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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 524 / 18.1.2008

Aufgeblättert

Staatsgewalt und G8

Knapp 30 Personen beobachteten vom 2. bis 8. Juni 2006, ausgewiesen vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, das demonstrative Geschehen rund um den G8-Gipfel. Der Bericht ihrer Beobachtungen liegt nun als Broschüre im Eigenverlag des Komitees vor. Eröffnet wurden die Aktionen mit einer Riesendemonstration und Versammlung am 2. Juni im Rostocker Hafen. 80.000 Menschen trafen sich dort, um die herrschende Form der Globalisierung zu kritisieren. Die Eröffnungsversammlung war noch nicht zu Ende, da hallte der Gewaltruf durch die Medien, wurden Bilder gewalttätiger Auseinandersetzungen per Fernsehen in die Wohnzimmer übertragen. Die BeobachterInnengruppe des Komitees hat die Vorgeschichte der Junitage zwischen Rostock und Heiligendamm untersucht als auch die eigenen Beobachtungen zu Berichten zusammengestellt.

Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.): Gewaltbereite Politik und der G8-Gipfel. ISBN 978-3-88906-125-6, 192 Seiten, 10 EUR

Linke Geschichte als Abenteuerroman

Die Historisierung des Deutschen Herbstes 1977 und der 68er-Bewegung ist derzeit in vollem Gange. Dabei wird versucht, eine staatsoffizielle Geschichtsschreibung im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Wohl mit Erfolg. Denn neuere Bewegungsgeschichte wird von links nur am Rande behandelt und bleibt so ein marginaler Bereich in der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Von dieser nicht thematisiert wurden bisher die Entwicklungen der 1980er Jahre bis zur Jahrtausendwende. Erste Schritte einer (linken) Geschichtsschreibung bilden Bücher wie "Autonome in Bewegung" und der im Frühjahr 2007 erschienene Band über die globalisierungskritische Bewegung "Wir sind überall". Ohne den Versuch einer "objektiven Position" werden hier die Geschichten und Erlebnisse der Bewegungen aus persönlicher Sicht erzählt. Ein weiteres Werk in dieser Reihe stellt Ramor Ryans Buch "Clandestinos" dar. Ryan, gebürtiger Ire, Anarchist und Weltenbummler, hat viel gesehen und erlebt. Er war in Berlin, Kurdistan und Lateinamerika. Heute pendelt er zwischen New York und den autonomen Gebieten in Chiapas, Mexiko. Seine Erzählungen, teils lustig, teils traurig, handeln von den Befreiungskämpfen der 1980er Jahre, der Berliner Hausbesetzerszene, dem Aufstand der Zapatistas in Chiapas, dem Aufbruch der globalisierungskritischen Bewegung und dem Scheitern der revolutionären Prozesse, z.B. in Nicaragua. "Clandestinos" ist, wie der Autor sagt, "ein Buch voller Rebellengeschichten" - mit linken tragischen Helden im Kampf gegen das Kapital, den Nationalismus und den "dunklen Prinzen des Imperiums", George W. Bush. Ramor Ryan schreibt von einem klaren Standpunkt aus: anti-national und revolutionär. Was fehlt, ist ein kritischer Blick auch auf die Niederlagen. Stattdessen zeichnet er - manchmal macho-mäßig, mit einer verwirrenden Faszination für Militanz und auch mit naiver Begeisterung - die Entwicklung der radikalen Linken nach. Das liest sich recht flott, kommt aber ohne Revolutionsromantik nicht aus. Wer die Geschichte der radikalen Linken der letzten 20 Jahre schon immer mal als Abenteurroman lesen wollte, liegt mit "Clandestinos" vollkommen richtig.

