umfragen ihr Verständnis für Streiks bei der Bahn. Mit mehr Druck und einer Fortsetzung und Ausweitung der Arbeitskämpfe wäre ein deutlich besseres Ergebnis möglich gewesen, als es von TRANSNET und GDBA ausgehandelt wurde.

3. DB-Personalchefin Margret Suckale hat sich im Zusammenhang mit dem GDL-Konflikt zynisch gegen eine "Spaltung der Belegschaft" ausgesprochen. Dabei ist eine solche Spaltung schon längst im Gange.

So bekommen etwa Sicherungsposten an Streckenbaustellen für ihre in allen Ecken des Landes gleichermaßen aufreibende und lebensgefährliche Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern monatlich 1.021 Euro brutto, in Rheinland-Pfalz 1.393 Euro brutto und in Hessen 1.392 Euro plus 2,01 Zuschlag pro Stunde. Mehrere zehntausend Beschäftigte, deren Betrieb bei DB Services angesiedelt ist, werden seit Jahren tarifpolitisch schlechter behandelt und sind gegenüber anderen EisenbahnerInnen besonders benachteiligt. Zudem ist im DB-Konzern die Kluft in der Belegschaft zwischen unterschiedlichen Statusgruppen (Beamte, Tarifkräfte vor 1994 und Tarifkräfte nach 1994) größer geworden. Leih- und Zeitarbeit hält Einzug in den DB-Konzern.

4. Nachdem TRANSNET und GDBA Anfang Juli den Arbeitskampf abbliesen und einen Tarifabschluss vereinbarten, sieht die Mehrheit der Lokführer derzeit nur durch die GDL die Chance, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen und ihre Arbeitsbedingungen und Einkommen wieder zu verbessern. Die Stärke der GDL ist vor allem auch eine Folge der Politik des TRANSNET-Vorstands.

In enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsapparaten, allen voran TRANSNET, hat das DB-Management seit der "Bahnreform" 1994 über die Hälfte aller DB-Arbeitsplätze abgebaut und den Druck auf die Beschäftigten ständig erhöht. Tendenziell sind viele Lokführer heute bei gesunkenen Realeinkommen viel länger von zu Hause weg. Die Gestaltung der Schichtpläne macht die Freizeit weniger berechenbar. Anfang der 1990er Jahre konnte sich die GDL mit ihrer Kritik an einer Privatisierung der Bahn von der GdED (heute TRANSNET) abgrenzen und damit Punkte sammeln. Als TRANSNET und GDBA 2002 einen Ergänzungs-Tarifvertrag für die DB Regio abschließen wollten, der unter der Parole der "Konkurrenzfähigkeit" massive Verschlechterungen bei Einkommen, Arbeitszeiten und Dienstplangestaltung mit sich gebracht hätte, nahm die GDL dies unter dem Druck ihrer Mitglieder zum Anlass, um die Tarifgemeinschaft aufzukündigen und der TRANSNET verstärkt Mitglieder abzuwerben. Der TRANSNET-Vorsitzende Norbert Hansen gehört zu den eifrigsten PropagandistInnen einer Privatisierungs- und Global-Player-Strategie von Bahnmanagement und Bundesverkehrsministerium und geht mit dem Mehdorn-Management auf dem Weg zur Börse durch Dick und Dünn. Ein GDL-Vollstreik im August 2007 hätte den Börsenplänen des DB-Vorstandes einen starken Dämpfer versetzen und gleichzeitig auf die Sympathie der Mehrheit der Bevölkerung zählen können. Die Zustimmung von 95,8% der befragten GDL-Mitglieder für einen Streik war eindeutig. Streikbereitschaft an der GDL-Basis ist vorhanden, sie kann aber nicht ewig künstlich konserviert werden

5. Die GDL-Führung ist keine kämpferische Speerspitze der ArbeiterInnenbewegung, sondern ein konservativer bürokratischer Apparat, der gegenüber dem Arbeitgeber und in der Gesellschaft um seine Anerkennung, seine Privilegien und seinen Status kämpft.

Die GDL (bis in die 1970er Jahre "Gewerkschaft Deutscher Lokomotivbeamter") ist von ihrer Tradition her eine Stände- und Beamtengewerkschaft und Mitglied im (eher CDU/CSU-nahen) Deutschen Beamtenbund (DBB). Die Spitzen von TRANSNET und GDBA unterstützen den Privatisierungskurs von DB-Chef Mehdorn tatkräftig. Im DB-Aufsichtsrat segnen die ArbeitnehmervertreterInnen (darunter die Bundesvorsitzenden von TRANSNET und GDBA) alle Maßnahmen des Konzernvorstandes ab. Ohne die Mitwirkung der TRANSNET- und GDBA-Vorstände könnte DB-Chef Mehdorn seinen Privatisierungskurs gegenüber der Politik kaum durchsetzen. Das DB-Management weiß dies zu schätzen und hat deswegen in den letzten Jahren die GDL eher "stiefmütterlich behandelt". Sie ist im Aufsichtsrat der DB Holding nicht vertreten. Mit dem Bemühen um einen "eigenen" Tarifvertrag möchte der GDL-Apparat auch seine eigene Rolle wieder aufwerten, Aufmerksamkeit des DB-Managements auf sich ziehen und unterstreichen, dass er nicht am Katzentisch Platz nehmen möchte.

6. Die GDL-Führung hat bei der Masse ihrer Mitglieder hohe Erwartungen geweckt. Im Grunde fürchtet sie aber - genau so wie die Apparate anderer Gewerkschaften - einen Vollstreik, der ihrer Kontrolle entgleiten könnte, und eine volle Konfrontation mit DB-Management und gesellschaftlichen Eliten.

