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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 521 / 19.10.2007

Deutscher Herbst. Es war Politik, nicht Pathologie

30 Jahre Deutscher Herbst: Seit Wochen reihen sich in Funk, Fernsehen und fast allen Printmedien der Bundesrepublik Dokumentationen an Titelstorys, sollen Gespräche mit ZeitzeugInnen die Stimmung von damals wiedergeben und "Terror-Chroniken" den jüngeren LeserInnen auf die Sprünge helfen. Dabei geht es nicht einfach darum, an die Ereignisse von 1977 zu erinnern. Vielmehr soll die staatsoffizielle Geschichtsschreibung im kollektiven Gedächtnis verankert werden. Auch wenn sich die RAF im April 1998 aufgelöst hat und die Ereignisse aus dem Herbst 1977 lange zurückliegen, bleibt die "Historisierung" der RAF ein offener Prozess. So bieten die nicht geklärten Vorgänge in der Stammheimer "Todesnacht" vom 17. auf den 18. Oktober 1977 bis heute Raum für Diskussionen. Diese endgültig zu beenden, scheint Ziel der 30-Jahre-Rückblicke von taz bis Spiegel zu sein; dort wird nur noch über den Ablauf des angeblichen Kollektivselbstmordes spekuliert. Dass dieser unter staatlicher Aufsicht stattgefunden habe, behauptet der Spiegel. Die vielen bis heute ungeklärten Fragen, die an der Selbstmordthese gewaltig zweifeln lassen, werden höchstens noch am Rande erwähnt.

Auch im Jahr 2007 lässt sich festhalten: "Die Geschichte der RAF ist die ihrer Bekämpfung", so Gottfried Oy und Christoph Schneider in dem Buch "Vorwärts und viel vergessen". Zwei Elemente fallen dabei auf: Auf der einen Seite ist jegliche kritische Analyse ehemals links-liberaler Medien inzwischen der demokratischen Selbstinszenierung der Bundesrepublik gewichen. Auf der anderen Seite ist die kurze Phase des Pop-Diskurses um die RAF längst passé. Ironische "Prada-Meinhof"-Shirts sind verschwunden, an Bücher wie "Rosenfest" von Leander Scholz und Christopher Roths Spielfilm "Baader" erinnert sich inzwischen kaum noch jemand. Dies zeigt, wie stark der Terrordiskurs seit dem 11. September 2001 die veröffentlichte Meinung bestimmt.

Aber nicht nur die Debatte um die RAF erlebt in diesem Jahr ein Revival. Seit Mai wird mit dem ursprünglich für die RAF geschaffenen §129a Jagd auf die radikale Linke gemacht. Im Namen der inneren Sicherheit werden Menschen verfolgt, die mit Sachbeschädigung und Brandanschlägen im Rahmen des Protestes gegen den G8-Gipfel und gegen Militäreinrichtungen agiert haben sollen. Florian L., Axel H. und Oliver R. sitzen seit dem 31. Juli 2007 in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Ihnen wird die Mitgliedschaft in der "militanten gruppe" vorgeworfen. Die spontanen Demonstrationen am 9. Mai mit mehreren tausend TeilnehmerInnen in Berlin und Hamburg stellen bisher den Höhepunkt im Widerstand gegen die Repressionsorgane dar. Einen solidarisch-kritischen Umgang mit den Aktionen der "militanten gruppe" zu entwickeln und die Freiheit der Gefangenen zu erwirken, sollte Aufgabe der Linken 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst sein.