Jonas Füllner

Ramor Ryan: Clandestinos. Unterwegs im Widerstand. Unrast Verlag, Münster 2007, 256 Seiten, 16,80 EUR

Israelische Frauen schützen PalästinenserInnen

"Checkpoint Watch" ist ein Buch über die Aktivitäten von Machsom Watch, einer Organisation von israelischen Frauen. Sie stehen als Beobachterinnen an der Grenze von Israel zum Westjordanland und in Jerusalem, protokollieren das Geschehen und greifen ein, wenn es an den Checkpoints zu Übergriffen gegen PalästinenserInnen kommt. Die von den Frauen angefertigten Protokolle werden gesammelt und zum Teil ins Internet gestellt. Sie können auch bei Kriegsverbrecherprozessen als Beweismaterial hinzugezogen werden. In jedem Fall sind sie Teil einer anderen, wahreren Chronik des palästinensisch-israelischen Konflikts. Das Ziel von Machsom Watch ist die Abschaffung der Kontrollposten und das Ende der Besetzung Palästinas. Jehudit Kirstein Keshed, die Autorin des Buches, ist eine der drei Gründerinnen der Organisation, die seit 2001 existiert und sich inzwischen mit mehreren hundert Mitgliedern zur größten oppositionellen Friedensgruppe in Israel entwickelt hat. Jehudit Kirstein Keshed beschreibt und reflektiert die Aktivitäten der Frauen von Machsom Watch und lässt sie mit ihren erschütternden Beobachtungen und schmerzhaften Reflexionen selbst zu Wort kommen. Zum besseren Verständnis stellt sie diese in einen größeren geschichtlichen und politischen Zusammenhang. Bemerkenswert an der Organisation ist auch, dass sie trotz aller Konflikte noch existiert, weil die ideologisch sehr unterschiedlich ausgerichteten Mitglieder in der Lage waren, miteinander zu debattieren, von einander zu lernen und sich zu respektieren. Insgesamt ist sie dadurch weniger radikal als am Anfang. Aber vielleicht gelingt es ihr dadurch um so eher, noch mehr Aufmerksamkeit innerhalb Israels zu wecken. Auch wenn die Fülle und die Anordnung der Informationen streckenweise etwas verwirrend ist - Jehudit Kirstein Keshed ist ein sehr differenziertes, persönliches und politisches Buch gelungen.

Karin Schönewolf

Jehudit Kirstein Keshed: Checkpoint Watch. Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina. Mit einem Vorwort von Amira Hass, aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Vestring. Nautilus-Verlag, Hamburg 2007, 256 Seiten, 18 EUR

Geschichte des Neoliberalismus

Das Cover des Buches sollte LeserInnen nicht abschrecken: Ronald Reagan, Deng Xiaoping, Augusto Pinochet und Margaret Thatcher - zu Recht "zieren" die Porträts dieser vier Ikonen des entfesselten Kapitalismus die im Züricher Rotpunktverlag erschienene "Kleine Geschichte des Neoliberalismus". Autor des Buches ist David Harvey (geboren 1935), Professor für Anthropologie in New York. In fünf Kapiteln beschreibt er den Siegeszug der neoliberalen Theorie und Propaganda, die Wandlungen des bürgerlichen Staates und die Entwicklungen in mehreren Ländern, wobei er besonders ausführlich auf China eingeht. In einem weiteren Kapitel diskutiert er die neoliberale "Erfolgsbilanz", die sich selbst unter dem Aspekt der Kapitalakkumulation als "ausgesprochen jämmerlich" darstelle, ganz zu schweigen von den Umweltschäden und der neoliberalen Umverteilung von unten nach oben. Noch zu diskutieren wären die von Harvey vorgeschlagenen Alternativen. Dass Franklin D. Roosevelts Konzepte von 1935 ein Anknüpfungspunkt für eine "Perspektive der Freiheit" (Schlusskapitel) sein können, muss denn doch bezweifelt werden.

Js.

David Harvey: Kleine Geschichte des Neoliberalismus. Aus dem Englischen von Niels Kadritzke. Rotpunktverlag, Zürich 2006, 279 Seiten, 24 EUR