Von Fidel zu Raúl Castro
Kubas "Máximo Líder" zieht sich zurück
Seit dem 19. Februar ist offiziell, was seit längerem vermutet worden war: Der bisherige kubanische Staatschef Fidel Castro wird nicht wieder in seine Regierungsämter zurückkehren, die er am 31. Juli 2006 - zunächst nur vorübergehend - aus gesundheitlichen Gründen abgegeben hatte. Lediglich sein Abgeordnetenmandat und sein Amt als erster Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) wird er behalten. Am 24. Februar wählte das kubanische Parlament Fidel Castros Bruder Raúl zum neuen Staatspräsidenten.
Für seine AnhängerInnen, aber wohl auch für seine GegnerInnen, war Fidel Castro Ruz der wichtigste lateinamerikanische Politiker der letzten Jahrzehnte. Obwohl die Regierungen der USA und der meisten lateinamerikanischen Ländern seit Anfang der sechziger Jahren konsequent versucht haben, ihn und seine Regierung international zu isolieren, war und ist er auf dem Kontinent äußerst populär. Wenn er - etwa anlässlich internationaler Konferenzen - andere Länder Lateinamerikas besuchte, stand er im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Tausende, oft Zehntausende, waren auf den Beinen, um ihn zu sehen. Fidel Castro ist für breite Bevölkerungskreise Lateinamerikas ein Symbol: Er zeigte, dass es auch im vermeintlichen Hinterhof der USA möglich ist, sich dem Imperium selbstbewusst entgegenzustellen und sich vom Großen Bruder im Norden nicht in seine Entscheidungen reinreden zu lassen.
Jenseits der Symbolik steht Fidel Castro für die Durchsetzung und Verteidigung der kubanischen Revolution. Nachdem die Revolutionäre der "Bewegung 26. Juli" am 1. Januar 1959 die politische Macht in Havanna übernommen hatten, begannen sie mit der Umgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Insel, die bis dahin von der Großgrundbesitzeroligarchie, US-Unternehmen und der Mafia kontrolliert wurde. Fidel Castro war klar, dass ein solch revolutionäres Projekt unweigerlich eine militärische Antwort aus Washington nach sich ziehen würde, spätestens wenn die Interessen US-amerikanischer Unternehmen auf Kuba berührt würden. Castro kalkulierte, dass es starke Verbündete brauchte, um die Revolution langfristig zu verteidigen. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges suchte er die Allianz mit der UdSSR.
Wie erwartet begann die US-Regierung bald mit der Vorbereitung einer Militäraktion. Um ihrem Angriff größere Legitimität zu verleihen, entschied sie, keine eigenen Soldaten einzusetzen, sondern stellte eine Streitmacht aus in den USA lebenden Kubanern zusammen, die von US-Militärs ausgerüstet und trainiert wurden. Am 17. April 1961 landete die Truppe aus 1.400 Exilkubanern in der Schweinebucht auf Kuba. Die Invasion wurde für die US-Führung zum Fiasko. Die revolutionären Streitkräfte rieben die Invasoren innerhalb weniger Tage vollständig auf.
Um eine erneute - dann wohl deutlich massivere - Intervention zu verhindern, drängte Fidel Castro die Sowjetunion auf stärkere militärische Unterstützung und traf in Moskau auf ähnlich gelagerte Interessen. Seit die USA ab 1959 atomare Mittelstreckenraketen in Italien und der Türkei stationiert hatten, sah sich die UdSSR militärisch bedroht. Als Antwort darauf und auf die Bitten aus Havanna hin stationierte das sowjetische Militär ab Mai 1962 atomar bestückte SS-4-Mittelstreckenraketen auf Kuba. Damit begann die sogenannte Raketenkrise, die im Oktober 1962 fast zu einem atomaren Krieg geführt hätte.
In den 1970ern zunehmende ideologische Erstarrung
Als die US-Geheimdienste die Stationierung der SS-4-Raketen registrierten, forderten die Hardliner in der US-Administration einen sofortigen militärischen Angriff auf Kuba. Präsident John F. Kennedy zögerte und verkündete eine Seeblockade der Insel. Da zu diesem Zeitpunkt zahlreiche sowjetische Schiffe in Richtung Kuba unterwegs waren, die zu ihrem Schutz von atomar bewaffneten U-Booten begleitet wurden, konnte jede Konfrontation zwischen den die Insel blockierenden US-Kriegsschiffen und den sowjetischen Frachtern einen atomaren Schlagabtausch auslösen. Es begannen hektische Geheimverhandlungen. Am 28. Oktober sagte der sowjetische Staats- und Parteichef Chruschtschow den Abbau der Atomraketen auf Kuba zu, im Gegenzug versprach Kennedy, Kuba nicht militärisch anzugreifen und die US-Mittelstreckenraketen aus der Türkei abzuziehen. Fidel Castro kritisierte das Abkommen, weil er den US-Zusagen nicht traute und einen neuen Militärschlag fürchtete, wenn die sowjetischen Raketen erst einmal weg wären.
