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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 522 / 16.11.2007

Zum Abschied ein Strike Bike

Nordhausener Fabrikbesetzung endet mit selbstverwalteter Produktion

115 Tage lang haben die KollegInnen von Bike Systems ihre Fabrik besetzt (vgl. ak 519 und 521). Die Schließung haben sie damit nicht verhindern können. Seit dem 1. November 2007 befinden sie sich in einer "Auffanggesellschaft". Aber sie haben ein Zeichen gesetzt und hoffen, dass andere ihrem Beispiel folgen und mehr Erfolg haben werden. Mit Begleitung von Presse und jeder Menge Kameras wurden am 22. Oktober zwei Montagebänder in der bereits stillgelegten Fabrik in Nordhausen (Thüringen) wieder in Betrieb genommen. Die KollegInnen der anderen Abteilungen hatten bereits vorgearbeitet: Bleche und Rahmen rot lackiert und mit Schriftzug und Katzenlogo versehen, Räder eingespeicht und bereift, Gepäckträger vormontiert, Züge und Kabel vorbereitet. Die Endmontage konnte beginnen.

So viel Begeisterung darüber, dass die Bänder anlaufen, erlebt man wohl selten in einer Fabrik. "Ich hab mich gefreut auf die ganze Geschichte hier. Wir waren wieder voll im Element. Das hat richtig Spaß gemacht, mal wieder mit den Kollegen zusammen zu arbeiten. Ende der Woche werde ich traurig sein. Wenn man dann durch die Halle geht und sieht, da war mal volles Leben drin, und alles ist wieder leer." (1) Nach der Produktion des Strike Bike ist das Streikzelt wieder abgebaut, sind die Transparente eingesammelt und zum zweiten Mal die Hallen für die Schließung gefegt. Ein neuer Investor ist nicht aufgetaucht. Es sollte noch zwei Interessenten geben, aber große Hoffnung hatte sich niemand mehr gemacht.

Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit

Ab dem 1. November sind die KollegInnen in eine Auffanggesellschaft übergegangen, in der sie acht Monate lang für 80 Prozent des bisherigen Lohns an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen sollen. Bei der Wahl zwischen zwei Auffanggesellschaften - einer der IG Metall (IGM) und einer anderen ihres Rechtsanwaltes - haben sie sich für letztere entschieden. Mit dieser Regelung stehen sie materiell etwas besser da als mit dem ersten Angebot im Juni, als es hieß, dass noch nicht einmal die Kündigungsfristen von durchschnittlich vier Monaten bezahlt werden könnten. Aber gewonnen haben die KollegInnen diese Auseinandersetzung nicht. Am Ende der Maßnahme wird für einige sicher die Arbeitslosigkeit stehen.

Manche sind froh, dass die anstrengende Zeit der Besetzung nun ihrem Ende entgegen geht. In den ersten Wochen haben sie sich keinen freien Tag gegönnt, manche waren rund um die Uhr im Betrieb, und es gab auch manchen Zoff in der "Familie". Eine Betriebsrätin versucht, diejenigen wieder aufzubauen, bei denen die Enttäuschung über das schlechte Ergebnis überwiegt. "Denen sage ich: Ihr habt was erreicht, ihr könnt stolz sein. Ihr habt was erreicht für euer Selbstbewusstsein, ihr könnt erhobenen Hauptes überall hingehen. Wir haben gezeigt, was in uns steckt. Denn wenn du 20 Jahre in der Produktion bist und immer ein und dasselbe machst, stumpfst du ab und merkst gar nicht mehr, was da eigentlich für ein Talent in dir schlummert. Wir haben uns mit Aktionen ins Gespräch gebracht. Das Strike Bike hat eine enorme Solidarität gebracht, das wird nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Und wir vergessen das nie! Das nimmt uns keiner mehr, das können wir unseren Enkeln noch erzählen: Wir waren nur eine kleine Firma, und wir haben sie besetzt, in Nordhausen."

Diese Meinung teilen viele, und sie sehen sich als Pioniere: "Ich würde das immer wieder machen. Nur allein um denen zu zeigen, dass es so nicht geht. Auch wenn sie nachher unter dem Strich doch ihren Willen kriegen, ... aber ein bisschen Rummel in der ganzen Republik haben wir ja gemacht, und vielleicht nehmen sich irgendwelche anderen Betriebe das mal zu Herzen, vielleicht klappt es bei denen dann."

Die Erfahrung, "dass man in einer Notsituation so zusammenhalten kann", möchten viele nicht missen, und sie waren begeistert über die unerwartete Solidarität. "Dass jeder erstmal an sich selbst denkt und nichts macht, wenn ein anderer Betrieb geschlossen wird, das ist doch normal. Aber jetzt, wo ich selbst weiß, wie das ist, würde ich schon hingehen und was spenden, wenn in einem anderen Betrieb die Kollegen streiken oder um ihre Arbeitsplätze kämpfen müssen." Bei der Besetzung haben alle Beteiligten viel gelernt. Am Anfang fühlten sich die meisten überfordert, wenn Presse auftauchte. Inzwischen geben viele routiniert vor den Kameras Interviews. Sie erklären nicht nur ihre Lage, sondern auch, wie alles zusammenhängt.

Begonnen haben sie ihre Aktion ohne Vorerfahrung, und nur wenige waren in der IG Metall organisiert. "Die Aktion hat gezeigt, dass man nicht organisiert sein muss, sondern einig. Am Anfang haben wir gedacht, wir brauchen die IGM, weil wir überhaupt nicht wussten, wie das geht."

Radikal nicht, aber ein bisschen radikaler

Dass Sekretäre der IGM ständig im Betrieb waren, wurde als Unterstützung gesehen, aber von einigen auch als Kontrolle: "Die haben uns keine Sitzung alleine machen lassen." Die Grenzen des Apparates sind ihnen in dieser Auseinandersetzung deutlich geworden. "Wir sind der IGM dankbar, denn ohne sie und ihre Strukturen wären wir nicht so schnell zu Potte gekommen, die haben wir ganz einfach gebraucht, um die ganze Aktion anzuleiern. Die Leute haben connections, die haben Erfahrung, und dazu sind sie auch da. Für solche Sachen zahlen die Mitglieder Beiträge. Das war wichtig, aber genauso wichtig ist die Hilfe von außen, von anderen Gruppierungen und Organisationen. Eine Organisation wie die Gewerkschaft muss relativ behäbig agieren. Bei entscheidenden Fragen geht das durch mehrere Ebenen. Da können schon mal Wochen und Monate ins Land gehen, um eine Entscheidungsfindung herbeizuführen. Deshalb wäre diese Aktion Strike Bike mit der IGM oder auch mit einer anderen Gewerkschaft nicht durchführbar gewesen."

Die Idee der Selbstverwaltung lag bei dem Produkt Fahrrad nahe und wurde von verschiedenen UnterstützerInnen in die Diskussion gebracht. Konkret wurde sie mit dem Strike-Bike-Vorschlag aus Kreisen der FAU. "Die haben uns überhaupt erst die Möglichkeit aufgetan, dass es überhaupt geht. Von alleine hätten wir das nicht gemacht. Es hätte uns vielleicht an Mut gefehlt, und wir hätten die Vertriebswege nicht gehabt. So weit hätten wir gar nicht denken können."

Die KollegInnen hatten kein Problem damit, sich von AnarchosyndikalistInnen und anderen Linken unterstützen zu lassen, aber auch ihnen gegenüber betonen AktivistInnen ihre Eigenständigkeit: "Die FAU hat uns unwahrscheinlich unterstützt, aber durchgesetzt und umgesetzt hat das der Verein." Für die Produktion der Strike Bikes haben die KollegInnen einen Verein gegründet, der wegen der Garantiebestimmungen noch mindestens zwei Jahre bestehen bleiben wird. KollegInnen, die früher im Büro oder im firmeneigenen Call Center beschäftigt waren, haben sich um den Materialeinkauf und die Auftragsabwicklung gekümmert. Der Verein bezahlt für die Produktionswoche den Strom und die Löhne der KollegInnen. Alle bekommen das Gleiche - 360 Euro für 36 Stunden - angemeldet als Nebenbeschäftigung auf Minijobbasis.

Auch beim Strike Bike stand den BesetzerInnen wieder ihr Vertrauensanwalt zur Seite, den sie schon aus einem früheren Insolvenzverfahren kannten. Seine Beratung hat bei der Besetzung von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. "Ohne ihn hätten wir gar nicht gewusst, was man alles beantragen muss. Da wären wir zum ersten Mal auf die Nase gefallen, da hätten sie uns vom Hof gejagt." Die ganze Aktion war in gewisser Weise sehr ,deutsch`, nämlich in hohem Maße rechtlich verregelt. Gegen die Räumungsdrohung gelang es dem Anwalt, die Besetzung als verlängerte Betriebsversammlung gerichtlich absegnen zu lassen. (2)

Aber eine basisdemokratische Versammlungskultur ist aus dieser längsten Betriebsversammlung in der Geschichte der BRD nicht entstanden. Entscheidungen fielen eher in kleinem Kreis. Manche KollegInnen fühlten sich davon ausgeschlossen; andere schienen ganz zufrieden zu sein, sich nicht um alles kümmern zu müssen. Im Gegensatz zu den Betriebsbesetzungen in Argentinien, wo auf dem Hintergrund des Aufstandes vom Dezember 2001 (zunächst) überall Vollversammlungen zum bevorzugten Ort der Entscheidungsfindung wurden, scheint es in der BRD noch schwierig zu sein, jahrzehntelang praktizierte Vertretungsstrukturen und Passivität zu überwinden.