Die Gerichtsurteile, mit denen der Arbeitgeber die GDL-Streiks untersagen wollte, waren und sind ein Angriff auf das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht und somit auf alle Gewerkschaften. KeinE GewerkschafterIn darf still mit ansehen, wie sich ein Gericht erdreistet, einen Arbeitskampf zu verbieten, weil dieser "wirtschaftlichen Schaden" anrichtet; schließlich ist es Sinn und Zweck jedes (ökonomischen) Arbeitskampfes, durch das Druckmittel des wirtschaftlichen Schadens handfeste Verbesserungen für abhängig Beschäftigte zu erreichen. Anstatt jedoch das skandalöse und grundgesetzwidrige Streikverbot des Nürnberger Arbeitsgerichts durch Berufung zu kippen und aus der Welt zu schaffen und danach erst recht zu streiken, schloss die GDL-Spitze eiligst einen Vergleich mit dem DB-Vorstand ab, in dem sie bis zum 27. August auf Streiks verzichtet und der Aufnahme der Mediation bzw. Verhandlungen unter Leitung von Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler zustimmte. Danach erklärte die GDL den Verzicht auf Streiks bis Ende September. Mit diesem Gebaren unterscheidet sie sich in nichts von anderen Gewerkschaftsapparaten, die oft verbal mit großen Streiks drohen und dann in letzter Minute die Notbremse ziehen.

7. Die GDL-Führung hat ihre frühere strikte Ablehnung einer Bahnprivatisierung längst aufgegeben. Die Chance, die Medienöffentlichkeit in diesem Sommer für eine klare Botschaft gegen jede Form von Privatisierung zu nutzen und dafür Verbündete zu suchen, hat sie in den letzten Wochen grandios verpasst.

GDL-Chef Manfred Schell kokettiert damit, dass er Ende 1993 als einziger CDU-Abgeordneter im Bundestag gegen den Einstieg in die Privatisierung gestimmt habe. Anfang 2004 jedoch erklärte er: "Vom Grundsatz her haben wir nichts gegen einen Börsengang", und im November 2006 begrüßte er "mit großer Zufriedenheit" die Entschließung der Koalition zur Bahnprivatisierung. Schnell will, "dass das Netz bei einem Börsengang aus dem Konzern herausgelöst wird". Eine solche Zerschlagung der Bahn käme heutigen britischen Zuständen gleich und wird auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der FDP propagiert: Das (tendenziell defizitäre) Netz soll beim Bund bleiben, alles andere kann zu 100% privatisiert werden.

Laut GDL-Organ Voraus (Mai 2007) sieht sich die GDL als "Gewinner der Privatisierung". Dabei wird der neoliberale Irrglaube nachgeplappert, dass der Schienenverkehr nach einer vollen Privatisierung und Liberalisierung boomen würde. Zudem sieht die GDL-Führung für sich in einer Vielzahl kleinerer privater Schienenverkehrsunternehmen eine wachsende Bedeutung. Mit vielen dieser Unternehmen hat sie auch Tarifverträge weit unter DB-Niveau abgeschlossen.

8. Anfang Oktober 2007 hat sich die Lage erneut zugespitzt. Das Bahnmanagement möchte die angedrohten GDL-Streiks aussitzen und totlaufen lassen. Für den GDL-Apparat, der in den letzten Monaten viele Mitglieder hinzugewonnen hat, geht es um alles oder nichts. Eine empfindliche Niederlage könnte die GDL verhindern, wenn sie sich über ihre Berufsinteressen hinaus den Kampf gegen jede Form der Bahnprivatisierung auf ihre Fahnen schriebe.

Dies läge im Interesse aller EisenbahnerInnen und würde in der Bevölkerung, in den DGB-Gewerkschaften und an der SPD-Basis- und Anhängerschaft ein starkes Echo finden. Bei einer Pressekonferenz Ende September winkte der GDL-Bundesvorsitzende allerdings auf die Frage, ob die GDL den angekündigten Streik denn nicht auch als eine Demonstration gegen die Privatisierung aufziehen wolle, ab: "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun." Dies ist extrem kurzsichtig, denn die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für alle DB-Beschäftigten - nicht nur für die Lokführer - in den letzten zehn Jahren hat sehr wohl etwas mit Mehdorns Börsenwahn und mit der Liberalisierung zu tun.

9. Die Kräfte bündeln und nicht verzetteln! Einheit gegen Privatisierung tut not.

Privatisierung bringt eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Während Die Zeit (9.8.07) berichtete, dass 67% der BundesbürgerInnen die Bahn in Staatsbesitz belassen wollen und nur 27% für Privatbesitz sind, reden die Spitzen der drei Bahngewerkschaften ihren Mitgliedern ein, dass eine Privatisierung für sie ungefährlich bis vorteilhaft sei. Gegen den erklärten Willen der EisenbahnerInnen und ihrer Gewerkschaften wäre eine Privatisierung schwer vorstellbar. EisenbahnerInnen sind bereit, für ihre Interessen zu kämpfen. Diese Kampfkraft darf jetzt weder blockiert noch verzettelt werden. Das Gebot der Stunde lautet: gemeinsam den Börsengang stoppen und alles beiseiteschieben, was uns trennt und von diesem Kampf ablenkt. Keine Lähmung oder Verzettelung der Kräfte! Einheitlicher Abwehrkampf aller Bahngewerkschaften und aller DGB-Gewerkschaften gegen den Börsengang! Verzicht auf gegenseitiges Abwerben von Mitgliedern! Wenn die Gewerkschaftsvorstände zum Abwehrkampf nicht bereit sind, muss ihn die Basis selbst in die Hand nehmen!

Hans-Gerd Öfinger, www.bahnvonunten.de