Doch es gab keine weitere Militärintervention, wohl aber ständig neue Aggressionen und Provokationen seitens der USA, insbesondere gegen das Leben Fidel Castros. Die kubanischen Sicherheitsbehörden registrierten über 600 Attentatsversuche. Desgleichen verlangten die USA regelmäßig von ihren Verbündeten in Lateinamerika und Europa, sich ihrer Blockadepolitik gegen Kuba anzuschließen. Nur wenige, auf eine unabhängige Außenpolitik bedachte Länder, wie etwa Mexiko, verweigerten sich diesem Ansinnen.
Ab Anfang der siebziger Jahre glich Kuba sein politisches und ökonomisches Modell immer mehr denen der sozialistischen Staaten Osteuropas an und wurde auch Mitglied des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Dies brachte eine wirtschaftliche Konsolidierung und in deren Folge beispielhafte soziale Errungenschaften, aber auch eine zunehmende ideologische Erstarrung. Die lebendigen politischen Debatten der sechziger Jahre wurden durch die weitgehend stromlinienförmige Wiedergabe offizieller Parolen ersetzt. Augenfälliges Symbol dafür war die Schließung der Zeitschrift "Pensamiento Crítico", des Debattenorgans der kritischen Intellektuellen, im Jahre 1971.
Manche Linke vertreten die Ansicht, die Wandlung der kubanischen Revolution zu einem autoritären Staatssozialismus sowjetischer Prägung sei primär ihrer ökonomischen Abhängigkeit vom sozialistischen Lager geschuldet. Entscheidende Weichenstellungen gab es aber bereits in der Frühphase der Revolution, etwa mit der Liquidierung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaftsbewegung Anfang der sechziger Jahre, wofür allerdings nicht primär Fidel Castro, sondern Ernesto "Che" Guevara verantwortlich war. Radikale unabhängige Gewerkschaften, die für unmittelbare materielle Verbesserungen kämpften und sich nicht auf das irgendwann kommende goldene Zeitalter des Sozialismus vertrösten lassen wollten, passten nicht in das ehrgeizige - aber letztlich gescheiterte - Modernisierungs- und Industrialisierungskonzept Ches. Starke autonome Bewegungen, die staatliche Politikvorgaben beeinflussen und korrigieren können, sind aber das einzige wirksame Gegengift gegen die Etablierung autoritärer Machstrukturen, die revolutionären Umgestaltungen immer drohen.
Oppositionelle Zusammenhänge waren und sind in Kuba bis heute Fälle für die Staatssicherheit. Gruppen, die sich öffentlich artikulieren und heute ihre Positionen auch über das Internet verbreiten, wird grundsätzlich vorgeworfen, sie handelten im Interesse der US-Politik und würden vom US-Geheimdienst CIA mit dem Ziel unterstützt, die sozialistische Gesellschaftsordnung zu destabilisieren. Auch wenn das in den meisten Fällen zutreffen mag (zumindest was die Intention der US-Regierungen angeht), bleibt es ein Totschlagargument. Es kriminalisiert jegliche politische Aktivität außerhalb der Parteistrukturen, den wenigen regierungsnahen Nichtregierungsorganisationen (was an sich ein Paradox ist, das es hierzulande aber auch geben soll) und der staatlichen Mitbestimmungsorgane.
Nach dem Rücktritt Fidel Castros wurde in der bürgerlichen Presse heftig darüber spekuliert, ob es nun auch in Kuba zu "Reformen" und einer "politischen Öffnung" komme. Die etablierte Politik von Berlin bis Washington blies ins gleiche Horn. Was diese "Öffnung" den KubanerInnen allerdings bringen soll und was sie für die erreichten sozialen Fortschritte bedeuten würde, wurde nicht weiter thematisiert. Denn "Öffnung" gilt per se als etwas Gutes.
