Globale Soziale Rechte on Tour
Eine Veranstaltungsreihe bearbeitet Widersprüche linker Politik
Unter dem gemeinsamen Anspruch, der Globalisierung des Kapitals, der Märkte und der Waren mit einer Globalisierung der sozialen Rechte zu begegnen, zielt die Initiative für Globale Soziale Rechte (GSR) auf einen spektrenübergreifenden Verständigungsprozess. Damit sollen die Übereinstimmungen in der "Bewegung der Bewegungen" vertieft und ihre Widersprüche in praktischer Perspektive diskutierbar gemacht werden. Nach ersten Veranstaltungen im Rahmen der G8-Mobilisierung veröffentlichte die Initiative einen entsprechenden Plattformtext. Nun finden in sieben Städten weitere Diskussionsveranstaltungen statt.
An den bisherigen Aktivitäten der Initiative waren MitarbeiterInnen und AktivistInnen der attac-AG Genug für alle, der IG Metall, des antirassistischen Netzwerks kein mensch ist illegal, der entwicklungspolitischen NGO medico international und von Greenpeace beteiligt. Die nun stattfindenden Veranstaltungen setzen zwar entsprechend ihrer lokalen Bedingungen und Interessen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Sie alle aber gehen von der übergreifenden Fragestellung aus, wie sie in der schon erwähnten Plattform formuliert ist: "Soll das Potenzial der unterschiedlichen Initiativen für eine Globalisierung Sozialer Rechte wirklich freigesetzt werden, kann es nicht um das freihändige Erstellen eines Katalogs der Wünschbarkeiten gehen, sondern nur um einen offenen Austausch über die inneren Widersprüche der AkteurInnen einer solchen ,Globalisierung von unten`".
Im Hinblick auf die Veranstaltungsreihe hat die Initiative in einer "Handreichung" einige Texte zusammengestellt, in denen deutlich zum Ausdruck kommt, wie unterschiedlich die praktischen Herangehensweisen und die inhaltlichen Ansatzpunkte der Gruppen sind, die bisher an der Initiative beteiligt sind. Wenn z.B. in einem der Beiträge eher "internationale Regulierungen" gefordert werden, während im nächsten aus der Perspektive der "Aneignung von unten" argumentiert wird, spiegeln sich darin differente Positionierungen wieder, an deren produktivem Streit aber gerade Interesse besteht. Schließlich bewegen sich Kämpfe um globale soziale Rechte letztlich immer im Spannungsfeld "zwischen Aneignung und Kodifizierung".
Doch in der "Handreichung" geht es auch um das Offenlegen und den Umgang mit Widersprüchen, die bereits in der erwähnten Plattform angerissen worden waren und nun ausführlicher problematisiert werden. Dazu werden im Folgenden zwei längere Auszüge aus dieser Handreichung dokumentiert, die Konflikte verdeutlichen, die auch in einigen der kommenden Veranstaltungen eine zentrale Rolle spielen werden. (1)
Produktiver Streit in diversen Spannungsfeldern
"Ist eine friedlichen Koexistenz zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit in Zeiten des Klimawandels noch möglich?" ist die Ausgangsfrage des Beitrags der Greenpeace-MitarbeiterInnen Barbara Kamradt und Jürgen Knirsch. Weiter heißt es in ihrem Beitrag zu "fairem" Fliegen: "In England hat die Klimadebatte bereits seit einiger Zeit die Supermärkte erreicht: Unter dem Stichwort ,Food Miles` wird der Weg, den ein Lebensmittel von seiner Herstellung bis zur KonsumentIn zurücklegt und die damit zusammenhängende Klimabelastung thematisiert. Einzelne Supermarktketten fingen an, diesen Weg, insbesondere dann, wenn er per Flugzeug zurückgelegt wurde, durch entsprechende Kennzeichnung herauszustellen.
Als ein bedeutsamer englischer Zertifizierer von Bioprodukten Anfang 2007 den Vorschlag zur Diskussion stellte, zukünftig den Flugtransport als Ausschlusskriterium für Bioprodukte einzuführen, reagierten entwicklungspolitische Institutionen entsetzt. Denn sie hatten afrikanische BäuerInnen darin unterstützt, dass eingeflogenes afrikanisches Bio-Gemüse auf dem englischen Markt Fuß fassen konnte. Die Organisationen sahen die Existenz von einer Million Menschen in Afrika bedroht, wenn das Ausschluss-Kriterium Flugtransport greifen würde. Sie forderten unter dem Stichwort ,Fair Miles` einen gleichen und fairen ökologischen Spielraum für Afrika ein.