Das Böse in die Welt hinaus tragen

"Wenn ich das noch mal machen würde, würde ich etwas härter vorgehen. Mit den Erfahrungen, die man jetzt hat, würde man vielleicht gleich so ne Marke setzen wie jetzt mit dem Strike Bike, und nicht so viel fragen: Dürfen wir das? ,Radikal` will ich nicht sagen, ... aber bisschen radikaler schon." Den größten Fehler sehen viele darin, dass sie viel zu spät angefangen haben, sich zu wehren: "Wir hätten eher anfangen müssen mit dem Streiken. Wir hätten sagen müssen: Nein, wir bauen keine Räder mehr. Dann hätten wir ein Druckmittel gehabt, weil die Aufträge erledigt werden müssen. Das haben wir verpasst. Die Hoffnung stirbt zuletzt, und wir dachten immer, es geht weiter. Als wir dann angefangen haben, da waren die Aufträge weg. Jetzt ist es zu spät, hinterher ist man immer schlauer."

Als die Nachricht vom Strike Bike die Runde machte, hegten einige UnterstützerInnen die Hoffnung, dies könnte der Anfang einer selbstverwalteten Fahrradproduktion sein. In der Öffentlichkeit entstand teilweise der Eindruck, die Fabrik würde nun von den ArbeiterInnen weitergeführt. Von der Arbeit her wäre das für die KollegInnen tatsächlich kein Problem. Dass sie für den Produktionsprozess keine Chefs brauchen, haben sie gerade bewiesen. Aber es fehlt ihnen an Kapital. Sie haben ausgerechnet, dass acht bis zehn Millionen Euro nötig wären, um die Produktion wieder in Gang zu bringen. Das Strike Bike war nur möglich, indem solidarische KundInnen ihre Fahrräder unbesehen im Voraus bezahlten. Mit diesem Modell kann keine Massenproduktion betrieben werden, die Löhne für 124 ArbeiterInnen bringt. In einer Woche wurden 1.837 Strike Bikes gebaut - so viele Räder liefen früher an einem Tag von den Bändern. Das Strike Bike war nur eine begrenzte Aktion. Aber einige KollegInnen haben den Spaß am Selbermachen entdeckt. Es gibt Überlegungen, eine kleine Produktion von Spezialrädern aufzubauen. Das ist nicht die Lösung für alle, die sie angestrebt haben. Lieber wären sie zusammen geblieben. Schon am Anfang der Besetzung war die Rede von der "Familie, die zusammenhält". In den gemeinsamen Monaten als BesetzerInnen haben sie sich noch mal ganz anders kennengelernt.

Immer wieder tauchte die Frage auf, warum die Politik nicht mit einer Anschubfinanzierung für die selbstverwaltete Produktion zu Hilfe kommt. Schließlich hatte das Land dem Vorbesitzer Biria erhebliche Subventionen zukommen lassen, und die Arbeitslosigkeit der FahrradwerkerInnen wird den Staat auch einiges kosten. Aber manche liefern die Erklärung gleich mit, warum die Selbstverwaltung nicht sein sollte und sie nicht gewinnen durften: "Wenn wir Erfolg gehabt hätten, dann würden doch überall hier im Land die Betriebe besetzt!" Trotzdem hoffen sie, dass ihre Besetzung zum Beispiel wird.

Ein Aktivist zieht Bilanz: "Was am Ende bleibt? 115 Tage länger, und eine schöne Aktion, die uns weltweit bekannt gemacht hat. Man hat einen Haufen nette Leute kennen gelernt und viele Verbindungen geknüpft. Wenn es eventuell Nachahmer gibt, wenn sich das Aufbegehren gegen irgendwelche Chefs jetzt häuft, dann war die ganze Aktion nicht umsonst. Wenn wir nur so ein kleiner Sargnagel werden für den Staat, dann bin ich schon sehr zufrieden. Wenn Leute uns interviewt haben, habe ich immer gesagt: Tragt das Böse in die Welt hinaus, verbreitet es!"

Alix Arnold

Anmerkungen:

1) Die Zitate stammen aus Gesprächen und Interviews mit den KollegInnen in den Tagen vom 22.-24.10.07 während der Produktion des Strike Bike.

2) Die Gesetzeslücke, dass bei Betriebsversammlungen keine Maximaldauer festgelegt ist, wurde schon mehrfach in Situationen genutzt, in denen Streiken legal nicht möglich gewesen wäre. So wurde der sechstägige wilde Streik bei Opel Bochum im Oktober 2004 als "Informationsveranstaltung" bezeichnet, und statt zu arbeiten, redeten die KollegInnen bei Alstom in Mannheim im April 2005 fünf Tage am Stück über geplante Entlassungen. Am 23.10. besuchte eine Delegation von Alstom die FahrradwerkerInnen, und der Alstom-Chor brachte ihnen ein Ständchen in der Montagehalle.