Die Konstruktion einer "Elite"
Hintergründe der Exzellenzinitiative an deutschen Hochschulen
Wissenschaft kann manchmal richtig spannend sein! Während Hochschulpolitik ansonsten ein absolutes Minderheitenthema ist, steigert sich die öffentliche Anteilnahme wie vor einer Oscar-Verleihung, seitdem hierzulande in regelmäßigen Abständen "Eliteuniversitäten" politisch ausgerufen werden. Im Oktober 2007 waren dies die Freie Universität Berlin, die Technische Hochschule Aachen und die Universitäten Göttingen, Heidelberg, Konstanz und Freiburg. Diese Wettbewerbssimulation hat die Hochleistungs- und Überbietungsrhetorik noch einmal verstärkt, mit der sich die neuen Hochschulmanager, die derzeit die traditionelle akademische Selbstverwaltung ablösen (1), gesellschaftlich ausweisen.
Das alles sind keineswegs nur symbolische Handlungen. Zwar versucht die offizielle Politik uns einzureden, dies hätte keinerlei Konsequenzen für die Hochschulen in ihrer Gesamtheit, es würden lediglich einige etwas mehr Geld für ihre Spitzenforschung erhalten. Doch KritikerInnen argumentieren, dies sei eine historische Weichenstellung zugunsten eines Zwei-Klassen-Hochschulsystems, in dem sich materielle Zuwächse künftig nur noch auf eine Handvoll "Leuchttürme" innerhalb eines Systems konzentrieren würden, das seit mehr als 20 Jahren strukturell unterfinanziert ist und das die Mehrheit der Studierenden demnächst mit billigen Kurzstudiengängen ("Bachelor") abzuspeisen gedenkt.
Elitenförderung ist unsozialdemokratisch!?
Gleichzeitig werden allein durch die pure Symbolik ideologische Effekte produziert, welche nicht zu unterschätzen sind. Mittlerweile ist wohl in Vergessenheit geraten, dass der ganze Eliten-Hype auf eine missglückte PR-Aktion der SPD-Bundestagsfraktion zurückzuführen ist. Diese beendete ihre Klausurtagung im Januar 2004 damit, dass der damalige Generalsekretär Olaf Scholz vor die Presse trat und verkündete, seine Partei würde gerne in Deutschland "Eliteuniversitäten wie Harvard" errichten. Dies erzeugte nicht nur öffentliche Verwunderung, sondern kurzfristig einen innerparteilichen Aufstand (ein Parteitag der SPD Nordrhein-Westfalens kanzelte gar in einem Initiativantrag den Elitenbegriff als "unsozialdemokratisch" ab), steht die SPD in der Tradition der ersten Hochschulreform doch eher für die politischen Gegenbegriffe zum genuin konservativen Konzept "Elitenförderung", d.h. für "Chancengleichheit" und "soziale Öffnung der Hochschulen". Den obszönen Elite-Begriff zog man damals als umstrittenes und problematisches Konzept aus dem Verkehr. Aus der Elitenförderung wurde die "Exzellenzinitiative" (EI). Diese Umtaufung verhinderte freilich nicht, dass sich mittlerweile im Mainstream der Medien der Begriff "Eliteuniversitäten" als selbstverständliche affirmative Bezeichnung durchgesetzt hat - eine politisch bedenkliche Diskursverschiebung!
De facto beruht die EI auf einem Bund-Länder-Kompromiss zwischen SPD und CDU/CSU vom Juni 2005. Konservative und neoliberale HochschulpolitikerInnen griffen den Fehlstart der SPD begierig auf, um das Thema "Exzellenz" in ihrem Sinne erfolgreich öffentlich zu besetzen. Sie witterten die Gelegenheit, mit den verbliebenen Resten der Hochschulreformperiode aufzuräumen. Dazu gehört etwa die Vorstellung eines relativ gleichwertigen Hochschulsystems, welches nach Verteilungsschlüsseln bürokratischer Egalität flächenbezogen finanziert wird und so versucht, ein relativ hohes formales fachliches Niveau der durchschnittlichen Studienabschlüsse zu halten. Die besagte Bund-Länder-Vereinbarung beinhaltet zusätzliche Forschungsmittel von 1,9 Mrd. Euro, verteilt auf die Jahre 2006-2011. Bewerbungen können für drei Förderprogramme abgegeben werden. Für das finanziell lukrativste dritte müssen "Zukunftskonzepte" für ein Spitzenforschungsprogramm abgegeben werden, das sich auf die gesamte Universität bezieht. Hierfür winkt das Prädikat "Eliteuniversität", für die dann durchschnittliche Zusatzmittel von 21 Mio. Euro pro Jahr zur Verfügung stehen, die ausschließlich in die Spitzenforschung fließen.