Denn derzeit sind die Kohlendioxid-Emissionen pro Kopf sehr unterschiedlich verteilt. In Großbritannien emittiert im Durchschnitt jeder Einwohner 9,2 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, dagegen liegen die Pro-Kopf-Zahlen für Länder wie Kenia und Uganda bei 200 kg bzw. 100 kg - weit deutlich unter dem globalen Durchschnitt von 3,6 Tonnen. Auch macht der Lufttransport von afrikanischem Obst und Gemüse nur 0,1 Prozent der gesamten Kohlendioxid-Emissionen Großbritanniens aus, er ist aber oftmals die einzige Möglichkeit, die rasch verderblichen Produkte auf die Exportmärkte zu bringen.
Mit dem nach intensiver Debatte gefundenen vorläufigen Kompromiss konnten schließlich beide Seiten leben: Der im Oktober 2007 neu gefasste Entwurf für den zukünftigen Bio-Standard erlaubt den Lufttransport von Bio-Produkten nur noch unter der Maßgabe, dass auch die ProduzentInnen der Produkte profitieren. Zukünftig soll die eingeflogene Bioware auch die Kriterien des Fairen Handels erfüllen, um das Siegel ,Organic Standard` zu bekommen. Der neue Standard soll nach einer weiteren Konsultationsphase 2008 verabschiedet werden. Ob "Food" oder "Fair" - Greenpeace hat bisher noch keine abgestimmte Position zu dieser Diskussion. (...)"
In dieser Weise machen die an der Initiative Beteiligten auch ihre intern noch offenen Diskussionsprozesse deutlich. Neben dieser Diskussion der Widersprüche zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit ist ein anderes wichtiges Feld der Auseinandersetzung der Konflikt zwischen globaler Bewegungsfreiheit und lokalen Mindestlöhnen. Dies erläutert in der "Handreichung" ein Beitrag der Initiative kein mensch ist illegal aus Hanau:
"Wanderarbeit, temporäre oder saisonale Beschäftigung in den (relativen) Hochlohnzonen sind Möglichkeiten für die Menschen in den Niedriglohnländern, das globale Ausbeutungsgefälle zu unterlaufen und ihr Einkommen zu erhöhen. Für rumänische oder ukrainische ArbeitsmigrantInnen z.B. bringen zwei Monate landwirtschaftlicher Saisonarbeit (für fünf bis sechs Euro pro Stunde) mehr als ein Jahreseinkommen in einer Fabrikarbeit, die dort schon selten genug überhaupt ,im Angebot` ist. Und in Richtung Moldawien, nach Asien oder Afrika wird das Gefälle noch größer.
Gleichzeitig sind ArbeitsmigrantInnen aus diesen Ländern zumeist von jeglicher legalen Beschäftigungsaufnahme ausgeschlossen, selbst Einreise und Aufenthalt sind oder bleiben illegalisiert. Können sie Arbeit meist nur irregulär finden, ist das quer durch Europa und auch in den USA zumindest für die Arbeitsmärkte funktional. Sweatshops und Baustellen, Landwirtschaft und Haushalte, Pflege- und Sexindustrie sind auf billige, flexible und vor allem fügsame, rechtlose ArbeitsmigrantInnen angewiesen. Die Betroffenen sind häufig bereit, ja müssen bereit sein, zu absoluten Niedriglöhnen zu arbeiten. Zugespitzt gesagt: das Unterbieten der üblichen Lohnstandards, egal ob Tarife oder Mindestlöhne, wird für viele zur Bedingung, um den Ausschluss aus den (relativen) Hochlohnarbeitsmärkten zu kompensieren und sich mit diesem ,Angebotsvorteil` erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten.
Koexistenz von Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit
Im kapitalistischen Interesse der globalen Ausweitung von Niedriglohnjobs werden diese MigrantInnen und WanderarbeiterInnen mit den jeweiligen ansässigen EinwohnerInnen in Konkurrenz gesetzt. So ist es einerseits berechtigt und notwendig, die über Jahrzehnte erkämpften oder zur Schwächung von Kampfdynamiken zugestandenen Lohnstandards zu verteidigen, sofern die Unterbietung der Tarif- oder Mindestlöhne von Menschen aus Niedriglohnländern als Konkurrenz bzw. als Katalysator der Lohndumping-Spirale nach unten erscheint. Auf der anderen Seite hat das Migrieren gegen das Ausbeutungsgefälle, das Aneignen der Bewegungsfreiheit für ein besseres Leben, ebenfalls seine eigene, gleichermaßen berechtigte Logik.
Wie mit diesen Widersprüchen umgehen? Der klassische Protektionismus von konservativen Gewerkschaften bis zu Oskar Lafontaine ruft nach dem ,starken Staat`, nach mehr gesetzlichen, mit verstärkten polizeilichen Maßnahmen durchzusetzenden ,Schutzregelungen`. Wird das zunächst mit dem Kampf gegen die ungebremste Ausbeutung in Subkontraktpyramiden oder gleich gegen modernen Menschen- und Sklavenhandel begründet, geht es mindestens in zweiter Linie dann aber auch gegen ,die Fremdarbeiter und die Illegalen`. Razzien und Abschiebungen sind dann häufig der notwendige Preis der Aufrechterhaltung des bestehenden Lohngefüges: ein standortnationalistischer Protektionismus, der das Ausbeutungsgefälle kaum bis gar nicht thematisiert, weil die von Razzien und Abschiebung Betroffenen geopfert oder gar zu Sündenböcken gemacht werden.
