Aufgeblättert
Mondlichtkapitalismus
Im Februar erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift Lunapark21. Die HerausgeberInnen sagen von ihr, sie solle eine Zeitschrift sein, "die den aktuellen Kapitalismus erklärt und dabei auch ,basics' verständlich macht". Der Name Lunapark spielt auf das Glitzern und die Kälte des Mondlichts an. Eben solch ein kaltes Glitzern gehe auch von der als Vergnügungspark assoziierten globalen Konsumgesellschaft aus, deren Genüsse bei genauerem Hinsehen auf Ausbeutung und Repression beruhen. Trotz des literarischen Titels soll es bei der Erklärung des Kapitalismus um politische Ökonomie gehen, wobei die HerausgeberInnen auf "linke, radikale und antikapitalistische" Weise sowohl über die globalen Funktionsweisen des Kapitalismus aufklären als auch von den Erfolgen des solidarischen Engagements erzählen wollen. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe widmet sich der gerade begonnenen Weltrezession und der Immobilien- und Bankenkrise, die diese ausgelöst hat. Diese aktuelle Krise wird im langfristigen Krisenzyklus kapitalistischer Ökonomie verortet; die These ist, dass es hier weniger um eine Finanzkrise geht als um eine Krise der Realwirtschaft. Den Autoren gelingt es, in die Bedeutung des US-Immobilienmarkts für globale Unternehmen, Fonds und Banken einzuführen, acht "Mittel zur Steigerung der Profitrate" in Kürze zu erläutern und anhand dieser Grundlagen nachvollziehbar zu machen, wieso die begonnene globale Abschwächung der Konjunktur langfristig anhalten werde. Auch Chinas Rolle in der gegenwärtigen Entwicklungsdynamik wird anhand der von dort geplanten strategischen Kapitalexporte erläutert. In den Hintergrund tritt manchmal eine detailliertere Betrachtung der politischen Entscheidungen, mit denen die ökonomischen Entwicklungen z.T. gesteuert werden. In der Folge wirkt es ein wenig so, als ginge es bei diesen um quasi gesetzmäßige Abläufe und weniger um die Regulierung sozialer Auseinandersetzungen. Neben diesem Schwerpunkt finden sich eine Vielzahl von Artikeln, deren Inhalte vom GDL-Streik über Widerstand gegen Coca-Cola in Indien bis zu den Resten der Arbeiterselbstverwaltung in Argentinien reichen. Bei diesen Themen führt die Kürze, in der diese angerissen werden, zu einer gewissen Oberflächlichkeit in der Darstellung, die auf eine Diskussion der sozialen Hintergründe solcher Konflikte und auch existierender Konflikte über sinnvolle linke Strategien ganz verzichtet.
Iris Nowak
Lunapark 21. zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie. Heft 01/2008: Vorsicht Konjunkturschlag! Von einstürzenden Neubauten zur weltweiten Rezession. Erscheint vierteljährlich. 72 Seiten, Heft 1 kostenlos, folgende Hefte 5,50 EUR, www.lunapark21.net
Selbstorganisation
Der im neoliberalen Gewand auftretende Kapitalismus führt zu einer stärkeren Verinnerlichung seiner Regeln. Mit "der Ausfransung der Ränder" der "großen Aggregate der industriellen Arbeit", so der Autor Martin Dieckmann, setzte das ein, was seit Anfang der 1980er Jahre mit dem Begriff Prekarisierung bezeichnet wird: die Teilung der warenförmigen Arbeit als fließende Übergänge von Kern- und Randbelegschaften, neue Selbstständige, Scheinselbstständige und Niedriglohnbereiche. Während die Macht der Gewerkschaften "implodiert", entstehen zugleich Freiräume, die Arbeit innerhalb der Regeln des Profits und der Konkurrenz selbstständiger zu gestalten. An den Widersprüchen dieser Entwicklung setzen die AutorInnen des Sammelbandes "Selbstorganisation" an. Inhalte und Formen sozialer und widerständiger Selbstorganisation stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Der Frage, warum der Widerstand unter den neuen Bedingungen des "Postfordismus" so schwierig ist, geht Holger Heide nach. Das Verhältnis von lebendiger Arbeit und totem, vampiristischem Kapital beruhe psychologisch auf gegenseitiger Angst. Das Kapital habe Angst vor der Selbstbestimmung der lebendigen Arbeit. Uns binde die Angst aus dem kollektiven Trauma der gewaltsamen, historischen Durchsetzung der Arbeitsgesellschaft an das Kapital. Ohne dieses kollektive Trauma ist der äußere Zwang als innerer Arbeitsantrieb nicht denkbar. In der Angst liege das Autonomiedefizit, und damit sei das Durchbrechen der Angstspirale der erste entscheidende Schritt, den die neuen sozialen Bewegungen bewusst angehen müssten. Während die theoretischen Texte nicht immer leicht zu verstehen sind, bieten die praxisorientierten Beiträge eine Reihe interessanter Beispiele von Widerständigkeit in Frankreich (Willi Hajek) und Deutschland (Inken Wanzek). Sergio Bologna beschreibt die Situation der prekären Selbstständigen in Italien, wo Kleinstbetriebe seit den 1980er Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Für Menschen, die sich in selbstorganisierten Projekten, aber auch in den traditionellen Gewerkschaften engagieren, bietet das Buch Denkanstöße für Solidarität, Widerstand und Selbstbefreiung.
Werner Ruhoff
Sergio Bologna, Michael Danner, Willi Hajek u.a. (Hg.): Selbstorganisation. Transformationsprozesse von Arbeit und sozialem Widerstand im neoliberalen Kapitalismus.Verlag Die Buchmacherei, Berlin 2007, 213 Seiten, 12 EUR
Lehrbuch Italien
Lehrbücher über "das politische System" dieses oder jenes Landes wirken meist sperrig. Das trifft auch auf Stefan Köppls Einführung in das politische System Italiens zu. Das Buch behandelt die Zeit von der Entstehung des italienischen Nationalstaates bis zum Amtsantritt der inzwischen gescheiterten Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi. Für die einzelnen Abschnitte bleibt da wenig Raum: vier Seiten über den Faschismus und drei über das "Problem Berlusconi", dessen Medienmacht der Autor im übrigen nicht besonders bedrohlich findet. Die Stärken des Buches liegen in der Darstellung der Institutionen und der politischen Verfasstheit des Landes. Auch komplizierte Dinge wie das geltende Wahlrecht mit Sperrklauseln und Mehrheitsprämie erklärt der Autor systematisch und allgemein verständlich.
Js.
Stefan Köppl: Das politische System Italiens. Eine Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, 294 Seiten, 22,90 EUR
Mysteriöse Todesfälle
Birgit Vanderbekes leicht erzählte Geschichte über die "sonderbare Karriere der Frau Choi" spielt in einem Urlaubsort im Südwesten Frankreichs - außerhalb der Saison ein verschlafenes Nest. Das ändert sich mit der Ankunft von Frau Choi aus Gwangju. Zielstrebig eröffnet sie zur Verwunderung der Ortsansässigen ein koreanisches Restaurant, das "Bapguagup". Und tatsächlich hat sie Erfolg, an dem alle teilhaben: das Dorf wird bei Gourmets als Geheimtipp gehandelt und gewinnt an Beachtung. Das ist aber nicht alles, denn Birgit Vanderbekes Geschichte ist ein Krimi mit mehreren mysteriösen Todesfällen. Zu Tode kommen, plötzlich und unerwartet, der Bürgermeister, der über die Köpfe der DorfbewohnerInnen hinweg nicht uneigennützig das Militär ins Dorf holen will, ebenso der überaus zudringliche und raumgreifende Exfreund einer Bewohnerin - und dabei bleibt es nicht. Birgit Vanderbeke erzählt auch eine Geschichte über weise Frauen, die ihr Wissen in einer globalisierten Welt geschickt einzusetzen wissen. Eine Art modernes und keineswegs banales Märchen, das unsere Sommerpläne ironisch und humorvoll betrachtet.
Raphaela Kula
Birgit Vanderbeke: Die sonderbare Karriere der Frau Choi. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 124 Seiten 16,90 EUR