Ausweitung der Kampfzone
Bundeswehrsoldaten sind Helfer. Sie helfen beim Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Afghanistan, bauen Brunnen und verteilen Spielzeug an Kinder. Grundlage des Einsatzes ist laut Verteidigungsminister Jung (CDU) ein Konzept, das auf "vier Komponenten" beruht: "Helfen, Vermitteln, Schützen und Kämpfen". Kämpfen? Doch, ja - "Kämpfen gehört dazu, um die ersten drei Komponenten zu ermöglichen." Um Gutes zu tun, muss man manchmal eben auch ein notwendiges Übel in Kauf nehmen.
Was Märchenonkel Jung und seine BeraterInnen in den vergangenen Monaten über den deutschen Kriegsbeitrag in Afghanistan zusammenfabulierten, war zweifellos gut erfunden. Nicht gut genug allerdings, um Ruhe an der Heimatfront zu schaffen: Nach wie vor lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung die "Friedenssicherung am Hindukusch" ab. Daran dürfte sich auf absehbare Zeit nichts ändern, zumal Deutschland sein militärisches "Engagement" derzeit deutlich ausweitet. Zu den 3.300 in Afghanistan stationierten deutschen SoldatInnen sollen im Frühsommer weitere 200 hinzu kommen. Sie werden dann die bisher von Norwegen gestellte Schnelle Eingreiftruppe (Quick Reaction Force) übernehmen, die für "Notoperationen" - ein anderes Wort für Kampfeinsätze - im Norden des Landes zuständig ist.
Dies ist ein weiterer und sicher nicht der letzte Schritt, mit dem sich Deutschland noch intensiver am "Krieg gegen den Terror" beteiligt. Aber auch schon jetzt ist der deutsche Beitrag zu Kampfeinsätzen erheblich - siehe das völlig unkontrollierte Agieren des Kommandos Spezialkräfte und die vom Bundesverfassungsgericht abgesegneten "Aufklärungsflüge" deutscher Tornados im stark umkämpften Süden des Landes. Aber auch im Norden wird die Aufstandsbekämpfung immer mehr zum Operationsschwerpunkt der International Security Assistance Force (ISAF). Die bisher gängige Unterscheidung zwischen dem gefährlichen Süden und dem vergleichsweise ruhigen Norden lässt sich immer weniger aufrecht erhalten. So hat denn der Verteidigungsminister auf seiner Pressekonferenz am 6. Januar "in ungewohnter Klarheit" (Frankfurter Rundschau, 7.2.08) darauf verwiesen, "wie gefährlich der Einsatz im Norden sei". Ähnlich äußerte sich Außenminister Steinmeier (SPD): Der deutsche Beitrag reduziere sich nicht "auf Schulenbauen und Brunnenherrichten", sondern schließe auch den "Gebrauch von Schusswaffen" ein.
Hintergrund dieser neuen Ehrlichkeit ist zunehmender Druck der NATO-Partner, die Bundeswehr möge sich auch dort beteiligen, wo "für die Freiheit gestorben" wird. Aber auch in Deutschland sind zunehmend scharfe Worte gegen die Drückebergerei der eigenen Truppe zu hören. "Die Pflicht endet nicht in bestimmten Regionen", sagte Klaus Naumann, der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr: "Deutschland muss sich entscheiden, ob es ein verlässlicher Bündnispartner sein will. Wir können uns nicht hinter unserer Geschichte verstecken." Und Bild zitiert einen anonymen ehemaligen General: "Wir konsumieren hier Sicherheit, die uns die Amerikaner mit ihrem Machtanspruch garantieren. Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie Deutschland sich in Afghanistan drückt." In ähnlichem Sinne, wenn auch mit weniger drastischer Wortwahl, äußerten sich der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose und Helmut Kohls ehemaliger Berater Horst Teltschik, der Leiter der Münchener NATO-Sicherheitskonferenz. Letzterer warb für weitere deutsche Militärbeiträge auch im Süden Afghanistans mit einem Argument, das bisher immer gezogen hat: Deutschlands drohendem "Bedeutungsverlust" in der Weltpolitik.
So ist denn eine weitere Anpassung der deutschen Militärpolitik an die "veränderten Realitäten" vermutlich nur eine Frage der Zeit. Die Erwartungen der Bündnispartner, vor allem der USA, kommen dabei durchaus gelegen. Wenn die Demokraten die US-Präsidentschaftswahl gewinnen, dürfte der Druck noch zunehmen: Weniger amerikanischer "Unilateralismus" bedeutet im Umkehrschluss mehr "Einbindung" Europas - auch in den "Krieg gegen den Terror".