Einer der Schlüsselbegriffe der EI-Vereinbarung ist die Förderung der "internationalen Sichtbarkeit" deutscher Universitäten. Was darunter zu verstehen ist, verdeutlicht das Positionspapier "Eckpunkte eines zukunftsfähigen deutschen Wissenschaftssystems", welches zwei Monate vorher von hochrangigen Wissenschaftsfunktionären auf Einladung der Volkswagen-Stiftung und unter Federführung des Bertelsmann-Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) erarbeitet wurde. Darin heißt es lapidar: "Es gilt anzuerkennen, dass in der internationalen Spitzengruppe nur eine überschaubare Zahl von deutschen Hochschulen wird mitspielen können". Zweifelsfrei ist dies die Beschwörung einer nicht weiter begründungspflichtigen normativen Kraft des Faktischen und gleichbedeutend mit dem Appell, durch administrativ-politische Entscheidungen eine solche "Spitzengruppe" zu basteln. In dem Zusammenhang wird in dem Papier eine stärkere künftige Differenzierung in profilierte "Forschungsuniversitäten" und bloß der Lehre gewidmete Hochschulen ohne Forschung empfohlen.
Selbstbedienungsaktion der Spitzenforschung
Die gesamte ideologische Diskurspolitik der Folgezeit kreist um das Problem, die politisch absichtsvolle Weichenstellung für ein Zwei-Klassen-Hochschulsystem als bloßen Ausdruck einer quasi naturwüchsigen Gegebenheit erscheinen zu lassen. Die passende Sprachregelung fand Max Einhäupl, der damalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates, auf einer Pressekonferenz im Januar 2006, welche die erste Vorauswahlentscheidung der EI präsentierte: Es handle sich um einen historischen Paradigmenwechsel, "mit dem wir uns verabschieden von der Idee der Homogenität und uns anfreunden mit der Vorstellung der Diversität." Diese Formel, der Exzellenz-Wettbewerb hätte mit dem "Mythos der Gleichwertigkeit" des deutschen Hochschulsystems aufgeräumt, prägte in der Folgezeit die Medienberichterstattung. Wer eine solche Formulierung vor sich her schiebt, hat natürlich schnell die Lufthoheit über den Stammtischen - wo schon immer gewusst wurde, dass Menschen nun mal unterschiedlich leistungsfähig sind - und kann sich weitere analytische Anstrengungen sparen.
Kritiker der EI wie etwa der Darmstädter Elitensoziologe Michael Hartmann haben es da schon schwerer. Dieser wird nicht müde zu betonen, dass der Exzellenz-Wettbewerb gerade die Unterschiede produziert, "die zu messen er vorgibt." Tatsächlich lässt sich gegenüber der EI die gleiche Kritik üben, die man grundsätzlich auf jede Form von Elitenförderpolitik anwenden kann: Diese schafft immer selbst die Voraussetzungen, durch welche sie sich im Nachhinein rechtfertigt. Die materiellen Leistungsbedingungen einer "auserwählten" Gruppe Weniger werden gegenüber denen der breiten "Masse" verbessert. In der Konsequenz werden von der so produzierten "Elite" auch mehr messbare Leistungsergebnisse erzeugt. Dies wird dann mit nachgeschobenen - häufig naturalisierenden - Annahmen ungleicher "Begabungen" oder ähnlichem erklärt.
