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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 526 / 21.3.2008

Aufstand in Boomtown

Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen

In den Kindergärten Kopenhagens ist ein neues Spiel aufgekommen: "Ungdomshuset und Polizei", eine Art aktuelle Neuauflage von "Cowboy und Indianer". Gleichzeitig wird in einer Architektur-Ausstellung der Stadt, in der schicke Bilder des "neuen Kopenhagen" gezeigt werden, der Entwurf eines "maritimen Ungdomshus" auf einem aufgeschütteten Strand präsentiert.

Zwei Geschichten, die deutlich machen, dass die Auseinandersetzung um das im März 2007 geräumte autonome Zentrum in der dänischen Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen hat. Mit dem von Peter Birke und Chris Holmsted Larsen herausgegebenen Band "Besetze deine Stadt! BZ din By!" ist jetzt ein Buch erschienen, das die Konflikte um das Ungdomshus und Christiania näher beleuchtet und im Kontext von Stadtentwicklung und Umstrukturierung, der politischen Situation Dänemarks und der Geschichte des Häuserkampfes verortet.

Im ersten Teil des Bandes analysiert Peter Birke die Entwicklung Kopenhagens hin zur "Boomtown" in den letzten Jahren und gibt einen Einblick in die topographische Struktur der Metropole. Dabei liegt seine Perspektive immer auch auf den sozialen Kämpfen, die diese Strukturen beeinflussen. Er hebt den Umstand hervor, dass sich die Protestbewegungen in einer Phase der Hochkonjunktur ereignen. In einem weiteren Artikel nimmt Birke die Leserin mit auf einen Spaziergang durch die Stadt, von der verfallenden Hochhaussiedlung Rødovre über Nørrebro - das alte ArbeiterInnenviertel, in dem das Ungdomshus beheimatet war und das sich in einem schleichenden Prozess der Aufwertung und Gentrifizierung befindet - bis zu den neuen Orten der "kreativen" und "unternehmerischen Stadt". Die Bedeutung des Kampfes um das Ungdomshus sieht Birke darin, dass dieser deutlich macht, dass die sozialen Bewegungen die Kraft dazu haben, das Bild der Stadt selbstständig in ihrem Sinne zu verändern und zu prägen. Stadtplanung ist für ihn deshalb niemals gleichzusetzen mit der realen Stadtentwicklung, in der sich immer auch die Einflüsse von Bewegungen und Kämpfen widerspiegeln.

Soziale Kämpfe beeinflussen die Stadtentwicklung

Während der erste Teil des Buches so den Kontext deutlich macht, in dem die Bewegung entstanden ist, beschäftigt sich der Hauptteil mit den Konflikten um das Ungdomshus und Christiania. Das Projekt Ungdomshus wird zunächst in einem Artikel von René Karpantschof historisch verortet als im Oktober 1982 entstandenes Produkt der dänischen HausbesetzerInnen-, der sogenannten BZ-Bewegung, die ihre Wurzeln wiederum in den Kämpfen der 1970er Jahre hat.

Dargestellt wird die Entwicklung von der BZ-Bewegung der 1980er über die Autonomen der 1990er Jahre und die Krise des Hauses in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts bis zum erneuten Ausbruch des Häuserkampfes. Was die Ursachen für den Aufschwung der derzeitigen Bewegung sind, die einen ihrer Höhepunkte in den von Karpantschof als "Märzaufstand" bezeichneten Tagen nach der Räumung fand, untersuchen Tobias Alm und Liv Rex Hansen in ihrem Artikel. Dabei machen sie deutlich, wie es in dem Konflikt gelang, einen Resonanzboden auch jenseits der linksradikalen Szene zu finden, und wie der Konflikt zugleich alte Gräben innerhalb dieser Szene zu Gunsten des gemeinsamen Handelns zu überwinden half. Wie in anderen Konflikten um Jugendzentren führten auch hier die Öffentlichkeit und die Polarisierung in der Stadt zu einem massiven Zustrom Jugendlicher zur Bewegung. Neu entstandene Gruppen wie der von AktivistInnen der älteren Generation gebildete "Graue Block" oder die "Eltern gegen Polizeigewalt" werden ebenso vorgestellt wie die G13-Aktion vom Oktober 2007, bei der in einem Akt des Ungehorsams versucht worden war, ein neues Gelände zu besetzen.

Eine stärker subjektive Sicht auf die Ereignisse bieten fünf Interviews, die mit verschiedenen Akteuren in der Bewegung geführt wurden. Dabei werden von der Entwicklung der Bewegung über die Verhandlungen und die Pressearbeit bis zur Repression, die nach den Tagen der Räumung hunderte AktivistInnen in den Knast brachte, viele Facetten der gegenwärtigen Auseinandersetzung behandelt.

Der Konflikt half alte Gräben zu überwinden

Dass der Konflikt um alternative Projekte aber nicht nur das Ungdomshus betrifft, verdeutlicht das Kapitel über Christiania, die "Freistadt" Kopenhagens, die 1971 besetzt wurde und auf dessen Gelände heute etwa 1.000 Menschen leben. Auch Christiania ist seit mehreren Jahren in einen Konflikt mit der Stadt verwickelt, dessen Hintergründe in einem Interview mit einem Bewohner beleuchtet werden. Der Beitrag Chris Holmsted Larsens veranschaulicht die Geschichte des Projekts und stellt seine ambivalente Rolle zwischen kollektiven gesellschaftlichen Gegenentwürfen und einer durchaus erfolgreichen Alternativökonomie heraus, die auch die jungen Kreativen dänischer Marketing-Agenturen begeistert. Sein Fazit: "Christiania befindet sich auf beiden Seiten der Barrikade".

Die innere Ambivalenz autonomer und selbstverwalteter Projekt ist ein Thema, das sich durch den ganzen Band zieht. Andreas Blechschmidt zieht die Parallele zur Roten Flora in Hamburg, deren Position sich zwischen alternativem Standortfaktor und Störfaktor bewegt. Und die feministische Gruppe KRAN stellt in ihrem Beitrag die Vorstellung in Frage, dass "Freiräume" auch von jeglichen Machtpositionen frei sein könnten. Stattdessen werden Wege und Möglichkeiten aufgezeigt, Machthierarchien aufzubrechen, und es wird klargestellt: "Ein Freiraum ist ein Ausgangspunkt, von dem aus die Gesellschaft verändert werden kann."

Den Herausgebern ist es gelungen, ein spannendes und interessantes Buch zur anderen Seite des ökonomischen Aufschwungs in Kopenhagen zusammenstellen. Von der Analyse der Stadtentwicklung über historische Exkursionen bis zu Reflexionen zum Freiraum-Begriff werden dabei viele Aspekte behandelt. Das Buch vermittelt ein anschauliches Bild der aktuellen Konflikte um Freiräume in Kopenhagen und versteht es, diese aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.

dt

Peter Birke/Chris Holmsted Larsen (Hrsg.): Besetze deine Stadt! BZ din By! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2007, 222 Seiten, 14,80 EUR