Die Folgen einer "Öffnung" Kubas werden nicht diskutiert
Nun gibt es ja einschlägige Erfahrungen mit der "Öffnung" einstmals sozialistischer Staaten. Da wären zunächst Länder wie China oder Vietnam, wo seit dreißig bzw. zwanzig Jahren ökonomische Reformen umgesetzt werden. Im Kern führte dieser Prozess zur weitgehenden Durchsetzung kapitalistischer Wirtschaftsmodelle bei gleichzeitiger Bewahrung des Machtmonopols der Kommunistischen Parteien. Dies brachte zwar bemerkenswertes ökonomisches Wachstum, aber auch eine massive Zunahme sozialer Ungleichheit, teilweise Verelendung, etwa in den ländlichen Regionen der VR China.
Die Ende der achtziger Jahre in der Sowjetunion begonnenen Reformen beendeten dagegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei. Es wurde formell ein Mehrparteiensystem etabliert, de facto bestehen aber weiterhin autoritäre Machtstrukturen. Die vormaligen Betriebsdirektoren und Spitzenfunktionäre von Partei und Geheimdiensten rissen sich die öffentlichen Unternehmen unter den Nagel und bilden zusammen mit mafiösen Gruppen die neue Bourgeoisie. Während sich eine Schicht Neureicher etablierte, verschlechterten sich die Lebensbedingungen der meisten BürgerInnen deutlich.
Blieben Reformen nach dem Vorbild westlicher Demokratien, wie sie in den übrigen Ländern Osteuropas umgesetzt wurden. Ökonomisch würde das für Kuba die vollständige Privatisierung aller Wirtschaftsbereiche und die Zerstörung des Sozialstaates bedeuten. Politisch liefe die Entwicklung vermutlich auf zwei große Parteien hinaus, eine konservative, die von den US-RepublikanerInnen, den rechten Exil-KubanerInnen aus Miami und der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaut würde, und eine "Mitte-Links"-Partei, um deren Strukturen sich US-DemokratInnen und europäische SozialdemokratInnen unter Federführung der Friedrich-Ebert-Stiftung kümmern würden. Beide Parteien würden sich ergänzen. So könnten etwa ExpertInnen der portugiesischen SozialistInnen die alte Agraroligarchie bei der Rückgängigmachung der Agrarreform und der Wiederherstellung des Großgrundbesitzes beraten.
Doch so weit ist es in Kuba noch nicht. Derzeit deutet wenig darauf hin, dass es in absehbarer Zeit größere Umbrüche geben wird. Auch wenn Linke den KubanerInnen keine "Öffnung" à la China, der Sowjetunion oder Osteuropa wünschen sollten, wären Veränderungen durchaus angebracht. In Kuba hat sich - wie in den meisten anderen, inzwischen ehemals sozialistischen Ländern - eine quasi feudale Art der politischen Machtausübung etabliert. Politische Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen. Es gibt keine öffentlichen Debatten um das Für und Wider bestimmter Maßnahmen. Die verschiedenen Cliquen und Strömungen in der Partei ringen um Einfluss und Positionen, die Bevölkerung bleibt weitgehend außen vor.
Soziale Kräfte können sich nicht eigenständig organisieren und artikulieren. Zwar gibt es im Rahmen des Poder Popular Partizipationsmöglichkeiten, die auch Nicht-Parteimitgliedern offen stehen, aber der Rahmen dafür ist eng gesteckt. Für autonome Interessensvertretung gibt es keinen Raum. Die Behörden sehen hinter jeder eigenständigen Bewegung ein Einfallstor des US-Imperialismus. Natürlich würden US-amerikanische wie europäische Institutionen Gewehr bei Fuß stehen und versuchen, auch das kleinste unabhängige Umwelt- oder sonstige Grüppchen zu instrumentalisieren, andererseits gibt es aber auch überall in Lateinamerika soziale Bewegungen und Organisationen, die erfolgreich den neoliberalen Kapitalismus bekämpften und dabei trotz internationaler Finanzierung ihre kritischen Ansätze bewahrt haben.
Doch die Frage der Organisationsfreiheit für unabhängige Gruppen berührt letztendlich den Grundpfeiler des politischen Systems auf Kuba, das Machtmonopol der Kommunistischen Partei. Weit davon entfernt, ein westliches Mehrparteiensystem als Maß aller Dinge zu sehen, bin ich der festen Überzeugung, dass ein zukunftsfähiges sozialistisches Modell nicht auf dem Machtmonopol einer KP aufgebaut werden kann. Hier im Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen neue Formen sozialistischer Demokratie zu entwickeln, wird eine der zentralen Aufgaben für Fidels NachfolgerInnen sein, vorausgesetzt, dass sie ein solches fortschrittliches Projekt überhaupt anstreben.
Gert Eisenbürger
Lateinamerika-Zeitschrift ila