Die Forderungen von Flüchtlingsselbstorganisationen und aus dem radikaleren antirassistischen Spektrum nach offenen Grenzen, nach dem uneingeschränkten Recht auf Bewegungsfreiheit, sei es aus Gründen der Flucht vor Verfolgung oder Armut, sei es eine Migration gegen das Ausbeutungsgefälle, sind zunächst politisch, sozial und vor allem moralisch im absoluten Recht. Wer aus der Realität und dem Blickwinkel der neoliberalen bis neokolonialen Machtzentren heraus irgendwelche Zugangs-, Ausschluss- und Filtermechanismen fordert oder entsprechende Regulierungen verteidigt, verstößt gegen die grundsätzlichste aller Maximen: das gleiche Recht für alle, das stets auch und überall die Bewegungsfreiheit einschließen muss.
Dennoch muss dieser moralischen Gerechtigkeit die Frage der realen Ungleichzeitigkeiten durch das geschaffene Gefälle gegenübergestellt werden, mit denen von Kapitalseite in unterschiedlichster Form Spaltungen und Gegeneinanderausspielen zur verschärften Ausbeutung ausgenutzt oder gar in Gang gesetzt werden. Ein Interessensunterschied oder sogar Gegensatz zwischen einheimisch-etablierten und neugekommen-rechtlosen ArbeiterInnen lässt sich nicht einfach mit plattem Inter- oder Transnationalismus wegreden. (...)
Wo können praktische Bezugspunkte liegen?
Wie und wo überbrückende Ansätze vorantreiben? In den USA (und mittlerweile auch in Europa angekommen!) steht die Justice for Janitors-Kampagne für den erfolgreichen Versuch, illegalisierte MigrantInnen gewerkschaftlich zu organisieren und diesen damit gleichzeitig zu mehr Einkommen und Rechten zu verhelfen wie den angeschlagenen Gewerkschaften zu neuen Mitgliedern und neuer Verhandlungsmacht. Der Europäische Wanderarbeiterverein nutzt das Mindestlohngesetz im Bausektor, um osteuropäische Wanderarbeiter gegen Lohnbetrug zu unterstützen und damit gegen die Dumpingspirale in diesem Bereich anzugehen. Weitere Ansätze für praktische Suchprozesse im Spannungsfeld dieser und anderer nicht einfach aufzulösender Widersprüche wären zu entwickeln oder voranzutreiben."
Diese jeweils konkreten Beispiele in den Textauszügen von Greenpeace und kein mensch ist illegal lassen erkennen, dass es mit der Initiative zu Globalen Sozialen Rechten nicht allein um einen spektren- und themenübergreifenden Diskurs geht, der jetzt mit der Veranstaltungsreihe auf lokale Ebenen verbreitert werden soll. Vielmehr ist allen Beteiligten klar, dass diese Initiative nur Dynamik und weitere gesellschaftliche Relevanz gewinnen kann, wenn es gelingt, sie mit praktischen Projekten und Kampagnen zu verbinden. So sind einige der Veranstaltungen mit lokalen Ansätzen verknüpft, etwa in Tübingen und Hanau mit dem Euromayday oder in Bremen mit einer geplanten Kampagne zu Supermärkten, Landwirtschaft und Migration. Darüber hinaus gibt es Bemühungen, GSR zu einem inhaltlich verbindenden Moment zwischen zwei der Aktionscamps im kommenden Sommer zu machen, die derzeit in Vorbereitung sind: beim geplanten Klimacamp (voraussichtlich im Juli in Hanau) sowie beim antirassistischen Camp (vom 17. bis 24.8. in Hamburg).
Und schließlich wurde in der GSR-Initiative der Vorschlag andiskutiert, eine längerfristig angelegte "militante Untersuchung" unter dem Titel "Was macht uns krank?" in Angriff zu nehmen. Diese Befragung, die zunächst in einigen Pilotprojekten zu erproben wäre, würde in einer zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzung aus ganz unterschiedlichen Feldern und Betroffenheiten heraus darauf zielen, eine gemeinsame Praxis im Kampf um globale soziale Rechte zu entwickeln.
Hagen Kopp
Anmerkung:
1) Diese Handreichung und weitere Informationen zur Initiative Globale Soziale Rechte sowie zu den verschiedenen Veranstaltungen finden sich demnächst unter: www.globale-soziale-rechte.de. Die Veranstaltungen in den Städten finden an folgenden Terminen statt: Frankfurt 16.4.; Hamburg 18.4.; Tübingen 22.4.; Hanau 22.4.; Bremen 14.5.; Nürnberg 28.5.; Berlin 3.6.