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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 525 / 15.2.2008

Aufgeblättert

Gedenktafeln in reizvoller Seenlandschaft

Nachdem man mit Stadtführern zum "jüdischen Berlin" in all seinen vernichteten Facetten bereits Regalfächer füllen kann, gerät nun auch das Berliner Umland ins Visier. "Jüdisches im Grünen" heißt das Büchlein, in dem Judith Kessler und Lara Dämmig Spurensuchern, Gedenktouristen und Sommerfrischlern praktische Informationen zur Besichtigung untergegangenen jüdischen Lebens und weitere Freizeittipps geben. Im Jargon eines typischen Ausflugsratgebers mischen sich Beschreibungen zerstörter und immer wieder geschändeter Friedhöfe, Darstellungen antijudaistischer Symbole in mittelalterlichen Kirchen und Angaben zu Hachschara-Lagern, in denen sich Jugendliche in den 1930er Jahren landwirtschaftliche Kenntnisse für die erträumte Zukunft in Palästina aneigneten, mit munteren Hinweisen auf nistende Störche, Mittelalterfestspiele und Angebote für "Wassersportbegeisterte". Mein Lieblingssatz in der Kategorie "weitere Sehenswürdigkeiten": "Die zur Fußgängerzone umgewandelte gemütliche Altstadt mit ihren vielen gut erhaltenen Fachwerkhäusern strahlt die Atmosphäre einer gepflegten Kleinstadt aus und lädt zum Einkaufsbummel ein." Neben dieser merkwürdigen Mischung von mittelalterlichem Judenhass, NS-Vernichtungspolitik, gemütlicher Fachwerkromantik und reizvollen Seenlandschaften bietet "Jüdisches im Grünen" aber interessante Anekdoten zu jüdischem Leben in Brandenburg vom Mittelalter bis in die 1930er Jahre. So ist zu erfahren, dass die Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg als Vorbild für die Kibbuzbewegung diente oder dass der Eberswalder Fabrikant Ludwig Hirsch Fertighäuser nach Palästina lieferte. Nur sporadische Hinweise finden sich leider zum Umgang mit den Ruinen jüdischen Lebens in der DDR, zum gegenwärtigen jüdischen Leben in Brandenburg und zu heutigem Neonazismus. "Jüdisches im Grünen" genoss übrigens die "freundliche Unterstützung der Deutschen Bahn AG" - die "Normalisierung" ist nicht mehr aufzuhalten.

Cornelia Siebeck

Lara Dämmig/Judith Kessler: Jüdisches im Grünen. Hentrich & Hentrich, Berlin und Teetz 2007, 160 Seiten, 19,80 EUR

Darfur

Die öffentliche Debatte über den "Darfur-Konflikt" dreht sich um zwei Fragen: Findet dort ein Genozid statt? Und wenn ja, wer soll (militärisch) intervenieren, um ihn zu stoppen? Die Koppelung dieser beiden Fragen weckt bei vielen Erinnerungen an den Kosovo-Krieg 1999, der von der deutschen Regierung als "humanitäre Intervention" zur Verhinderung eines Genozids dargestellt wurde. So ist es nachvollziehbar, wenn in Teilen der Friedensbewegung versucht wird, andere Erklärungsmuster zu suchen und auf Macht- und Profitinteressen der westlichen Staaten hinzuweisen. Dabei wird allerdings übersehen, dass gerade im "Darfur-Konflikt", der seit 2003 andauert, die westlichen Staaten an einer militärischen Intervention kein großes Interesse haben. So kann hier von einer kriegslegitimierenden Funktion des Genozid-Diskurses nicht die Rede sein. Abgesehen davon wäre es ohnehin fraglich, einen Genozid zu leugnen, um so einen eventuellen Missbrauch als Kriegsgrund auszuschließen. Eine dezidiert anti-militaristische Analyse des "Darfur-Konflikts" bleibt überfällig. Mit Gérard Pruniers Buch "Darfur. Der ,uneindeutige` Genozid" findet sich jedoch eine Studie, die die historischen Hintergründe beleuchtet und darauf verzichtet, vereinfachte Erklärungen zu liefern. Stattdessen stellt Prunier die komplexe Beziehung zwischen Zentrum (Khartum) und Peripherie (Darfur) dar. Die Verwendung der Ressourcen für das Zentrum führe zu einer Unterentwicklung in der Peripherie und zu politischer Opposition. Wenn die Staatsführung in einer solchen Konstellation einzelne ethnische Gruppen in der Peripherie gegeneinander ausspiele, um Macht und Ressourcen nicht teilen zu müssen, werde der Konflikt ethnisiert. Als jedoch der Konflikt nicht abebbte und weiterhin eine "Bedrohung" blieb, habe sich die politische Führung zu einer genozidalen Bekämpfung der Opposition entschieden. Insgesamt ist Pruniers differenzierte Studie zu empfehlen, auch für eine anti-militaristische Debatte. Denn leider überwiegen hier immer noch die Stimmen, die die Gewalt des sudanesischen Staates gegen die Bevölkerung in Darfur klein zu reden versuchen.

Ismail Küpeli

Gérard Prunier: Darfur. Der "uneindeutige" Genozid. Hamburger Edition, Hamburg 2007, 275 Seiten, 25 EUR

Clara Zetkin

Treffender als Florence Hervé kann man es nicht formulieren: "Kein Redakteur im heutigen Deutschland würde es wagen, diese Frau in eine Talkshow einzuladen. Diese Frau war Opposition per se" - gemeint ist Clara Zetkin (1857-1933), Frauenrechtlerin, Antimilitaristin, revolutionäre Sozialistin in der SPD, dann der USPD und schließlich von 1919 bis zu ihrem Tode Funktionärin der KPD. Das Büchlein "Clara Zetkin. Oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist" enthält neben einer Würdigung der großen Kämpferin durch die Herausgeberin einige wesentliche Texte Clara Zetkins, darunter ihre Rede "Für die Befreiung der Frau!" auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris im Juli 1889; ihre kluge Analyse "Der Kampf gegen den Faschismus" von 1920; ihre Rede als Alterspräsidentin des Reichstags vom 30. August 1932. In deren Schlusssatz äußerte sie die "Hoffnung, trotz meiner jetzigen Invalidität das Glück zu erleben, als Alterspräsidenten den ersten Rätekongress Sowjetdeutschlands zu eröffnen." Das war zwar mutig, aber - angesichts der faschistischen Gefahr - auch eher linientreu als politisch klug. Dass Florence Hervé Clara Zetkins Irrtümer nicht verschweigt, ist verdienstvoll. Ihr sorgfältig gestaltetes Buch - mit Zeittafel und biographischen Daten zu erwähnten Personen - ist lesenswert, auch für VeteranInnen, die Claras Texte noch "von früher" zu kennen meinen.

Js.

Florence Hervé (Hrsg.): Clara Zetkin. Oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Karl Dietz Verlag, Berlin 2007, 147 Seiten, 6,90 EUR

Vom Streben nach religiöser Vollkommenheit

Der niederländische Autor Jan Siebelink, Jahrgang 1938, erzählt in seinem neuesten Roman die Geschichte eines Mannes: Hans Sievez wünscht als Heranwachsender nichts mehr, als der Autorität und Gewalt des strenggläubigen Vaters zu entfliehen. Paradoxerweise schließt er sich dann als Erwachsener einer calvinistischen Freikirche an, um fast wahnhaft nach dem Heil im Jenseits zu streben. Hans Sievez verlässt das Elternhaus, er heiratet seine Jugendliebe, baut sich mit ihr zusammen eine eigene Gärtnerei auf. Der Arbeitsalltag ist hart, Sievez nicht besonders geschäftstüchtig, aber zusammen bewältigt das Ehepaar die Schwierigkeiten. Zwei Söhne werden geboren, alles scheint sich gut zu entwickeln, doch dann taucht eines Tages ein heruntergekommener Laienprediger in der Gärtnerei auf, ein Bekannter aus der Lehrzeit. Jan Siebelink beschreibt fast nervend die ambivalenten Gefühle des Gärtners, die Zerrissenheit zwischen Familie und Religiosität. Letztlich entscheidet sich Hans Sievez für das Streben nach religiöser Vollkommenheit und entfremdet sich dadurch mehr und mehr von seiner Frau, den Kindern, dem alltäglichen Leben. Als LeserIn möchte man diesen Menschen schütteln; gleichzeitig ist der vorhersehbare Fortgang so zwingend, dass das Buch zu Ende gelesen werden will. Einsamkeit und die (vergebliche) Suche nach Liebe sind die Themen: Die authentisch beschriebene mühevolle, immer wieder von unvorhersehbaren Rückschlägen bedrohte Arbeit in der Gärtnerei ist Sinnbild der Persönlichkeitsentwicklung der Hauptfigur.

Raphaela Kula

Jan Siebelink: Im Garten des Vaters. Arche Verlag, Zürich und Hamburg 2007, 528 Seiten, 24 EUR