5.000 Euro monatlich
Verfassungsschutz auf Anwerbetour. Ein Interview mit einem Betroffenen
Am 21. Januar bekam Michael Dandl Besuch vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Gegen Mittag tauchten drei VSler auf seiner Arbeitsstelle in Heidelberg auf und machten ihm das Angebot, für einen Monatslohn von 5.000 Euro Informationen über die "rechte Szene" zu liefern. Der seit Jahren u.a. in der Antifa und der Roten Hilfe aktive 39-Jährige lehnte das Angebot ab, verwies die drei Männer des Raums und machte anschließend den Anwerbeversuch öffentlich. Wir unterhielten uns mit dem Genossen über die Hintergründe dieses VS-Besuchs.
ak: Warum glaubst du, hat der Verfassungsschutz (VS) gerade dich angesprochen?
Objektiv betrachtet scheine ich für diese Schnüffler, welche die "wehrhafte Demokratie" ganz allgemein vor den organisierten, verfassungsfeindlichen Attacken radikaler Kräfte zu bewahren haben, ein "dicker Fisch" zu sein. Also ein seit über 20 Jahren aktiver "Linksextremist", der einen guten Einblick in Szenestrukturen hat - selbstverständlich auch überregional. Sonst wären ja - wie sonst auch immer in Heidelberg - MitarbeiterInnen des Stuttgarter Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) bei mir aufgetaucht. Und dass es ihnen eben nicht um die Ausspionierung der rechten Szene geht, die sie mit von mir beschafften Informationen perfektionieren könnten, ist ebenfalls offensichtlich. Hier steht eindeutig die radikale Linke im Fokus geheimdienstlicher Tätigkeiten.
Und trotzdem neigt man nach so vielen Jahren politischen Engagements dazu, nicht mehr mit einem solch plumpen Auftritt des VS zu rechnen. Auch wenn man sich im Klaren darüber ist, dass es immer und zu jeder Zeit jede und jeden treffen kann, ordnet man sich persönlich außerhalb des imaginierten VS-Rasters ein. Aber genau das ist falsch! Und genau das korreliert mit dem Umstand, dass sie mir ein solch horrendes Gehaltsangebot gemacht haben. Mit 5.000 Euro müsste sich ihrer Meinung nach sogar solch ein "alter Szenehase" knacken lassen.
Warst du überrascht, dass es Leute vom BfV waren und nicht Beamte des LfV?
Klar. Wie gesagt: Da standen auf einmal drei kräftige Männer des BfV vor mir! Das hat es in Heidelberg seit vielen Jahren nicht gegeben; zumindest nicht in den Szenen, zu denen wir - und damit meine ich nun Antirepressionsgruppen wie die Rote Hilfe - Kontakt haben. Überraschend war auch, dass sie sich ausgerechnet einen erfahrenen RH-Aktivisten ausgesucht haben, bei dem sie eigentlich davon ausgehen können, dass der weiß, wie er ihnen zu begegnen hat.
Seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm sind mehrere Anwerbeversuche des BfV bekannt geworden. Wie in deinem Fall sollten langjährige AktivistInnen mit horrenden Summen für eine Mitarbeit gewonnen werden. Ist das ein Strategiewechsel im Vorgehen des VS, nachdem zuvor eher junge Leute angesprochen wurden?
Als allgemeinen Strategiewechsel würde ich das nicht bezeichnen, sondern eher als eine Verlagerung ihres Einsatzschwerpunktes auf ein anderes Arbeitsfeld. Vor allem seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm, als Innenminister Wolfgang Schäuble die folgenschwere Losung ausgegeben hatte, verstärkt die "autonome Szene" unter die Lupe zu nehmen, scheint nun eher wieder die bundesweite Vernetzung der unter diesem Label subsumierten Zusammenhänge von Bedeutung zu sein. Also eben nicht die lokalen/regionalen Strukturen, die über Spitzeltätigkeiten zumeist jüngerer Leute ausgeleuchtet werden sollen, die vom VS als "politisch noch nicht gefestigt" eingestuft werden.
