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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 523 / 14.12.2007

Wir sind Marx!

Papst Benedikts Lob des Kommunismus

"Wie viele Divisionen hat der Papst?" soll einst Stalin gefragt haben, um die Macht der katholischen Kirche zu verhöhnen. Das war ziemlich kurzsichtig. Denn im Kampf um die Köpfe spielt der vatikanische Kleinstaat auch ohne interventionsfähige Armee immer noch eine bedeutende Rolle. Seine Bürokratie bürgt für Stabilität, Erneuerer haben keine Chance. Probleme entstehen erst, wenn ganz oben jemand quer schießt: der Papst ein Linker? Das gab's noch nie! Und ausgerechnet Benedikt XVI.? Das kann doch nicht wahr sein! Ist es auch nicht.

Seltsame Debatten gibt's in Deutschland! Vom "Linksruck" der SPD schwadronieren die Medien, die Kanzlerin reklamiert die von der Sozialdemokratie preisgegebene "Mitte", und Guido Westerwelle (FDP) passt die ganze Richtung nicht: Denn auch die CDU rückt nach links! Alles Extremisten außer Guido! Natürlich wissen selbst Bild-LeserInnen, dass sich die "planwirtschaftlichen" Experimente der Bundesregierung auf ein bisschen Mindestlohn und ein paar Monate mehr ALG I beschränken; dass die Formel vom "demokratischen Sozialismus" schon seit Jahrzehnten mit der sozialdemokratischen Realpolitik nicht das Geringste zu tun hat; dass die Forderung der Grünen, das ALG II um ein paar Euro zu erhöhen, alles andere ist als weltfremder "Utopismus" . Aber im "Parteienstreit" genannten Kampf der Phrasen ist es noch stets gelungen, dass vom jeweiligen Kontrahenten vorgegebene Niveau zu unterbieten.

Marx fasziniert "uns noch und immer wieder"

Finden ernsthafte Diskussionen um Alternativen zum Bestehenden also nur links von den Etablierten statt? Im Prinzip ja. Aber unverhofft mischt sich jetzt jemand in die Debatte, der bislang als reaktionärer Hardliner galt: Josef Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. Mit seiner jüngst veröffentlichten zweiten Enzyklika "Spe salvi facti sumus" ("Auf Hoffnung hin sind wir gerettet") verblüffte er Gläubige wie Ungläubige gleichermaßen. Sein Text, schreibt Alexander Smoltczyk, Spiegel-Korrespondent in Rom, "liest sich passagenweise wie eine Tübinger Vorlesung aus den späten Sechzigern. Der Papst zitiert die Väter der Revolte, Marx und Engels, Kant, Horkheimer und Adorno, und bisweilen klingt er wie der alte Philosoph des ,Prinzip Hoffnung`, Ernst Bloch, vermischt mit einer Dosis New Age." (Spiegel Online, 30.11.07)

Besonders Karl Marx hat es dem mächtigen Mann im Vatikan angetan: Nachdem Friedrich Engels die "grauenvollen Lebensbedingungen" des Proletariats "in einer erschütternden Weise geschildert" hatte, war es Marx, der "mit sprachlicher und denkerischer Kraft ... den revolutionären Sprung", den "Fortschritt zum Besseren, zur endgültig guten Welt" vorbereitete. Er tat das "mit eingehender Genauigkeit, wenn auch parteilich einseitig" und "mit großem analytischen Vermögen". Da gerät der Pontifex geradezu ins Schwärmen: "Seine Verheißung hat mit der Klarheit der Analysen und der eindeutigen Angabe der Instrumente für die radikale Veränderung fasziniert und tut es noch und immer wieder."

Marx fasziniert "noch und immer wieder"? Das ist starker Tobak, aber auch der Höhepunkt des päpstlichen Lobgesangs. Es folgt ein Einwand, der allerdings keine Antithese, sondern bloß immanente Kritik an Marx enthält: Nach dem Sieg der Oktoberrevolution, so Benedikt weiter, "wurde auch der grundlegende Irrtum von Marx sichtbar. Er hat zwar sehr präzise gezeigt, wie der Umsturz zu bewerkstelligen ist. Aber er hat uns (!) nicht gesagt, wie es dann weitergehen soll." Diese Unterlassung erwies sich als fatal: "So hat Lenin nach der geglückten Revolution sehen müssen, dass beim Meister nichts darüber zu finden war, wie es weitergehen solle."

Aber wie weiter nach der "geglückten Revolution"?

Hätte also die Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Sicht ihres Deuters Benedikt einen anderen, besseren Verlauf nehmen können, wenn der Meister seinem Schüler genauere Direktiven hinterlassen hätte? Kurz davor, sich endgültig in den Fallstricken revolutionärer Strategie und Taktik zu verheddern, kriegt der Stellvertreter Christi auf Erden gerade noch mal die Kurve und kommt auf Marx' "eigentlichen Irrtum" zu sprechen: den Materialismus. Die Freiheit des Menschen bedeute eben auch "Freiheit zum Bösen", da reichen "auch die besten Strukturen" nicht aus: Denn sie "funktionieren nur, wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können." Es lebe die "Assoziation, worin die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden ist"! Aber dieses Marx-Zitat fehlt im päpstlichen Text; statt dessen folgt noch ein letztes Zugeständnis an den Atheismus, der "von seinen Wurzeln und seinem Ziel her ein Moralismus" und als "Protest gegen Gott angesichts der Leiden dieser Welt verständlich" ist, ansonsten widmet sich Benedikt seinem Kerngeschäft, dem Handel mit dem Opium des Volkes: Hoffnung gibt es nur bei Gott, die bessere Welt liegt im Jenseits, sie lässt sich auf Erden nicht dauerhaft errichten.

Wer wollte ihm diese Wendung verübeln? Der Mann ist Papst und muss tun, was ein Papst tun muss. Wer in dieser Position vom Glauben abfällt, ist seines Lebens nicht mehr sicher. Bis heute halten sich Gerüchte, Benedikts Vorvorgänger Johannes Paul I. sei kurz nach seiner Wahl wegen fortschrittlicher Ideen bei der vatikanischen Gerontokratie in Ungnade gefallen: Er starb plötzlich und ohne erkennbare Krankheitssymptome nach nur 33 Tagen im Amt.

Js.

Der vollständige deutsche Text der Enzyklika ist zu finden unter www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals