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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 524 / 18.1.2008

PR für die Revolte

Vor 35 Jahren starb der Zeichner Roberto Zamarin - seine Comicfigur Gasparazzo lebt

Für bescheidene 75.000 Lire Einheitslohn ließ Roberto Zamarin den Pinsel, den er bislang für die Werbeagenturen Italiens geschwungen hatte, fallen und entwarf für Lotta continua erst ihr Emblem und dann die wohl legendärste Comicserie Italiens in den 1970 er Jahren. Die Serie sollte nur ein halbes Jahr erscheinen; ein halbes Jahr, nach dem in Sachen Comic nichts mehr war wie zuvor.

Gasparazzo1 Noch im Sommer 1969 schien die linke Welt einigermaßen in Ordnung. Man las Hugo Pratts Geschichten von einer Romantik des Reisens und der Freiheit mit seinem Helden dem Seemann Corto Maltese und wenn man die Nase nur recht hoch reckte, glaubte man über den Rauchschwaden der Fabriken schon die Veränderung zu riechen: Es wurde demonstriert, Universitäten wurden besetzt und Arbeitskämpfe weiteten sich zu Kämpfen für ein lebenswerteres Leben aus. Der Herbst des Jahres sah gar die wirkungsvollsten Streiks, die die Neue Linke gegen die Gewerkschaften und die kommunistische Partei Italiens durchsetzen konnte. Neben den direkten Errungenschaften hatte der Streik nicht zuletzt Zeit für die Begegnung zwischen StudentInnen und ArbeiterInnen gegeben. Der Herbst 1969 sollte wegen der heftigen Auseinandersetzungen zwischen Neuer Linker, (Neo-)Faschisten und Staat als autunno caldo (Heißer Herbst) in die Geschichte eingehen.

Doch schon wenige Monate später drohte die Neue Linke zusammenzubrechen unter der Repression, die nach dem Attentat auf die Mailänder Agrarbank an der Piazza Fontana am 12. Dezember des Jahres, losbrach. Tausende von Verhaftungen und der Tod Giuseppe Pinellis bei einem Verhör durch die politische Polizei Mailands veränderten die Situation nachhaltig. Und weil sich die Presse fast ausschließlich auf die offiziellen Verlautbarungen verließ, die die Schuld an dem Attentat linken Kreisen zuwies, obwohl es schon früh Spuren gab, die auf rechtsradikale Terroristen hinwiesen, galt es ein Medium für die Gegenstimmen zu schaffen: die gleichnamige Zeitschrift der Gruppe Lotta continua (was in etwa mit "Der Kampf geht weiter" oder "Fortgesetzter Kampf" zu übersetzen wäre) war geboren. Zunächst in unregelmäßigen Abständen erscheinend, mauserte sich die Zeitschrift zu einer der wichtigsten der Neuen Linken und erschien ab April 1972 als Tageszeitung. Das Logo der Zeitung, die geballte Faust, typografisch aufgebaut aus dem Schriftzug "Lotta Continua", stammt von Roberto Zamarin.

Einer wie sie es gern gewesen wären - Gasparazzo

Gasparazzo2 Am 10. Juni 1972 betrat ein Arbeitsmigrant aus dem Süden die Bühne, der benannt war nach einem Sozialrebellen des 19. Jahrhunderts: Gasparazzo. Gasparazzo war zugleich Inbegriff des Zielpublikums, der idealisierten Selbstvorstellung und Spiegel der Diskussionen innerhalb von "Lotta continua" . Zamarin gelang es, der Gruppe ein Emblem zu geben mit der Figur eines Arbeiters, der gezwungen war aus dem Süden in die Fabriken des Nordens zu ziehen. Gasparazzo erlebt die gesamte Palette des Lebens als Arbeiters. Kaum im Norden angekommen wird er verhaftet, eingesperrt, freigelassen und schließlich für einen Schlägertrupp angeworben, um Streikende zu verprügeln. Erst langsam erkennt er auf welcher Seite der Barrikade es zu kämpfen lohnt. Oder in Zamarins eigenen Worten: "Aus dem Kohlenarbeiter Gasparazzo ist der Massenarbeiter ohne Ausbildung und Heimat geworden. Er hat die neuen Waffen des Klassenkampfes kennen gelernt, aber die Erinnerung an die proletarische Gerechtigkeit ist ihm immer lebhaft im Kopf geblieben. Die Politik offenbart sich ihm Tag für Tag, während er seine instinktive Rebellion innerhalb des disziplinierten Mechanismus der großen modernen Fabrik kämpft. Was den Rest betrifft, lebt er wie so viele andere, er geht zum Sport, guckt Fernsehen, denkt an Frauen, träumt davon, den faschistischen Genueser Richtern Angst zu machen."

Mit Gasparazzo hatte also jene Gruppe die Bühne betreten, um deren legitimatorische Gunst man im Italien der 1970er Jahre warb - die Arbeiter. Das eröffnete die Möglichkeit, alltägliche Probleme in Form eines populären politischen Comics zu thematisieren. Andererseits avancierte Gasparazzo schnell zur Ikone. Und wie immer bei Ikonen überdeckte die scheinbare Anschlussfähigkeit viel. Die Rollenverteilung zwischen Studenten und Arbeitern und mehr noch zwischen Studenten und Studentinnen, Arbeitern und Arbeiterinnen, schien unproblematischer als sie es war. Und vor allem die gender-Beziehungen mussten für Gags herhalten, die nicht gerade von Problembewusstsein zeugen. Allen Qualitäten zum Trotz war Gasparazzo auch eben nur kultureller Ausdruck eines Diskussionsstandes.

Es war neblig auf der Autobahn nach Mailand in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1972, auf der Roberto Zamarin bei einem Autounfall starb. Die Veröffentlichung des bis heute einzigen, unzählige Male wieder abgedruckten Buches mit den Alltagsabenteuern seines knollennasigen Helden sollte er nicht mehr erleben.

Fabian Tietke