Der Fokus wird auf die überregionalen, bundesweiten Zusammenhänge gerichtet. Um einen Einblick zu erhalten, braucht der VS erfahrene AktivistInnen mit guten Kontakten in andere Städte - und entsprechende Infos sind ihnen dann auch höhere Summen wert. Gerade durch den G8-Gipfel sind viele neue Kontakte zwischen Gruppen und Organisationen geknüpft worden und neue, zum Teil sehr breite Bündnisse entstanden. Wieweit diese Zusammenarbeit anhält und ob daraus auch künftig gemeinsame Projekte entstehen, ist zumindest für den BfV ein wichtiges Thema. Vom Versuch einer gezielten Anwerbung und Einschleusung von Spitzeln kann hier also durchaus ausgegangen werden ...
Der Spitzeleinsatz beim Berliner Sozialforum ebenso wie die Akten aus dem Verfahren gegen G8-GegnerInnen, in dessen Zusammenhang die bundesweiten Razzien am 9. Mai standen, legen nahe, dass bereits bei bundesweiten Treffen im Vorfeld des G8 Spitzel der VS anwesend waren. Der Verfassungsschutz wollte offensichtlich diese Vernetzungen von Anfang an nicht nur von außen begutachten, sondern mittendrin sein. Wie begegnet man dem am besten?
Das ist selbstverständlich ein schwieriges Thema. Es gibt ja durchaus Menschen, die sich seit Jahrzehnten in linksradikalen Zusammenhängen bewegen und felsenfest behaupten, Spitzel mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit "entlarven" zu können. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass solche Entlarvungsaktionen das eine oder andere Mal von Erfolg gekrönt wurden. Allerdings muss man da vorsichtig sein. Häufig entpuppen sich Spitzelverdachtsmomente als unbegründet, lähmen aber die politische Arbeit ganzer Zusammenhänge über Jahre. Trotzdem ist es von Nöten, eine gewisse Sensibilität im Hinblick auf das politische Verhalten von Menschen an den Tag zu legen, die sich in der Politszene bewegen und Anlass bieten zu der Vermutung, sie könnten heikle Informationen an Stellen weitergeben, bei denen diese nun wirklich nichts zu suchen haben.
Wichtiger sind eher die Öffentlichmachung von Anquatschversuchen, Kampagnen zur richtigen Reaktion bei VS-Besuchen oder Hausdurchsuchungen und Tipps für Betroffene, die oftmals aus falschen Schuldgefühlen heraus zögern, den Anwerbeversuch öffentlich zu machen.
Interview: mb.
Was tun, wenn der VS klingelt?
1. Die von staatlicher Repression betroffenen Menschen trifft keine Schuld; sie haben nichts "falsch" gemacht; sie sind nicht mit den "falschen" Leuten zusammengekommen; sie sind aus den unterschiedlichsten Gründen vom Repressionsapparat "ausgewählt" worden. 2. BeamtInnen des VS, deren Arbeit sich im Gegensatz zum Staatsschutz ausschließlich auf geheimdienstliche Erkenntnisse bezieht, haben keinerlei Befugnisse, eine Aussage oder Mitarbeit zu verlangen. Sie haben keine Macht, juristischen Druck auf die Angesprochenen auszuüben (auch wenn sie bisweilen damit drohen); deshalb verweist man sie am besten gleich des Hauses. 3. Die betroffene Person meldet den "Anquatschversuch" möglichst sofort der Roten Hilfe (oder irgendeiner anderen Anti-Repressionsgruppe) und erklärt sich einverstanden, diesen Vorgang zu veröffentlichen, denn nichts ist dem Verfassungsschutz unliebsamer als eine Öffentlichkeit, die seine Arbeit kritisch wahrnimmt und ans Tageslicht befördert. 4. Bei VSlerInnen handelt es sich um geschultes, professionell ausgebildetes Personal, das den Betroffenen in jeder Hinsicht immer um mehrere Schritte voraus ist. Zu denken, ihnen bei einem Gespräch etwas "vorspielen" und sie auf falsche Fährten locken zu können, ist fatal - die spezifische Auswahl erfolgte ja deshalb, weil sie genauestens über Aktivitäten, Freundeskreis und Freizeitverhalten Bescheid wissen. Eine Zielobjektivierung erfolgt niemals zufällig.