Mit der EI wird eine Entwicklung abgerundet, die sich seit 20 Jahren anbahnt. Seit etwa Mitte der 1980er Jahre erhalten die deutschen Hochschulen bei ständig wachsenden Studierendenzahlen finanzielle Zuwächse nur noch selektiv für ausgewählte Bereiche der Forschungsförderung (sog. "Drittmittel"), während die Finanzierung für Studium und Lehre im Wesentlichen eingefroren wurde. Diese Zusatzmittel kamen nur einem Bruchteil der ca. 350 deutschen Hochschulen zugute. Größte Geberorganisation der insgesamt mehr als 3 Mrd. Euro Drittmittel pro Jahr ist hier die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Anspruch nach eine Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft, die aus Steuermitteln finanziert wird. Allerdings konzentrieren sich knapp 60% der DFG-Mittel auf nur zwanzig Universitäten und produzieren dort einen Effekt, den die DFG selbst als "korrelativ" bezeichnet: je mehr DFG-Mittel eine Hochschule erhält, umso größer auch ihr Zuwachs an zusätzlichen Drittmitteln aus anderen, überwiegend privaten Quellen, umso höher ihr Anteil an Stiftungslehrstühlen industrieller Sponsoren etc. Auf diese Weise sind DFG-Mittel aus öffentlichen Quellen ein Katalysator für die (Teil-) Privatisierung der Forschung insgesamt. Die finanziellen Zuwächse erfolgen also nach dem viel beschworenen Matthäus-Prinzip, welches die unterschiedlichen materiellen Leistungsbedingungen, die oben beschrieben wurden, noch einmal forciert. Dass die Auswahlentscheidung für die "Eliteuniversitäten" von einer gemeinsamen Kommission aus Wissenschaftsrat und DFG getroffen wird, rundet die Sache nur ab. Charakteristisch ist, dass in der EI überhaupt nur solche Hochschulen eine Chance hatten erwähnt zu werden, die auch unter den Top 20 des DFG-Förderrankings zu finden sind.
Man könnte also die ganze Eliten-Show als Selbstbedienungsaktion der wissenschaftlichen Spitzenorganisationen bezeichnen - oder als gigantisches ideologisches Manöver, die Mittelkonzentration und Umverteilung in jene Spitzenbereiche bei insgesamt stagnierenden öffentlichen Wissenschaftsausgaben zu legitimieren. Konsequenterweise gehen die Bestrebungen dahin, den auserwählten Hochschulen auch eine rechtliche Sonderstellung zu schaffen, sie von juristischen und politischen Vereinbarungen zu entlasten, die vorerst noch für alle Hochschulen gelten. Dafür scharren Lobbyisten, allen voran das Bertelsmann-CHE, bereits seit der ersten Runde der EI mit den Hufen: die "Eliteuniversitäten" sollen sich etwa ihre Studierenden komplett selbst aussuchen dürfen und nicht mehr per Rechtsanspruch aufnehmen müssen. Sie sollen von der Obergrenze der Studiengebühren (derzeit 500,- Euro) befreit werden und vor allem über die Zahl der aufgenommenen Studierenden selbst entscheiden (derzeit sind nach geltendem Kapazitätsrecht noch alle Hochschulen verpflichtet, eine maximale Zahl von StudienbewerberInnen aufzunehmen, was einmal etwas mit "Chancengleichheit" zu tun hatte).
Die Leistungsrhetorik, die den Elitenwettbewerb begleitet, vernebelt in der öffentlichen Wahrnehmung die Tatsache, dass damit keinerlei gesellschaftlich relevante Steigerung allgemeinen wissenschaftlichen Nutzens verbunden ist, sondern dass es sich vorrangig um ein Privilegierungsprogramm für eine Minderheit handelt. Konrad Paul Liessmann, Philosoph an der Universität Wien, ist daher in seiner Bewertung zuzustimmen: "Nachdem die traditionellen Universitäten zu mehr oder weniger berufsqualifizierenden Ausbildungsgängen mit knappen Ressourcen heruntergewirtschaftet worden sind, rettet sich die halbierte humanistische Universitätsidee in die aus dem neoliberalen Geist des Wettbewerbs geborene Elitekonzeption."
Zwei-Klassen-System als naturwüchsige Gegebenheit
Die einseitige Konzentration symbolischen und - ganz ordinär - finanziellen Kapitals bei Wenigen ist lediglich die Kehrseite einer symbolisch-kulturellen Abwertung und materiellen Verschlechterung der Leistungsmöglichkeiten der Vielen, der "Masse". Der potenzielle gesellschaftliche Nutzen der Wissenschaft wird eher geschmälert. Man könnte dies auch als Verhinderung ihrer gesellschaftlichen Aneignung umschreiben. Zudem belegen die Erfahrungen mit institutionalisierter "Elitenbildung" in anderen Ländern, dass dadurch vor allem ein "informelle(r) Druck zur sozialen und intellektuellen Anpassung" (Liessmann) an die von der amtierenden "Elite" repräsentierten Normen erzeugt wird. Unorthodoxe wissenschaftliche Fragestellungen und Themen jenseits des Mainstream, die immer eine Voraussetzung für Erkenntnisfortschritt waren, tauchen so gar nicht erst auf.
Torsten Bultmann
Anmerkung:
1) vgl. hierzu Karin Zennig: "Hochschulrevolte ade? Autonomie, Freiheit, Ordnung - die Triade der neuen, alten Universität" in ak 521